Urteil des BVerwG vom 18.09.2002

Nichteinhaltung der Frist, Kenntnisnahme, Auszahlung, Zustellung

H I N W E I S
Beschlüsse und Urteile der Disziplinarsenate und der Wehrdienstsenate des Bun-
desverwaltungsgerichts - ebenso wie die Entscheidungen des ehemaligen Bundes-
disziplinarhofs und des Bundesdisziplinargerichts - ergehen in einem Verfahren, in
dem kraft Gesetzes im Interesse der Betroffenen die Öffentlichkeit in der Regel aus-
geschlossen ist. In den Verfahren wird regelmäßig auch der Inhalt der nicht-
öffentlichen Personalakten erörtert und bei den Entscheidungen berücksichtigt. Zum
Schutz berechtigter Interessen der betroffenen Personen und Dienststellen bedürfen
die Entscheidungen daher vertraulicher Behandlung.
Eine Veröffentlichung der Entscheidungen wird im Allgemeinen nur auszugsweise in
Betracht kommen. Falls Sie eine Veröffentlichung beabsichtigen, empfiehlt es sich,
über die Fassung ein Einvernehmen mit dem Vorsitzenden des Disziplinarsenats
herbeizuführen.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
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BESCHLUSS
BVerwG 1 DB 13.02
BDiG VII BK 13/01
In dem Beschwerdeverfahren
des Polizeimeisters ... ,
...,
...,
Antragstellers
und Beschwerdeführers,
- Verfahrensbevollmächtigte:
Rechtsanwälte ...,
... -
g e g e n
die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch ...,
...,
Antragsgegnerin
und Beschwerdegegnerin,
Beteiligter:
Der Bundesdisziplinaranwalt,
wegen Feststellung des Verlustes der Dienstbezüge,
- 3 -
hat der 1. Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. September 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
A l b e r s und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
M a y e r und Dr. H. M ü l l e r
beschlossen:
Auf die Beschwerde des Antragstellers werden
der Beschluss des Bundesdisziplinargerichts,
Kammer VII - ... -, vom 3. Mai 2002 und die
Feststellungsbescheide der Behörde vom
18. August 1999 und 6. September 1999 sowie de-
ren Widerspruchsbescheide vom 20. Oktober 1999
und 3. Dezember 1999 insoweit aufgehoben, als
die Verlustfeststellung den Zeitraum vom
10. August bis einschließlich 30. August 1999
betrifft.
Die weiter gehende Beschwerde wird teils ver-
worfen und im Übrigen zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der
dem Antragsteller hierin erwachsenen notwendi-
gen Auslagen werden der Antragsgegnerin aufer-
legt.
G r ü n d e :
I.
1. Der Antragsteller, Angehöriger der Behörde in der Funktion
als Kraftfahrer, war etwa ab Oktober 1995 in erheblichem zeit-
lichem Umfang dienstunfähig erkrankt. Zur Klärung seiner Ver-
wendungsfähigkeit im Polizeivollzugsdienst sowie zur Klärung
seiner gesundheitlichen Eignung für den allgemeinen Verwal-
tungsdienst beauftragte der Leiter der Behörde am 18. November
1998 den Sozialmedizinischen Dienst der Oberbehörde mit der
Erstellung eines Gutachtens. Der Arzt der Behörde, Dr. D.,
hatte den Antragsteller deshalb bereits ab 4. November 1998
bis auf weiteres dienstunfähig krankgeschrieben. Nach einer
- 4 -
persönlichen Untersuchung und Befragung des Antragstellers am
19. Januar 1999, nach Einholung verschiedener Befund- und Be-
handlungsberichte sowie zuletzt eines neurologisch-
psychiatrischen Gutachtens erstellte der Orthopäde Dr. R. un-
ter dem 27. Juli 1999 das beantragte sozialmedizinische Gut-
achten. Es kam unter II. zum Ergebnis, dass der Antragsteller
gesundheitlich nicht mehr für den Polizeivollzugsdienst, aber
für den allgemeinen Verwaltungsdienst geeignet ist. Diese Be-
urteilung ("Unterrichtung über den Grund der Polizeidienstun-
fähigkeit") war dem Antragsteller vom Sozialmedizinischen
Dienst mit einfachem Brief vom 27. Juli 1999 übersandt worden
mit dem Hinweis, dass über seine weitere Verwendung entschie-
den und ihm dann ein entsprechender Bescheid zugestellt werde.
