Urteil des BVerwG vom 16.03.2004

Sexuelle Belästigung, Beleidigung, Post, Strafurteil

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IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 1 D 15.03
VG 37 K 31/04. BDG (vormals BDiG XVI VL 13/02)
In dem Disziplinarverfahren
g e g e n
den Leitenden Postdirektor ... ,
...,
hat das Bundesverwaltungsgericht, Disziplinarsenat,
in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 16. März 2004,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht
A l b e r s ,
Richter am Bundesverwaltungsgericht
M a y e r ,
Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. M ü l l e r ,
Postoberrat R o l l e r
und Polizeikommissar im BGS N o w a k
als ehrenamtliche Richter
sowie
Postdirektor ... , Deutsche Post AG,
als Vertreter der Einleitungsbehörde,
Rechtsanwalt ...,
als Verteidiger,
Ministerialrat ... ,
für den Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht,
- 2 -
Justizangestellte ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Auf die Berufung des Leitenden Postdirektors ... wird das Ur-
teil des Bundesdisziplinargerichts, Kammer XVI - ... -, vom
26. Februar 2003 aufgehoben.
Der Beamte wird freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens und die dem Beamten hierin er-
wachsenen notwendigen Auslagen hat der Bund zu tragen.
G r ü n d e :
I.
1. Der Bundesdisziplinaranwalt hat den ... Beamten, der seit 1. Januar 1996 unter
Wegfall der Besoldung vom Dienst beurlaubt und im außertariflichen Angestellten-
verhältnis für die Deutsche Post AG tätig ist, angeschuldigt, dadurch ein Dienstver-
gehen begangen zu haben,
dass er sich in seiner Eigenschaft als Leiter der Niederlassung ... R. am
7. Dezember 1998 bei einem dienstlichen Gespräch in seinen Büroräumen
gegenüber der ihm unterstellten Postobersekretärin ... W., Mitarbeiterin in
seinem Vorzimmer, einer Beleidigung schuldig gemacht und damit den
Betriebsfrieden empfindlich gestört sowie darüber hinaus als Vorgesetzter
versagt hat.
In einem vorangegangenen Strafverfahren war der Beamte angeklagt worden, durch
zwei selbständige Handlungen gegenüber den Mitarbeiterinnen P. und W. jeweils
eine sexuelle Nötigung begangen zu haben. Mit Urteil vom 7. September 2000
sprach das Amtsgericht - Bezirks-Schöffengericht - ... den Beamten von beiden Vor-
würfen frei. Der Beamte habe sich zwar gegenüber der Zeugin W. einer Beleidigung
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schuldig gemacht. Insoweit liege aber kein Strafantrag vor. Nur dieser Beleidigungs-
fall ist Gegenstand des vorliegenden Disziplinarverfahrens. Das Strafurteil wurde
nach Rücknahme der von den Nebenklägerinnen P. und W. sowie von der Staats-
anwaltschaft eingelegten Berufungen am 26. Januar 2001 rechtskräftig.
2. Das Bundesdisziplinargericht hat durch Urteil vom 26. Februar 2003 entschieden,
dass die Dienstbezüge des Beamten auf die Dauer von 36 Monaten um 1/10 gekürzt
werden. Es sah sich an der Durchführung des Disziplinarverfahrens nicht durch § 17
Abs. 5 BDO gehindert, da der Freispruch lediglich wegen eines Prozesshindernisses
erfolgt sei, und hat den Disziplinarvorwurf als erwiesen angesehen. Der angeschul-
digte Sachverhalt ergebe sich zwar nicht gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 BDO aufgrund
bindender tatsächlicher Feststellungen des Strafurteils; er stehe jedoch fest aufgrund
der in der Hauptverhandlung verlesenen glaubhaften Aussagen der Zeuginnen W.,
P., H., Ha. und He. Der Beamte habe durch sein Fehlverhalten, das zugleich eine
sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 2 BeschSchG dar-
stelle, vorsätzlich gegen seine Dienstpflichten gemäß § 54 Satz 3 BBG verstoßen.
Das Dienstvergehen, das wegen der Beurlaubung des Beamten außerdienstlich im
Sinne des § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG begangen worden sei, habe erhebliches Gewicht
und mache als nachdrückliche Erziehungsmaßnahme den Ausspruch einer länger-
fristigen Gehaltskürzung erforderlich.
