Urteil des BVerwG vom 11.11.2003

Postwertzeichen, Absicht, Zweckentfremdung, Zueignung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 1 D 5.03
BDiG XVI VL 11/02
In dem Disziplinarverfahren
g e g e n
den Posthauptsekretär ... ,
...,
hat das Bundesverwaltungsgericht, 1. Disziplinarsenat,
in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 11. November 2003,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht
A l b e r s ,
Richter am Bundesverwaltungsgericht
M a y e r ,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht
H e e r e n ,
Fernmeldebetriebsinspektorin B e s t
und Technischer Amtsinspektor P r i e t z e l
als ehrenamtliche Richter
sowie
Leitender Regierungsdirektor ...
für den Bundesdisziplinaranwalt,
Rechtsanwalt ...,
als Verteidiger,
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und
Justizangestellte ... ,
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Auf die Berufung des Posthauptsekretärs ... wird das Urteil
des Bundesdisziplinargerichts, Kammer XVI - ... -, vom
3. Dezember 2002 im Disziplinarmaß aufgehoben.
Die jeweiligen Dienstbezüge des Beamten werden um ein
Zwanzigstel auf die Dauer von zwei Jahren gekürzt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens und die dem Beamten
hierin erwachsenen notwendigen Auslagen werden dem Bund
auferlegt.
G r ü n d e :
I.
1. In dem ordnungsgemäß eingeleiteten Disziplinarverfahren hat der Bundesdiszipli-
naranwalt den Beamten angeschuldigt,
dadurch ein Dienstvergehen begangen zu haben, dass er - unter Verstoß ge-
gen einschlägige Dienstvorschriften -
1. in der Zeit vom Januar 1998 bis April 1999 in einer Vielzahl von Fällen unter
Erstellung von Buchungsbelegen über die Erstattung von Entgelten für Post-
wertzeichen seiner Schalterkasse Geldbeträge von insgesamt 2 000 DM ent-
nommen hat;
2. am 26. April 1999 seiner Schalterkasse weitere 2 000 DM ohne ordnungs-
gemäße Verbuchung entnommen hat.
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2. Das Bundesdisziplinargericht hat den Beamten durch Urteil vom 3. Dezember
2002 in das Amt eines Postobersekretärs (Besoldungsgruppe A 7) versetzt. Es hat
folgenden Sachverhalt festgestellt:
(Zu Anschuldigungspunkt 1.)
Der Beamte fiel auf, weil er unverhältnismäßig viele Belege über Barerstattun-
gen für verdorbene Postwertzeichen ausstellte. In der Zeit vom 7. Januar 1998
bis zum 1. April 1999 fertigte er ca. 170 Belege über Rückerstattungen von
insgesamt rd. 3 800 DM. Mit dem Verdacht der Veruntreuung konfrontiert, gab
er zu, in einzelnen Fällen "hier und da mal" mit fingierten Beträgen solche
Belege ausgestellt und Empfängerunterschriften gefälscht zu haben, um die
Kaffeekasse seiner Dienststelle zu entlasten oder kleinere Reparaturen am
Kopiergerät vornehmen lassen zu können. Der der Deutschen Post AG dabei
entstandene Schaden belaufe sich auf insgesamt etwa 50 bis 100 DM.
Da die Erstattungsbelege nur in Einzelfällen Angaben zur Person des Emp-
fängers enthalten, konnten nur wenige Empfänger zum Sachverhalt befragt
werden. Zum Teil erwiesen sich die Erstattungsbelege als korrekt, zum Teil
verstärkte sich der Verdacht fingierter Erstattung.
Der Beamte hat in der Hauptverhandlung vor dem Bundesdisziplinargericht
sein Verhalten wie folgt erklärt:
Der größte Teil der Erstattungsbelege sei völlig zu Recht gefertigt worden. Die
Buchungsbelege hätten aber nicht zur - unzulässigen - Auszahlung von Bar-
geld geführt, sondern nur dazu dienen sollen, im Buchungssystem ein Gutha-
ben zu erreichen, für das dann dem Postkunden für die vorgelegten verdorbe-
nen oder umzutauschenden Postwertzeichen neue Postwertzeichen ausge-
händigt werden konnten. Wenn er, wie er zugegeben habe, Geld zur Kaffee-
kasse gegeben oder für die Reparatur des Kopierers verwendet habe, habe es
sich um Bargeld gehandelt, das er aus dem Münzautomaten vor dem Postamt
entnommen habe. Dort habe es häufiger Betriebsstörungen gegeben und es
habe sich Bargeld verklemmt, für das keine Postwertzeichen ausgegeben
worden seien. Dieses überzählige Münzgeld habe er dann am Schalter für die
Kunden, die sich später beschwerten, bereitgelegt. Diese hätten dann
entweder ihr Geld zurückerhalten oder dafür Briefmarken bekommen. Nur
Geld, das dann übrig blieb, habe er für die genannten Zwecke verwendet.
