Urteil des BVerwG vom 16.06.2008

Unterhaltsbeitrag, Änderung der Rechtsprechung, Anspruch auf Bewilligung, Beruf

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 DB 2.08
VG … 6a DA 08.00001
In dem Verfahren
der früheren Posthauptsekretärin …,
…, …,
- Prozessbevollmächtigter:
…,
…, … -
Beteiligte:
Bundesrepublik Deutschland,
vertreten durch die Deutsche Post AG,
…,
…, …,
hat der Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. Juni 2008
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller und Dr. Heitz
sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen
beschlossen:
Auf die Beschwerde der früheren Posthauptsekretärin …
wird der Beschluss des … Verwaltungsgerichts … vom
27. März 2008 aufgehoben.
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Der früheren Beamtin wird ab dem 1. Februar 2008 für
weitere neun Monate ein Unterhaltsbeitrag in Höhe von
70 v.H. ihres erdienten Ruhegehalts bewilligt.
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens und die der früheren Beamtin
hierin erwachsenen notwendigen Auslagen haben der
Bund zu drei Viertel und die frühere Beamtin zu einem
Viertel zu tragen.
G r ü n d e :
I
1. Das Bundesdisziplinargericht hatte durch Urteil vom 16. Januar 2001 ent-
schieden, dass die frühere Beamtin wegen eines Dienstvergehens aus dem
Dienst entfernt wird; zugleich war dieser gemäß § 77 BDO ein Unterhaltsbeitrag
in Höhe von 70 v.H. ihres erdienten Ruhegehalts auf die Dauer von sechs Mo-
naten bewilligt worden. Die von der früheren Beamtin hiergegen eingelegte Be-
rufung wurde durch Urteil des beschließenden Senats vom 3. Juli 2002
- BVerwG 1 D 11.01 - zurückgewiesen. In diesem Urteil heißt es u.a., dass es
mit dem bewilligten Unterhaltsbeitrag sein Bewenden habe. Damit erhielt die
frühere Beamtin zunächst vom 1. August 2002 an bis einschließlich 31. Januar
2003 den vom Bundesdisziplinargericht zuerkannten Unterhaltsbeitrag. In der
Folgezeit wurde ihr durch das Bundesdisziplinargericht, anschließend durch das
… Verwaltungsgericht … wiederholt, jeweils auf die Dauer von zwölf Monaten,
ein Unterhaltsbeitrag in Höhe von 70 v.H. ihres erdienten Ruhegehalts neu
bewilligt, zuletzt durch Beschluss vom 22. Dezember 2006 bis einschließlich
31. Januar 2008.
2. Den Antrag der früheren Beamtin, ihr für die Zeit ab 1. Februar 2008 auf die
Dauer von weiteren zwölf Monaten einen Unterhaltsbeitrag in Höhe von 70 v.H.
ihres erdienten Ruhegehalts zuzusprechen, hat das Verwaltungsgericht mit Be-
schluss vom 27. März 2008 abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen
ausgeführt:
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Bei dem Unterhaltsbeitrag nach §§ 77, 110 Abs. 2 BDO handele es sich um
eine fürsorgerische Leistung des Dienstherrn, die nur für einen vorübergehen-
den - begrenzten - Zeitraum gewährt werde, um dem aus dem Dienst entfernten
Beamten den Übergang in einen anderen Beruf oder in eine andere Art der
finanziellen Existenzsicherung zu erleichtern. Den Beschlüssen des Bundes-
verwaltungsgerichts vom 19. Oktober 2004 und vom 15. November 2004 sei zu
entnehmen, dass grundsätzlich eine zeitliche Begrenzung entsprechend der
Zwei-Jahres-Frist des § 24 SGB II in Betracht komme. Diese Frist sei hier weit
überschritten. Bis einschließlich Januar 2008, d.h. insgesamt fünfeinhalb Jahre
habe die frühere Beamtin den beantragten Unterhaltsbeitrag erhalten. Auch im
Hinblick auf den Umstand, dass sie an Neurodermitis erkrankt sei und folglich
- wenn überhaupt - nur schwer in ein neues Arbeitsverhältnis vermittelt werden
könne, komme eine Weiterbewilligung eines Unterhaltsbeitrags nicht mehr in
Betracht.
Das Antragsbegehren bleibe aber auch deshalb ohne Erfolg, weil die frühere
Beamtin ihre wirtschaftliche Notlage selbst zu vertreten habe. Sie habe sich fast
ausschließlich für Bürotätigkeiten im Großraum A beworben. Dies sei für eine
erst 41-jährige, ledige und kinderlose Frau nicht ausreichend. Es sei ihr zuzu-
muten, sich auch um unterwertige Tätigkeiten zu bemühen und gegebenenfalls
von A wegzuziehen.