3. Hiergegen hat der Beamte durch seinen Verteidiger rechtzeitig Berufung eingelegt
und schriftsätzlich beantragt, das Verfahren auszusetzen und die Anschuldigungs-
schrift an den Bundesdisziplinaranwalt zurückzugeben, hilfsweise die Sache an eine
andere Kammer des Bundesdisziplinargerichts zurückzuverweisen, weiter hilfsweise
ihn, den Beamten, freizusprechen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen das Vor-
liegen schwerer Verfahrensmängel geltend gemacht. Seine Anhörung sei in der Un-
tersuchung auf das Strafurteil beschränkt gewesen, obwohl dessen tatsächlichen
Feststellungen keine Bindungswirkung zukomme. Zu Unrecht sei von einer notwen-
digen Sachverhaltsaufklärung im Hinblick auf die von der Zeugin W. behauptete Be-
leidigung abgesehen worden. In der Anschuldigungsschrift würden Vorwürfe erho-
ben, von denen er rechtskräftig freigesprochen worden sei. Das Bundesdisziplinarge-
richt habe Zeugenaussagen verwertet, die nicht einmal in der Anschuldigungsschrift
erwähnt seien und zu denen er sich im Disziplinarverfahren zu keinem Zeitpunkt ha-
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be äußern können. Da seine Beweisanträge ebenfalls zu Unrecht abgelehnt worden
seien, wiederhole er seine nicht erledigten Beweisanträge aus dem zweit-
instanzlichen Strafverfahren und beantrage ferner, seine ehemaligen Mitarbeiterin-
nen L., S. H. und Ha. sowie den ehemaligen Mitarbeiter B. zu näher benannten Be-
weisthemen als Zeugen zu vernehmen.
Nachdem der Senat die Beweisanträge in der Hauptverhandlung gemäß § 244
Abs. 3 Satz 2 StPO i.V.m. § 25 BDO durch Beschluss wegen Bedeutungslosigkeit
zurückgewiesen hatte, hat der Beamte durch seinen Verteidiger keine weiteren Be-
weisanträge gestellt. Er beantragt, freigesprochen zu werden, da er ein außerdienst-
liches Dienstvergehen nicht begangen habe.
II.
Die Berufung hat Erfolg. Das Bundesdisziplinargericht hat gegen den Beamten zu
Unrecht eine Gehaltskürzung verhängt. Es hätte ihn mangels Vorliegens eines au-
ßerdienstlichen Dienstvergehens freisprechen müssen, und zwar gemäß § 76 Abs. 2
BDO. Die Vorschriften der Bundesdisziplinarordnung sind hier maßgeblich. Denn das
Disziplinarverfahren ist auch nach In-Kraft-Treten des Bundesdisziplinargesetzes am
1. Januar 2002 nach bisherigem Recht, d.h. nach den Verfahrensregeln und
-grundsätzen der Bundesdisziplinarordnung fortzuführen (vgl. zum Übergangsrecht
z.B. Urteil vom 20. Februar 2002 - BVerwG 1 D 19.01 - NVwZ 2002, 1515).
Das Rechtsmittel ist unbeschränkt eingelegt. Der Beamte bestreitet, ein Dienstverge-
hen begangen zu haben und beantragt deshalb Freispruch. Der Senat hat daher den
Sachverhalt selbst festzustellen und disziplinarisch zu würdigen.
1. Der Senat hat folgenden Geschehensablauf ermittelt:
a) Der Beamte war zum Tatzeitpunkt Niederlassungsleiter ... in R.. Sein Vorzimmer
wurde von Frau Ha. betreut. Urlaubsvertreterinnen waren in dieser Zeit mehrere Da-
men, zuletzt Posthauptsekretärin P. und Postobersekretärin W.. Am 7. Dezember
1998 (Montag), als Frau W. Vorzimmerdienst hatte und am Schreibtisch saß, trat der
Beamte auf sie zu und redete auf sie ein. Es ging um Meinungsverschiedenheiten
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aus Anlass der Bearbeitung eines dienstlichen Vorgangs durch Frau W. in der Vor-
woche. Während des Gesprächs klemmte der stehende Beamte mit seinen Beinen
die Beine der - ihm zugekehrt - vor ihm sitzenden Mitarbeiterin ein. Noch vor Ende
des Gesprächs gab der Beamte die Beine von Frau W. frei, trat neben sie, beugte
sich plötzlich über sie und griff ihr an die linke Brust. Die Mitarbeiterin war wie ge-
lähmt. Der Beamte verließ dann das Vorzimmer, wobei er fragte, ob jetzt alles geklärt
sei; sollte sie, Frau W., beim nächsten Mal nicht, wie besprochen, reagieren, "werde
er sie über das Knie legen".
