Urteil des BVerwG vom 17.01.2003

Offensichtliches Versehen, Verfügung, Dienstleistung, Ausnahme

H I N W E I S
Beschlüsse und Urteile der Disziplinarsenate und der Wehrdienstsenate des Bun-
desverwaltungsgerichts - ebenso wie die Entscheidungen des ehemaligen Bundes-
disziplinarhofs und des Bundesdisziplinargerichts - ergehen in einem Verfahren, in
dem kraft Gesetzes im Interesse der Betroffenen die Öffentlichkeit in der Regel aus-
geschlossen ist. In den Verfahren wird regelmäßig auch der Inhalt der nicht-
öffentlichen Personalakten erörtert und bei den Entscheidungen berücksichtigt. Zum
Schutz berechtigter Interessen der betroffenen Personen und Dienststellen bedürfen
die Entscheidungen daher vertraulicher Behandlung.
Eine Veröffentlichung der Entscheidungen wird im Allgemeinen nur auszugsweise in
Betracht kommen. Falls Sie eine Veröffentlichung beabsichtigen, empfiehlt es sich,
über die Fassung ein Einvernehmen mit dem Vorsitzenden des Disziplinarsenats her-
beizuführen.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 DB 18.02
BDiG I BK 4/98
In dem Beschwerdeverfahren
des Polizeihauptmeisters im BGS ... ,
...,
geboren am ...,
Antragstellers, Beschwerdeführers
und Beschwerdegegners,
- Verfahrensbevollmächtigter:
Rechtsanwalt ... -
g e g e n
die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch
den Präsidenten des Grenzschutzpräsidiums ...,
...,
Antragsgegnerin, Beschwerdegegnerin
und Beschwerdeführerin,
Beteiligter:
Der Bundesdisziplinaranwalt,
wegen Feststellung des Verlustes der Dienstbezüge,
- 3 -
hat der 1. Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. Januar 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
A l b e r s , die Richterin am Bundesverwaltungsgericht
H e e r e n und den Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. H. M ü l l e r
beschlossen:
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der
Tenor des Beschlusses des Bundesdisziplinarge-
richts, Kammer I - ... -, vom 10. Juli 2002 wie
folgt neu gefasst:
Die Verfügung des Grenzschutzpräsidiums
... vom 4. Juli 1997 wird mit Ausnahme
des Zeitraums vom 26. Oktober 1996 bis
einschließlich 15. Dezember 1996 und im
Übrigen nur insoweit aufrechterhalten,
als sich der Verlust der Dienstbezüge des
Antragstellers auf die Hälfte seiner re-
gelmäßigen, täglichen Arbeitszeit seit
dem 11. März 1996 bezieht.
Die weitergehende Verlustfeststellung
wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich
der dem Antragsteller hierin erwachsenen
notwendigen Auslagen haben dieser und die
Antragsgegnerin je zur Hälfte zu tragen.
Die weitergehende Beschwerde des Antragstellers
wird zurückgewiesen.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den
oben genannten Beschluss wird ebenfalls zurück-
gewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem
Antragsteller hierin erwachsenen notwendigen
Auslagen haben dieser und die Antragsgegnerin
je zur Hälfte zu tragen.
- 4 -
G r ü n d e :
I.
1. Das Grenzschutzpräsidium ... stellte mit Bescheid vom
4. Juli 1997 gemäß § 9 BBesG den Verlust der Dienstbezüge des
Antragstellers ab dem 11. März 1996 bis auf weiteres fest. Zur
Begründung wurde ausgeführt, dass der Antragsteller wegen ge-
sundheitlicher Beschwerden zwar nicht für den Polizeivollzugs-
dienst, aber eingeschränkt für den allgemeinen Verwaltungs-
dienst dienstfähig sei. Der Antragsteller könne sich nicht mit
Erfolg auf die von ihm vorgelegten privatärztlichen Atteste
für eine Dienstunfähigkeit berufen, weil amts-, betriebs- oder
vertragsärztlichen Gutachten wegen der Beurteilung der Dienst-
fähigkeit eines Beamten grundsätzlich ein höherer Beweiswert
zukomme. Dem Antragsteller sei aufgegeben worden, am 11. März
1996 zum Dienst im Bahnpolizeiamt F. zu erscheinen. Dieser
Aufforderung sei der Antragsteller nicht nachgekommen und habe
seitdem keinen Dienst geleistet. Er sei damit zumindest be-
dingt vorsätzlich dem Dienst ferngeblieben.