3. Hiergegen hat die frühere Beamtin rechtzeitig Beschwerde eingelegt und die-
se im Wesentlichen wie folgt begründet:
Die Dauer der Gewährung des zeitlich befristeten Unterhaltsbeitrags werde
durch dessen Zweck bestimmt, den durch den Wegfall der Dienstbezüge not-
wendigen Übergang in einen anderen Beruf oder in eine andere Art der finan-
ziellen Existenzsicherung - außerhalb des Systems der Fürsorge- und Sozial-
leistungen - zu erleichtern. Im Regelfall dürfe dafür die vom Verwaltungsgericht
angenommene Zwei-Jahres-Frist ausreichen, um den Übergang zu schaffen.
Bei ihr, der früheren Beamtin, handele es sich jedoch um einen Sonderfall. Sie
leide an chronischer Neurodermitis, die sich in einem rötlichen Hautausschlag
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bemerkbar mache, der insbesondere im Gesicht und an den Händen auftrete.
Dies gehe einher mit einer Schwellung des Gesichts. Ihre äußere Erscheinung
schrecke viele potenzielle Arbeitgeber ab. Eine Sachbearbeiterin der Bundes-
agentur für Arbeit habe ihr zu verstehen gegeben, dass sie wegen dieser Er-
krankung letztlich nicht vermittelbar sei.
Damit sie, die frühere Beamtin, nicht der Fürsorge anheim falle, sei ihr ein Un-
terhaltsbeitrag zu gewähren, solange sie dessen bedürftig sei und diese Be-
dürftigkeit nicht selbst zu vertreten habe. Diese Voraussetzungen lägen hier
vor. Sie habe kein Einkommen und sich seit der letzten Unterhaltsbeitragsbe-
willigung 137 mal schriftlich beworben; davon habe sie 72 Absagen erhalten.
Zusätzlich habe sie sich auch vielfach telefonisch um eine neue Stelle bemüht.
Wie sich aus der - unvollständigen - Telefonliste ergebe, habe sie sich auch bei
Firmen außerhalb des Großraums A (z.B. …) sowie für unterwertige Tätigkeiten
(z.B. in der Produktion, im Verkauf, an der Kasse, als Telefonistin) beworben.
Um ihre Berufschancen zu steigern, habe sie bereits im Jahr 2005 eine Weiter-
bildung zur Kauffrau für Bürokommunikation absolviert. Zurzeit bemühe sie sich
um eine Zusatzausbildung zur Wirtschaftsfachwirtin.
Das Verwaltungsgericht hat der Beschwerde durch Beschluss vom 7. Mai 2008
nicht abgeholfen.
II
Die Beschwerde ist gemäß § 110 Abs. 6 i.V.m. § 79 BDO zulässig.
Das Verfahren auf Neubewilligung eines Unterhaltsbeitrags gemäß § 110
Abs. 2 BDO fällt nach Inkrafttreten des Bundesdisziplinargesetzes am 1. Januar
2002 als Annex-Verfahren zum abgeschlossenen förmlichen Disziplinarverfah-
ren unter die Fortführungsklausel des § 85 Abs. 3 Satz 1 BDG, wenn das Ge-
richt im Disziplinarurteil einen Unterhaltsbeitrag nach Maßgabe des § 77 BDO
gewährt hatte (stRspr, grundlegend Beschluss vom 15. Januar 2002 - BVerwG
1 DB 34.01 - Buchholz 235 § 110 BDO Nr. 10). Dies hat zur Folge, dass das
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Neubewilligungsverfahren - als ein zunächst nach § 85 Abs. 7 Satz 2 BDG an
das Verwaltungsgericht übergegangenes Verfahren - im Beschwerdeverfahren
nach dem bisherigen Recht der Bundesdisziplinarordnung „fortzuführen“ ist. An
dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.
Die Beschwerde ist auch überwiegend begründet. Die frühere Beamtin hat für
den Zeitraum vom 1. Februar 2008 bis einschließlich 31. Oktober 2008, d.h. für
weitere neun Monate einen Anspruch auf Bewilligung eines Unterhaltsbeitrags
in Höhe von 70 v.H. ihres erdienten Ruhegehalts. Darüber hinaus - und auch in
Zukunft - steht ihr ein solcher Anspruch nicht (mehr) zu.
