Urteil des BVerwG vom 19.10.2004

Unterhaltsbeitrag, Gemeinsames Konto, Versicherung, Unterdeckung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 DB 5.04
VG M 13B DA 04.3076
In dem Beschwerdeverfahren
der früheren Posthauptschaffnerin ... ,
...,
- Verfahrensbevollmächtigter:
Gewerkschaftssekretär ...,
...,
... -
Beteiligte:
Bundesrepublik Deutschland,
...
- ... -,
...,
hat der Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. Oktober 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht A l b e r s , den
Richter am Bundesverwaltungsgericht M a y e r und die Richterin am Bundesver-
waltungsgericht H e e r e n
wegen Neubewilligung eines Unterhaltsbeitrags
beschlossen:
Auf die Beschwerde der früheren Beamtin wird der Beschluss
des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 30. Juni
2004 aufgehoben.
Der früheren Beamtin wird ab dem 1. Juli 2004 für weitere
8 Monate ein Unterhaltsbeitrag i.H.v. 60 v.H. des erdienten Ru-
hegehalts bewilligt.
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Die Kosten des Verfahrens und die der früheren Beamtin hierin
erwachsenen notwendigen Auslagen werden dem Bund aufer-
legt.
G r ü n d e :
I.
Durch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Juni 2003 wurde die frühere Be-
amtin aus dem Dienst entfernt. Gleichzeitig wurde ihr gemäß § 77 BDO ein Unter-
haltsbeitrag i.H.v. 75 v.H. ihres erdienten Ruhegehalts auf die Dauer von 6 Monaten
bewilligt. Auf ihren Antrag hin gewährte ihr das Bayerische Verwaltungsgericht
München durch Beschluss vom 28. Januar 2004 einen neuen Unterhaltsbeitrag i.H.v.
60 v.H. ihres erdienten Ruhegehalts auf die Dauer von 6 Monaten. Den abermaligen
Antrag auf Unterhaltszahlungen vom 3. Juni 2004 lehnte das VG durch Beschluss
vom 30. Juni 2004 mit folgender Begründung ab: Es könne offen bleiben, ob die Be-
willigung eines Unterhaltsbeitrags über die vom Gesetzgeber in § 10 Abs. 3 BDG
gesetzte Grenze von einem Jahr hinaus zulässig sei. Die frühere Beamtin sei jeden-
falls eines Unterhaltsbeitrags unwürdig, weil sie unrichtige Angaben gemacht habe.
Sie habe in den beiden letzten Anträgen auf Neubewilligung eines Unterhaltsbeitrags
unvollständige Angaben gemacht. Es sei offensichtlich, dass die frühere Beamtin
über andere Einkommensquellen verfüge. Bei einer monatlichen Unterdeckung von
ursprünglich 277 € und nunmehr 310 € seien die von ihr gemachten Angaben
schlicht unglaubhaft. Entweder verfüge die frühere Beamtin über eigene (nicht ange-
gebene und auch nicht versteuerte, also "schwarze") Einkünfte oder sie werde be-
züglich des Fehlbetrages von Dritten unterstützt, was sie jedoch eidesstattlich ver-
neint habe. Für Letzteres spreche, dass die Ratenzahlung Januar/Februar 2004
(507 €) von einem Konto erfolgt sei, als dessen Inhaber der Unterzeichner Georg N.
als auch die ehemalige Beamtin angegeben seien. Wer gegenüber dem Gericht der-
artige Erklärungen eidesstattlich versichere, zeige so gravierende Mängel in seiner
Persönlichkeit, dass er eines Unterhaltsbeitrags unwürdig sei.
Hiergegen hat die frühere Beamtin rechtzeitig Beschwerde eingelegt und diese wie
folgt begründet:
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Die vom VG gezogenen Rückschlüsse seien falsch. Sie sei nicht Inhaberin des an-
gegebenen Kontos und damit auch nicht hierüber verfügungsberechtigt. Das VG ha-
be ihren Vornamen mit der im Überweisungsformular angegebenen Straße - C.-
Straße ... -, in der ihr Lebensgefährte Georg N. in S. wohne, verwechselt. Sie habe
sowohl in der mündlichen Verhandlung vom 5. März 2004 als auch in der Antrags-
schrift vom 3. Juni 2004 darauf hingewiesen, dass ihr Lebensgefährte sie mit Le-
bensmitteln versorge und ihr zu besonderen Anlässen - Geburtstag, Weihnachten -
Geldgeschenke mache. Sie wohnten jedoch getrennt und hätten insbesondere kein
gemeinsames Konto. Die Unterdeckung komme daher, dass sie ihren Verpflichtun-
gen nicht mehr nachkommen könne. Sie habe ihren Krankenkassenbeitrag, die Dar-
lehenstilgung und ihre Miete schuldig bleiben müssen. Auf ihrem Konto bei der Post-
bank sei ein Minusbetrag i.H.v. 4 287,40 € angewachsen. Sie habe ab 1. Juli 2004
Sozialhilfe beantragen und hierfür eine Abtretungserklärung unterzeichnen müssen.