Wenn dann aber nachträglich doch noch Kunden gekommen seien und für das
eingeworfene Geld Briefmarken hätten haben wollen, habe er falsche Er-
stattungsbelege ausgestellt, um im Buchungssystem das erforderliche Gutha-
ben für die Auszahlung an die Kunden oder die geforderten Briefmarken zu
erzielen. Die von der Staatsanwaltschaft "zur Wiedergutmachung" geforderten
2 000 DM habe er nur gezahlt, um das Strafverfahren zum Abschluss zu brin-
gen. Weder für sich noch für die genannten Zwecke habe er Geld in dieser
Höhe veruntreut.
Die Einlassung des Beamten ist durch das bisherige Ermittlungsergebnis nicht
widerlegt. Die Zahlung von 2 000 DM "als Wiedergutmachung" wie die im
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Vergleich zu Kollegen hohe Zahl von dem Beamten ausgestellter Erstattungs-
belege begründet zwar einen erheblichen Tatverdacht, reicht aber zur Über-
führung des Beamten nicht aus. Das Gericht hält vielmehr nur für erwiesen,
dass der Beamte zwischen 50 und 100 DM Postgeld, nämlich überzähliges
Geld aus dem Wertzeichenautomaten oder Geld, das nach Fertigung unrichti-
ger Erstattungsbelege aus der Kasse entnommen wurde, zur Besorgung von
Kaffee oder der Reparatur des dienstlichen Kopiergerätes verwendet hat.
(Zu Anschuldigungspunkt 2.)
Darüber hinaus steht fest, dass der Beamte am 26. April 1999, ohne die ent-
sprechende Auszahlung zu buchen, 2 000 DM auf eigene Kosten überwies
bzw. der Kasse in bar entnahm.
Der Beamte hat dies von Anfang an zugegeben. Er habe aber am 26. April
1999 lediglich vergessen gehabt, den bereits gefertigten und zur Kasse geleg-
ten Auszahlungsbeleg zu buchen, weil er durch großen Kundenandrang von
seiner Arbeit abgelenkt worden sei. Unmittelbar nach Kassenschluss habe er
das "Versehen" bemerkt und dies dem Kollegen G. berichtet. Der Zeuge G.
hat dies bestätigt und die Staatsanwaltschaft hat insoweit das Verfahren nach
§ 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
Auch das erkennende Gericht hält insoweit einen auf Veruntreuung von Kas-
sengeldern gerichteten Vorsatz nicht für erwiesen.
