Urteil des BVerwG vom 05.07.2006

Waffen Und Munition, Unfallflucht, Toilette, Pistole

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 1 D 5.05
VG 9 A 4/04
In dem Disziplinarverfahren
g e g e n
den Polizeimeister …,
…,
hat das Bundesverwaltungsgericht, Disziplinarsenat,
in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 5. Juli 2006,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Albers,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Heeren,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz,
Polizeihauptmeister Müller und
Postbetriebsassistent Alsdorf
als ehrenamtliche Richter
sowie
als Vertreter der Einleitungsbehörde,
Rechtsanwalt …,
als Verteidiger
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und
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Auf die Berufung des Polizeimeisters … wird das Urteil
des Verwaltungsgerichts … vom 30. November 2004 im
Disziplinarmaß aufgehoben.
Die jeweiligen Dienstbezüge des Beamten werden um
ein Zehntel auf die Dauer von 18 Monaten gekürzt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens und die dem Beam-
ten hierin erwachsenen notwendigen Auslagen hat der
Bund zu tragen.
G r ü n d e :
I
1. Die Einleitungsbehörde hat gegen den … Beamten durch Verfügung vom
5. November 2001 das förmliche Disziplinarverfahren eingeleitet und eine Un-
tersuchungsführerin bestellt.
Nach ordnungsgemäßer Durchführung der Untersuchung hat der Bundesdiszi-
plinaranwalt den Beamten angeschuldigt, dadurch ein Dienstvergehen began-
gen zu haben, dass er
1.
am 14. Dezember 1999 eine Verkehrsunfallflucht be-
ging;
2.
am 27. April 2000 gegen die Dienstvorschriften zum
Tragen und zur Aufbewahrung von Schusswaffen ver-
stieß;
3.
am 10. Dezember 2001 seinen Dienst verspätet antrat;
4. am 5. Februar 2002 beim dienstlichen Schießtraining
der Anweisung der „Aufsicht beim Schützen“ nicht un-
verzüglich und uneingeschränkt Folge leistete;
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5.
am 5. März 2002 eigenmächtig und ohne erkennbaren
Grund das dienstlich angeordnete Schwimmen ab-
brach;
6.
am 18. März 2002 sich nicht unverzüglich bei seiner
Hundertschaft krankmeldete;
7.
eine am 30. März 2002 während des Einsatzes ihm ge-
genüber erfolgte Beleidigung weisungswidrig nicht mel-
dete;
8.
am 2. April 2002 eine Straßenverkehrsgefährdung be-
ging;
9.
am 6. April 2002 während eines Einsatzes nicht das er-
forderliche Engagement zeigte;
10.
am 10. April 2002 verschlafen hatte und verspätet zum
Einsatz erschien;
11.
am 15. April 2002 bei einer Fortbildungsveranstaltung
die Mitarbeit verweigerte;
12.
am 22. April 2002 unentschuldigt der dienstlich ange-
ordneten Sportausbildung fernblieb.
2. Das Verwaltungsgericht … hat durch Urteil vom 30. November 2004 ent-
schieden, dass der Beamte unter Bewilligung eines Unterhaltsbeitrags auf die
Dauer von sechs Monaten in Höhe von 75 v.H. seines erdienten Ruhegehalts
aus dem Dienst entfernt wird. In den Urteilsgründen heißt es, die Anschuldi-
gungspunkte 7 und 12 seien durch die Einleitungsbehörde in der Hauptver-
handlung zurückgezogen worden. Im Übrigen hat das Gericht seinem Urteil fol-
gende tatsächliche Feststellungen zugrunde gelegt und dienstrechtlich im Ein-
zelnen wie folgt bewertet:
Anschuldigungspunkt 1:
Der Beamte habe am 14. Dezember 1999 ein anderes Fahrzeug beschädigt
und danach eine Verkehrsunfallflucht begangen. Dies ergebe sich aus dem
rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts … vom 14. März 2000, dessen
Feststellungen auch Gegenstand des vorliegenden förmlichen Disziplinarver-
fahrens seien. Anlass für eine Lösung von den diesbezüglichen Feststellungen
des Amtsgerichts bestehe für die Disziplinarkammer nach Auswertung der vor-
liegenden Strafakte nicht. Durch dieses Verhalten habe der Beamte außer-
dienstlich gegen seine Pflicht zu einem achtungs- und vertrauenswürdigen Ver-
halten (§ 54 Satz 3 BBG) verstoßen, zumal ihm als Polizeibeamten die Verhü-
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tung von Straftaten obliege und er durch sein Verhalten ein schlechtes Beispiel
gebe.
Anschuldigungspunkt 2:
Der Beamte habe am 27. April 2000 seine ihm zugewiesene Dienstpistole nicht
ordnungsgemäß verwahrt und die Pistole bei dem dienstlichen Streifengang auf
dem Flughafengelände … anfänglich nicht mitgeführt. Er habe an diesem Tage
seine Pistole samt dazugehöriger Munition in seiner Tasche in einem Spind des
Aufenthaltsraumes zurückgelassen, der nicht nur von Kollegen und Kollegin-
nen, sondern auch vom Reinigungspersonal und Mitarbeitern der Flughafen AG
betreten werde, und ohne seine Dienstpistole den Streifendienst begonnen.
Dies habe der Beamte bei seiner Vernehmung am 24. Oktober 2000 und in der
Hauptverhandlung eingeräumt. Er habe gegen seine Pflichten aus § 54 Satz 1,
§ 55 Satz 2 BBG verstoßen, indem er Dienstvorschriften bzw. Anordnungen im
Umgang mit Waffen und Munition und zum Mitführen derselben beim Streifen-
gang missachtet habe. Der Beamte habe auch schuldhaft gehandelt; denn die
ihm obliegenden Pflichten seien ihm bekannt gewesen.