Die Beteiligte hat mit Schreiben vom 6. Juli 2004 unter Hinweis auf Gründe für die
Verspätung des Schreibens gegen eine nochmalige Bewilligung eines Unterhaltsbei-
trags keine Einwendungen erhoben. Eine Durchschrift dieses Schreibens an den
Bevollmächtigten der früheren Beamtin hat das VG nicht verfügt. Unter dem gleichen
Datum hat das VG durch seine Vizepräsidentin die Akten der Staatsanwaltschaft M.
mit der Bitte um Prüfung wegen des Verdachts der falschen Eidesstattlichen Versi-
cherung vorgelegt. Der Beschwerde der früheren Beamtin hat das VG durch Be-
schluss vom 8. September 2004 nicht abgeholfen.
II.
Die gemäß § 110 Abs. 6 i.V.m. § 79 BDO zulässige Beschwerde ist begründet.
In formaler Hinsicht fällt auf, dass das VG seinen Beschluss vom 30. Juni 2004 auf-
grund einer mündlichen Verhandlung gefasst hat. Eine mündliche Verhandlung ist im
Verfahren nach § 110 BDO zwar nicht ausgeschlossen (vgl. Köhler/Ratz BDO
2. Auflage, Rn. 17 zu § 110, Weiß, GKÖD, Bd. II, Teil 5, Rn. 68 zu § 110 BDO), es
befindet sich jedoch kein Verhandlungsprotokoll in den Akten und es wurden keine
Beteiligten zu einer mündlichen Verhandlung geladen, was verfahrensfehlerhaft wä-
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re. Der Senat geht davon aus, dass eine förmliche mündliche Verhandlung nicht
stattgefunden hat und die Entscheidung durch einfachen Beschluss getroffen worden
ist, so wie in § 110 BDO grundsätzlich vorgesehen.
Der Erfolg der Beschwerde scheitert nicht schon daran, dass eine Verlängerung des
Unterhaltsbeitrags schon aus zeitlichen Gründen nicht mehr möglich wäre. Das Ver-
fahren auf Neubewilligung eines Unterhaltsbeitrags gemäß § 110 Abs. 2 BDO fällt
nach In-Kraft-Treten des Bundesdisziplinargesetzes am 1. Januar 2002 als Annex-
Verfahren zum abgeschlossenen förmlichen Disziplinarverfahren, welches hinsicht-
lich des Ausspruchs zum Unterhaltsbeitrag der Sache nach fortgesetzt wird, unter die
Fortführungsklausel des § 85 Abs. 3 Satz 1 BDG (Beschluss vom 15. Januar 2002
- BVerwG 1 DB 34.01 - ZBR 2002, 436 = DÖD 2002, 97). Dies hat zur Folge, dass
das Neubewilligungsverfahren - als ein zunächst nach § 85 Abs. 7 Satz 2 BDG an
das VG übergegangenes Verfahren - im Beschwerdeverfahren nach dem bisherigen
Recht der Bundesdisziplinarordnung "fortzuführen" ist. An dieser Rechtsprechung
hält der Senat fest. Danach ist für die vom VG in Betracht gezogene Befristung eines
Unterhaltsbeitrags als nachwirkender Ausfluss der beamtenrechtlichen Fürsorge auf
insgesamt ein Jahr in vermeintlicher Anlehnung an § 10 Abs. 3 BDG kein Raum. Aus
welchen Gründen das VG dem § 10 Abs. 3 BDG eine Grenze von insgesamt einem
Jahr entnehmen will, ist überdies nicht ersichtlich. Der Wortlaut der Sätze 1 und 4
des § 10 Abs. 3 BDS gibt dafür nichts her. Satz 4 ermöglicht eine Verlängerung der
Gewährung "über sechs Monate hinaus" und nicht eine solche "um sechs Monate"
und schon gar nicht eine solche "um höchstens sechs Monate", wie das VG
anzunehmen scheint. Ob Neuregelungen in anderen Rechtsbereichen unter dem
Blickwinkel der Rechtseinheit der Gewährung von Unterhaltsbeiträgen nach altem
oder neuem Recht Grenzen setzen, mag hier offen bleiben. Die Zwei-Jahres-Frist
des § 24 SGB II i.d.F. vom 24. Dezember 2003, BGBl I 2954, 2955, an die mög-
licherweise gedacht werden könnte, ist hier noch nicht abgelaufen.