Frau W. suchte anschließend unverzüglich die Frauenbeauftragte, Frau N., auf und
berichtete ihr von dem Vorfall. Diese ging dann allein zu dem Beamten, um mit ihm
die Angelegenheit zu besprechen. Später suchten Frau W. und Frau N. den Beamten
gemeinsam auf. Seine dabei zum Ausdruck gebrachte Entschuldigung nahm Frau W.
nicht an. Sie beendete mit sofortiger Wirkung ihre Vorzimmertätigkeit bei dem Beam-
ten.
Aus Anlass des vorliegenden Sachverhalts wurde der Beamte unter Aufrechterhal-
tung seiner Beurlaubung mit Wirkung vom 6. Januar 1999 zu einer anderen Dienst-
stelle der Deutschen Post AG - ... - in B. versetzt.
b) Die vorstehenden Sachverhaltsfeststellungen beruhen auf den zum Gegenstand
der Hauptverhandlung gemachten Beweismitteln, hinsichtlich des Vorfalls vom
7. Dezember 1998 auf den protokollierten Aussagen der Postobersekretärin W. vom
19. Mai 1999 und vom 7. September 2000, die diese als Zeugin im polizeilichen Er-
mittlungsverfahren sowie in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht ... gemacht
hat und die deshalb im Disziplinarverfahren gemäß § 21 Abs. 1 Satz 2 BDO ohne
nochmalige Vernehmung der Zeugin verwertet werden dürfen.
aa) Der Vornahme eigener Sachverhaltsfeststellungen steht der strafgerichtliche
Freispruch nicht entgegen. Dieser entfaltet keine Sperrwirkung für die Fortsetzung
des Disziplinarverfahrens. Ein Prozesshindernis gemäß § 17 Abs. 5 BDO liegt nicht
vor. Nach dieser Vorschrift kann, wenn der Beamte im gerichtlichen Verfahren wegen
einer Straftat freigesprochen wird, wegen der Tatsachen, die Gegenstand der ge-
richtlichen Entscheidung waren, ein Disziplinarverfahren nur fortgesetzt werden,
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wenn diese Tatsachen, ohne den Tatbestand einer Strafvorschrift oder einer Buß-
geldvorschrift zu erfüllen, ein Dienstvergehen enthalten. Nach der ständigen Recht-
sprechung des Senats (vgl. zuletzt Urteil vom 6. Juni 2000 - BVerwG 1 D 66.98 -
DÖD 2000, 290 = DokBer B 2000, 299 m.w.N.) beschränkt sich die Anwendbarkeit
der Vorschrift auf (echte) Freisprüche aus materiellrechtlichen Gründen, d.h. auf die
Fälle, in denen das Strafgericht die vorgeworfene Tat nicht für erwiesen oder den
objektiven oder subjektiven Tatbestand aus Rechtsgründen nicht für erfüllt hält, weil
z.B. ein Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgrund vorliegt. Ein solcher Fall
ist hier gerade nicht gegeben. Ein Vorwurf der Beleidigung war weder Gegenstand
der Anklage noch des Eröffnungsbeschlusses und soweit auch nicht des Frei-
spruchs.