Anschuldigungspunkt 3:
Am 10. Dezember 2001 sei der Beamte eine Stunde verspätet zum Dienst er-
schienen. Nach den glaubhaften Angaben des zuständigen Zugführers, dem
Zeugen … W., sei bei der entsprechenden Einsatzvorbereitung am
9. Dezember 2001 über die Zeiten des Dienstbeginns und die Abfahrt der Fahr-
zeuge zu einem Einsatz in F. informiert worden und seien diese Zeiten auch
rechtzeitig schriftlich am schwarzen Brett im Dienstgebäude ausgehängt wor-
den. Mit Ausnahme des Beamten seien alle am Einsatz beteiligten Beamten
dieser Anweisung gefolgt. Durch sein Verhalten habe der Beamte fahrlässig
gegen seine Dienstpflichten aus § 55 Satz 2 BBG verstoßen; denn er habe Vor-
kehrungen für sein rechtzeitiges Eintreffen am bekannten Einsatzort treffen
müssen. Sein Verhalten habe die Einsatzbereitschaft und -fähigkeit der Polizei
in Frage gestellt.
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Anschuldigungspunkt 6:
Am 18. März 2002 (einem Montag) habe der Beamte seine Hundertschaft nicht
rechtzeitig vor dem vorgesehenen Dienstbeginn um 7.00 Uhr über eine Erkran-
kung informiert. Nach einer ihm bekannten Grundsatzanordnung der betreffen-
den Hundertschaft vom 20. Dezember 2001 sei eine Erkrankung ohne Dienst-
einteilung mit Dienstbeginn des nächsten Arbeitstages der Hundertschaft fern-
mündlich im Voraus zu melden. Nach den glaubhaften Angaben des Zeugen …
D. am 5. September 2002 sei der Beamte bis zum 15. März 2002 arbeitsunfähig
erkrankt gewesen und am 18. März 2002 nicht zum Dienst erschienen. Nach
wiederholten Versuchen sei es dem Zeugen schließlich gelungen, den Beamten
zu erreichen und von ihm die Antwort zu erlangen, er sei bis zum 25. März 2002
arbeitsunfähig erkrankt. Die betreffende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung habe
der Hundertschaft erst am 19. März 2002 vorgelegen. Durch sein schuldhaftes
Verhalten habe der Beamte gegen seine Melde- und Informationspflichten ge-
genüber seiner Dienststelle nach § 54 Satz 1 und 3, § 55 Satz 1 und 2 BBG
verstoßen und dadurch die ordnungsgemäße Abwicklung des Dienstbetriebes
gestört.
Anschuldigungspunkt 9:
Am 6. April 2002 sei der Beamte verspätet zu einem Einsatz anlässlich einer
Neonazikundgebung im Einsatzbereich des Hauptbahnhofes in X. erschienen.
Nach den glaubhaften und überzeugenden Angaben des Zeugen G. am
5. September 2002 und in seiner vorangehenden dienstlichen Erklärung zu dem
betreffenden Vorfall sei der Beamte mit seiner Gruppe um ca. 9.30 Uhr durch
den Gruppenführer eingewiesen und als Sammelpunkt für die Gruppe sei der
Eingang zur Westhalle im Hauptbahnhof X. vorgegeben worden. Die Gruppen-
mitglieder hätten bis 9.50 Uhr Gelegenheit gehabt, sich in einem Aufenthalts-
raum zu versorgen. Um 10.00 Uhr sei die Einsatzgruppe am Einsatzort gewe-
sen, jedoch ohne den Beamten. Als der Beamte um 10.15 Uhr noch nicht am
Sammelpunkt gewesen sei, habe sich der Zeuge G. auf den Weg zum zuge-
wiesenen Aufenthaltsraum begeben, da er den Beamten dort vermutet habe.
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Auf dem Querbahnsteig sei ihm der Beamte mit den Worten entgegengekom-
men: „Ihr habt mich wohl schon gesucht.“ Soweit sich der Beamte dahin einge-
lassen habe, er sei auf der Toilette gewesen und habe danach wegen fehlender
Informationen über den genauen Einsatzort seine Gruppe gesucht, so vermöge
dies die glaubhaften Angaben des Zeugen G. nicht zu entkräften; denn es ver-
stehe sich von selbst, dass einer Gruppe der Einsatzort und die Einsatzzeit bei
einer entsprechenden Kundgebung rechtzeitig mitgeteilt würden. Es sei abwe-
gig, wenn der Beamte Glauben machen wolle, er habe keine Informationen hie-
rüber gehabt und von einem bevorstehenden Einsatz nichts bemerkt. Zudem
könnten die Einlassungen des Beamten auch vom zeitlichen Ablauf her nicht
zutreffen. Wenn die Anlegung der Körperschutzausstattung 15 Minuten bean-
sprucht habe, so müssten bereits Vorbereitungshandlungen seiner Kollegen im
Gange gewesen sein, als der Beamte zur Toilette gegangen sein wolle. Durch
sein Verhalten habe der Beamte fahrlässig gegen seine Dienstpflichten aus
§ 55 Satz 2 BBG verstoßen. Er habe rechtzeitig am bekannt gegebenen Ein-
satzort erscheinen müssen; sein Verhalten habe den Dienstablauf gefährdet.