Den dagegen gerichteten Antrag des Antragstellers auf gericht-
liche Entscheidung hat das Bundesdisziplinargericht mit Be-
schluss vom 12. November 1997 zurückgewiesen. Zur Begründung
hat es unter anderem ausgeführt, der Antragsteller sei nach
den Feststellungen des Sozialmedizinischen Dienstes des Grenz-
schutzpräsidiums ... und des Amtsarztes des Gesundheitsamtes
... eingeschränkt dienstfähig. Eine der Einschränkung entspre-
chende Verwendung sei ihm zugesagt worden. Er habe auch von
der unterschiedlichen Bewertung privatärztlicher und amts-
bzw. grenzschutzärztlicher Gutachten gewusst, sodass er zumin-
dest bedingt vorsätzlich gegen seine Dienstleistungspflicht
verstoßen habe.
Hiergegen hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt und unter
Vorlage eines fachorthopädischen Gutachtens des Dr. S. vom
- 5 -
28. Juli 1997 die Ansicht geäußert, er sei nicht dienstfähig.
Es sei sogar erforderlich, dass er sich wegen seiner Erkran-
kung einer vierwöchigen stationären orthopädischen Behandlung
unterziehe. Die Diagnosen des Dr. S. stellten ein durchgrei-
fendes Indiz dar, dass er aufgrund des multiplen Krankheits-
bildes polizeidienstunfähig sei. Der gegenteilige Beweis könne
durch die teils veralteten, teils oberflächlichen amtsärztli-
chen Gutachten und Stellungnahmen nicht geführt werden. Er ha-
be auch nicht schuldhaft gehandelt, weil er zwei behandelnden
Ärzten habe vertrauen dürfen, die übereinstimmend seine
Dienstunfähigkeit festgestellt hätten. Schließlich sei ihm
kein amtsangemessener Dienstposten angeboten worden.
Der Senat hat durch Beschluss vom 30. April 1998 - BVerwG 1 DB
6.98 - die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die
Sache zur weiteren Aufklärung an das Bundesdisziplinargericht
zurückverwiesen. Zur Begründung hat er unter anderem ausge-
führt:
"...a) Nach dem bisherigen Sachstand ist davon auszugehen, daß
der Beamte jedenfalls zu Beginn des Feststellungszeitraumes
schuldhaft dem Dienst ungenehmigt ferngeblieben war. Er hat
seit diesem Zeitpunkt keinen Dienst verrichtet. Das Fernblei-
ben vom Dienst war nicht genehmigt. Auch lag jedenfalls zu Be-
ginn des Feststellungszeitraumes keine Krankheit vor, die zur
Dienstunfähigkeit führte. Nach dem grenzschutzärztlichen Gut-
achten des Sozialmedizinischen Dienstes vom 15. Mai 1995 war
der Beamte zwar nicht für den Polizeivollzugsdienst, aber für
den allgemeinen Verwaltungsdienst eingeschränkt dienstfähig,
wenn dabei Wirbelsäulenzwangshaltungen vermieden werden konn-
ten. Die von dem Beamten erhobenen sachlichen Einwendungen
sind damit berücksichtigt. Ein Wechselrhythmus schließt gerade
aus, daß der Beamte seine Tätigkeit über die gesamte Dienst-
zeit sitzend ausüben muß. Der Beamte ist danach jedenfalls zu
Beginn des Feststellungszeitraumes - nach Auffassung des Amts-
arztes Dr. K. in seiner Bescheinigung vom 4. Oktober 1996 auch
- 6 -
noch zu diesem späteren Zeitpunkt - verpflichtet gewesen, auf
dem seinem eingeschränkten Gesundheitszustand Rechnung tragen-
den Arbeitsplatz Innendienst zu verrichten, zumindest einen
einigermaßen dauerhaften Arbeitsversuch zu machen (vgl. dazu
auch § 8 Abs. 2 BPolBG ...).
Soweit sich der Beamte auf privatärztliche Atteste beruft,
stehen diese nach den dem Senat vorliegenden Unterlagen der
Einschätzung des Sozialmedizinischen Dienstes nicht entgegen
...
b) Der Umfang und der möglicherweise begrenzte Zeitraum der
Dienstfähigkeit des Beamten ist aber noch aufzuklären ...