Der Antragsteller bestreitet den Erhalt des Schreibens. Die
erbetene Bestätigung des Eingangs des Schreibens beim An-
tragsteller durch Rücksendung einer unterschriebenen Ausferti-
gung unterblieb. Das sozialmedizinische Gutachten selbst wurde
dem Antragsteller nicht vor dem 1. September 1999 ausgehän-
digt.
Bereits mit Schreiben der Behörde vom 6. August 1999 war dem
Antragsteller das Untersuchungsergebnis mitgeteilt worden,
verbunden mit der Aufforderung, am nächsten Arbeitstag nach
Erhalt des Schriftstückes den Dienst in der Verwaltung der Be-
hörde anzutreten. Dieses Schreiben wurde dem Antragsteller am
9. August 1999 durch Niederlegung bei der zuständigen Postfi-
liale zugestellt; die entsprechende Benachrichtigung war am
7. August 1999 in den Hausbriefkasten des Antragstellers ein-
gelegt worden. Dieser hat das Schreiben am 30. August 1999 bei
der Post abgeholt.
2. Da der Antragsteller am 10. August 1999 nicht zum Dienst
erschienen war, stellte die Behörde mit Bescheid vom
18. August 1999 gemäß § 9 BBesG den Verlust der Dienstbezüge
des Antragstellers ab 10. August 1999 bis auf weiteres fest,
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weil dieser seitdem schuldhaft ungenehmigt seinem Dienst fern-
bleibe. Als Rechtsbehelfsbelehrung wurde auf die Möglichkeit
der Widerspruchserhebung verwiesen.
Den hiergegen vom Antragsteller am 17. September 1999 einge-
legten Widerspruch mit der Begründung, er sei vom Arzt der Be-
hörde vom 4. November 1998 bis einschließlich 1. September
1999 von jedem Dienst befreit gewesen, wies die Behörde mit
Widerspruchsbescheid vom 20. Oktober 1999 als unzulässig bzw.
unbegründet zurück. Ausweislich der Rechtsbehelfsbelehrung
sollte dem Antragsteller gegen diesen Widerspruchsbescheid die
Klagemöglichkeit zum ... Verwaltungsgericht innerhalb eines
Monats offen stehen. Eine Klage wurde nicht erhoben.
Nachdem sich der Antragsteller am 1. September 1999 dem Arzt
der Behörde vorgestellt hatte, was als Dienstaufnahme angese-
hen wurde, teilte die Behörde dem Antragsteller durch Bescheid
vom 6. September 1999 mit, dass sich der Zeitraum unerlaubten
Fernbleibens vom Dienst insgesamt auf die Zeit vom 10. August
bis einschließlich 31. August 1999 erstrecke. Entsprechend der
Rechtsbehelfsbelehrung legte der Antragsteller hiergegen Wi-
derspruch ein, der durch Widerspruchsbescheid vom 3. Dezember
1999 zurückgewiesen wurde. In der Rechtsbehelfsbelehrung wurde
er wiederum auf die Klagemöglichkeit vor dem ... Verwaltungs-
gericht verwiesen.