Anschuldigungspunkt 10:
Am 10. April 2002 sei der Beamte zu dem für 9.30 Uhr bestimmten Dienstantritt
in der Halle eines Hotels in W. nicht erschienen und habe später zu dem Ein-
satz abgeholt werden müssen, weil er verschlafen habe. Nach den glaubhaften
Angaben des am 5. September 2002 vernommenen Zeugen … W. sei der Be-
amte mit seiner Gruppe am 9. April 2002 abends im Hotel über die Einsatzzeit
für den darauf folgenden Tag informiert worden. Die Einsatzzeit sei für den
10. April 2002 um 10.00 Uhr in der Musikhochschule in W. gewesen, der Treff-
punkt für 9.30 Uhr in der Hotelhalle bestimmt worden. Da der Zeuge den Beam-
ten beim Frühstück nicht gesehen habe, habe er vergeblich versucht, ihn um
9.25 Uhr über Handy zu erreichen. Um 9.30 Uhr habe der Zeuge über die Ho-
telrezeption angerufen. Der Beamte habe sich mit verschlafener Stimme ge-
meldet. Die Gruppe sei ohne den Beamten zum Einsatzort gefahren. Der
Beamte sei durch den Kraftfahrer später nachgeholt worden. Durch sein Verhal-
ten habe der Beamte fahrlässig gegen seine Dienstpflichten aus § 55 Satz 2
BBG verstoßen; denn er habe Vorkehrungen dafür treffen müssen, rechtzeitig
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den Dienst am bekannten Einsatzort antreten zu können. Sein Verhalten habe
die Einsatzbereitschaft und -fähigkeit der Polizei gefährdet.
Anschuldigungspunkt 11:
Am 15. April 2002 sei der Beamte zu einer auf dem Dienstplan vermerkten
Fortbildungsveranstaltung ohne Schreibmaterialien erschienen, habe eine Auf-
forderung des Ausbilders zum Besorgen von Schreibutensilien nicht befolgt,
einen Ankreuztest zur Selbstbestimmung nicht ausgefüllt und sei danach durch
den Ausbilder des Unterrichts verwiesen worden. Dies habe der Zeuge Z. an-
lässlich seiner Vernehmung am 5. September 2002 glaubhaft geschildert. Mit
diesem Verhalten habe der Beamte allerdings noch nicht die Schwelle der dis-
ziplinaren Relevanz überschritten; einem solchen Verhalten habe zunächst mit
pädagogischen Mitteln begegnet werden müssen.
Die unter den Punkten 4., 5. und 8. der Anschuldigungsschrift vorgeworfenen
Dienstpflichtverletzungen seien hingegen nicht aufrechtzuerhalten. Das Verwal-
tungsgericht führt dies im Einzelnen aus.
Der Beamte habe ein schwerwiegendes Dienstvergehen im Sinne des § 77
Abs. 1 BBG begangen, indem er schuldhaft über mehrere Jahre hinweg die ihm
obliegenden Pflichten verletzt habe.
Mit der im Dezember 1999 begangenen Unfallflucht habe der Beamte gegen
seine Pflichten aus § 54 Satz 3 i.V.m. § 77 Abs. 2 Satz 2 BBG verstoßen. Be-
reits das abgeurteilte strafbare Handeln des Beamten stelle für sich isoliert ge-
sehen ein schwerwiegendes Dienstvergehen dar; denn eine Verkehrsunfall-
flucht zeige in der Regel eine verantwortungslose Haltung des Kraftfahrers. In
der Öffentlichkeit hinterlasse das einen sehr ungünstigen Eindruck und führe im
Regelfall zu einem schwerwiegenden Dienstvergehen, das nicht mehr mit einer
Gehaltskürzung zu ahnden sei. Erschwerend komme hier hinzu, dass dem Be-
amten als Polizeivollzugsbeamten die Verhütung von Straftaten obliege, er
auch dienstlich mit dem Führen von Kraftfahrzeugen betraut sei und es sich bei
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dem Fehlverhalten um eine Wiederholungstat im Zusammenhang mit dem Füh-
ren von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr handele.
Auch seine verspäteten Dienstantritte am 10. Dezember 2001 (Anschuldi-
gungspunkt 3), die verspätete Krankmeldung am 18. März 2002 (Anschuldi-
gungspunkt 6) sowie die durch Verschlafen bedingte Verspätung am Einsatzort
am 10. April 2002 (Anschuldigungspunkt 10) stellten schwere Dienstpflichtver-
letzungen dar; denn sie hätten den ordnungsgemäßen Einsatz der Polizei ge-
fährdet. Es verstehe sich von selbst, dass es zur ordnungsgemäßen Abwick-
lung eines Dienstbetriebs unabdingbar sei, dass ein Beamter ohne schuldhaftes
Zögern sein Fernbleiben und die vermutliche Dauer desselben der Dienststelle
mitteile oder mitteilen lasse. Diese Melde- und Informationspflicht sei im Übri-
gen konkret gegenüber dem Beamten angeordnet, von ihm aber nicht befolgt
worden.
Dadurch, dass der Beamte am 27. April 2000 die Dienstvorschriften bzw. An-
ordnungen im Umgang mit Waffen und Munition und zum Mitführen derselben
beim Streifendienst missachtet habe (Anschuldigungspunkt 2), habe er gegen
Kernpflichten eines Polizeivollzugsbeamten in besonders schwerwiegender Art
und Weise verstoßen. Das Zurücklassen seiner Dienstpistole mit dazugehöriger
Munition in einem Spind in einem für Dritte zugänglichen Aufenthaltsraum auf
dem Gelände des Flughafens … sei unverantwortlich gewesen. Dieses Fehl-
verhalten sei durch nichts zu entschuldigen, selbst wenn der Beamte wegen
eines knappen Dienstantritts unter Zeitdruck gestanden haben sollte.