Das Bundesdisziplinargericht hat das Verhalten des Beamten disziplinarisch wie folgt
bewertet: Bei der zu 1. angeschuldigten und von ihm eingeräumten Zweckentfrem-
dung von im Gewahrsam der Post befindlichen und dieser zustehenden Geldern ha-
be der Beamte zwar nicht mit der Absicht rechtswidriger Zueignung gehandelt; auch
wenn er Geld zur in der Dienststelle geführten Kaffeekasse gegeben bzw. den Ko-
pierer reparieren lassen habe, sei dies nur mittelbar eigennützig gewesen. Ein Zu-
griffsdelikt sei daher zu verneinen. Soweit aber der Beamte Empfängerunterschriften
gefälscht habe, liege eine Urkundenfälschung nach § 267 StGB vor. Auch für das
weitere (zu 2.) angeschuldigte Verhalten des Beamten am 26. April 1999 scheide die
Annahme eines Zugriffsdelikts mangels Vorsatzes aus. Der Beamte habe jedoch
insoweit grob gegen die Kassenvorschriften und damit gegen dienstliche Anordnun-
gen im Sinne des § 55 Satz 2 BBG verstoßen. Insgesamt gesehen habe der Beamte
mit dem zu beiden Anschuldigungspunkten festgestellten Verhalten auch ein ach-
tungs- und vertrauenswidriges Verhalten gezeigt und dadurch ein innerdienstliches
Dienstvergehen nach § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG begangen, das ihn insbesondere mit
Blick auf das zum ersten Punkt angeschuldigte Verhalten und den dabei über lange
Zeit gezeigten eigenmächtigen und pflichtwidrigen Umgang mit Geldern der Post an
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den Rand seiner dienstlichen Tragbarkeit gebracht habe. Von einer Dienstentfernung
habe lediglich mit Blick auf die fehlende Vorbelastung, die sehr günstige dienstliche
Beurteilung, die sehr großzügige, über den nachzuweisenden Schaden hinausge-
hende Erstattung gegenüber der Post und die fast drei Jahre währende Belastung
durch Dienstverbot und Suspendierung abgesehen werden können. Auch sei dem
Beamten die gezeigte Reue abzunehmen, so dass insgesamt noch ein Rest an
dienstlichem Vertrauen ein Belassen im Dienst gerechtfertigt habe. Auf eine Maß-
nahme mit Außenwirkung, also die ausgesprochene Dienstgradherabsetzung, habe
hingegen wegen der nachhaltigen Minderung des Ansehens und auch deshalb nicht
verzichtet werden können, um die Kollegen vor einem ähnlichen Verhalten zu war-
nen.
3. Gegen dieses Urteil hat der Beamte rechtzeitig Berufung eingelegt und beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils auf eine mildere Disziplinarmaßnahme
zu erkennen. Er begründet dies wie folgt: Die entlastenden Gesichtspunkte seien
vom Gericht zu gering gewichtet und insbesondere das Persönlichkeitsbild des Be-
amten nicht angemessen berücksichtigt worden. Zu keinem Zeitpunkt habe er Ur-
kundenfälschungen begangen. Er sei seit mehr als einem Jahr wieder mit den dienst-
lichen Tätigkeiten betraut worden, die er vor dem Dienstverbot verrichtet habe, unter
anderem auch mit Kassengeschäften. Das ihm damit entgegengebrachte Vertrauen
habe er einschränkungslos gerechtfertigt. Daraus sei auch der Schluss zu ziehen,
dass es sich um ein wesensfremdes, einmaliges Ausgleiten und nicht um ein charak-
terlich verwurzeltes Versagen gehandelt habe.
II.
Die Berufung des Beamten hat Erfolg. Sie führt zur Abänderung des erstinstanzli-
chen Ausspruchs im Disziplinarmaß.
1. Das Disziplinarverfahren ist auch nach In-Kraft-Treten des Bundesdisziplinarge-
setzes (BDG) nach bisherigem Recht, das heißt nach den Verfahrensregeln und
-grundsätzen der Bundesdisziplinarordnung (BDO) fortzuführen (vgl. z.B. Urteil vom
20. Februar 2002 - BVerwG 1 D 19.01 - NVwZ 2002, 1515).
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2. Das Rechtsmittel ist auf das Disziplinarmaß beschränkt. Der Senat ist daher an die
Tat- und Schuldfeststellungen des Bundesdisziplinargerichts sowie an die disziplinar-
rechtliche Würdigung als innerdienstliches Dienstvergehen gebunden; er hat nur
noch über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden.
3. Das Bundesdisziplinargericht hat zum ersten Anschuldigungspunkt das Vorliegen
eines sog. Zugriffsdelikts verneint, weil der Beamte nicht in der Absicht einer rechts-
widrigen Zueignung gehandelt habe. Daran ist der Senat gebunden. An die rechtliche
Würdigung, ob ein Zugriffsdelikt vorgelegen hat oder nicht, ist das Berufungsgericht
zwar nicht gebunden. Wird aber die Absicht rechtswidriger Zueignung und damit
jedwedes Eigentums- oder Vermögensdelikt vom Bundesdisziplinargericht verneint,
so kann sich der Senat über die Verneinung eines Zueignungsdelikts bei einer auf
das Disziplinarmaß beschränkten Berufung des Beamten nicht hinwegsetzen. Ande-
renfalls würde er die Bindung an die Tatsachenfeststellungen des Bundesdisziplinar-
gerichts zur subjektiven Tatseite missachten. Ist hier daher vom Fehlen einer Absicht
rechtswidriger Zueignung bzw. vom Fehlen des Zueignungswillens auszugehen, so
lässt sich in der Tat das Vorliegen eines Zugriffsdelikts nicht begründen; dieses setzt
die Feststellung der unberechtigten Verwendung dienstlich erlangter oder anvertrau-
ter bzw. dienstlich zugänglicher Gelder für private Zwecke oder wenigstens die Fest-
stellung einer entsprechenden Absicht voraus (vgl. Urteile vom 23. Oktober 1996
- BVerwG 1 D 55.96 - BVerwGE 113, 8 <9 f.>, und vom 27. September 2000
- BVerwG 1 D 63.99 -; vgl. auch Beschluss des BVerfG vom 14. Juni 2000 - 2 BvR
993/94 - ZBR 2001, 208 <209 f.>).