3. Gegen den Bescheid vom 6. September 1999 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 3. Dezember 1999 hat der Antragstel-
ler vor dem ... Verwaltungsgericht am 7. Februar 2000 Klage
erhoben und die Aufhebung der Bescheide beantragt, zunächst
einschließlich einer Verurteilung der Antragsgegnerin zur Aus-
zahlung der für den Verlustfeststellungszeitraum zurückgehal-
tenen Dienstbezüge nebst Zinsen. Nachdem das Verwaltungsge-
richt auf die besonderen Zuständigkeits- und Verfahrensregeln
für Verlustfeststellungsverfahren gemäß § 121 BDO aufmerksam
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geworden war und die Antragsgegnerin auf die verbleibende Zu-
ständigkeit des Verwaltungsgerichts für den Leistungsantrag
hingewiesen hatte, erklärte der Antragsteller mit Schriftsatz
vom 23. Oktober 2001, nur noch die Aufhebung der genannten Be-
scheide zu begehren. Zur Begründung hat er im Wesentlichen
vorgetragen, er sei bis einschließlich 1. September 1999 vom
Arzt der Behörde von jedem Dienst befreit gewesen und habe
deshalb keinen Dienst leisten müssen. Der Leiter der Behörde
sei nicht berechtigt gewesen, sich über diese ärztliche Fest-
stellung hinwegzusetzen. Außerdem habe er, der Antragsteller,
nicht schuldhaft gehandelt. Aufgrund der ärztlichen Krank-
schreibung habe er darauf vertrauen dürfen, sanktionslos nicht
zum Dienst erscheinen zu müssen. Gegebenenfalls komme ihm ein
unvermeidbarer Verbotsirrtum zugute.
Das Verwaltungsgericht verwies mit Beschluss vom 25. Oktober
2001 den Rechtsstreit an das zuständige Bundesdisziplinarge-
richt, das mit Beschluss vom 3. Mai 2002 die Verlustfeststel-
lungsbescheide vom 18. August 1999 und 6. September 1999 auf-
recht hielt. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, der
Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 121 BDO sei trotz
Nichteinhaltung der Frist wegen der unrichtig erteilten
Rechtsbehelfsbelehrung zulässig. Da der Antragsteller die Auf-
hebung der Verlustfeststellung für den Zeitraum vom 10. bis
einschließlich 31. August 1999 begehre und gegen die Verfügung
vom 18. August 1999 Widerspruch eingelegt habe, sei im Hin-
blick auf die unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrungen sein Antrag
dahin auszulegen, dass auch der Bescheid vom 18. August 1999
angegriffen werde. In der Sache selbst bleibe der Antrag aber
erfolglos. Der Antragsteller sei im maßgeblichen Zeitraum
nicht zum Dienst erschienen, obwohl ihm entsprechende recht-
fertigende Gründe nicht zur Seite gestanden hätten. Aufgrund
des sozialmedizinischen Gutachtens vom 27. Juli 1999 habe
festgestanden, dass er zu jener Zeit jedenfalls für den allge-
meinen Verwaltungsdienst verwendungsfähig und somit auch
- 7 -
dienstfähig gewesen sei. Dies sei ihm mit Schreiben vom
6. August 1999 mitgeteilt worden, verbunden mit der Aufforde-
rung, am Tag nach der Zustellung des Schreibens zum Dienst zu
erscheinen. Der Benachrichtigungsschein über den Zustellver-
such und die Niederlegung des Schreibens bei der Postfiliale
sei am 7. August 1999 in seinem Hausbriefkasten abgelegt wor-
den. Er habe von da ab Kenntnis gehabt, dass ein Schreiben
seines Dienstherrn an ihn, den Antragsteller, unterwegs sei
und hätte sich dieses am Montag, den 9. August 1999, besorgen
und am Folgetag den Dienst antreten können. Gründe, die dem
entgegen gestanden hätten, seien nicht ersichtlich.