Die von dem Beamten über Jahre hinweg begangenen Pflichtenverstöße stell-
ten ein einheitlich zu bewertendes Dienstvergehen dar. Sein offensichtlich ge-
störtes Verhältnis zur Rechtsordnung und eine insgesamt bedenklich laxe
Dienstauffassung unter Missachtung von dienstlichen Anordnungen bildeten
gleichsam die Klammer für alle begangenen Verfehlungen und stellten den in-
neren und äußeren Zusammenhang zwischen allen nachgewiesenen Pflicht-
verstößen im Sinne eines einheitlichen Dienstvergehens her.
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Dieses Dienstvergehen wiege derart schwer, dass zur Überzeugung der Diszi-
plinarkammer die Entfernung des Beamten aus dem Dienst unerlässlich sei.
Der Beamte habe in schwerwiegender und nachhaltiger Art und Weise gegen
Kernpflichten eines Polizeibeamten verstoßen und sich als untragbar im Poli-
zeidienst erwiesen. Milderungsgründe seien nicht ersichtlich. Im Gegenteil sei
festzustellen, dass sich die Leistungen des Beamten selbst unter dem Druck
eines gegen ihn eingeleiteten förmlichen Disziplinarverfahrens nicht gebessert
hätten.
3. Hiergegen hat der Beamte rechtzeitig Berufung eingelegt mit dem Antrag, auf
eine mildere Disziplinarmaßnahme zu erkennen. Auf Befragen hat der Verteidi-
ger mit Zustimmung des Vertreters der Einleitungsbehörde erklärt, dass er das
Rechtsmittel auf das Disziplinarmaß beschränke. Zur Sache hat sich der Beam-
te wie folgt eingelassen:
Zu dem Vorfall vom 27. April 2000 (Anschuldigungspunkt 2) sei zu bemerken,
dass der Streifenführer ihm ausdrücklich gesagt habe, er solle die vergessene
Waffe erst holen, wenn die Runde beendet sei. Dies habe er als dienstlichen
Befehl aufgefasst und sich daran gehalten. Die Waffe habe sich in einer ge-
schlossenen Tasche (bzw. einem Rucksack) in einem verschlossenen Spind
befunden.
Am Tag vor dem 10. Dezember 2001 (Anschuldigungspunkt 3) sei er eine Vier-
telstunde zu spät gekommen, weil er weisungsgemäß die Dienstfahrräder repa-
riert habe. Wenn für seinen Dienstvorgesetzten ersichtlich gewesen sei, dass er
zu spät zur Einweisungsveranstaltung erschienen sei, hätte es diesem oblegen,
ihn auf den für den folgenden Tag vorgezogenen Dienstbeginn besonders hin-
zuweisen. Der fahrlässige Pflichtverstoß wiege daher weniger schwer.
Zu der verspäteten Krankmeldung im März 2002 (Anschuldigungspunkt 6) sei
Folgendes zu bemerken: Er sei bereits in der Woche zuvor bis zum Freitag,
15. März, krankgeschrieben und am 18. März erneut beim Arzt gewesen. Er
habe sodann eine erneute Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis zum 25. März
2002 erhalten. Diese Bescheinigung habe er an seine Dienststelle weitergelei-
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tet. Zuvor habe er am Sonntag, 17. März, bei der Wache … in D. angerufen und
mitgeteilt, dass seine Erkrankung voraussichtlich länger dauern werde. Seinen
Meldepflichten habe er damit im Wesentlichen genügt.
Zu dem Geschehen vor dem Demonstrationseinsatz in X. am 6. April 2002 (An-
schuldigungspunkt 9) hat der Beamte vorgetragen: Er habe kurz vor 10.00 Uhr
eine Toilette aufsuchen müssen. Bei seiner Rückkehr habe er seine Gruppe
nicht mehr angetroffen. Er habe sich daraufhin sofort einsatzbereit angezogen
und in der Haupthalle des Bahnhofs nach seinen Kollegen gesucht. Dabei sei
ihm der Kollege G. entgegengekommen und habe ihn mit zum Einsatzort ge-
nommen. Er räume ein, dass er sich pflichtwidrig nicht abgemeldet habe. Das
Urteil übersehe indes, dass, als er sich entfernt habe, der angesprochene Ein-
satzpunkt noch nicht festgestanden habe.
Zu dem Verschlafen und der dadurch bedingten Verspätung am 10. April 2002
(Anschuldigungspunkt 10) lässt sich der Beamte dahin ein, er habe die Weck-
zeit an seinem Handy eingestellt. Über Nacht habe sich jedoch der Akku ent-
leert.
Die nur verbliebenen Dienstvergehen zu den Anschuldigungspunkten 1 bis 3, 6
sowie 9 und 10 rechtfertigten unter Berücksichtigung seines Vorbringens nicht
die Entfernung aus dem Dienst.
II
Die Berufung hat Erfolg und führt zur Kürzung der Dienstbezüge.
Das gerichtliche Disziplinarverfahren ist auch nach Inkrafttreten des Bundesdis-
ziplinargesetzes am 1. Januar 2002 nach den Verfahrensregeln und -grundsät-
zen der Bundesdisziplinarordnung fortzuführen (§ 85 Abs. 1, 3 und 7 BDG; zum
Übergangsrecht: Urteil vom 20. Februar 2002 - BVerwG 1 D 19.01 - NVwZ
2002, 1515). Auf sog. Altfälle - wie hier - können die Vorschriften des
Bundesdisziplinargesetzes ausnahmsweise Anwendung finden, soweit diese
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den beschuldigten Beamten materiellrechtlich besser stellen (Urteil vom
17. März 2004 - BVerwG 1 D 23.03 - BVerwGE 120, 218 <222> = Buchholz
235.1 § 85 BDG Nr. 6 = NVwZ 2005, 96 zu § 14 BDG).