1. Die Neubewilligung eines disziplinarrechtlichen Unterhaltsbeitrags richtet sich
nach Inkrafttreten des Bundesdisziplinargesetzes nach den Vorschriften der
Bundesdisziplinarordnung (§§ 110, 77), wenn - wie hier - die Erstbewilligung auf
§ 77 BDO beruhte (Senatsbeschluss vom 15. Januar 2002 a.a.O.).
Nach § 110 Abs. 2 Satz 2 BDO kann ein Unterhaltsbeitrag erneut bewilligt wer-
den, wenn die Voraussetzungen des § 77 Abs. 1 Satz 1 BDO vorliegen, wenn
also die frühere Beamtin nach ihrer wirtschaftlichen Lage der Unterstützung
bedürftig und ihrer nicht unwürdig ist. Das Bundesdisziplinargericht hatte in sei-
nem vom Senat bestätigten Urteil dargelegt, dass die frühere Beamtin eines
Unterhaltsbeitrags nicht unwürdig ist. Sie ist in dem zugebilligten Umfang auch
einer Unterstützung bedürftig. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass sich in-
soweit an den tatsächlichen Grundlagen der vom Verwaltungsgericht wiederholt
getroffenen stattgebenden Entscheidung inzwischen etwas geändert hat.
Die frühere Beamtin hat ihre Bedürftigkeit auch nicht selbst zu vertreten (§ 110
Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 1 Halbs. 2 BDO). Sie ist ihren unterhaltsbeitragsrecht-
lich gebotenen Verhaltenspflichten im erforderlichen Umfang nachgekommen.
Wie der Senat in ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. Beschluss vom 15. No-
vember 2004 - BVerwG 1 DB 6.04 - juris, m.w.N.) ausgeführt hat, setzt eine
erneute Bewilligung eines Unterhaltsbeitrags voraus, dass sich der frühere Be-
amte in ausreichendem Maß um die Aufnahme einer anderen Erwerbstätigkeit
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bemüht hat. Entscheidend kommt es in diesem Zusammenhang auf die persön-
liche Initiative zur Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess, auf die Bereit-
schaft sowie auf die Aktivitäten zur Erlangung einer neuen Tätigkeit an, nicht
darauf, ob diese Anstrengungen auch tatsächlich zum Erfolg geführt haben. Der
uneingeschränkt arbeitsfähige frühere Beamte, der nach Wegfall seiner
Dienstleistungspflicht täglich zur Arbeitsplatzsuche genügend Zeit hat, ist gehal-
ten, alle ihm möglichen und zumutbaren Anstrengungen zu unternehmen, um
eine unterhaltssichernde neue Arbeit zu finden. Er muss sich ernsthaft, intensiv
und nachhaltig während des gesamten Bewilligungszeitraums um eine solche
Erwerbstätigkeit bemühen. Dies gilt auch dann, wenn sich die Wiedereingliede-
rung des früheren Beamten in den Arbeitsprozess bei den an seinem Wohnort
oder dessen Umgebung bestehenden Verhältnissen aufgrund der Arbeitsmarkt-
lage oder infolge seiner persönlichen Umstände schwierig gestaltet. Dem frühe-
ren Beamten ist es auch zuzumuten, einfache Arbeiten, die keine oder nur eine
geringe Qualifikation voraussetzen, anzunehmen. Mit zunehmendem zeitlichen
Abstand von der Verurteilung des früheren Beamten müssen höhere Anforde-
rungen an seine Darlegungs- und Nachweispflicht sowie an die Intensität seines
Bemühens um eine sein Auskommen sichernde Beschäftigung gestellt werden.
Trotz Weiterbildung und nachweislich intensiven Bemühungen hat die frühere
Beamtin eine solche, ihr Auskommen sichernde Beschäftigung noch nicht ge-
funden. Sie hat sich seit dem letzten stattgebenden Gerichtsbeschluss glaub-
haft 137 mal schriftlich beworben und 35 eigene Stellenanzeigen aufgegeben.