Das Bundesdisziplinargericht hat im Rahmen seiner disziplinarrechtlichen Bewertung
zum ersten Anschuldigungspunkt weiterhin Folgendes ausgeführt: "Soweit der Be-
amte Empfängerunterschriften fälschte, beging er allerdings auch noch Urkundenfäl-
schung nach § 267 Strafgesetzbuch". Darin liegt keine Würdigung eines festgestell-
ten Sachverhalts als Dienstvergehen. Ein derartiger Zusammenhang lässt sich nicht
erkennen. Der Satz steht in Bezug auf das Thema "Urkundenfälschung" in dem die
rechtliche Würdigung enthaltenen Teil der Urteilsgründe isoliert da. Das "Soweit"
macht nur einen Sinn, wenn es einen Bezugspunkt in den Tatsachenfeststellungen
fände. Dort aber ist im Anschluss an die tatsächliche Würdigung, dass die Einlassung
des Beamten durch das Ergebnis der Hauptverhandlung nicht widerlegt sei, lediglich
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von der "Fertigung unrichtiger Erstattungsbelege" die Rede (S. 5 d.U.). Die
diesbezügliche Einlassung des Beamten selbst wurde zuvor (S. 4 d.U.) auch nur mit
dem Inhalt wiedergegeben, "er (habe) falsche Erstattungsbelege ausgestellt". Von
einer "Fälschung von Empfängerunterschriften" ist hier also nicht die Rede. Die "Fer-
tigung unrichtiger" bzw. die "Ausstellung falscher" Erstattungsbelege konnte aber
auch in der Weise geschehen, dass sie der Beamte - wie er behauptet - von Kunden
unterschreiben ließ. Hält das Bundesdisziplinargericht die Einlassung des Beamten
für nicht widerlegt, so liegen folglich auch Tatsachenfeststellungen, welche die An-
nahme einer Urkundenfälschung (hier: durch Fälschung von Empfängerunterschrif-
ten) rechtfertigen könnten, nicht vor. Da darüber hinaus Urkundenfälschungen im
erstinstanzlichen Urteil auch bei den Erwägungen zum Disziplinarmaß nicht andeu-
tungsweise erwähnt werden, muss der Senat den genannten Satz als einen nur bei-
läufigen Hinweis werten. Das Bundesdisziplinargericht hat sich wahrscheinlich des-
halb auf einen solchen Hinweis beschränkt, weil im Anschuldigungssatz zu 1. sogar
nur von einer "Erstellung von Buchungsbelegen" (ohne Zusätze wie "unrichtig" oder
"falsch") die Rede ist. Es spricht daher viel dafür, dass Urkundenfälschungen über-
haupt nicht angeschuldigt waren.
Zum Disziplinarvorwurf zu 2 hat das Bundesdisziplinargericht einen auf Veruntreuung
von Kassengeldern gerichteten Vorsatz nicht für erwiesen erachtet. Daran ist der
Senat gebunden.