In der Berufungshauptverhandlung hat der Beamte das von ihm eingelegte
Rechtsmittel auf Frage des Gerichts und mit Zustimmung des Vertreters der
Einleitungsbehörde auf das Disziplinarmaß beschränkt. Der Senat ist deshalb
an die erstinstanzlichen Tat- und Schuldfeststellungen sowie die disziplinar-
rechtliche Würdigung als Dienstvergehen gebunden und hat nur noch über die
angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden. Zu den bindenden Feststel-
lungen gehören die zum konkreten historischen Vorgang getroffenen, mit denen
die Verletzungshandlung in Bezug auf den Tatbestand des angenommenen
Pflichtenverstoßes gekennzeichnet wird, z.B. zur Frage der Eigennützigkeit
(s. § 54 Satz 2 BBG; vgl. auch Urteil vom 23. Mai 2001 - BVerwG 1 D 12.00),
zur Anzahl der Teilakte oder des Zeitpunkts auch des Tatentschlusses (Urteil
vom 4. September 1970 - BVerwG 1 D 18.70 - BVerwGE 43, 125) und die Fest-
stellungen zur Form des Verschuldens (Vorsatz oder Fahrlässigkeit). Zusätzli-
che oder abweichende Feststellungen können nur noch getroffen werden, so-
weit sie sich zu den bindenden Tat- und Schuldfeststellungen nicht in Wider-
spruch setzen und ausschließlich für die Bestimmung des Disziplinarmaßes von
Bedeutung sind; sog. doppelrelevante Umstände sind also bei einer beschränk-
ten Berufung einer Korrektur nicht mehr zugänglich, allenfalls einer zu den Tat-
und Schuldfeststellungen widerspruchsfreien Ergänzung. Ansonsten bleiben
sowohl abweichende als auch ergänzende Feststellungen möglich, die - belas-
tend und als sog. Milderungsgrund entlastend - der Charakterisierung der
Handlungsweise und der Persönlichkeit des Beamten dienen. Das sind z.B. das
Tatmotiv und die auf den Tatentschluss einwirkenden äußeren Umstände, auch
die Frage nach einer Bereicherungsabsicht, nach einer verminderten Schuldfä-
higkeit, eines bestimmten Fahrlässigkeitsgrades, des Grades einer Trunkenheit,
der Mitschuld eines außenstehenden Dritten, eines verschuldeten Verbotsirr-
tums (vgl. zu allem: Behnke, BDO, 2. Aufl., § 82 Rn. 28, 31; Claussen/Janzen,
BDO, 8. Aufl., § 82 Rn. 7, 8; Köhler/Ratz-Mayer, BDG, 3. Aufl., § 64 Rn. 6, 8;
jeweils m.w.N.), letztlich auch des Nachtatverhaltens.
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Wenn ein Beamter in mehreren Anschuldigungspunkten angeschuldigt worden
ist, die Verurteilung wegen eines Dienstvergehens erstinstanzlich aber nicht in
allen Punkten zur Feststellung eines Pflichtverstoßes als Bestandteil des
Dienstvergehens geführt hat, ist das Berufungsgericht durch eine Beschrän-
kung der Berufung auf die Disziplinarmaßnahme darüber hinaus an die diszipli-
narrechtliche Würdigung insoweit gebunden, als es den Umfang des festgestell-
ten Dienstvergehens betrifft. Nach einer derartigen Beschränkung des Rechts-
mittels spielt es keine Rolle mehr, ob Anschuldigungspunkte versehentlich nicht
gewürdigt worden sind, ob sie mit verfahrensrechtlich unzulässigen Erwägun-
gen ausgeschieden worden sind (Claussen/Janzen a.a.O. § 82 Rn. 7b) oder
womöglich noch ein sachgleiches Strafverfahren anhängig ist (vgl. Urteil vom
8. Juni 1983 - BVerwG 1 D 112.82 - BVerwGE 76, 87). Unbeachtlich ist es da-
her im vorliegenden Fall, dass das Verwaltungsgericht die von der Einleitungs-
behörde „zurückgenommenen“ Teile der Anschuldigungsschrift von seiner Wür-
digung ausgenommen hat, auch wenn eine derartige Einschränkung der An-
schuldigung allein aufgrund einer (Teil-)Rücknahme derselben - durch wen
auch immer - grundsätzlich nicht zulässig ist (vgl. Köhler/Ratz, BDO, 2. Aufl.,
§ 65 Rn. 5 m.w.N. aus der Rspr). Nach allem hatte der Senat nur noch über das
Disziplinarmaß für das vom Verwaltungsgericht wegen des Verhaltens in den
Anschuldigungspunkten zu 1 bis 3, 6, 9 und 10 festgestellten teils außerdienst-
lichen (Anschuldigungspunkt 1) und im Übrigen innerdienstlichen Dienstverge-
hens zu entscheiden.
Das Verwaltungsgericht hat das einheitlich zu beurteilende Fehlverhalten des
Beamten als schweres Dienstvergehen im Kernpflichtenbereich eines Polizei-
beamten gewürdigt, das mangels vorliegender Milderungsgründe nur mit einer
Entfernung aus dem Dienst geahndet werden könnte. Dem vermag der Senat
nicht zu folgen. Das Fehlverhalten des Beamten rechtfertigt diese Maßnahme
nicht, weil das Vertrauensverhältnis nicht endgültig zerstört ist.