Vor allem aber sind aufgrund des Gutachtens von Dr. S. vom
28. Juli 1997 die weitere Entwicklung des Gesundheitszustandes
des Beamten und die daraus folgenden Konsequenzen für seine
Dienstfähigkeit aufzuklären. Die angegriffene Verfügung stellt
den Verlust der Dienstbezüge bis auf weiteres fest. Im ge-
richtlichen Verfahren ist eine nach dem Beginn des Feststel-
lungszeitraums eingetretene Dienstunfähigkeit zu berücksichti-
gen. Nach den Darlegungen des Dr. S. bestand im Juli 1997 im
Verhältnis zu Mai 1996 eine deutliche Zunahme der arthroti-
schen Veränderungen im Halswirbelsäulenbereich des Beamten.
Auch seien die arthrotischen Verschleißerscheinungen in seinem
linken Schultergelenk zwischen März 1995 und Mai 1996 fortge-
schritten. Unter Berücksichtigung dieser Umstände sieht sich
der Sozialmedizinische Dienst nicht mehr in der Lage, ohne
weiteres die aktuelle Dienstfähigkeit des Beamten festzustel-
len. Auch bei sehr langsam verlaufenden chronisch degenerati-
ven Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates seien gut-
achterliche Feststellungen nicht zeitlich unbegrenzt gültig.
Das Bundesdisziplinargericht ist schließlich nicht der Frage
nachgegangen, ob und ggf. für welchen Zeitraum eine Dienstun-
fähigkeit des Beamten - unabhängig von den sonstigen Folgen
- 7 -
der körperlichen Verschleißerscheinungen - allein wegen der
unmittelbaren Folgen der Kniearthroskopie vom 28. Oktober 1996
eingetreten war. Schon im Hinblick auf den Zeitpunkt der Ope-
ration kann das grenzschutzärztliche Gutachten vom 15. Mai
1995 den Dienstunfähigkeitsbescheinigungen des Dr. Neuendorff
vom 12. und 26. November 1996 nicht entgegengehalten werden
..."
2. Das Bundesdisziplinargericht hat nach weiterer Sachver-
haltsaufklärung durch Beschluss vom 10. Juli 2002 den Verlust
der Dienstbezüge des Antragstellers seit dem 11. März 1996,
mit Ausnahme des Zeitraums vom 28. Oktober 1996 bis ein-
schließlich 13. Dezember 1996, insoweit aufrechterhalten, als
sich die Verlustfeststellung auf 50 % der Abwesenheitszeit des
Antragstellers bezieht; im Übrigen hat es die Verlustfeststel-
lung aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausge-
führt: Für den Zeitraum vom 28. Oktober 1996, dem Tag der
Knieoperation, bis zum 13. Dezember 1996 einschließlich sei
auf der Grundlage der vorliegenden privat-, fachärztlichen so-
wie sozialmedizinischen Gutachten und Atteste der Nachweis der
Dienstfähigkeit des Antragstellers nicht erbracht. Die für die
anschließende Zeit attestierte Dienstunfähigkeit habe nicht
mehr auf "Knieproblemen" beruht. In dem übrigen zur Überprü-
fung stehenden Zeitraum vom 11. März bis einschließlich
27. Oktober 1996 und ab dem 14. Dezember 1996 sei davon auszu-
gehen, dass der Antragsteller jeweils für die Hälfte seiner
bisherigen Arbeitszeit dienstfähig gewesen sei. Dies beruhe
auf dem widerspruchsfreien und in sich schlüssigen psychiatri-
schen Gutachten des Prof. Dr. Dr. E. vom 14. Mai 2001. Dort
werde dargelegt, dass der Antragsteller für etwa 30 bis max.
