Urteil des BVerwG vom 11.03.2003

Einstellung des Verfahrens, Bares Geld, Amtliche Eigenschaft, Kapitän

H I N W E I S
Beschlüsse und Urteile der Disziplinarsenate und der Wehrdienstsenate
des Bundesverwaltungsgerichts - ebenso wie die Entscheidungen des e-
hemaligen Bundesdisziplinarhofs - ergehen in einem Verfahren, in dem
kraft Gesetzes im Interesse der Betroffenen die Öffentlichkeit in der Regel
ausgeschlossen ist. In den Verfahren wird regelmäßig auch der Inhalt der
nicht-öffentlichen Personalakten erörtert und bei den Entscheidungen be-
rücksichtigt. Zum Schutz berechtigter Interessen der betroffenen Personen
und Dienststellen bedürfen die Entscheidungen daher vertraulicher Be-
handlung.
Eine Veröffentlichung der Entscheidungen wird im Allgemeinen nur aus-
zugsweise in Betracht kommen. Falls Sie eine Veröffentlichung beabsich-
tigen, empfiehlt es sich, über die Fassung ein Einvernehmen mit dem Vor-
sitzenden des Senats herbeizuführen, der die Entscheidung getroffen hat.
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 1 D 22.02
BDiG VII VL 7/02
In dem Disziplinarverfahren
g e g e n
den Polizeiobermeister im Bundesgrenzschutz
... ,
...,
hat das Bundesverwaltungsgericht, 1. Disziplinarsenat,
in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 11. März 2003,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht
A l b e r s ,
Richter am Bundesverwaltungsgericht
M a y e r ,
Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. H. M ü l l e r ,
Hauptlokomotivführer Michael S c h m i t t
und Zollhauptsekretärin Heike D ü r i n g
als ehrenamtliche Richter
sowie
Leitender Regierungsdirektor ...
für den Bundesdisziplinaranwalt,
Rechtsanwalt ...,
als Verteidiger,
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und
Justizangestellte ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:
Die Berufung des Bundesdisziplinaranwalts gegen
das Urteil des Bundesdisziplinargerichts, Kam-
mer VII - ... -, vom 14. Mai 2002 wird zurück-
gewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens einschließ-
lich der dem Polizeiobermeister im Bundesgrenz-
schutz ... hierin erwachsenen notwendigen Aus-
lagen werden dem Bund auferlegt.
G r ü n d e :
I.
1. In dem ordnungsgemäß eingeleiteten förmlichen Disziplinar-
verfahren hat der Bundesdisziplinaranwalt den am ... in ...
geborenen Beamten angeschuldigt, dadurch ein Dienstvergehen
begangen zu haben, dass er
am 22. Februar 2000 gegen 17.45 Uhr an Bord des
Schiffes "..." nach dem Abstempeln der Landgangs-
scheine der Besatzung des Schiffes vom Kapitän ei-
ne Stange unversteuerte und unverzollte Zigaretten
im Marktwert von 50 DM angenommen und für sich be-
halten hat.
2. Das Bundesdisziplinargericht hat das Disziplinarverfahren
durch Urteil vom 14. Mai 2002 eingestellt. Es hat seiner Ent-
scheidung gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 BDO folgende tatsächliche
Feststellungen im rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts ...
vom 30. Oktober 2000, mit dem der Beamte wegen Steuerhinter-
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ziehung in Tateinheit mit Vorteilsnahme zu einer Geldstrafe
von 40 Tagessätzen zu je 80 DM verurteilt worden war, zugrunde
gelegt:
"Die Angeklagten (D. und der Beamte, erg.) führten
am 22. Februar 2000 gemeinsam eine Schiffsein-
gangskontrolle des griechischen Getreideschiffes
"..." durch, vorschriftsmäßig mit je einer Schuss-
waffe bewaffnet. Der Angeklagte ... war als Hospi-
tant in der Dienststelle des Angeklagten D. tätig.
In der Kapitänskajüte stellte der Angeklagte D. in
Anwesenheit des gesondert verfolgten Kapitäns K.
und eines weiteren Besatzungsmitgliedes die not-
wendigen 19 Landgangsausweise für die visums-
pflichtigen philippinischen Besatzungsmitglieder
aus, als der Zeuge H. um 17.45 Uhr hinzutrat, um
als Zollbeamter die Zollabfertigung durchzuführen.