Gemäß § 13 Abs. 1 und 2 BDG, gegen dessen Heranziehung in sog. Altfällen
keine Bedenken bestehen, ist die Angemessenheit der Disziplinarmaßnahme
unter Berücksichtigung der objektiven Handlungsmerkmale wie Eigenart und
Bedeutung der Dienstpflichtverletzung, Dauer des Fehlverhaltens, der subjekti-
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ven Handlungsmerkmale wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beam-
ten sowie der Beweggründe für sein Verhalten und der unmittelbaren Folgen
des Dienstvergehens für den dienstlichen Bereich und für Dritte zu beurteilen.
Es bedarf stets einer umfassenden Würdigung der Fallumstände, insbesondere
des Persönlichkeitsbilds des Beamten, um den für die Entfernung aus dem
Dienst erforderlichen endgültigen Vertrauensverlust feststellen zu können. Da-
bei kommt es entscheidend darauf an, ob der Dienstherr bei objektiver Gewich-
tung des Dienstvergehens auf der Grundlage der festgestellten belastenden
und entlastenden Umstände noch Grund zu der Annahme haben kann, der Be-
amte werde in Zukunft seinen Dienstpflichten ordnungsgemäß nachkommen
(Urteil vom 20. Oktober 2005 - BVerwG 2 C 12.04 - NVwZ 2006, 469 <471>).
Davon ist hier auszugehen.
Die vom Verwaltungsgericht festgestellten Pflichtverletzungen sind im Einzel-
nen wie folgt zu bewerten:
Das unter Anschuldigungspunkt 1 angeschuldigte außerdienstliche Verhalten
des Beamten, das dieser einräumt, stellt einen vorsätzlichen Verstoß gegen
§ 54 Satz 3 BBG dar, der nach seiner Bedeutsamkeit die Schwelle zum außer-
dienstlichen Dienstvergehen (§ 77 Abs. 1 Satz 2 BBG) überschreitet, weil eine
Verkehrsunfallflucht geeignet ist, negative Rückschlüsse auf die dienstliche Ver-
trauenswürdigkeit des Beamten in seinem Amt als Angehöriger der Bundespoli-
zei (damals: BGS) zu ziehen und eine ansehensschädigende Wirkung auslösen
kann (vgl. zuletzt Urteil vom 15. März 2006 - BVerwG 1 D 3.05 - Rn. 18 f.). Um
eine Kernpflichtverletzung kann es sich bei einem außerdienstlichen Dienstver-
gehen freilich nicht handeln. Von einem Polizeibeamten, dessen Aufgabe es
unter anderem ist, Straftäter zu verfolgen, muss aber in besonderem Maße er-
wartet werden, dass er sich auch selbst im privaten Bereich gesetzestreu ver-
hält, insbesondere nicht in Konflikt mit den Strafvorschriften gerät. Im vorliegen-
den Fall schwächt sich allerdings der daraus zu erhebende Vorwurf ab. Die Un-
fallflucht sowie die dabei gezeigte und für Dritte schädliche Verantwortungs-
losigkeit erscheinen in einem etwas milderen Licht, weil der verursachte Fremd-
schaden mit etwa 400 DM einen eher geringen Umfang hatte; bei sog. „Baga-
tellschäden“ nach misslungenen Parkmanövern werden auch die wirtschaftli-
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chen Folgen vom Schädiger oftmals unterschätzt und subjektiv bagatellisiert.
Milder zu beurteilen ist der Verstoß auch insofern, als er hier nicht im Zusam-
menhang mit einer vorausgegangenen Verkehrsgefährdung steht. Dementspre-
chend hat auch das Amtsgericht … mit der Verhängung einer Geldstrafe von
20 Tagessätzen à 60 DM der geringeren Schuld des Beamten durchaus Rech-
nung getragen. Ein Maßnahmeverbot nach § 14 BDO oder - als der materiell
günstigeren Regelung nach § 14 BDG - greift hier nicht, weil wegen des einheit-
lichen, sich aus mehreren Pflichtverstößen zusammensetzenden Dienstverge-
hens die für die Anwendung der Vorschriften vorausgesetzte Identität des
Sachverhalts (von Strafurteil und angeschuldigtem Dienstvergehen) nicht be-
steht.
Das unter Anschuldigungspunkt 2 angeschuldigte Fehlverhalten im Umgang
mit der Dienstwaffe ist auch nach den - freilich nicht in die Einzelheiten gehen-
den - Feststellungen des Verwaltungsgerichts ein teils fahrlässiges, teils vor-
sätzliches. Hinsichtlich des fahrlässigen Teils kommt dem Beamten zugute,
dass er sich nach seinen nicht zu widerlegenden Einlassungen aufgrund unver-
schuldeter Zugverspätung in großer Eile befand und deshalb vergaß, dass sich
seine Dienstwaffe noch im geschlossenen Rucksack befand, den er in aller Eile
im Spind verstaute, bevor er diesen abschloss und zum Einsatz eilte. Nach An-
sprache durch seinen Vorgesetzten, den Zeugen S., darauf aufmerksam ge-
macht, konnte von Fahrlässigkeit allerdings keine Rede mehr sein. Jedoch
konnte der Beamte dessen Äußerung, er solle die Pistole in der Pause an sich
nehmen, so verstehen, dass ihm die Weisung erteilt wurde, den Streifengang
erst einmal nur mit der Maschinenpistole und ohne zusätzliche Führung der ei-
genen Dienstwaffe zu Ende zu gehen. In der Pause jedoch, als er die Dienstpis-
tole immer noch nicht sogleich an sich nahm, stand seinem vorsätzlichen Han-
deln kein solcher Milderungsgrund mehr zur Seite. Nachteile sind aus dem Ver-
halten zwar nicht entstanden. Jedoch war die jederzeitige Einsatzbereitschaft
im Dienst beeinträchtigt. Sie muss bei waffentragenden Polizeibeamten stets
gewährleistet sein. Daher ist es alles andere als in ihr Belieben gestellt zu ent-
scheiden, wann und wo sie die Waffe führen. Der Beamte hat zwar keine Kern-
pflicht verletzt; jedoch müssen die Pflichten der hohen Verantwortung beim
Umgang mit Waffen entsprechend als besonders bedeutsam eingestuft werden.
