Urteil des BVerwG vom 18.05.2004

Zusammenwirken, Firma, Verwaltung, Unterschlagung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 1 D 31.03
BDiG V VL 32/02
In dem Disziplinarverfahren
g e g e n
den Bundesbahnobersekretär a.D. ... ,
...,
hat das Bundesverwaltungsgericht, Disziplinarsenat,
in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 18. Mai 2004,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesverwaltungsgericht
M a y e r als Vorsitzender,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht
H e e r e n ,
Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. M ü l l e r ,
Bundesbahnbetriebsinspektorin S o m m e r r e i ß e r und
Postbetriebsinspektorin M a n d e r y
als ehrenamtliche Richterinnen
sowie
Regierungsdirektor ...,
als Vertreter der Einleitungsbehörde,
Rechtsanwalt ...,
als Verteidiger,
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und
Justizangestellte ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Die Berufung des Bundesbahnobersekretärs a.D. ... gegen
das Urteil des Bundesdisziplinargerichts, Kammer V - ... -, vom
26. September 2003 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
G r ü n d e :
I.
1. In dem ordnungsgemäß eingeleiteten förmlichen Disziplinarverfahren hat der
Bundesdisziplinaranwalt den ... Ruhestandsbeamten angeschuldigt, dadurch ein
Dienstvergehen begangen zu haben, dass er
mit anderen gemeinschaftlich im Zeitraum 17.01.1995 bis 14.11.1996 in
69 Fällen 1 736 Europaletten und 329 Gitterboxen für 25 149,00 DM veräu-
ßerte und somit im aktiven Dienst eine Unterschlagung zum Nachteil des
Dienstherrn begangen hat.
2. Das Bundesdisziplinargericht hat dem Ruhestandsbeamten durch Urteil vom
26. September 2003 das Ruhegehalt aberkannt und ihm einen Unterhaltsbeitrag in
Höhe von 75 v.H. seines Ruhegehalts auf die Dauer von 12 Monaten bewilligt. Es hat
seiner Entscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 BDO folgende tatsächliche Feststel-
lungen im rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts N. vom 24. Januar 2000 zugrunde
gelegt:
"Der Angeklagte O. war im Tatzeitraum als Kraftfahrer für die Firma B. in N.,
... tätig. Der Angeklagte H. war ebenfalls im Zeitraum 24.08.1994 bis
14.11.1996 bei der Firma Ba. in N., ... als Lagerist tätig. Der Angeklagte A.
war als Chef des Angeklagten H. bis 12.01.1995 im Lager der Ba. in N. tätig,
danach nahm diesen Posten der Angeklagte K. ein.
Im Zeitraum vom 19.05.1994 bis 14.11.1996 verkaufte der Angeklagte O. bei
der Firma Sch. in N., ..., insgesamt in 96 Fällen 2.624 Europaletten und
575 Gitterboxen im Gesamtwert von 137.839,00 DM für 41.185,00 DM. Der
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Angeklagte O. wusste dabei, dass er nicht dazu berechtigt war, die Europa-
letten und Gitterboxen zu verkaufen. Er wusste, dass die Transportmittel
nicht ihm gehören würden.
Im Zeitraum vom 24.08.1994 bis 14.11.1996 handelte der Angeklagte O. im
bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem Angeklagten H., d.h., in
insgesamt 89 Fällen bezüglich 2.362 Europaletten und 497 Gitterboxen in
einem Gesamtwert von 120.761,50 DM, die für 47.313,00 DM verkauft wur-
den.
Im Zeitraum vom 24.08.1994 bis 12.01.1995, d.h. in 20 Fällen bei 626 Euro-
paletten und 168 Gitterboxen in einem Gesamtwert von 37.846,50 DM, wobei
ein Erlös von 11.082,00 DM erzielt wurde, handelten die Angeklagten O. und
H. im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem Angeklagten A.
In der Zeit vom 17.01.1995 bis 14.01.1996 handelten die Angeklagten O. und
H. im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit den Angeklagten K.
Der Angeklagte K. war somit in 69 Fällen bezüglich 1.736 Europaletten und
329 Gitterboxen in einem Wert von 82.915,00 DM beteiligt.
Insoweit wurde ein Erlös von 36.231,00 DM erzielt."
Wegen der im Strafurteil aufgeführten Einzelfälle wird auf die Aufstellung im Urteil
des Bundesdisziplinargerichts verwiesen.
Das Bundesdisziplinargericht hat keine Gründe für einen Lösungsbeschluss gemäß
§ 18 Abs. 1 Satz 2 BDO gesehen. Der Ruhestandsbeamte habe ihm anvertraute Eu-
ropaletten und Gitterboxen unterschlagen und hierdurch gegen die ihm obliegenden
Pflichten zur vollen Hingabe an seinen Beruf, zur uneigennützigen Verwaltung seines
Amtes sowie zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 54 Sätze 1 bis 3
BBG) sowie zur Beachtung dienstlicher Anordnungen (§ 55 Satz 2 BBG) verstoßen.