Sie erhielt 72 Absagen; die übrigen Firmen haben sich nicht geäußert. Darüber
hinaus hat sich die frühere Beamtin in einer Vielzahl von Fällen telefonisch um
eine Arbeitsstelle bemüht (vgl. dazu die Telefonliste mit insgesamt 59 Firmen-
namen), und zwar u.a. bei Firmen außerhalb des Großraums A sowie zum Teil
für Tätigkeiten außerhalb des Bürobereichs. Entgegen der Auffassung des
Verwaltungsgerichts war dies ausreichend, zumal die frühere Beamtin im Hin-
blick auf eine Neubewilligung des Unterhaltsbeitrags bisher nicht eindeutig dar-
über belehrt worden war, dass sie sich auch um unterwertige Tätigkeiten au-
ßerhalb des Großraums A bewerben müsse: Das Urteil des Bundesdisziplinar-
gerichts vom 16. Januar 2001 enthält insoweit nur den Hinweis an die frühere
Beamtin, sie dürfe keine unangemessenen Anforderungen an Art und Weise
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einer Beschäftigung oder die Höhe ihrer Entlohnung stellen. Im Berufungsurteil
des Senats vom 3. Juli 2002 werden keine Verhaltenshinweise erteilt. Der
Weiterbewilligungsbeschluss des Bundesdisziplinargerichts vom 24. Februar
2003 enthält lediglich den Hinweis, die frühere Beamtin müsse sich in den
(nächsten) zwölf Monaten wie bisher intensiv um eine neue Arbeitsstelle bemü-
hen. In seinem Weiterbewilligungsbeschluss vom 26. Januar 2004 weist das
Verwaltungsgericht die frühere Beamtin u.a. darauf hin, dass sie sich innerhalb
des Verlängerungszeitraums äußerst intensiv um einen Arbeitsplatz letztlich
jeglicher Art bemühen müsse; ein ausdrücklicher Hinweis auf die Notwendigkeit,
sich auch überörtlich zu bewerben, fehlt. An einem solchen Hinweis mangelt es
ebenfalls in den stattgebenden Beschlüssen des Verwaltungsgerichts vom
10. Januar 2005, vom 12. Dezember 2005 und vom 22. Dezember 2006.
2. Der Senat hat der früheren Beamtin den Unterhaltsbeitrag jedoch nur noch
für einen Zeitraum von neun Monaten bewilligt; darüber hinaus - und auch in
Zukunft - steht ihr ein solcher Anspruch nicht (mehr) zu. Dies folgert der Senat
aus Wesen und Zweck der Unterhaltsbeitragsregelung in der Bundesdiszipli-
narordnung als Übergangsleistung sowie aus dem Schweigen des Gesetzge-
bers zu einem Bewilligungs-Gesamtzeitraum und dem Vergleich mit der Rege-
lung des Unterhaltsbeitrags in § 10 Abs. 3 BDG. Schließlich sind andere Vor-
schriften für dienstrechtliche Überbrückungshilfen von Bedeutung, soweit sie
einen Bewilligungszeitraum festlegen.
a) Der Unterhaltsbeitrag im Sinne des § 77 BDO ist Ausdruck der das Dienst-
verhältnis überdauernden Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Er dient allein dazu,
dem aus dem Dienst entfernten Beamten den durch den Wegfall der Dienstbe-
züge notwendig gewordenen Übergang in einen anderen Beruf oder in eine
andere Art der finanziellen Existenzsicherung, z.B. eine gesetzliche Alters- oder
Erwerbsunfähigkeitvorsorge, zu erleichtern und ihn ebenso wie seine finanziell
von ihm abhängigen Familienangehörigen während dieses - vorübergehenden -
Zeitraums nicht in Not geraten zu lassen.
Der begrenzte Zweck des Unterhaltsbeitrags als Übergangsleistung kommt im
Wortlaut des § 77 Abs. 1 Satz 1 BDO dadurch zum Ausdruck, dass die Bewilli-
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gung eines Unterhaltsbeitrags nur noch auf „bestimmte Zeit“ zulässig ist und die
nach früherem Recht mögliche Bewilligung auch auf Lebenszeit (vgl. § 64
Abs. 1 BDO a.F.) bereits mit der Novellierung der Bundesdisziplinarordnung
durch das Gesetz zur Neuordnung des Bundesdisziplinarrechts vom 20. Juli
1967, BGBl I S. 725, abgeschafft worden war. Zwar hatte die gesetzliche Neu-
regelung ihren Grund in der damaligen Verwaltungspraxis, nach der ein Unter-
haltsbeitrag die Nachversicherung in der Sozialversicherung ausschloss. Des-
halb sollten nur noch Unterhaltsbeiträge auf Zeit bewilligt werden dürfen, die
diese Folge nicht auslösen (vgl. amtliche Begründung des Gesetzentwurfs zur
Änderung und Ergänzung der Bundesdisziplinarordnung, BTDrucks V/325
S. 37). Hieraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, dass bei Bedürf-
tigkeit ein Unterhaltsbeitrag immer zu bewilligen wäre, solange ein früherer Be-
amter nicht eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht. Denn
Ziel der Neuregelung war auch eine Abgrenzung der Funktion der Nachversi-
cherung von der des Unterhaltsbeitrags. Während die Nachversicherung in der
gesetzlichen Rentenversicherung auf der Grundlage der erbrachten Dienstzei-
ten eine - dauerhafte - Versorgung im Alter ermöglichen soll, hat der Unter-
haltsbeitrag aufgrund seiner begrenzten Bewilligungsdauer nur noch die Aufga-
be, den mit der Entfernung aus dem Dienst oder der Aberkennung des Ruhe-
gehalts eintretenden unmittelbaren Wegfall der Dienst- oder Versorgungsbezü-
ge (§ 117 Abs. 6 BDO) übergangsweise abzumildern und den früheren Beam-
ten und seine Familie vor einer Notlage in der Phase der beruflichen Neuorien-
tierung zu schützen (vgl. Urteil vom 7. Februar 2008 - BVerwG 1 D 4.07 - juris,
m.w.N.).