4. Gegen den Beschluss des Bundesdisziplinargerichts hat der
Antragsteller rechtzeitig Beschwerde eingelegt mit dem Antrag,
unter Aufhebung des Bescheids vom 6. September 1999 in der
Fassung des Widerspruchsbescheids vom 3. Dezember 1999 die An-
tragsgegnerin zu verurteilen, die zurückbehaltenen Dienstbezü-
ge nebst Zinsen auszuzahlen. Weder der Sozialmedizinische
Dienst noch der Leiter der Behörde seien befugt gewesen, sich
über die unstreitig bis zum 1. September 1999 fortbestehende,
formale Krankschreibung des Arztes der Behörde hinwegzusetzen.
Während seiner Krankschreibung habe er, der Antragsteller,
sich regelmäßig bei der medizinischen Abteilung der Behörde
gemeldet. Angebliche Versuche der Behördenleitung, ihn, den
Antragsteller, zu benachrichtigen, seien nicht belegt und wür-
den bestritten. Die Zustellung eines Bescheides durch Nieder-
legung könne nicht mit dessen Kenntnisnahme gleichgesetzt wer-
den.
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II.
1. Die nach § 85 Abs. 5 BDG, § 121 Abs. 5 BDO zu beurteilende
Beschwerde (vgl. dazu Beschluss vom 22. Februar 2002 - BVerwG
1 DB 32.01 - m.w.N.) ist insoweit unzulässig, als beantragt
wird, die Antragsgegnerin zur Auszahlung der für den Verlust-
feststellungszeitraum zurückgehaltenen Dienstbezüge nebst Zin-
sen zu verurteilen.
Eine Zuständigkeit der Disziplinargerichte des Bundes zur Ent-
scheidung auch über die Auszahlung der zurückgehaltenen
Dienstbezüge ist nicht durch die Rechtswegverweisung begründet
worden. Zwar war ein entsprechendes Begehren zunächst (auch)
vor dem Verwaltungsgericht anhängig gemacht, auf rechtlichen
Hinweis die Klage insoweit aber nicht mehr weiter verfolgt
worden. Anschließend hat das Verwaltungsgericht den bei ihm
noch anhängigen Rechtsstreit über die Aufhebung der angefoch-
tenen Bescheide an das Bundesdisziplinargericht verwiesen. Die
Verweisung erfolgte nur im Rahmen des umgestellten Klagebegeh-
rens und damit der Zuständigkeit des Bundesdisziplinarge-
richts. Sie bindet die Disziplinargerichte des Bundes daher
auch nur in diesem Umfang (vgl. § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG; Be-
schluss vom 28. Oktober 1983 - BVerwG 1 DB 23.83 -).
Das Zahlungsbegehren des Antragstellers kann auch nicht im We-
ge einer Klageänderung bzw. -erweiterung zum Gegenstand des
Verlustfeststellungsverfahrens in der Beschwerdeinstanz ge-
macht werden. Der geltend gemachte Anspruch auf Verurteilung
zur Auszahlung zurückgehaltener Dienstbezüge ist eine beamten-
rechtliche Angelegenheit, die gegebenenfalls vor den allgemei-
nen Verwaltungsgerichten durchzusetzen ist; die Disziplinarge-
richte des Bundes sind insoweit nicht zuständig (vgl. Urteil
vom 27. Januar 1966 - BVerwG II C 221.62 - BVerwGE 23, 176
<183>; Beschluss vom 28. Oktober 1983 a.a.O.; Köhler/Ratz,
BDO, 2. Auflage, 1994, § 121 Rn. 15). Selbst wenn für das
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kontradiktorische Verlustfeststellungsverfahren gemäß § 121
BDO die Vorschriften über die Klageänderung gemäß § 91 VwGO
analog gelten sollten - die Bundesdisziplinarordnung kennt ei-
ne entsprechende Klageänderung nicht, die Fälle des § 67
Abs. 3 BDO und § 25 BDO i.V.m. §§ 265 ff. StPO sind insoweit
nicht vergleichbar -, scheiterte daher die Zulässigkeit der
Klageänderung an der fehlenden Zuständigkeit des Senats als
Disziplinargericht für das Zahlungsbegehren (vgl. zu § 91
VwGO: Kopp/Schenke, VwGO, 12. Auflage, 2000, § 91 Rn. 32;
Redeker/von Oertzen, VwGO, 13. Auflage, 2000, § 91 Rn. 23, je-
weils m.w.N.).