Nachdem der Angeklagte D. um 18.10 Uhr dem Kapitän
K. die Landgangsscheine übergeben hatte, übergab
der Kapitän K. jedem der Angeklagten eine Stange
unversteuerte und unverzollte Zigaretten der Marke
"Marlboro". Beide Angeklagten zeigten dies nicht
ihrem Dienstgruppenleiter B. an. Beiden Angeklag-
ten war auch bewusst, dass sie die Zigaretten ver-
steuern mussten. Gleichwohl taten sie dies nicht
und verkürzten dadurch insgesamt Steuern in Höhe
von 49,99 DM pro Stange."
Im erstinstanzlichen Verfahren hat der Beamte vorgetragen, er
habe bei der fraglichen Aktion keine eigenen Amtshandlungen
vornehmen können. Er sei nur als Hospitant anwesend gewesen.
Die Situation sei für ihn vollkommen neu und die Umstände zur
Annahme von Zigaretten ausgesprochen überraschend gewesen. Er
sei passionierter Nichtraucher und habe die Zigaretten mit
Blick auf die Dominanz seines Streifenführers angenommen. Er
habe als Gast und Hospitant hier nicht als Besserwisser auf-
treten wollen. Auch habe sich das Geschehen unter den Augen
des zuständigen Zollbeamten abgespielt. Später habe er seinen
Dienstgruppenleiter nicht unterrichtet, da er sich in einem
Gewissenskonflikt befunden habe. Durch die Bekanntgabe des
Sachverhalts hätte er zugleich seinen Streifenführer "an-
schwärzen" müssen. Deshalb habe er die Zigaretten "in geeigne-
ter Form entsorgt".
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Das Bundesdisziplinargericht hat die Handlungsweise des Beam-
ten als Verstoß gegen die sich aus § 70 BBG ergebende Pflicht,
Belohnungen und Geschenke in Bezug auf sein Amt nur mit Zu-
stimmung der obersten Dienstbehörde anzunehmen, verstoßen.
Hierdurch habe er zugleich die Pflichten aus § 54 Satz 2 und 3
BBG verletzt. Er habe vorsätzlich ein Dienstvergehen gemäß
§ 77 Abs. 1 Satz 1 BBG begangen, das grundsätzlich schwer wie-
ge. Aufgrund vorliegender Milderungsgründe wäre jedoch nur ei-
ne Gehaltskürzung in Betracht gekommen, deren Verhängung § 14
BDO entgegengestanden habe.
3. Gegen dieses Urteil hat der Bundesdisziplinaranwalt recht-
zeitig eine auf das Disziplinarmaß beschränkte Berufung einge-
legt und beantragt, den Beamten unter Aufhebung des erstin-
stanzlichen Urteils in das Amt eines Polizeimeisters der Be-
soldungsgruppe A 7 zu versetzen. Das Rechtsmittel wird im We-
sentlichen wie folgt begründet:
Das Bundesdisziplinargericht verkenne, dass der Beamte zusam-
men mit seinem Kollegen in amtlicher Eigenschaft Landgangs-
scheine der Schiffsbesatzung abzustempeln gehabt habe, um der
Mannschaft die Möglichkeit zu geben, an Land zu gehen. Hierbei
handele es sich um eine Tätigkeit, die zu der mit hoheitlichen
Machtmitteln ausgestatteten speziellen Aufgabenstellung des
Beamten gehöre. Gerade hier komme es im besonderen Maße auf
eine unparteiische, gerechte und uneigennützige Amtsführung
an, um auch nur den Anschein zu vermeiden, als wäre er in sei-
ner dienstlichen Tätigkeit durch Gefälligkeiten beeinflussbar
oder verfolge bei seiner Amtsführung persönliche Interessen.
Der Missbrauch einer solchen Amtsstellung habe auch erschwe-
rende Auswirkungen auf die disziplinare Einstufung des Dienst-
vergehens.
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In seiner Berufungserwiderung trägt der Beamte vor, er sei
dienstlich sonst mit seemännisch/nautischen Aufgaben auf einem
Polizeiboot betraut. Im Tatzeitraum sei er lediglich zur Hos-
pitation dem Bundesgrenzschutzamt ... zugewiesen worden, damit
er dort im Rahmen einer internen Fortbildung die Aufgaben der
benachbarten Behörde kennen lernen könne. Er sei zu keinem
Zeitpunkt berechtigt gewesen, dienstliche Handlungen vorzuneh-
men oder diese eigenverantwortlich anzuordnen.