In der Praxis des Senats erfolgt deshalb eine Erst- oder Neubewilligung des
Unterhaltsbeitrags gemäß §§ 77, 110 Abs. 2 BDO nur auf bestimmte Zeit, in der
Regel auf sechs Monate, in Ausnahmefällen, insbesondere bei vorüberge-
hender Arbeitsunfähigkeit, auf bis zu zwölf Monate; unter den Voraussetzungen
des § 110 Abs. 2 Satz 2 BDO kommt anschließend, gegebenenfalls wiederholt,
für einen bestimmten Zeitraum eine Weiterbewilligung in Betracht.
b) Wie lange im Einzelfall eine (Erst- und Neu-)Bewilligung des Unterhaltsbei-
trags insgesamt, d.h. längstens erfolgen darf, hat der Gesetzgeber in der hier
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noch anwendbaren Bundesdisziplinarordnung nicht geregelt. Auf dieser gesetz-
lichen Grundlage hatte der Senat in ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. Be-
schluss vom 13. November 1997 - BVerwG 1 DB 16.97 - Buchholz 235
§ 110 BDO Nr. 4 m.w.N.) entschieden, dass die zeitliche Begrenzung der Un-
terhaltsbeitragsleistung gemäß §§ 77, 110 Abs. 2 BDO ausschließlich durch die
erfolgte Wiedereingliederung des bedürftigen früheren Beamten in das Er-
werbsleben oder durch die Erschließung einer anderen Einkommensquelle,
nicht jedoch durch den hiervon unabhängigen Ablauf einer bestimmten Zeit-
spanne seit dem Disziplinarurteil bestimmt werde. Solange sich der frühere Be-
amte in arbeitsfähigem Zustand mit der von ihm zu verlangenden Intensität
vergeblich um eine neue Erwerbsquelle bemühe, könne ein Unterhaltsbeitrag
nicht allein mit dem Hinweis versagt werden, er sei bereits wiederholt über
einen insgesamt längeren Zeitraum gewährt worden. Vielmehr erfülle diese Un-
terstützung auch in einem solchen Fall die ihr nach Sinn und Zweck der gesetz-
lichen Regelung zukommende Funktion einer Übergangsleistung zur Vermei-
dung existenzieller wirtschaftlicher Not. In seinem Beschluss vom 13. Novem-
ber 1997 (a.a.O.) hat der Senat deshalb dem früheren Beamten den Unter-
haltsbeitrag weiterbewilligt, obwohl dieser seit Rechtskraft des Disziplinarurteils
bereits 14 1/2 Jahre einen Unterhaltsbeitrag gemäß §§ 77, 110 Abs. 2 BDO
bezogen hatte. Der Senat hatte in diesem Zusammenhang wiederholt ergän-
zend betont, dass der Rechtsanspruch auf einen Unterhaltsbeitrag nach der
Bundesdisziplinarordnung weder hinter Sozialhilfeleistungen noch hinter Leis-
tungen der Arbeitsförderung zurücktrete, weil diese Leistungen ihrerseits auch
im Verhältnis zum Unterhaltsbeitrag nur subsidiär zu gewähren seien (vgl. zu-
letzt z.B. Urteil vom 8. März 2005 - BVerwG 1 D 15.04 - juris und Beschluss
vom 1. Februar 2006 - BVerwG 1 DB 1.05 - IÖD 2006, 118, jeweils m.w.N.).