bb) Der Senat ist an eigenständigen Sachverhaltsfeststellungen und damit an der
unmittelbaren Verwertung der Aussagen der Zeugin W. nicht durch eine Bindung an
die tatrichterlichen Feststellungen im Urteil des Amtsgerichts ... vom 7. September
2000 gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 BDO gehindert. Nach dieser Vorschrift sind die tat-
sächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils, auf denen die Entschei-
dung beruht, in einem sachgleichen Disziplinarverfahren u.a. für das Disziplinarge-
richt bindend. Diese Bindungsregelung legitimiert sich aus dem grundsätzlich berech-
tigten Vertrauen in die Richtigkeit derjenigen Feststellungen eines Strafgerichts, über
die nach Prozessregeln in einer Hauptverhandlung (vollständig) Beweis erhoben
worden ist, wobei es aus der Sicht des Strafrichters für seine Entscheidung auch auf
diese Feststellungen ankommen muss. Demzufolge lösen z.B. Einstellungsurteile der
Strafgerichte (Senatsurteile vom 8. April 1986 - BVerwG 1 D 145.85 - BVerwGE 83,
180 und vom 14. Mai 1986 - BVerwG 1 D 157.85 - DokBer B 1986, 209) und Strafbe-
fehle (Senatsurteile vom 16. Juni 1992 - BVerwG 1 D 11.91 - BVerwGE 93, 255 und
vom 7. November 2000 - BVerwG 1 D 16.99 -; zum wehrdisziplinargerichtlichen Ver-
fahren vgl. Urteil vom 1. Dezember 1987 - BVerwG 2 WD 66.87 - BVerwGE 83,
373 ff.; zum anwaltsgerichtlichen Verfahren vgl. BGH, NJW 1999, 2288 ff.) keine
Bindungswirkung aus.
Grundsätzlich können auch die Tatsachenfeststellungen in sachgleichen freispre-
chenden Strafurteilen unter die Bindungswirkung gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 BDO
fallen, wenn und soweit diese auf einer vollständigen Prüfung der Tat- und Schuld-
- 7 -
frage beruhen (Senatsurteil vom 21. März 1974 - BVerwG 1 D 1.74 -) oder wenn das
freisprechende Strafurteil darauf beruht, dass - etwa im Falle eines persönlichen
Strafaufhebungsgrundes - Tat und Täterschaft des Beamten feststehen (Senatsurteil
vom 6. Juni 2000 - BVerwG 1 D 66.98 - a.a.O.: Freispruch wegen § 371 AO). Ein sol-
cher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Dies ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass
der Beamte zu keinem Zeitpunkt einen der Vorwürfe eingeräumt, er vielmehr zur
Sache geschwiegen hat. Die Anklage beruhte auf dem Vorwurf sexueller Nötigung in
zwei Fällen (§ 177 Abs. 1 Nr. 1, 3, § 53 StGB). Von beiden Vorwürfen wurde der
Beamte freigesprochen. Mit Blick auf den fehlenden Strafantrag war ein Vorwurf der
Beleidigung weder Gegenstand der Anklage noch des Eröffnungsbeschlusses. Bei
den Ausführungen des Amtsgerichts zur Beleidigung im Strafurteil handelt es sich um
ein obiter dictum. Die Gefahr, dass sich das Strafgericht bei den aus seiner Sicht
nicht tragenden Feststellungen zu einer im Verhalten des Beamten zu sehenden
Beleidigung der Zeugin W. nicht in demselben Maße von der sonst gebotenen Sorg-
falt hat leiten lassen wie bei solchen, die das Ergebnis tragen, ist nicht von der Hand
zu weisen. So lässt sich der im Strafurteil enthaltene Passus:
"... und griff ihr plötzlich von oben in den Ausschnitt an den Busen ..."
den protokollierten Aussagen der Zeugin W. nicht entnehmen. Dort ist nur von einem
Griff an die (linke) Brust die Rede. Vor allem entbehren die strafgerichtlichen Sach-
verhaltsausführungen zum Vorliegen einer Beleidigung insoweit einer abschließen-
den Prüfung, als im Anschluss an die Aussage der Zeugin W. auf die Vernehmung
der geladenen und anwesenden tatort- und tatzeitnächsten Zeugin N. - im allseitigen
Einverständnis - verzichtet worden ist. Es handelt sich daher insgesamt nur um eine
kursorische Würdigung des verfügbaren Beweismaterials.