II.
Die Berufung des Bundesdisziplinaranwalts hat keinen Erfolg.
Das Bundesdisziplinargericht hat zu Recht das Verfahren gemäß
§ 76 Abs. 3, § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 i.V.m. § 14 BDO einge-
stellt.
Das Disziplinarverfahren ist nach bisherigem Recht, d.h. auch
nach In-Kraft-Treten des Bundesdisziplinargesetzes nach den
Verfahrensregeln und –grundsätzen der Bundesdisziplinarordnung
fortzuführen (vgl. zum Übergangsrecht z.B. Urteil vom
20. Februar 2002 – BVerwG 1 D 19.01 - NVwZ 2002, 1515).
Das Rechtsmittel ist auf die Disziplinarmaßnahme beschränkt.
Der Senat ist deshalb an die Tat- und Schuldfeststellungen des
Bundesdisziplinargerichts sowie an die vorgenommene diszipli-
narrechtliche Würdigung der festgestellten Pflichtverletzung
als innerdienstliches Dienstvergehen gebunden. Er hat nur noch
über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats zur unerlaubten
Geschenkannahme ist die selbstlose, uneigennützige, auf keinen
Vorteil bedachte Führung der Dienstgeschäfte eine der wesent-
lichen Grundlagen des Berufsbeamtentums. Das Vertrauen der Öf-
fentlichkeit in seine Integrität trägt entscheidend zur Funk-
tionsfähigkeit des Gemeinwesens bei. Ein Beamter, der in Bezug
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auf sein Amt Belohnungen oder Geschenke annimmt, setzt das An-
sehen der Beamtenschaft herab und gefährdet das Vertrauen sei-
ner Behörde und der Allgemeinheit in seine Zuverlässigkeit. Er
erweckt hierdurch gleichzeitig den Verdacht, für Amtshandlun-
gen allgemein käuflich zu sein und sich bei seinen Dienstge-
schäften nicht an sachlichen Erwägungen zu orientieren, son-
dern sich auch von der Rücksicht auf den ihm zugesagten, ge-
währten oder geforderten Vorteil leiten zu lassen. Dies kann
im Interesse einer geordneten und sachlich orientierten Ver-
waltung und im Interesse des allgemeinen Rechtsstaatsbewusst-
seins im demokratischen Gemeinwesen nicht hingenommen werden.
Im Falle der Annahme von Belohnungen oder Geschenken in Bezug
auf das Amt bestimmt sich die Einstufung des Dienstvergehens
nach den Umständen des Einzelfalls. Die Verhängung der Höchst-
maßnahme kommt in der Regel dann in Betracht, wenn der Beamte
die ihm als Äquivalent des angebotenen, geforderten oder ge-
währten Vorteils angesonnene pflichtwidrige Amtshandlung tat-
sächlich vorgenommen oder wenn er bares Geld angenommen hat
und durchgreifende Milderungsgründe fehlen (vgl. zu allem Ur-
teil vom 20. Februar 2002 - BVerwG 1 D 19.01 - a.a.O. und in-
soweit auch Buchholz 232 § 70 BBG Nr. 11 = DÖD 2002, 280). Die
strafrechtliche Qualifikation solchen Verhaltens als Vorteils-
annahme (§ 331 StGB) oder Bestechlichkeit (§ 332 StGB) ist
hierbei nicht maßgeblich (Urteil vom 24. November 1993
- BVerwG 1 D 61.92 - DokBer B 1994, 93). Es kann deshalb offen
bleiben, ob der Beamte entgegen der Auffassung des Amtsge-
richts ... überhaupt eine Vorteilsannahme begehen konnte. Als
Hospitant hat er keine Handlungen vorgenommen, die zu seinen
dienstlichen Obliegenheiten gehörten und seine amtliche Eigen-
schaft betrafen (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 51. Aufl., Rn. 7
zu § 331). Der Bundesdisziplinaranwalt ist für seine mit der
Berufungsschrift vorgetragene gegenteilige Behauptung, die den
tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts ... wider-
spricht, jeglichen Beweis schuldig geblieben.