2. Soweit die Beschwerde im Übrigen, d.h. wegen der beantrag-
ten Aufhebung der Verlustfeststellung, zulässig ist, ist sie
hinsichtlich des Zeitraums vom 10. August 1999 bis einschließ-
lich 30. August 1999, d.h. ganz überwiegend, begründet; nur
bezüglich des 31. August 1999 ist sie zurückzuweisen. Dies hat
zunächst zur Folge, dass der ausdrücklich angegriffene Ver-
lustfeststellungsbescheid vom 6. September 1999 in der Fassung
des Widerspruchsbescheids vom 3. Dezember 1999 insoweit aufzu-
heben ist. Darüber hinaus ist aber auch der noch nicht be-
standskräftige Verlustfeststellungsbescheid vom 18. August
1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 20. Oktober
1999 aufzuheben, um klarzustellen, dass dieser weitgehend
- abgesehen vom Endzeitpunkt - deckungsgleiche Bescheid ganz
überwiegend zu Unrecht ergangen ist und deshalb - mangels aus-
drücklicher Ersetzung durch den nachfolgenden Bescheid - kei-
nen Bestand haben darf. Dies entspricht auch dem Begehren des
Antragstellers. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführun-
gen im erstinstanzlichen Beschluss zur Zulässigkeit des
Rechtsschutzantrags gemäß § 121 BDO, zur nicht eingetretenen
Bestandskraft des Bescheides vom 18. August 1999 wegen unrich-
tiger Rechtsbehelfsbelehrung und zur Auslegung des Antragsbe-
gehrens Bezug genommen (Beschlussumdruck S. 5 bis 7 oben).
- 10 -
a) Entgegen der Auffassung der Vorinstanz kann die Verlust-
feststellung für den Zeitraum vom 10. August 1999 (Dienstag)
bis einschließlich 30. August 1999 (Montag) keinen Bestand ha-
ben.
Nach § 9 Satz 1 BBesG verliert ein Beamter, der ohne Genehmi-
gung dem Dienst schuldhaft fernbleibt, für die Zeit des Fern-
bleibens seine Dienstbezüge. Der Verlust ist gemäß § 9 Satz 3
BBesG vom Dienstvorgesetzten festzustellen. Die Voraussetzun-
gen für einen Verlust der Dienstbezüge des Antragstellers sind
für den vorgenannten Zeitraum nicht gegeben. Ein Schuldvorwurf
in Form von zumindest fahrlässigem Verhalten - zur Schuldform
hat sich das Bundesdisziplinargericht überhaupt nicht geäu-
ßert - kann dem Antragsteller insoweit jedenfalls nicht ge-
macht werden.