Er habe ein Dienstvergehen gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG begangen, das wegen
des Fehlens anerkannter Milderungsgründe bei einem aktiven Beamten zur Entfer-
nung aus dem Dienst habe führen müssen, was bei einem Ruhestandsbeamten zur
Aberkennung des Ruhegehalts führe.
3. Gegen dieses Urteil hat der Ruhestandsbeamte rechtzeitig Berufung eingelegt und
beantragt, auf eine mildere Disziplinarmaßnahme zu erkennen. Zur Begründung wird
ausgeführt, die Vorinstanz habe nicht berücksichtigt, dass er kurz vor Begehung des
Dienstvergehens eine Alkoholentzugstherapie beendet gehabt habe. Dies sei den
Tatbeteiligten auch bekannt gewesen, die seine - des Ruhestandsbeamten - Labilität
ausgenutzt und ihn entsprechend unter Druck gesetzt hätten. Aufgrund seiner
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körperlichen Verfassung sei er nicht in der Lage gewesen, sich gegen das Ansinnen
seiner Kollegen zur Wehr zu setzen. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass der
Tatzeitraum nunmehr nahezu zehn Jahre zurückliege, ohne dass er sich danach
noch etwas habe zu Schulden kommen lassen.
II.
Die Berufung hat keinen Erfolg.
Das Disziplinarverfahren ist nach bisherigem Recht, d.h. auch nach In-Kraft-Treten
des Bundesdisziplinargesetzes nach den Verfahrensregeln und -grundsätzen der
Bundesdisziplinarordnung fortzuführen (vgl. zum Übergangsrecht z.B. Urteil vom
20. Februar 2002 - BVerwG 1 D 19.01 - NVwZ 2002, 1515).
1. Das Rechtsmittel ist auf die Disziplinarmaßnahme beschränkt. Der Ruhestands-
beamte macht lediglich Gesichtspunkte geltend, die für die Bemessung der Diszipli-
narmaßnahme von Bedeutung sein können. Damit sind der objektive und subjektive
Tatbestand des Dienstvergehens und die disziplinarrechtliche Würdigung für den
Senat bindend festgestellt. Dem Senat war es deshalb verwehrt, entsprechend der
Einlassung des Ruhestandsbeamten vor dem Senat die genaue Herkunft jedenfalls
eines Teils der Europaletten zu klären. Aufgrund offensichtlicher Schreibfehler im
Strafurteil geht der Senat lediglich davon aus, dass der den Ruhestandsbeamten
betreffende Anschuldigungszeitraum sich vom 17. Januar 1995 bis 14. November
1996 erstreckt und eine Addition der ihn betreffenden 69 Fälle einen Erlös in Höhe
von 25 149 DM ergibt.
Nach den bindenden Feststellungen des Bundesdisziplinargerichts waren die Euro-
paletten und Gitterboxen dem Ruhestandsbeamten anvertraut. Es hat deshalb der
Sache nach eine Unterschlagung von Beförderungsgut und damit ein einem Zugriffs-
delikt gleichstehendes Dienstvergehen angenommen, das grundsätzlich zur Verhän-
gung der Höchstmaßnahme führt, sofern nicht ein von der Rechtsprechung aner-
kannter Milderungsgrund vorliegt.
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Auch wenn diese Rechtsauffassung unzutreffend wäre und eine Unterschlagung zum
Nachteil des Dienstherrn vorgelegen hätte, wäre die Rechtsfolge dieselbe. Eine
Gleichstellung mit einem Zugriffsdelikt liegt nach ständiger Rechtsprechung des Se-
nats auch dann vor, wenn Beamte aus von ihnen zu bewachenden Lagern, Kassen
oder Behältnissen Gegenstände entwenden oder wenn sie sonst Diebstahl zum
Nachteil der Verwaltung oder ihrer Kollegen unter Missbrauch einer ihnen übertrage-
nen Überwachungs- oder Obhutsfunktion begangen haben (vgl. zuletzt Urteil vom
3. Juli 2002 - BVerwG 1 D 11.01 -). Derartige Obhutspflichten oblagen dem Ruhe-
standsbeamten. Er war nach dem Angeklagten A. Chef im Lager der Ba. in N. ge-
worden. Er hat im Strafverfahren eingeräumt, mit der büromäßigen Verwaltung der
Transportmittel (Europaletten und Gitterboxen) zu tun gehabt zu haben. Der Ruhe-
standsbeamte nahm, wie er ebenfalls im Strafverfahren zugestanden hat, falsche
Eintragungen in den Geschäftsbüchern vor. Durch diese Manipulationen wurde auf
dem Papier ein Überschuss an Gitterboxen und Europaletten erwirtschaftet, durch
Verkauf in Gewinne umgewandelt und unter den Beteiligten aufgeteilt.