50 % der zurückliegenden fünf Dienstjahre nicht voll dienstfä-
hig gewesen sei, da sich bei ihm das depressive Syndrom im Zu-
sammenwirken mit dem Schmerzsyndrom pathogenetisch ausgewirkt
haben dürfte. Der Antragsteller, der grundsätzlich am Arbeits-
platz hätte erscheinen müssen, hätte dann in dem zeitlich ein-
geschränkten Umfang wegen Schmerzen und emotionaler Verstimmt-
- 8 -
heiten entweder nicht arbeiten können oder wäre nach Hause ge-
schickt worden. Aufgrund dieser gutachterlichen Feststellun-
gen, die durch das chirurgisch-orthopädische Fachgutachten des
Dr. P. vom 19. Oktober 2000 sowie durch das sozialmedizinische
Gutachten des Arbeitsmedizinischen Dienstes des Grenzschutz-
präsidiums ... vom 10. August 2001 gestützt würden, sei davon
auszugehen, dass bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entschei-
dung eine 50%ige Dienstfähigkeit des Antragstellers für den
allgemeinen Verwaltungsdienst nachgewiesen sei. Soweit der An-
tragsteller dem Dienst unerlaubt ferngeblieben sei, habe die-
ser bedingt vorsätzlich gehandelt.
3. a) Gegen diesen Beschluss hat der Antragsteller rechtzeitig
Beschwerde eingelegt mit dem Antrag, die Feststellung des Ver-
lustes der Dienstbezüge auch im Übrigen, das heißt soweit vom
Bundesdisziplinargericht aufrechterhalten, aufzuheben. Zur Be-
gründung macht er im Wesentlichen geltend: Ein Anspruchsver-
lust sei bereits dem Grunde nach nicht gerechtfertigt. Es feh-
le am subjektiven Tatbestand des Verschuldens; er habe nicht
bedingt vorsätzlich gehandelt. Unstreitig sei er nicht nur po-
lizeidienstunfähig, sondern auch im Übrigen nur zur Hälfte
verwendungstauglich. Bei dieser Sachlage habe er - entgegen
dem Ergebnis des grenzschutzärztlichen Gutachtens vom 15. Mai
1995 - auf die Aussagen der vier jüngeren privatärztlichen At-
teste aus den laufenden Behandlungen vertrauen dürfen. Zudem
sei es ihm aus der Sicht der von ihm vorgelegten Atteste unzu-
mutbar gewesen, ohne konkretes, amtsangemessenes Arbeitsplatz-
angebot das Risiko einer Dienstaufnahme einzugehen. Schließ-
lich sei der erstinstanzliche Beschluss auch der Höhe nach er-
messensfehlerhaft. Eine Teildienstfähigkeit in Höhe von 50 %
führe nicht automatisch zu einer gleich hohen Feststellung des
Verlustes der Dienstbezüge.
b) Auch die Antragsgegnerin hat gegen die Entscheidung des
Bundesdisziplinargerichts rechtzeitig Beschwerde eingelegt mit
dem Antrag, "den kompletten Verlust der Dienstbezüge des An-
- 9 -
tragstellers seit dem 14. Dezember 1996 festzustellen". Zur
Begründung trägt sie im Wesentlichen vor: Aufgrund der einge-
holten fachärztlichen Gutachten stehe fest, dass der An-
tragsteller aus neurologischer und orthopädischer Sicht seit
11. März 1996 vollschichtig im allgemeinen Verwaltungsdienst
verwendbar sei. Lediglich aus psychiatrischer Sicht liege eine
Einschränkung seiner Dienstfähigkeit vor. Ungeachtet dessen
hätte dieser auf jeden Fall zum Dienst erscheinen müssen, wie
der Gutachter zutreffend hervorgehoben habe. Es sei nicht
nachvollziehbar, dem Antragsteller die Hälfte seiner Dienstbe-
züge zu belassen, obwohl dieser seine Dienstleistung vollstän-
dig verweigert und nicht einmal einen Arbeitsversuch unternom-
men habe. Im Übrigen sei der Antragsteller dem Dienst auch
schuldhaft ferngeblieben.
II.
Die nach § 121 Abs. 5 BDO i.V.m. § 85 Abs. 5 BDG zu beurtei-
lenden Beschwerden (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 22. Februar
2002 - BVerwG 1 DB 32.01 - m.w.N.) sind zulässig. In der Sache
ist aber nur die Beschwerde des Antragstellers in sehr gerin-
gem Umfang begründet; die Beschwerde der Antragsgegnerin
bleibt ohne Erfolg. Die Vorinstanz hat den Verlustfeststel-
lungsbescheid des Grenzschutzpräsidiums ... vom 4. Juli 1997
insoweit zu Recht aufrechterhalten, als sich der Verlust der
Dienstbezüge des Antragstellers auf die Hälfte seiner regelmä-
ßigen, täglichen Arbeitszeit seit dem 11. März 1996 bezieht.