Der Antragsteller war vom 4. November 1998 bis einschließlich
31. August 1999 vom Arzt der Behörde krankgeschrieben. Das ist
zwischen den Verfahrensbeteiligten unstreitig. Die Krank-
schreibung sollte den Antragsteller von jeder Dienstleistung
freistellen, bis durch ein sozialmedizinisches Gutachten seine
Verwendungsfähigkeit für den Polizeivollzugsdienst geklärt
war. Diese Klärung erfolgte durch das Gutachten vom 27. Juli
1999, das dem Antragsteller eingeschränkte Dienstfähigkeit
- Verwendungsfähigkeit für den allgemeinen Verwaltungsdienst -
zuerkannt hat. Ist ein Beamter nach grundsätzlich vorrangigem
amts- oder betriebsärztlichem Urteil (vgl. z.B. Beschluss vom
15. Juli 2002 - BVerwG 1 DB 7.02 -; Beschluss vom 8. März 2001
- BVerwG 1 DB 8.01 - Buchholz 235 § 121 BDO Nr. 15 = DVBl
2001, 1079 = DÖV 2001, 735, jeweils m.w.N.) zumindest einge-
schränkt dienstfähig und ist ihm dies nachweisbar bekannt, so
ist er in der Regel unverzüglich zum Dienstantritt verpflich-
tet, ohne dass es zuvor einer besonderen dienstlichen Auffor-
derung bedarf (stRspr, z.B. Beschluss vom 29. Juni 1995
- BVerwG 1 DB 12.95 - Buchholz 235 § 121 BDO Nr. 1; Beschluss
- 11 -
vom 11. September 2000 - BVerwG 1 DB 19.00 -; Beschluss vom
15. November 2001 - BVerwG 1 DB 31.01 -).
Der Senat hat sich nicht davon überzeugen können, dass der An-
tragsteller bis einschließlich 29. August 1999 tatsächlich in
Kenntnis gesetzt war, für den allgemeinen Verwaltungsdienst
gesundheitlich geeignet zu sein. Ihm kann nicht widerlegt wer-
den, dass er erst am 30. August 1999, nachdem er das bei der
Postfiliale niedergelegte Schreiben seiner Dienststelle vom
6. August 1999 abgeholt hatte, Kenntnis vom Ergebnis des sozi-
almedizinischen Gutachtens - zusammen mit der Aufforderung zum
Dienstantritt - erlangt hat. Auf den früheren Zeitpunkt der
förmlichen Zustellung des Schreibens durch Niederlegung bei
der Postfiliale am 9. August 1999, nachdem ein entsprechendes
Benachrichtigungsschreiben am 7. August 1999 in den Hausbrief-
kasten des Antragstellers eingelegt worden war, kann nicht ab-
gestellt werden. Durch die Niederlegung wird keine Kenntnis-
nahme fingiert. Eine Zustellung durch Niederlegung des
Schriftstückes als Übergabeersatz (§ 182 ZPO a.F. i.V.m. § 3
Abs. 3 VwZG) bewirkt u.a. den Nachweis, dass der Empfänger Ge-
legenheit hat, vom Inhalt des Schriftstückes Kenntnis zu neh-
men. § 182 ZPO a.F. stellt eine Zugangsfiktion dar, deren Ein-
tritt allein von den in dieser Vorschrift aufgeführten Voraus-
setzungen abhängig ist. Auf die Kenntniserlangung des Zustel-
lungsadressaten oder die Möglichkeit dazu kommt es dabei
- anders als bei der Frage nach einer schuldhaften Pflichtver-
letzung - nicht an (BGH, Urteil vom 4. November 1998, NJW-RR
1999, 1150 <1151>). Ferner ist nicht erwiesen, dass der An-
tragsteller vor dem 30. August 1999 auf andere Art und Weise,
insbesondere fernmündlich oder schriftlich, Kenntnis vom Er-
gebnis des sozialmedizinischen Gutachtens erhalten hat. Dies
gilt auch für die behauptete Unterrichtung durch ein Form-
blatt-Schreiben des Sozialmedizinischen Dienstes vom 27. Juli
1999, das als einfacher Brief zur Post aufgegeben wurde. Auch
der Verlustfeststellungsbescheid vom 18. August 1999 selbst
- 12 -
konnte dem Antragsteller keine Veranlassung zu einem früheren
Dienstantritt geben, da er ebenfalls durch Niederlegung zuge-
stellt wurde und eine Kenntnisnahme von seinem Inhalt vor dem
30. August 1999 auch hier nicht nachgewiesen ist.
Eine Kenntnisnahme des Antragstellers kann aber auch nicht
deshalb aus Rechtsgründen für einen früheren Zeitpunkt ange-