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Zu Anschuldigungspunkt 6 hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass der
Beamte entgegen einer Grundsatzanordnung der Hundertschaft nicht bis zum
vorgeschriebenen Zeitpunkt (bis 7 Uhr des nächsten Einsatztags, hier: am Mon-
tag, dem 18. März 2002) die weitere Krankschreibung (über den letzten Zeit-
punkt der bis dahin bis zum 15. März 2002 bescheinigten Arbeitsunfähigkeit
hinaus bis zum 25. März 2002) vorab telefonisch mitgeteilt habe. Soweit der Be-
amte nunmehr erstmals behauptet hat, er habe bereits am Sonntag auf der
Wache angerufen, nimmt ihm der Senat dies nicht ab, kann dies aber auch oh-
nehin nicht berücksichtigen, weil sich der Beamte damit in Widerspruch zu den
nach der Beschränkung des Rechtsmittels bindenden Tatfeststellungen des
Verwaltungsgerichts setzt. Die ursprüngliche Einlassung des Beamten, er habe
bereits am Freitag, dem 15. März 2002, den Arzt aufgesucht und die Bescheini-
gung über die fortbestehende Arbeitsunfähigkeit noch an diesem Tag per Post
abgesandt, vermag den Beamten hingegen nicht vollends zu entlasten. Er
konnte nicht davon ausgehen, dass die tatsächlich auch erst am 19. März 2002
bei der Hundertschaft eingegangene Benachrichtigung auf dem Postweg den
zuständigen Dienstvorgesetzten auf jeden Fall rechtzeitig erreichen würde. Dies
zu gewährleisten ist aber ersichtlich der Sinn der vorgeschriebenen unverzügli-
chen telefonischen Benachrichtigung. Nur auf diesem Wege lässt sich eine
rechtzeitige, sinnvolle und gerechte Einsatzplanung gewährleisten. Der Beamte
mag auf den rechtzeitigen Eingang beim Vorgesetzten gehofft haben; ihm ist
gleichwohl der Fahrlässigkeitsvorwurf hinsichtlich des verspäteten Eingangs der
Benachrichtigung nicht zu ersparen; über den ihm nach den Feststellungen des
Verwaltungsgerichts bekannten Befehl, unverzüglich telefonisch Nachricht zu
geben, hat er sich vorsätzlich hinweggesetzt. Das alles lässt aber nicht darüber
hinwegsehen, dass dieser Verstoß insgesamt weniger schwer wiegt, als bei-
spielsweise ein unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst an einem einzelnen Tag.
Insbesondere liegt eine Kernpflichtverletzung nicht vor.
Zu den verbleibenden drei Vorwürfen der Anschuldigungspunkte 9 (Nachlässig-
keit und Unaufmerksamkeit während des Aufenthalts vor dem Einsatz im
Hauptbahnhof führen zum nicht rechtzeitigen Eintreffen am Einsatzort vor dem
Westeingang des Bahnhofs), 3 bzw. 10 (jeweils Verspätungen um ca. 1 Stunde,
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davon einmal wegen Verschlafens und einmal we-
gen Unaufmerksamkeit und nachlässig unterlassener Nachfragen zu dem vor-
her bekannt gegebenen Einsatzzeitpunkt) hat das Verwaltungsgericht ein fahr-
lässiges Verschulden des Beamten festgestellt. Die Verstöße gegen leicht ein-
sehbare Grundpflichten wiegen insofern nicht leicht, als eine erhebliche Verspä-
tung die Einsatzbereitschaft gefährden kann. In den drei konkreten Fällen ist es
allerdings - abgesehen von einem behebbaren Transportproblem - nicht zu er-
heblichen dienstlichen Nachteilen gekommen. Dem Beamten ist auch nicht zu
widerlegen, dass sein nachlässiges, unaufmerksames und sorgloses Verhalten
nicht darauf beruhte, dass er sich hätte schonen wollen.