Soweit die Verlustfeststellung im Übrigen, das heißt hinsicht-
lich der anderen Hälfte seiner regelmäßigen, täglichen Ar-
beitszeit und hinsichtlich seiner vollen täglichen Arbeitszeit
im Zeitraum vom 28. Oktober 1996 bis einschließlich 13. Dezem-
ber 1996, aufgehoben worden ist, ist die erstinstanzliche Ent-
scheidung ebenfalls nicht zu beanstanden. Der Beschluss des
Bundesdisziplinargerichts ist - insgesamt gesehen geringfü-
gig - in der Sache nur insoweit zu Gunsten des Antragstellers
- 10 -
zu korrigieren, als auch die dienstfreien Wochenenden des
26. und 27. Oktober 1996 sowie des 14. und 15. Dezember 1996
von der Verlustfeststellung auszunehmen sind. Der Senat hat
den erstinstanzlichen Beschlusstenor zur inhaltlichen Klar-
stellung und Beseitigung eines Datumsfehlers neu gefasst.
1. Aufgrund des beschränkten Rechtsmittelantrags der Antrags-
gegnerin im Beschwerdeschriftsatz vom 29. August 2002, "den
kompletten Verlust der Dienstbezüge des Antragstellers seit
dem 14. Dezember 1996 festzustellen", steht zu Gunsten des An-
tragstellers bereits rechtskräftig fest, dass im Zeitraum vom
28. Oktober bis einschließlich 13. Dezember 1996 ein Besol-
dungsverlust nicht eingetreten ist und im vorangegangenen
Zeitraum vom 11. März 1996 bis einschließlich 27. Oktober 1996
dem Antragsteller mindestens die Dienstbezüge für die Hälfte
seiner regelmäßigen, täglichen Arbeitszeit verbleiben. Zwar
hat die Antragsgegnerin in ihrem ergänzenden Schriftsatz vom
8. Oktober 2002, das heißt nach Ablauf der Beschwerdefrist,
geltend gemacht, mit Ausnahme des Zeitraums vom 28. Oktober
bis einschließlich 13. Dezember 1996 den vollständigen Verlust
der Dienstbezüge des Antragstellers für den Zeitraum "ab dem
11. März 1996" festzustellen. Dieses (erweiterte) Antragsbe-
gehren ist jedoch wegen der Teilrechtskraft der erstinstanzli-
chen Entscheidung unbeachtlich. Die Antragsgegnerin hatte mit
ihrem Antrag in ihrer Beschwerdeschrift ihren Willen zum Teil-
verzicht ihres Rechtsmittels zum Ausdruck gebracht. Prozess-
handlungen sind wegen der notwendigen Klarheit und Eindeutig-
keit der durch sie bestimmten Prozesssituation unanfechtbar
und grundsätzlich unwiderruflich (vgl. z.B. Urteil vom
26. August 1997 - BVerwG 1 DB 68.96 - m.w.N.). Ausnahmegründe
für ein Widerrufsrecht (z.B. ein Wiederaufnahmegrund, offen-
sichtliches Versehen, vgl. Urteil vom 26. August 1997 a.a.O.)
sind nicht erkennbar und werden auch nicht geltend gemacht.
- 11 -
2. Soweit die Verlustfeststellung im Übrigen noch im Streit
ist, liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 9
Satz 1 BBesG vor.
Nach § 9 Satz 1 BBesG verliert ein Beamter, der ohne Genehmi-
gung dem Dienst schuldhaft fernbleibt, für die Zeit des Fern-
bleibens seine Dienstbezüge. Der Verlust der Dienstbezüge ist
gemäß § 9 Satz 3 BBesG vom Dienstvorgesetzten festzustellen;
dies ist hier durch die Verfügung vom 4. Juli 1997 erfolgt.