4. Hiernach verbleibt als Fehlverhalten, das dem vom Bundesdisziplinargericht an-
genommenen innerdienstlichen Dienstvergehen zugrunde liegt, allein die von ihm
zum ersten Anschuldigungspunkt festgestellte Zweckentfremdung von im Gewahr-
sam der Post befindlichen sowie ihr auch zustehenden Geldern unter Vertuschung
durch Kassenmanipulationen vermittels unrichtiger Belege. Die belastenden Ge-
sichtspunkte dieses Fehlverhaltens hat das Bundesdisziplinargericht zutreffend ge-
würdigt (a). Jedoch hat das Gericht nicht alle in Betracht zu ziehenden Milderungs-
gründe hinreichend berücksichtigt; sie rechtfertigen eine mildere Disziplinarmaß-
nahme (b).
a) Das Dienstvergehen wiegt allerdings in der Tat schwer. Schon in der nicht mate-
riell eigennützigen Zweckentfremdung und Nichtverbuchung von dienstlichen Gel-
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dern, die der Kasse hätten zugeführt werden müssen, sieht die Rechtsprechung ein
derart schwerwiegendes Dienstvergehen, das entweder die disziplinare Höchstmaß-
nahme oder aber eine Disziplinarmaßnahme erfordert, welche den Rahmen unter-
halb der Höchstmaßnahme annähernd ausschöpft (vgl. Urteile vom 27. September
2000 - BVerwG 1 D 63.99 -, vom 27. Juli 1994 - BVerwG 1 D 66.93 - und vom
16. März 1982 - BVerwG 1 D 13.81 - ZBR 1983, 211). Mit derartigen Manipulationen
verstößt ein Kassen- oder Rechnungsführer gegen elementare Grundsätze des Kas-
sen-, Rechnungs- und Haushaltswesens, versagt er also im Kernbereich seiner
Pflichten; denn mit derartigen Aufgaben betraut, ist er zur wahrheitsgemäßen Füh-
rung der Kasse und der Kassenunterlagen verpflichtet. Gerade auf das Vertrauen in
Redlichkeit und Zuverlässigkeit seiner im Kassenwesen tätigen Beamten ist der
Dienstherr in besonderem Maße angewiesen. Er kann dies nicht durch ständige
Überprüfung ersetzen, schon weil lückenlose Kontrollen mit dem Prinzip effektiver
und sparsamer Erfüllung der Aufgaben öffentlicher Verwaltung nicht vereinbar sind.
Deshalb muss es möglich sein, jederzeit einen klaren Überblick über den augenblick-
lichen Kassenbestand zu gewinnen: Herkunft, Bestand und Anrechte in Bezug auf
amtliches Kassengeld müssen sich stets zutreffend und klar aus den Kassenunterla-
gen ersehen lassen. Wer sich an diese Grundsätze nicht hält, gefährdet schon allein
dadurch die Vermögensinteressen des Dienstherrn, dass diesem die Möglichkeiten
zu sicherem Überblick und genauer Überprüfung genommen werden. Einem Zugriff
auf den nicht durch Buchung gesicherten Teil eines Kassenbestandes würde zudem
Tür und Tor geöffnet, da sich dieser Teil jeder Kontrolle entzieht. Das alles muss je-
dem Kassenführer einleuchten. Insbesondere können auch insoweit keine Irrtümer
aufkommen, als die hier in Rede stehenden Postgelder nicht dazu bestimmt sind und
auch nicht bestimmt sein können, gemeinsame Kaffeekassen der Beschäftigten in
der Poststelle aufzubessern.
b) Die Dauer und Vielzahl der Verstöße gegen elementare Grundsätze des Kassen-
wesens sowie eine damit verbundene, wenn auch nur im geringen Umfange einge-
räumte Schädigung des Dienstherrn lassen zwar das für die Fortführung des Beam-
tenverhältnisses notwendige Vertrauen in den Beamten als angeschlagen erschei-
nen. Von der Höchstmaßnahme oder einer Dienstgradherabsetzung ist aber ange-
sichts der vorhandenen erheblichen Milderungsgründe abzusehen.