nommen werden, weil der Antragsteller im Zeitraum zwischen
Niederlegung und Abholung des Schriftstückes vorwerfbar
dienstpflichtwidrig gehandelt hat. In Betracht käme zunächst
der Vorwurf, er habe damals durch Nichtabholen des niederge-
legten Schriftstückes vorwerfbar verhindert, sich rechtzeitig
Kenntnis vom Inhalt des Schreibens vom 6. August 1999 zu ver-
schaffen. Das würde allerdings voraussetzen, dass wenigstens
eine frühere Kenntnis von der Niederlegung bestanden hat. Fer-
ner könnte sich der Antragsteller insoweit dienstpflichtwidrig
verhalten haben, als er es vorwerfbar unterlassen hat, während
seiner (zwar formal berechtigten) Dienstabwesenheit wegen der
laufenden Begutachtung organisatorisch sicherzustellen, dass
ihn Mitteilungen seiner Dienststelle unverzüglich erreichen
können. Ein solcher Pflichtenverstoß wäre gegebenenfalls dis-
ziplinar zu ahnden. Er fingiert aber keine tatsächliche Kennt-
nisnahme vom Inhalt des Schreibens oder der dienstlichen Nach-
richt, deren Zugang pflichtwidrig verhindert worden ist. Dies
entspricht auch der Senatsrechtsprechung zur Verletzung von
Mitwirkungspflichten im behördlichen oder disziplinargericht-
lichen Verfahrensabschnitt. Auf die Verletzung solcher Mitwir-
kungspflichten kann der Verlust der Dienstbezüge für sich al-
lein nicht gestützt werden (vgl. z.B. Beschluss vom 11. Feb-
ruar 1997 - BVerwG 1 DB 12.96 - Buchholz 235 § 121 BDO Nr. 6;
Beschluss vom 14. Juni 2000 - BVerwG 1 DB 11.00 -, jeweils
m.w.N.).
- 13 -
b) Nicht zu beanstanden ist hingegen die Feststellung des Ver-
lustes der Dienstbezüge gemäß § 9 BBesG für Dienstag, den
31. August 1999. Der Antragsteller war nach dem Ergebnis des
sozialmedizinischen Gutachtens vom 27. Juli 1999 eingeschränkt
dienstfähig. Dies wird vom Antragsteller nicht in Zweifel ge-
zogen. Zwar bestand seine formale Krankschreibung durch den
Behördenarzt bis einschließlich 31. August 1999 fort. Darauf
kann sich der Antragsteller hier jedoch nicht mit Erfolg beru-
fen. Die verbindliche und abschließende Entscheidung, ob sich
ein krankgeschriebener Beamter im Zustand der Dienstfähigkeit
befindet, ist regelmäßig von der Behörde (Dienstvorgesetzten)
und nicht vom Amts- oder Betriebsarzt zu treffen. Dieser lie-
fert hierzu lediglich das erforderliche medizinische Tatsa-
chenmaterial und ist dem Dienstvorgesetzten gegenüber zur un-
eingeschränkten Auskunftserteilung verpflichtet (vgl. GKÖD,
Band III, Stand 2002, BBesG § 9 Rn. 18). Im vorliegenden Fall
war die Krankschreibung durch den Behördenarzt unter der "auf-
lösenden Bedingung" einer Klärung der gesundheitlichen Eignung
des Antragstellers für den Polizeivollzugsdienst durch ein
Gutachten des Sozialmedizinischen Dienstes erfolgt. Mit dem
Ergebnis des Gutachtens vom 27. Juli 1999 stand für alle Be-
teiligten die eingeschränkte Dienstfähigkeit des Antragstel-
lers fest. Dieser war daher allein schon aufgrund einer Mit-
teilung des Ergebnisses der Begutachtung zur Dienstleistung
verpflichtet (vgl. die schon auf S. 9 f. genannte ständige
Rechtsprechung des Senats). Der Dienstvorgesetzte teilte das
Untersuchungsergebnis dem Antragsteller am 6. August 1999 mit
und forderte ihn auf, sich am nächsten Arbeitstag nach Erhalt
des Schriftstückes zum Dienst zu melden. Da der Antragsteller
- wie dargelegt - am 30. August 1999 Kenntnis von seiner ein-
geschränkten Dienstfähigkeit und damit von seiner Verpflich-
tung zum unverzüglichen Antritt seines Dienstes erhalten hat-
te, hätte er am Folgetag bei seiner Dienststelle erscheinen
müssen. Dem ist er aufgrund seiner Kenntnis schuldhaft, und
- 14 -
zwar mindestens fahrlässig, nicht nachgekommen.