cc) Der Senat hat keine Bedenken, der Schilderung des Vorfalls vom 7. Dezember
1998 durch die Zeugin W. zu folgen. Ihre Aussagen, die sie zuletzt in der Hauptver-
handlung vor dem Amtsgericht gemacht hat, sind glaubhaft. Die Zeugin hat dabei im
Wesentlichen ihre früheren schriftlichen Äußerungen im Rahmen postinterner Ermitt-
lungen sowie ihre Aussagen im polizeilichen Ermittlungsverfahren sachlich wider-
spruchsfrei und in zurückhaltender Form wiederholt. Der Beamte hat der Schilderung
der Zeugin W. auch nichts Erhebliches entgegengesetzt. Bei der Vernehmung der
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Zeugin vor dem Amtsgericht waren der Beamte und sein Verteidiger zugegen. Der
Beamte hat zur Sache keine Aussagen gemacht. Das ist sein Recht. Allerdings hat
er sich damit der Möglichkeit begeben, der Zeugin zu widersprechen, um die Glaub-
haftigkeit ihrer Aussagen zu erschüttern und damit auf das Beweisergebnis Einfluss
zu nehmen. Sein Verteidiger hat sich im Strafverfahren nur zu anderen gegen den
Beamten gerichteten Vorwürfen geäußert und hat Beweisanträge nicht zum Fall W.,
sondern zum Fall P. sowie zur Glaubwürdigkeit dieser weiteren Zeugin - und ande-
rer - gestellt. Der Beamte und sein Verteidiger haben auch zu keinem Zeitpunkt die
Vernehmung der Frauenbeauftragten N. als tatort- und tatzeitnächster Zeugin bean-
tragt. Nach Angaben der Zeugin W. hat sich der Beamte ihr gegenüber in Anwesen-
heit von Frau N. entschuldigt; Frau N. drängte sich also als Zeugin für die Richtigkeit
der Behauptung der Zeugin W. förmlich auf. Eine Entschuldigung ist regelmäßig das
Eingeständnis, sich falsch verhalten zu haben. Diesem ihn belastenden Umstand ist
der Beamte, obwohl die Aussage der Zeugin in seinem Beisein und im Beisein sei-
nes Verteidigers erfolgte, nicht durch einen entsprechenden Beweisantrag entge-
gengetreten, und zwar selbst dann nicht, als seine früheren, vor dem Senat wieder-
holten Beweisanträge zurückgewiesen und ihm die Gründe dafür mitgeteilt worden
waren.
Der Senat hält ebenso wie zuletzt das Landgericht ... als strafgerichtliche Berufungs-
instanz die Zeugin W. auch für glaubwürdig; er hat deshalb keine Veranlassung ge-
sehen, zur Überprüfung ihrer Glaubwürdigkeit Frau N. von Gerichts wegen als Zeu-
gin anzuhören. Zwar hat die Zeugin W. zusammen mit der Zeugin P. als Nebenklä-
gerin Berufung gegen das freisprechende Strafurteil eingelegt. Dieser Umstand allein
macht ihre Aussagen jedoch nicht unglaubhaft. Es gibt keine Anhaltspunkte für ein
unberechtigtes Verfolgungsinteresse der Zeugin. Vielmehr hat sie die Wahrheitsliebe
über dieses Verfolgungsinteresse gestellt. Ihre sachlich zurückhaltenden Aussagen
haben dazu geführt, dass die Strafgerichte in beiden Instanzen den angeklagten
Verbrechenstatbestand der sexuellen Nötigung verneinen mussten. Letztlich ist so-
gar eine Verurteilung wegen Beleidigung unterblieben, weil die Zeugin bewusst kei-
nen Strafantrag gegen den Beamten gestellt hat.
2. Der Senat hat den Beamten vom Vorwurf, ein außerdienstliches Dienstvergehen
im Sinne des § 54 Satz 3 i.V.m. § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG begangen zu haben, freige-
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sprochen.
Das disziplinarrechtlich zu beurteilende Verhalten des Beamten betrifft seinen au-
ßerdienstlichen Pflichtenkreis. Der Beamte war zur Tatzeit (7. Dezember 1998) ge-
mäß § 13 Abs. 1 SUrlV i.V.m. § 4 Abs. 3 PostPersRG unter Wegfall der Besoldung
vom Dienst beurlaubt und wurde mittels privatrechtlichen Anstellungsvertrages bei
der Deutschen Post AG weiterbeschäftigt. Nach allgemeinen beamtenrechtlichen
Grundsätzen hat die Beurlaubung eines Beamten vor allem zur Folge, dass dieser
für den betreffenden Zeitraum von der ihm obliegenden Dienstleistungspflicht befreit
ist; eine Dienstpflichtverletzung eines beurlaubten Beamten kann sich deshalb aus
Rechtsgründen nur als außerdienstliches Dienstvergehen im Sinne des § 77 Abs. 1
Satz 2 BBG darstellen (stRspr, z.B. Urteil vom 3. September 2003 - BVerwG 1 D
4.03 - m.w.N.). Demgegenüber bleibt das Treue- und Loyalitätsverhältnis zum
Dienstherrn uneingeschränkt bestehen. Der Beamte bleibt beamtenrechtlich pflicht-
gebunden, soweit sich aus der Natur und Art des Urlaubs nichts anderes ergibt. Ins-
besondere unterliegt er weiter den sich aus § 54 Satz 3 BBG ergebenden Dienst-
pflichten zu achtungs- und vertrauensgerechtem Verhalten außerhalb des Dienstes
(vgl. Urteil vom 3. September 2003 a.a.O.).