Der Erfolg der Beschwerde scheitert weiterhin auch nicht schon daran, dass der frü-
heren Beamtin Sozialhilfe - gegen Abtretung von Unterhaltsbeitragszahlungen in
entsprechender Höhe gewährt wird. Es besteht keine Priorität gegenüber dem Un-
terhaltsbeitrag (vgl. hierzu Beschluss vom 28. Oktober 1982 - BVerwG 1 DB 27.82 -
).
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Der früheren Beamtin ist für weitere 8 Monate ab dem 1. Juli 2004 Unterhaltsbeitrag
in Höhe von 60 v.H. des erdienten Ruhegehalts zu bewilligen.
Nach § 110 Abs. 2 Satz 2 BDO kann ein Unterhaltsbeitrag erneut bewilligt werden,
wenn die Voraussetzungen des § 77 Abs. 1 Satz 1 BDO vorliegen. Danach muss der
frühere Beamte nach seiner wirtschaftlichen Lage der Unterstützung bedürftig und
ihrer nicht unwürdig sein. Eine Unwürdigkeit der früheren Beamtin konnte der Senat
entgegen der Auffassung des VG nicht feststellen. Der früheren Beamtin ist nicht
nachzuweisen, vorsätzlich unvollständige und irreführende Angaben gemacht zu ha-
ben. Dies gilt insbesondere für den im angefochtenen Beschluss erhobenen Vorwurf,
die frühere Beamtin habe eidesstattlich verneint, von Dritten unterstützt zu werden.
Die frühere Beamtin hat in der Eidesstattlichen Versicherung vom 8. Dezember 2003
verneint, sonstiges Einkommen (z.B. Miet-/Pachteinnahmen) und sonstiges Vermö-
gen (z.B. Wertpapiere, Kraftfahrzeug) zu haben. Hierunter lassen sich die ihr bei Be-
darf gewährten Lebensmittel und Geldgeschenke aus besonderem Anlass nicht ohne
weiteres subsumieren. Aber auch wenn dies zur Vollständigkeit der Angaben ge-
hörte, lässt sich der früheren Beamtin ein auf Täuschung angelegtes Verhalten nicht
nachweisen. In der mündlichen Verhandlung vom 5. März 2004 hat die frühere Be-
amtin klargestellt, dass ihr Lebensgefährte sie bei Bedarf mit Lebensmitteln versorgt
habe, wenn sie hierfür kein Geld gehabt habe, und sie habe von ihm auch ein Geld-
geschenk zu Weihnachten erhalten. Im Antrag auf Neubewilligung von Unterhalts-
zahlungen vom 3. Juni 2004 hat sie in ähnlicher Weise angegeben, ihr Lebensge-
fährte, der in einer eigenen Wohnung wohne, versorge sie weiterhin mit Lebensmit-
teln, da das ihr zur Verfügung stehende Geld nicht ausreiche, sich selbst ausrei-
chend zu ernähren. Zu besonderen Anlässen - wie etwa ihrem Geburtstag - erhalte
sie auch Geldgeschenke, um wenigstens den Grundbedarf decken zu können. Wenn
sie dann in der weiteren Eidesstattlichen Versicherung vom 21. Juni 2004 wiederum
die Frage nach sonstigem Einkommen und Vermögen und die erstmals in diesem
Fragebogen gestellte Frage nach sonstigen Zuwendungen verneint hat, müssen die-
se Angaben im Kontext mit denen im Antrag vom 3. Juni 2004 gesehen werden.