Der Antragsteller ist in der Zeit vom 11. März 1996 bis ein-
schließlich 25. Oktober 1996 und in der Zeit ab dem 16. Dezem-
ber 1996 bis auf weiteres jeweils in Höhe der Hälfte seiner
regelmäßigen, täglichen Arbeitszeit ohne rechtfertigenden
Grund und schuldhaft dem Dienst ferngeblieben.
a) Der Antragsteller war und ist in dem genannten, beschränk-
ten Umfang (innen-)dienstfähig. Dies folgt - in Übereinstim-
mung mit der Vorinstanz - aus dem Ergebnis des widerspruchs-
frei und nachvollziehbar erstellten psychiatrischen Gutachtens
des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. E., Arzt für Neurologie und
Psychiatrie/klinische Pharmakologie, Psychotherapeut, Psycho-
analytiker, ... vom 14. Mai 2001. Nach dem Urteil des Sachver-
ständigen leide der Antragsteller an einer somatoformen
Schmerzstörung bei zugrunde liegendem oder zumindest symptom-
verstärkendem schwach ausgeprägtem depressivem (larviertem)
Syndrom. Es sei davon auszugehen, dass der Antragsteller für
etwa 30 bis max. 50 % der zurückliegenden fünf Jahre nicht
voll dienstfähig gewesen sei, da sich das depressive Syndrom
in Zusammenwirken mit dem Schmerzsyndrom wohl pathogenetisch
ausgewirkt habe. Zwar hätte er dem Arbeitsplatz nicht einfach
fernbleiben dürfen. Er hätte dann, d.h. bei regelmäßigem Er-
scheinen zum Dienst, allerdings zu den genannten Zeiten wegen
Schmerzen und emotionaler Verstimmtheiten entweder nicht ar-
beiten können bzw. wäre nach Hause geschickt worden. Diese Be-
urteilung einer teilschichtigen Dienstunfähigkeit gelte auch
für die Zukunft. Eine antidepressive Schmerztherapie i.V.m.
- 12 -
Psychotherapie würde die veranschlagte 30- bis 50%ige Redukti-
on der Dienstfähigkeit innerhalb von etwa zwölf bis 18 Monaten
in kontinuierliche vollschichtige Dienstfähigkeit rehabilita-
tiv umwandeln.
Medizinaldirektor Dr. P. vom Arbeitsmedizinischen Dienst des
Grenzschutzpräsidiums ... ist in seinem Gutachten vom
10. August 2001 den ihm bekannten Ausführungen des Sachver-
ständigen nicht entgegengetreten. In seiner sozialmedizini-
schen Prognose zur Verwendungsfähigkeit des Antragstellers
kommt Dr. P. - weitgehend in Übereinstimmung mit dem Sachver-
ständigen - zum Ergebnis, dass der Zustand des Antragstellers
bei gezielter Therapie innerhalb von zwei Jahren eine deutli-
che Verbesserung, gegebenenfalls vollständige altersentspre-
chende gesundheitliche und berufliche Rehabilitation erwarten
lasse.
Diese - auch vom Bundesdisziplinargericht - auf der Grundlage
des Sachverständigengutachtens getroffene Feststellung, dass
der Antragsteller nachweislich zumindest zu 50 % für den all-
gemeinen Verwaltungsdienst dienstfähig war und ist, werden mit
den Beschwerden nicht in Zweifel gezogen. Im Streit sind le-
diglich die rechtlichen Folgerungen aus dem Tatbestand der
eingeschränkten Dienstfähigkeit.
Es ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz den Verlust
der Dienstbezüge (nur) in Höhe von 50 % der Abwesenheitszeit,
d.h. im hälftigen Umfang der regelmäßigen, täglichen Arbeits-
zeit aufrechterhalten hat. Wie im Fall der so genannten be-
grenzten Dienstfähigkeit (§ 42 a BBG), in dem der betreffende
Beamte lediglich im Umfang der herabgesetzten Arbeitszeit
dienstleistungspflichtig ist - im gleichen Verhältnis wie die
Arbeitszeit werden die Dienstbezüge gekürzt (§ 72 a i.V.m. § 6
BBesG) -, war und ist auch der Antragsteller nur im Rahmen
seiner Dienstfähigkeit, d.h. hier nur im hälftigen Umfang zur
Dienstleistung verpflichtet; die rechtswidrige Dienstverweige-
- 13 -
rung erfolgt dann ebenfalls nur im entsprechenden Umfang. Der
Umstand, dass der Antragsteller überhaupt nicht zum Dienst er-
schienen ist, ist im vorliegenden Zusammenhang unerheblich. Er
führt insbesondere nicht zum vollständigen Verlust der Dienst-
bezüge (vgl. die ständige Senatsrechtsprechung in vergleichba-
ren Fällen eingeschränkter Dienstfähigkeit von täglich drei
bis fünf Arbeitsstunden, z.B. Beschlüsse vom 22. Juli 1998
- BVerwG 1 DB 11.98 -, vom 27. November 1997 - BVerwG 1 DB
25.96 - DokBer B 1998, 157 und vom 21. April 1993 - BVerwG
1 DB 8.93 -). Der Bescheid im Sinne des § 9 Satz 3 BBesG
stellt deklaratorisch als gesetzliche rein besoldungsrechtli-
che Folge eines Verstoßes gegen die beamtenrechtliche Dienst-
leistungspflicht den Verlust der Dienstbezüge in der entspre-
chenden Höhe fest. Es handelt sich nicht auch um eine dis-
ziplinare Maßnahme wegen pflichtwidrigen "Nichterscheinens zum
Dienst". Eine solche ist dem Disziplinarverfahren wegen uner-
laubten Fernbleibens vom Dienst vorbehalten, das gegen den An-
tragsteller bereits mit Verfügung vom 24. März 1997 eingelei-
tet worden ist.