c) Von dem gesetzlichen Modell der richterlichen Erstbewilligung eines Unter-
haltsbeitrags gemäß § 77 BDO im Disziplinarurteil und seiner möglichen
Weiterbewilligung auf Antrag des früheren Beamten durch Beschluss gemäß
§ 110 Abs. 2 BDO hat sich der Gesetzgeber im neuen Bundesdisziplinargesetz
gelöst (§ 10 Abs. 3 BDG; ebenso nunmehr im Wehrdisziplinarrecht gemäß § 63
Abs. 3 der Wehrdisziplinarordnung vom 16. August 2001, BGBl I S. 2093). Die
Regelungen zum Unterhaltsbeitrag sind grundlegend neu gestaltet worden. Der
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aus dem Beamtenverhältnis entfernte Beamte erhält nunmehr von Gesetzes
wegen als Übergangsleistung vorübergehend einen Unterhaltsbeitrag, und zwar
im Regelfall - wenn in der gerichtlichen Entscheidung nichts anderes bestimmt
ist -, für die Dauer von sechs Monaten in Höhe von 50 % der ihm zuletzt zuste-
henden ungekürzten Dienstbezüge (§ 10 Abs. 3 Satz 1 BDG); Vergleichbares
gilt gemäß § 12 Abs. 2 BDG für den Fall der Aberkennung des Ruhegehalts.
Ausnahmsweise kann das Gericht in seiner Entscheidung die Gewährung des
Unterhaltsbeitrags - zu 50 % oder zu einer entsprechend geringeren Quote,
zugleich über sechs Monate hinaus, aber zeitlich begrenzt - verlängern, soweit
dies notwendig ist, um eine unbillige Härte zu vermeiden; der Beamte hat die
Umstände glaubhaft zu machen (§ 10 Abs. 3 Satz 3 BDG). Eine solche einma-
lige Bewilligung des Unterhaltsbeitrags ist nach der Unanfechtbarkeit der diszip-
linargerichtlichen Entscheidung - vom Fall der gerichtlichen Wiederaufnahme
des Disziplinarverfahrens abgesehen - endgültig. Ein Verfahren zur Weiterge-
währung oder Neubewilligung - wie gemäß § 110 Abs. 2 BDO - ist nicht mehr
vorgesehen (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 23. April 2007 - 21d A
571/07.BDG - NVwZ-RR 2007, 791 ff. m.w.N.). Dies entspricht dem ausdrückli-
chen Willen des Gesetzgebers (vgl. die amtliche Begründung zu § 10 Abs. 3
BDG im Regierungsentwurf, BTDrucks 14/4659 S. 37: Ein Verfahren zur …
Neubewilligung entsprechend § 110 BDO ist nicht mehr vorgesehen; dazu
Gansen, Bundesdisziplinarrecht in Bund und Ländern, § 10 Rn. 18 ff.) und
kommt auch im Wortlaut des § 10 Abs. 3 Satz 3 BDG zum Ausdruck. Wenn es
dort sinngemäß heißt, eine Verlängerung der Unterhaltsgewährung könne „in
der Entscheidung“, d.h. nur in der Disziplinarentscheidung selbst, ausgespro-
chen werden, schließt dies konkludent ein späteres Weitergewährungsverfah-
ren aus. Dies hat zur Folge, dass ein erwerbsfähiger hilfebedürftiger früherer
Beamter und seine Familie nach Ablauf des Bewilligungszeitraums gegebenen-
falls sogleich unter den Voraussetzungen des Sozialgesetzbuchs II - Grund-
sicherung für Arbeitsuchende - auf Leistungen nach diesem Gesetz (insbeson-
dere Arbeitslosengeld II und Sozialgeld) angewiesen sein können; zur Siche-
rung des Lebensunterhalts bei dauerhafter Erwerbsminderung oder nach Voll-
endung des 65. Lebensjahres kommen die entsprechenden Leistungen der
Grundsicherung nach den §§ 41 ff. SGB XII - Sozialhilfe - in Betracht. Im Übri-
gen steht, insbesondere für Nichterwerbsfähige, unter den Voraussetzungen
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des Sozialgesetzbuchs XII die Hilfe zum Lebensunterhalt als Sozialhilfeleistung
zur Verfügung (vgl. dazu auch OVG Münster, Beschluss vom 23. April 2007
a.a.O.).