3. Die Kostenentscheidung zulasten der Antragsgegnerin beruht
auf §§ 113 ff. BDO und umfasst auch die Mehrkosten, die auf-
grund der unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung der Behörde durch
die Anrufung des ... Verwaltungsgerichts entstanden sind (vgl.
dazu Beschluss vom 9. September 1994 - BVerwG 1 DB 21.94 -,
BVerwG DokBer. B 1995, 13 <14> m.w.N.). Soweit die Beschwerde
des Antragstellers erfolglos bleibt, betrifft dies zum einen
nur einen sehr geringen Teil des festgestellten Zeitraums ei-
nes Fernbleibens vom Dienst. Zum anderen ist das Unterliegen
in Bezug auf den Zahlungsantrag nur von sehr geringer Bedeu-
tung, da nach rechtskräftiger Aufhebung der ganz überwiegend
als rechtswidrig erkannten Verlustfeststellung die Auszahlung
der zurückgehaltenen Dienstbezüge ohne weiteres zu erfolgen
hat. Eine Kostenquotelung ist daher nicht gerechtfertigt.
Albers Mayer Müller
Sachgebiet: BVerwGE: nein
Feststellung des Verlustes Fachpresse: ja
der Dienstbezüge
Rechtsquellen:
BDG § 85 Abs. 5
BDO § 121
BBesG § 9
ZPO a.F. § 182
Stichworte:
Feststellung des Verlustes der Dienstbezüge; Unzuständigkeit
des Disziplinargerichts für Anspruch auf Auszahlung zurückge-
haltener Dienstbezüge; Verschuldensnachweis erst aufgrund spä-
terer Kenntniserlangung von Dienstfähigkeit; Niederlegung ei-
nes Schriftstücks (Ersatzzustellung) fingiert ebenso wenig ei-
ne Kenntnisnahme vom Inhalt des Schriftstückes wie vorwerfbar
pflichtwidriges Verhalten, durch das eine tatsächliche Kennt-
nisnahme verzögert oder verhindert wird; Entscheidungszustän-
digkeit des Dienstvorgesetzten - nicht des Amts-/Betriebs-
arztes - für die Frage der Dienstfähigkeit eines krankge-
schriebenen Beamten; überwiegende Aufhebung der Verlustfest-
stellung.
Leitsatz:
Die im Wege der Niederlegung erfolgte Zustellung der Mittei-
lung über das Ergebnis der amtsärztlichen Untersuchung im Sin-
ne einer (eingeschränkten) Dienstfähigkeit ersetzt nicht die
für einen schuldhaften Pflichtverstoß vorauszusetzende Kennt-
nis vom Inhalt dieser Mitteilung. Selbst wenn das Nichtabholen
des niedergelegten Schriftstückes eine disziplinar relevante
Dienstpflichtverletzung darstellt, lässt sich damit eine Fest-
stellung des Verlustes der Dienstbezüge wegen schuldhaft uner-
laubten Fernbleibens vom Dienst nicht begründen.
Beschluss des 1. Disziplinarsenats vom 18. September 2002
- BVerwG 1 DB 13.02 -
I. BDiG, Kammer VII - ... -, vom 03.05.2002
- Az.: BDiG VII BK 13/01 -