Bei der Gesamtwürdigung nach der Schwere des Dienstvergehens und des
Verschuldens steht das Gewicht des außerdienstlichen Teils des Dienstverge-
hens, der Unfallflucht des Beamten, im Vordergrund. Entgegen der Auffassung
des Verwaltungsgerichts wäre dieses aber im Beamtendisziplinarrecht - auch
bei einem Polizisten - isoliert betrachtet nicht etwa regelmäßig mit einer Maß-
nahme oberhalb der Gehaltskürzung zu ahnden. Zu Unrecht beruft sich das
Verwaltungsgericht insofern auf Rechtsprechung des Wehrdisziplinarsenats,
der für Soldaten in derartigen Fällen regelmäßig eine Beförderungssperre für
angebracht hält (vgl. u.a. Urteil vom 16. Oktober 2002 - 2 WD 23.01 und 2 WD
32.02 - BVerwGE 117, 117 = Buchholz 236.1 § 13 SG Nr. 9). Zum einen ist die
Systematik im Wehrdisziplinarrecht insofern eine andere, als Beförderungsver-
bot und Kürzung der Dienstbezüge zwei selbständige Maßnahmearten darstel-
len und das Beförderungsverbot als eine im Verhältnis zur Gehaltskürzung ge-
steigerte Disziplinarmaßnahme anzusehen ist (§ 58 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2,
Abs. 4 Satz 1 WDO), während nach der Bundesdisziplinarordnung die Gehalts-
kürzung automatisch mit einer Beförderungssperre verbunden ist (§ 9 Abs. 1,
Abs. 3 Satz 1 BDO). Fallbezogen kommt zum anderen noch hinzu, dass die Un-
fallflucht in den beiden vom Wehrdisziplinarsenat entschiedenen Fällen mit
vorsätzlichen Straßenverkehrsgefährdungen und Personenschäden einhergin-
gen. Der Rechtsprechung des Senats entspricht es, weniger schematisch vor-
zugehen und - je nach den Gesamtumständen - eine Gehaltskürzung im unte-
ren Bereich auszusprechen. Davon ist hier nicht abzuweichen. Der Umstand,
dass es sich bei dem Beamten um einen Polizeibeamten handelt, geht zwar zu
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seinen Lasten; dass es nur um einen „Bagatellschaden“ ging, lässt den Verstoß
aber wiederum in einem milderen Licht erscheinen (vgl. auch Urteil vom
29. August 2001 - BVerwG 1 D 49.00 - Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 31
= ZBR 2002, 212; zur Trunkenheitsfahrt mit erheblichem Sachschaden eines
Polizeihauptkommissars im BGS mit BGS-Führerschein vgl. auch Urteil vom
6. September 1994 - BVerwG 1 D 11.94 -; zur Unfallflucht außerhalb des Diens-
tes im Rückfall: Urteil vom 4. Juni 1984 - BVerwG 1 D 6.84 -; zur Unfallflucht im
Dienst mit Dienstfahrzeug: Urteil vom 21. Juli 1986 - BVerwG 1 D 162.85 -
DokBerB 1986, 277).
Vom Gewicht des Verstoßes her kommt der außerdienstlichen Unfallflucht der
Pflichtverstoß des Beamten beim Umgang mit der Dienstwaffe am nächsten. Da
vorwiegend durch Fahrlässigkeit geprägt, erreicht er deren Bedeutung jedoch
nicht vollends. Seine eigentliche Bedeutsamkeit erhält er erst durch den Zu-
sammenhang mit den weiteren drei vorwiegend durch Fahrlässigkeit geprägten
Pflichtverstößen. Wiederholte Nachlässigkeiten und Fahrlässigkeiten im Um-
gang mit besonders wichtigen dienstlichen Sorgfaltspflichten lassen, je häufiger
sie auftreten, desto eher besorgen, dass sich Derartiges künftig auch bei ähn-
lich wichtigen Anlässen wiederholen wird. Auf die Dauer und als ein ständig
sich wiederholendes Verhalten ist dieses nicht hinzunehmen. Die Summe die-
ser Pflichtverstöße - hier: fünf Verstöße innerhalb eines Zeitraums von zweiein-
halb Jahren - ist es daher, die ihnen ihr eigentliches Gewicht verleiht. Sie legt
im Ausgangspunkt ein höheres Maß an disziplinarrechtlicher Ahndung nahe als
das außerdienstliche Dienstvergehen für sich betrachtet.
Dem stehen jedoch in Ansätzen positive persönliche Aspekte gegenüber, die
bei der Bemessung nicht gänzlich zu vernachlässigen sind. Unter Berücksichti-
gung der zuletzt endlich gezeigten besseren Leistungen - sie entsprechen jetzt
im Allgemeinen den Anforderungen - geht der Senat ungeachtet zwischenzeit-
lich erhobener weiterer Vorwürfe davon aus, dass der Beamte in der festen
partnerschaftlichen Beziehung, in der er jetzt lebt, nunmehr vermehrt Halt und
damit auch zu mehr Verantwortung gefunden hat. Dazu mag auch die inzwi-
schen erfolgte Wegversetzung von D. beigetragen haben. Von daher erschien
es dem Senat geboten aber auch ausreichend, dem Bedürfnis nach vermehrter
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Pflichtenmahnung insgesamt durch eine Gehaltskürzung im mittleren Bereich
Rechnung zu tragen. Ausgehend davon, dass sich der Rahmen für die Gehalts-
kürzung mit Blick auf das günstigere materielle Recht nach § 8 Abs. 1 Satz 1
BDG mit einer Laufzeit von längstens drei Jahren bestimmt (vgl. Urteil vom
8. September 2004 - BVerwG 1 D 18.03 - Buchholz 235.1 § 85 BDG Nr. 7, im
Anschluss an das Urteil vom 17. März 2004 - BVerwG 1 D 23.03 - BVerwGE
120, 218 <222>), hielt der Senat daher eine Gehaltskürzung von einem Zehntel
auf die Dauer von 18 Monaten für angemessen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 113 ff. BDO.
Albers Heeren Dr. Heitz
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Materielles Beamtendisziplinarrecht
Fachpresse: nein
Rechtsquellen:
BBG § 54 Satz 3, § 77 Abs. 1
BDG § 13 Abs. 1 und 2, § 85 Abs. 1, 3 und 7
Stichworte:
Auf das Disziplinarmaß beschränkte Berufung; Polizeimeister; teils innerdienst-
liches und teils außerdienstliches Dienstvergehen: Verkehrsunfallflucht, gerin-
ger Schaden; Verstoß gegen dienstliche Anordnungen (Lagerung der Dienst-
waffe); verspätetes Erscheinen am Einsatzort; Verschlafen im Hotel; nachlässi-
ge Dienstauffassung;
Disziplinarmaß: Kürzung der Dienstbezüge (ein Zehntel auf eine Dauer von
18 Monaten).
Urteil des Disziplinarsenats vom 5. Juli 2006 - BVerwG 1 D 5.05
I. VG … vom 30.11.2004 - Az.: VG 9 A 4/04 -