d) Aus der Zweckrichtung des Unterhaltsbeitrags als Übergangsleistung und
der nur einmaligen Bewilligungsmöglichkeit eines Unterhaltsbeitrags nach dem
Bundesdisziplinargesetz folgert der Senat nunmehr, dass in den Altverfahren
nach der Bundesdisziplinarordnung ein Unterhaltsbeitrag nur noch für eine ins-
gesamt zeitlich begrenzte Dauer bewilligt werden kann; je nach den Umständen
des Einzelfalls kommt dabei ein Bewilligungs-Gesamtzeitraum von bis zu etwa
fünf Jahren in Betracht. Dieser Zeitraum ergibt sich nicht nur aus seinem We-
sen und Zweck als nachwirkende Fürsorgeleistung zur Erleichterung der beruf-
lichen Neuorientierung, sondern auch aus gesetzlichen Regelungen zum Bewil-
ligungszeitraum anderer dienstlicher Übergangsgelder wie etwa §§ 15, 47
BeamtVG. Soweit der Senat in seinen Beschlüssen vom 19. Oktober 2004
- BVerwG 1 DB 5.04 - und vom 15. November 2004 - BVerwG 1 DB 6.04 -
(juris) angedeutet, aber letztlich offen gelassen hat, eine zeitliche Grenze für die
Gewährung von Unterhaltsbeiträgen könnte sich vielleicht mit Blick auf § 24
SGB II aus der dort normierten Zwei-Jahres-Frist für den insoweit befristeten
Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld ergeben, verfolgt der Senat diesen
Gedanken nicht weiter.
Unter den Voraussetzungen des § 15 BeamtVG kann einem Beamten, der z.B.
wegen Dienstunfähigkeit oder Erreichens der Altersgrenze entlassen ist, ohne
einen Ruhegehaltsanspruch erworben zu haben, ein Unterhaltsbeitrag bewilligt
werden. Da bei einer Entlassung wegen Dienstunfähigkeit der Versicherungsfall
regelmäßig noch nicht eingetreten ist, kommt in diesen Fällen eine Bewilligung
des Unterhaltsbeitrags auf Zeit in Betracht. In der Praxis schwankt diese Bewil-
ligungszeit zwischen drei und fünf Jahren (vgl. Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer,
BeamtVG, § 15 Rn. 20, 20a; Stadler in: GKÖD, BeamtVG, § 15 Rn. 14). In der
Regel endet nach diesem Übergangszeitraum die Fürsorgepflicht des Dienst-
herrn gegenüber seinem früheren Beamten.
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Nach § 47 BeamtVG haben Beamte mit Dienstbezügen, die nicht auf eigenen
Antrag und nicht unter den Voraussetzungen des Absatzes 3 entlassen werden,
Anspruch auf ein Übergangsgeld. Dieses soll dem Beamten wie beim dis-
ziplinarrechtlichen Unterhaltsbeitrag den Übergang in einen anderen Beruf er-
leichtern (stRspr, vgl. z.B. Urteil vom 30. Mai 1995 - BVerwG 2 C 22.94 -
Buchholz 239.1 § 47 BeamtVG Nr. 3 m.w.N.). Zwar enthält § 47 BeamtVG kei-
ne ausdrückliche Regelung für den Bewilligungs-Gesamtzeitraum dieser Über-
brückungshilfe. § 47a BeamtVG, die entsprechende Vorschrift für entlassene
politische Beamte, bestimmt jedoch in Absatz 2, dass in diesen Fällen das
Übergangsgeld mindestens für die Dauer von sechs Monaten, längstens für die
Dauer von drei Jahren, gewährt wird.