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Nach der Rechtsprechung des Senats erforderliche erschwerende
Momente, die eine Entfernung aus dem Dienst oder wenigstens
eine Degradierung als angemessen erscheinen lassen, liegen
nicht vor. Der Beamte hat weder Bargeld angenommen, noch eine
pflichtwidrige Amtshandlung als Äquivalent für die Stange Zi-
garetten vorgenommen. Dem Beamten ist im Gegenteil in Überein-
stimmung mit der Bewertung des Bundesdisziplinargerichts bei
der Annahme der einen Stange Zigaretten zugute zu halten, dass
er mit der Situation plötzlich konfrontiert wurde. Ihm ist
auch abzunehmen, dass er sich in einem Gewissenskonflikt be-
fand und gegenüber dem zuständigen Streifenführer und der
gastgebenden Dienststelle nicht als Denunziant auftreten woll-
te. Es handelt sich daher um eine einmalige und persönlich-
keitsfremde Tat des Beamten. Darüber hinaus ist der Wert des
angenommenen Geschenks äußerst gering. Das Dienstvergehen des
Beamten hätte höchstens die Verhängung einer Gehaltskürzung
erforderlich gemacht. Von der Verhängung einer Degradierung
ist das ihm zur Last gelegte Dienstvergehen weit entfernt.
Auch wenn grundsätzlich bei der Bekämpfung der Korruption be-
reits den Anfängen zu wehren ist, muss jedes Fehlverhalten
nach individuellen Maßstäben und darf nicht nach präventiven
Gesichtspunkten geahndet werden.
Der Verhängung einer Gehaltskürzung steht jedoch die Vor-
schrift des § 14 BDO entgegen. Nach dieser Vorschrift darf we-
gen desselben Sachverhalts, der Grundlage der Verhängung einer
gerichtlichen Strafe war, eine Gehaltskürzung nur ausgespro-
chen werden, wenn dies zusätzlich erforderlich ist, um den Be-
amten zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten und das Anse-
hen des Beamtentums zu wahren. Beide Voraussetzungen müssen
kumulativ vorliegen.
Zur Pflichtenmahnung ist die Verhängung einer zusätzlichen
Disziplinarmaßnahme nur ausnahmsweise dann zulässig, wenn die
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Verfehlung zu der Befürchtung Anlass gibt, dass der Beamte
trotz der bereits gegen ihn verhängten Sanktion erneut gegen
seine Dienstpflichten verstoßen werde. Voraussetzung ist damit
die konkrete Befürchtung, der Beamte werde sich auch künftig
nicht seinen Pflichten entsprechend verhalten. Eine solche
Prognose macht eine Beurteilung der Person des Beamten, seines
bisherigen Werdeganges und seines dabei gezeigten Verhaltens
im Beamtenverhältnis erforderlich (stRspr, vgl. etwa Urteil
vom 24. Februar 1999 - BVerwG 1 D 31.98 -). Vorliegend gibt es
keinerlei Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer zusätzli-
chen Pflichtenmahnung. Der Beamte ist nicht einschlägig vorbe-
lastet. Es handelte sich um eine persönlichkeitsfremde Tat.
Dies kommt insbesondere auch in seiner außergewöhnlich positi-
ven dienstlichen Beurteilung zum Ausdruck. Es ist auch nicht
angezeigt, durch eine nicht gerechtfertigte Berufungseinlegung
faktisch den Wirkungen einer Degradierung aufgrund der sich
aus § 9 Abs. 3 Satz 1 BDO ergebenden Beförderungssperre nahe
zu kommen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 114 Abs. 1 Satz 2, § 115
Abs. 3 Satz 1 BDO.
Albers
Mayer
Müller
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Materielles Beamtendisziplinarrecht
Fachpresse:
nein
Rechtsquellen:
BBG § 54 Sätze 2 und 3, § 70, § 77 Abs. 1 Satz 1
BDO § 14
Stichworte:
Polizeiobermeister im BGS; Tätigkeit als Hospitant auf einem
Schiff; keine Vornahme dienstlicher Handlungen; Annahme einer
Stange Zigaretten vom Kapitän eines Schiffes; unerlaubte Ge-
schenkannahme; Einstellung des Verfahrens wegen § 14 BDO.
Urteil des 1. Disziplinarsenats vom 11. März 2003
- BVerwG 1 D 22.02 -
I. BDiG, Kammer VII - ... -, vom 14.05.2002
– Az.: BDiG VII VL 7/02 -