Die vom Ruhestandsbeamten mit der Berufung geltend gemachten Milderungsgrün-
de sind nicht geeignet, zu einem Absehen von der Höchstmaßnahme zu führen. Er
war zur Tatzeit trockener Alkoholiker. Nach eigener Aussage hatte er 1991 eine Al-
koholentziehungskur durchgeführt. Entgegen seinem Berufungsvorbringen gibt es
keine Anhaltspunkte dafür, dass eine auf Alkoholismus beruhende Labilität des Ru-
hestandsbeamten ausgenutzt wurde, er unter Druck gesetzt worden ist und aufgrund
seiner körperlichen Verfassung nicht in der Lage gewesen wäre, sich gegenüber ei-
nem Ansinnen seiner Kollegen zur Wehr zu setzen. Seine Entziehungskur lag zur
Tatzeit immerhin schon vier Jahre zurück. Der Mittäter O. hat im Strafverfahren aus-
gesagt, mit dem Ruhestandsbeamten sei das Geschäft genau so weitergelaufen wie
vorher mit dem Mitarbeiter A. Er habe den Ruhestandsbeamten auf keinen Fall zum
Mitmachen animiert. Er habe erst später erfahren, dass H. unter Beteiligung des Ru-
hestandsbeamten die Transportmittelschiebereien weitergemacht habe, was ihn sehr
überrascht habe, da er nie geglaubt habe, dass der Ruhestandsbeamte, der auf dem
gesamten Gelände unbeliebt gewesen sei, derartiges mitmachen würde. Der Ruhe-
standsbeamte habe nämlich im Stückgutzentrum eine gewisse Autorität genossen.
Hieraus ergibt sich, dass der Ruhestandsbeamte aus freien Stücken in die Schiebe-
reien mit Paletten eingestiegen ist.
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Der lange Zeitablauf zwischen Tatbegehung und disziplinarer Verurteilung kann je-
denfalls in den Fällen, die grundsätzlich zur disziplinaren Höchstmaßnahme führen,
nicht in dem Sinne milder berücksichtigt werden, dass die Verhängung der Höchst-
maßnahme unzulässig wäre.
Mit der Bewilligung des Unterhaltsbeitrags durch die Vorinstanz hat es sein Bewen-
den. Insoweit wird auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil verwiesen, auch
zur Möglichkeit einer vorzeitigen Verberentung. Der Ruhestandsbeamte wird jedoch
nochmals darauf hingewiesen, dass er sich im Bewilligungszeitraum ernsthaft darum
zu bemühen hat, eine ihm zumutbare, gegebenenfalls auch einfachere neue Be-
schäftigung zu finden. Zu den ernsthaften Bemühungen gehört insbesondere, dass
er sich unverzüglich bei dem für ihn zuständigen Arbeitsamt als Arbeitsuchender
meldet, sich gleich von Anfang an ständig mehrmals pro Woche auf Stellenangebote
hin bewirbt und dass er auch selbst Bewerbungen in entsprechenden Medien (z.B.
Zeitung, Internet) aufgibt. Vergebliche Bemühungen um die Erlangung eines neuen
Arbeitsplatzes muss er durch Vorlage von nachprüfbaren schriftlichen Belegen - dazu
gehören z.B. Durchschriften von Bewerbungen, Absagen, Ausdrucke von E-Mails,
Angabe von Zeitpunkt und Anschriften der Firmen, bei denen er sich nur mündlich
beworben hat - gegenüber dem zuständigen Verwaltungsgericht glaubhaft machen.
Er muss sich sozusagen täglich um eine neue Arbeit oder sonstige Erwerbsquelle
bemühen und seine vergeblichen Bemühungen wenigstens zweimal pro Woche
nachweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 114 Abs. 1 Satz 1 BDO.
Mayer Heeren Müller
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Materielles Beamtendisziplinarrecht
Fachpresse: nein
Rechtsquellen:
BBG § 54 Sätze 2 und 3, § 55 Satz 2, § 77 Abs. 1 Satz 1
Stichworte:
Bundesbahnbeamter a.D. des mittleren Dienstes; Veräußerung anvertrauter Europa-
letten und Gitterboxen im Wert von über 25 000 DM; bestehende Obhutspflichten;
keine anzuerkennenden Milderungsgründe; Disziplinarmaß: Aberkennung des Ru-
hegehalts.
Urteil des Disziplinarsenats vom 18. Mai 2004 - BVerwG 1 D 31.03
I. BDiG, Kammer V - ... -, vom 26.09.2003 - Az.: BDiG V VL 32/02 -