Nicht zu beanstanden ist der erstinstanzliche Beschluss auch
insoweit, als er für dienstfreie Tage des Antragstellers, ins-
besondere Wochenenden, die von Zeiten unerlaubten Fernbleibens
vom Dienst umschlossen werden, den Verlust der Dienstbezüge
feststellt. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des
Senats (z.B. Beschluss vom 20. Juli 1981 - BVerwG 1 DB 5.81 -
BVerwGE 73, 227), wonach der Bezügeverlust auch unmittelbar
angrenzende (dienstfreie) Zeiten der Abwesenheit erfasst, in
denen die persönlichen Verhältnisse des abwesenden Beamten ge-
genüber der vorausgegangenen oder nachfolgenden Zeit unerlaub-
ten Fernbleibens vom Dienst gleich geblieben sind. Bezüglich
der dienstfreien Tage 26./27. Oktober 1996 und 14./15. Dezem-
ber 1996, die nicht von Zeiten unerlaubten Fernbleibens vom
Dienst umschlossen sind - der Antragsteller war aufgrund sei-
ner Knieoperation in der Zeit vom 28. Oktober 1996 (Montag)
bis einschließlich 13. Dezember 1996 (Freitag) anerkannt
- 14 -
dienstunfähig - bedürfen der Feststellungsbescheid vom 4. Juli
1997 und insoweit auch der Beschluss der Vorinstanz einer ge-
ringfügigen Korrektur; die genannten Tage sind von einer Ver-
lustfeststellung vollständig auszunehmen. Aufgrund der damals
akuten Knieprobleme des Antragstellers ist im Zweifel zu sei-
nen Gunsten nicht davon auszugehen, dass dieser an den genann-
ten dienstfreien Tagen sein Verhalten, das im Zeitraum davor
und danach zum unerlaubten Fernbleiben vom Dienst geführt hat,
im Zustand der Dienstfähigkeit fortgesetzt hat. Die beiden
dienstfreien Wochenenden bilden mit dem eingeschlossenen Zeit-
raum anerkannter Dienstunfähigkeit insoweit eine Einheit (vgl.
dazu auch die Senatsrechtsprechung zur Verlustfeststellung für
dienstfreie (End-)Tage im Anschluss an einen Zeitraum uner-
laubten Fernbleibens vom Dienst, z.B. Beschluss vom 19. Okto-
ber 1995 - BVerwG 1 DB 19.95 - m.w.N.).