e) Die Annahme einer zeitlichen Begrenzung des Bewilligungs-Gesamtzeit-
raums für einen Unterhaltsbeitrag nach der Bundesdisziplinarordnung auf bis zu
etwa fünf Jahre ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die aus Art. 33
Abs. 5 GG abzuleitenden grundrechtsgleichen Rechte auf amtsangemessene
Alimentation und auf Fürsorge des Dienstherrn (vgl. dazu z.B. BVerfG,
Kammerbeschluss vom 25. September 2001 - 2 BvR 2442/94 - NVwZ 2002,
463 m.w.N.) werden durch die Regelungen des § 77 BDO nicht berührt. Der
Unterhaltsbeitrag tritt nicht an die Stelle des weggefallenen Anspruchs auf
Dienstbezüge, sondern ist seiner Rechtsnatur nach ein eigenständiger An-
spruch des Disziplinarrechts. Er kann weder mit dem Ruhegehalt noch mit der
Rente aus der gesetzlichen Sozialversicherung verglichen werden. Er ist nicht
Ausdruck beamtenrechtlicher Alimentation, die ohne Bezug zu bestimmten Be-
dürfnissen des Beamten gewährt wird, sondern setzt die Beendigung der Für-
sorge- und Alimentationspflicht des Dienstherrn gerade voraus (vgl. Beschluss
vom 31. Oktober 1988 - BVerwG 1 DB 16.88 - BVerwGE 86, 78 <81>). Die das
Beamtenverhältnis überdauernde Fürsorgepflicht des Dienstherrn beruht jeden-
falls hinsichtlich ihrer konkreten Ausgestaltung nicht auf einem hergebrachten
Grundsatz des Berufsbeamtentums im Sinne von Art. 33 Abs. 5 GG, sondern
auf einfachem Gesetzesrecht. Die Milderung der Folgen einer Entfernung aus
dem Dienst durch Gewährung eines Unterhaltsbeitrags ist verfassungsrechtlich
nicht in einem bestimmten Maß gefordert. Deshalb steht es dem Gesetzgeber
frei, den Unterhaltsbeitrag hinsichtlich seiner Höhe und seines zeitlichen Um-
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fangs in den Grenzen des Willkürverbots (Art. 3 Abs. 1 GG) zu beschränken
(vgl. Senatsurteil vom 7. Februar 2008 - BVerwG 1 D 4.07 - juris, m.w.N.). So-
weit er in diesem Zusammenhang schweigt, ist es Aufgabe des Gerichts, diese
Lücke durch Auslegung zu schließen, wobei es auf vergleichbare gesetzliche
Regelungen in anderen dienstrechtlichen Vorschriften für Übergangsleistungen
zurückgreifen kann.
f) Ein Gesamtbewilligungszeitraum von bis zu etwa fünf Jahren ist hier inzwi-
schen längst abgelaufen; die frühere Beamtin hatte erstmals im August 2002
einen Unterhaltsbeitrag erhalten. Ihr steht danach eigentlich kein weiterer An-
spruch auf einen Unterhaltsbeitrag nach der Bundesdisziplinarordnung zu, zu-
mal dessen Hauptzweck, den Übergang in einen anderen Beruf zu erleichtern,
voraussichtlich kaum noch erreicht werden kann. Nach Auffassung einer Sach-
bearbeiterin der Bundesagentur für Arbeit dürfte die an chronischer Neuroder-
mitis leidende frühere Beamtin beruflich wohl nicht vermittelbar sein.
Gleichwohl hat der Senat dem Antrag auf Weiterbewilligung eines Unterhalts-
beitrags nach der Bundesdisziplinarordnung noch für weitere neun Monate, d.h.
bis einschließlich Oktober 2008 entsprochen, um der früheren Beamtin Gele-
genheit zu geben, sich auf die geänderte Rechtslage einzustellen und sich
rechtzeitig um Leistungen der Arbeitsförderung oder der Sozialhilfe zu bemü-
hen. Das Existenzminimum bleibt damit gesichert.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 114 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 BDO und § 115
Abs. 9 i.V.m. Abs. 5 BDO.
Dr. Müller Dr. Heitz Thomsen
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Beamtendisziplinarrecht
Fachpresse: ja
Neubewilligung eines Unterhaltsbeitrags
Rechtsquellen:
GG
Art. 33 Abs. 5
BDO
§ 77 Abs. 1 Satz 1, § 110 Abs. 2 Satz 2
BDG
§ 10 Abs. 3, § 85 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 7 Satz 2
BeamtVG
§§ 15, 47, 47a
Stichworte:
Frühere Postbeamtin (an chronischer Neurodermitis leidend); nach fünf voran-
gegangenen Neubewilligungen eines Unterhaltsbeitrags erneute Bewilligung für
einen Teilzeitraum zur Rechtswahrung (5 3/4 Jahre nach Rechtskraft des Dis-
ziplinarurteils); Zweck des Unterhaltsbeitrags; Vergleich mit der Unterhaltsbei-
trags-Neuregelung im Bundesdisziplinargesetz; kein Anspruch der früheren Be-
amtin auf Weiterbewilligung eines Unterhaltsbeitrags für die Zukunft.
Leitsatz:
Ein Unterhaltsbeitrag nach §§ 77, 110 BDO kann nur noch für eine Dauer von
insgesamt bis zu etwa fünf Jahren gewährt werden. Dies folgt vor allem aus
dem Zweck des Unterhaltsbeitrags als vorübergehende Leistung der nachwir-
kenden Fürsorgepflicht zur Erleichterung der beruflichen Neuorientierung (Än-
derung der Rechtsprechung).
Beschluss des Disziplinarsenats vom 16. Juni 2008 - BVerwG 1 DB 2.08
I. VG … vom 27.03.2008 - Az.: … 6a DA 08.00001 -