Der vom VG gezogene Schluss, aufgrund einer Unterdeckung von 310 € müsse die
frühere Beamtin "schwarze" Einkünfte haben oder von Dritten erheblich unterstützt
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werden, ist nicht überzeugend. Näher liegt, dass die Unterdeckung dadurch "aufge-
fangen" worden ist, dass die frühere Beamtin zum Teil ihren Verpflichtungen nicht
nachgekommen ist, weil sie diese nicht erfüllen konnte, wie sie noch vor der erfolgten
Nichtabhilfeentscheidung des VG nachgewiesen hat. Sie ist u.a. bei Miete, Kran-
kenkassenbeitrag und Dispositionskredit in Rückstand geraten, sodass ihr nichts an-
deres übrig blieb, als Sozialhilfe zu beantragen. Anlass für eine Strafanzeige wegen
des Verdachts der falschen Eidesstattlichen Versicherung bestand daher nicht. Nicht
nachvollziehbar ist auch die Würdigung, eine Ratenzahlung sei von einem Konto
erfolgt, deren Inhaber der Lebensgefährte der früheren Beamtin und diese selbst
seien. Dies ist unzutreffend. Wie die frühere Beamtin nachgewiesen hat, hat das VG
schlicht den Vornamen der früheren Beamtin mit der Straße, in welcher der Lebens-
gefährte wohnt, verwechselt.
Die Beamtin ist im zugebilligten Umfang einer Unterstützung bedürftig. Maßgebend
für den Bedarf der früheren Beamtin sind die jeweils geltenden Sozialhilfesätze für
das Bundesland Bayern (287 €), die berücksichtigungsfähigen Kosten für die Woh-
nung (324 €), für Krankenkasse (376 €) sowie Telefon, Strom, GEZ (91 €). Schuld-
verbindlichkeiten bleiben unberücksichtigt, da ein Unterhaltsbeitrag nach Disziplinar-
recht grundsätzlich nicht der Finanzierung und Tilgung von Schulden dient (ständige
Rechtsprechung, vgl. zuletzt Beschluss vom 24. März 2004 - BVerwG 1 DB 2.04 -).
Danach ist ein monatlicher Gesamtbedarf von 1 078 € anzusetzen. Dieser Betrag
stellt ca. 60 v.H. des erdienten Ruhegehalts dar.
Die frühere Beamtin hat ihre bestehende Bedürftigkeit nicht selbst zu vertreten. Sie
hat nachgewiesen, dass sie sich ausreichend um die Aufnahme einer anderen Er-
werbstätigkeit bemüht hat. Sie hat sich allerdings überwiegend auf Stellen beworben,
die ihrem erlernten Beruf als Erzieherin entsprachen. Das ist zwar verständlich, die
frühere Beamtin wird aber darauf hingewiesen, dass es ihr nach ständiger Recht-
sprechung zuzumuten ist, auch einfache Arbeiten, die keine oder nur eine geringe
Qualifikation voraussetzen, anzunehmen. Mit zunehmendem zeitlichen Abstand von
der Verurteilung des früheren Beamten müssen höhere Anforderungen an seine
Darlegungs- und Nachweispflicht sowie an die Intensität seines Bemühens um eine
sein Auskommen sichernde Beschäftigung gestellt werden. Die frühere Beamtin wird
bei einem etwaigen Antrag auf Bewilligung weiterer Unterhaltszahlungen ihre Bemü-
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hungen in größerem Umfang auch auf Stellen ausdehnen müssen, die ihrer Qualifi-
kation nicht entsprechen.
Der Senat hat die Laufzeit der Unterhaltszahlungen abweichend von der üblichen
Dauer von 6 Monaten auf 8 Monate erstreckt, weil durch das bisherige, für die frühe-
re Beamtin erfolglos verlaufene Verfahren erhebliche Zeit verstrichen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 113 ff. BDO.
Albers Mayer Heeren
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Neubewilligung eines Unterhaltsbeitrags
Fachpresse:
nein
Rechtsquellen:
BDG § 85 Abs. 3 Satz 1
BDO §§ 79, 110 Abs. 2 Satz 2
Stichworte:
Frühere Beamtin; Neubewilligung eines Unterhaltsbeitrags; keine Unwürdigkeit auf-
grund unvollständiger Angaben; Aufhebung eines die Unwürdigkeit bejahenden erst-
instanzlichen Beschlusses.
Beschluss des Disziplinarsenats vom 19. Oktober 2004 - BVerwG 1 DB 5.04
I. VG München vom 30.06.2004 - Az.: VG M 13B DA 04.3076 -