b) Der Antragsteller ist dem Dienst in dem genannten Umfang
auch schuldhaft, und zwar mindestens fahrlässig, ungenehmigt
ferngeblieben. Für ihn war als erfahrenem Polizeibeamten aus
der polizeiärztlichen Überprüfung seines Gesundheitszustandes
und dem Ergebnis des sozialmedizinischen Gutachtens vom
15. Mai 1995, bestätigt durch den Leiter des Sozialmedizini-
schen Dienstes am 2. Oktober 1995, deutlich geworden, dass
seine Dienststelle die von ihm vorgelegten Atteste in Frage
gestellt hatte und ihn für den allgemeinen Verwaltungsdienst
als dienstfähig einstufte. Mit einer entsprechenden Belehrung
über den grundsätzlichen Vorrang eines sozialmedizinischen
Gutachtens vor privatärztlichen Attesten war er durch Verfü-
gung vom 26. Februar 1996 aufgefordert worden, am 11. März
1996 beim Bahnpolizeiamt F. seinen Dienst anzutreten. Weitere
- vergebliche - Aufforderungsschreiben ergingen am 1. August
und 29. November 1996. Ein erneuter Hinweis auf den Vorrang
amts-, betriebs- oder vertragsärztlicher Gutachten gegenüber
privatärztlichen Bescheinigungen erfolgte im Verlustfeststel-
lungsbescheid vom 4. Juli 1997. Gleichwohl ist der Antragstel-
ler nicht zum Dienst erschienen und hat zu keinem Zeitpunkt
- 15 -
einen zumutbaren Arbeitsversuch gemacht. Er hat daher unter
Außerachtlassung der ihm nach den Umständen gebotenen und auch
konkret zumutbaren Sorgfalt gehandelt, sodass ihm insoweit zu-
mindest Fahrlässigkeit zur Last fällt.
Der Schuldvorwurf wird nicht deshalb gegenstandslos, weil sich
der Antragsteller bei - aus seiner Sicht - zweifelhafter Sach-
und Rechtslage und nach erfolgter sorgfältiger Prüfung sowie
sachgemäßer medizinischer und rechtskundiger Beratung eine ei-
gene Auffassung gebildet und sich auf diese verlassen hat.
Nach der sozialmedizinischen Feststellung seiner eingeschränk-
ten Dienstfähigkeit war er von Gesetzes wegen, d.h. ohne be-
sondere Aufforderung, verpflichtet, bei der Dienststelle zur
Dienstleistung zu erscheinen (vgl. zuletzt Urteil vom
9. Oktober 2002 - BVerwG 1 D 3.02 - m.w.N.). Darüber hinaus
wurde der Antragsteller verschiedentlich, nämlich durch die
Verfügung vom 26. Februar 1996, die Schreiben vom 1. August
und 29. November 1996 sowie nochmals durch Bescheid vom
4. Juli 1997 zutreffend auf die Rechtslage hingewiesen. Wenn
er sich darüber aufgrund anderweitiger - im Ergebnis unzutref-
fender - Rechtsberatung unter Berufung auf privatärztliche
Stellungnahmen hinwegsetzte und seiner Verpflichtung zur
Dienstleistung nicht nachkam, ist er damit - bewusst oder doch
zumindest fahrlässig - das Risiko eingegangen, dem Dienst un-
erlaubt fernzubleiben. Das Risiko hat sich nunmehr im gericht-
lichen Verfahren realisiert. Dieses Ergebnis war für ihn vor-
hersehbar und vermeidbar. Der unzutreffende Rechtsrat lässt
daher den Schuldvorwurf nicht entfallen (vgl. dazu Beschluss
vom 19. Juni 2000 - BVerwG 1 DB 13.00 - zum vergleichbaren
Tatbestand des Verlusts der Versorgungsbezüge).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 113 ff. BDO. Soweit die
Beschwerde des Antragstellers Erfolg hat, betrifft dies ledig-
lich einen sehr geringen Zeitraum des Fernbleibens, sodass ei-
ne von der Kostenteilung abweichende andere Kostenquotelung zu
Gunsten des Antragstellers nicht gerechtfertigt ist.
- 16 -
Albers Heeren Müller
Sachgebiet:
BVerwGE: nein
Feststellung des Verlusts der Dienstbezüge Fachpresse: nein
Rechtsquellen:
BBG § 42 a
BBesG §§ 9, 72 a
BDO § 121
BDG § 85 Abs. 5
Stichworte:
Polizeihauptmeister im BGS; dienstfähig für allgemeinen
Verwaltungsdienst (Innendienst) im Umfang der Hälfte seiner
regelmäßigen, täglichen Arbeitszeit; unerlaubtes, zumindest
fahrlässiges Fernbleiben vom Dienst; Feststellung des Verlusts
der Dienstbezüge im Umfang der eingeschränkten Dienstfähigkeit
(mit Ausnahme dienstfreier Wochenenden vor und nach einem
Zeitraum anerkannter Dienstunfähigkeit) bestätigt.
Beschluss des 1. Disziplinarsenats vom 17. Januar 2003
- BVerwG 1 DB 18.02 -
I. BDiG, Kammer I - ... -, vom 10.07.2002
- Az.: BDiG I BK 4/98 -