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Zu dem Disziplinarvorwurf zu 1 hat der Beamte im Vorermittlungsverfahren einge-
räumt, im Zusammenhang mit Postwertzeichenerstattungen habe er lediglich einen
Schaden von 50 bis 100 DM verursacht. Auch das Bundesdisziplinargericht hat eine
Zweckentfremdung von Geldern nur in dieser Höhe festgestellt. Nach dem Grundsatz
in dubio pro reo geht auch der Senat davon aus, dass der von dem Beamten zu
verantwortende Betrag 100 DM nicht übersteigt. Dem Beamten ist daher der Milde-
rungsgrund der Geringwertigkeit zuzubilligen. Dieser erstmals durch Urteil vom
24. November 1992 - BVerwG 1 D 66.91 - (BVerwGE 93, 314 = NJW 1994, 210
= BVerwG DokBer B 1993, 119) zugelassene Milderungsgrund gestattet bei Zugriffs-
delikten ein Absehen von der Entfernung aus dem Dienst, wenn der Wert des
Zugriffsobjektes gering ist und durch das Dienstvergehen keine weiteren wichtigen
öffentlichen oder privaten Interessen verletzt sind. Der Senat hat den geringen Wert
in der Vergangenheit mit etwa 50 DM angenommen, ohne dadurch eine starre Gren-
ze festzusetzen, wie es auch den Grundsätzen zu § 248 a StGB entsprach. Nunmehr
nimmt der Senat diesen Wert mit etwa 50 € an (vgl. Urteil vom 11. Juni 2002
- BVerwG 1 D 31.01 - BVerwGE 116, 308 = NVwZ 2003, 108); denn auch bei einem
Zugriff auf einen Wert von 50 € liegen grundsätzlich noch vertrauenserhaltene Per-
sönlichkeitselemente, eine noch vorhandene Hemmschwelle und ein häufig vermin-
dertes Unrechtsbewusstsein vor im Gegensatz zu einem ungehemmten Zugriff auf
höhere Werte. Dieser Milderungsgrund greift nicht nur bei Zugriffsdelikten, sondern
erst recht auch bei Kassendelikten der hier vorliegenden Art. Darüber hinaus hat der
Beamte die ohnehin nur geringfügige Schädigung des Dienstherrn in Gestalt einer
Aufbesserung der Kaffeekasse durch einen Teil des eingeräumten Betrags von 50
bis 100 DM - wenn auch dies auf Verlangen der Staatsanwaltschaft und zur Abwen-
dung eines Strafverfahrens geschah - überobligatorisch wieder gutgemacht, indem er
an die Deutsche Post AG mit 2 000 DM einen Betrag zahlte, der nach Auffassung
der Staatsanwaltschaft in etwa den Gesamtschaden abdeckte, der unter Berücksich-
tigung der nach ihrer Auffassung nach nicht nachzuweisenden Taten eingetreten
war. Außerdem ist der Beamte disziplinarisch nicht vorbelastet; seine dienstlichen
Leistungen werden günstig beurteilt. Er ist zwischenzeitlich auch wieder mit der Lei-
tung einer Poststelle betraut worden. Zugunsten des Beamten kann ferner berück-
sichtigt werden, dass er nahezu drei Jahre lang (vom 27. April 1999 bis zum
18. Februar 2002) suspendiert war. Dieser Gesichtspunkt kann jedenfalls dann mil-
dernd berücksichtigt werden, wenn eine Entfernung aus dem Dienst nicht mehr in
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Betracht kommt (vgl. Urteil vom 27. Juli 1994 - BVerwG 1 D 66.93 -). Eine nachhalti-
ge Suspendierung verstärkt die erzieherische Wirkung der noch auszusprechenden
Disziplinarmaßnahme und verringert das Bedürfnis nach einer Maßnahme mit Au-
ßenwirkung.
Nach alledem ist es gerechtfertigt, von einer Dienstentfernung oder einer Degradie-
rung abzusehen und den Beamten mit einer Kürzung seiner jeweiligen Dienstbezüge
um ein Zwanzigstel auf die Dauer von zwei Jahren zu belegen (zum Kürzungsbruch-
teil vgl. Urteil vom 21. März 2001 - BVerwG 1 D 29.00 - BVerwGE 114, 88 f.).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 113 f. BDO.
Albers Richter am Bundesverwaltungs- Heeren
gericht Mayer ist wegen Urlaubs
gehindert zu unterschreiben.
Albers
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Materielles Beamtendisziplinarrecht
Fachpresse: nein
Rechtsquellen:
BBG § 55 Satz 2; § 77 Abs. 1 Satz 1
StGB § 267
Stichworte:
Posthauptsekretär; Nichtverbuchung dienstlicher Gelder; "Sponsoring" einer Kaffee-
kasse im Dienst; Milderungsgrund der Geringwertigkeit; überobligatorische Wieder-
gutmachung; dreijährige Suspendierung; Disziplinarmaß: Kürzung der Dienstbezüge.
Urteil des 1. Disziplinarsenats vom 11. November 2003 - BVerwG 1 D 5.03
I. BDiG, Kammer XVI - ... -, vom 03.12.2002 - Az.: BDiG XVI VL 11/02 -