Der Beamte hat durch das außerdienstliche "Busengrapschen" seine Dienstpflichten
gemäß § 54 Satz 3 BBG nicht verletzt. Nach dieser Vorschrift muss das Verhalten
eines Beamten auch außerhalb des Dienstes der Achtung und dem Vertrauen ge-
recht werden, die sein Beruf erfordert. Dabei ist nach der neueren Senatsrechtspre-
chung (z.B. Urteil vom 12. Dezember 2001 - BVerwG 1 D 4.01 - ZBR 2002, 398
= NVwZ 2002, 1519 = DokBer B 2002, 135 m.w.N.) bei der Prüfung des § 54 Satz 3
BBG die Regelung des § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG konkretisierend zu berücksichtigen.
Nach der letztgenannten Vorschrift ist ein Verhalten des Beamten außerhalb des
Dienstes ein Dienstvergehen, wenn es nach den Umständen des Einzelfalles in be-
sonderem Maße geeignet ist, Achtung und Vertrauen in einer für sein Amt oder das
Ansehen des Beamtentums bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Die Erforder-
nisse des Berufs im Sinne von § 54 Satz 3 BBG ergeben sich aus dem "Amt" des
Beamten und dem "Ansehen" des Beamtentums im Sinne von § 77 Abs. 1 Satz 2
BBG. Die Tatbestandsmerkmale "Amt" und "Ansehen" sind daher, weil das Merkmal
"die sein Beruf erfordert" ausfüllend, bereits bei der Prüfung zu würdigen, ob eine
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Pflichtverletzung im Sinne von § 54 Satz 3 BBG vorliegt. Unter "Amt" im Sinne von
§ 77 Abs. 1 Satz 2 BBG ist dabei das Amt im konkret-funktionellen Sinn zu verstehen
(vgl. Urteil vom 8. Mai 2001 - BVerwG 1 D 20.00 - BVerwGE 114, 212 <216>
m.w.N.). Da in den Fällen der Beurlaubung vom Dienst - wie hier - ein konkret-
funktionelles Amt nicht mehr gegeben ist, kann unter diesen Umständen eine außer-
dienstliche Pflichtwidrigkeit grundsätzlich nur dadurch in Betracht kommen, dass das
Verhalten des Beamten das berufserforderliche Ansehen des Beamtentums beein-
trächtigt hat oder zumindest geeignet ist, es zu beeinträchtigen (vgl. Urteil vom 8. Mai
2001 a.a.O. <217 f.>).
Nach der Rechtsprechung des Senats dient die Wahrung des "Ansehens des Beam-
tentums" der Erhaltung der Grundlagen eines allgemeinen Vertrauens in eine rechts-
staatliche gesetzestreue Verwaltung. Der Beamte darf das Vertrauen, dass er die-
sem Auftrag gerecht wird, nicht beeinträchtigen (vgl. Urteil vom 12. Dezember 2001
a.a.O.), z.B. durch außerdienstliches Verhalten, das eine Verletzung seiner Treue-
und Loyalitätspflichten gegenüber dem Dienstherrn (vgl. Beschluss vom 24. Oktober
2002 - BVerwG 1 DB 10.02 - Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 33 = ZBR 2003, 94
= DokBer B 2003, 57) darstellt. Davon kann hier aber nicht ausgegangen werden.
Der beurlaubte Beamte hat freilich als Angestellter der Deutschen Post AG die dort
beschäftigte Beamtin W. am Arbeitsplatz sexuell belästigt und dadurch gegen seine
arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 und 2, § 2 Abs. 2 und 3
BeschSchG). Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist jedes vorsätzliche, sexuell
bestimmte Verhalten, das die Würde von Beschäftigten am Arbeitsplatz verletzt. Da-
zu gehören u.a. sexuell bestimmte körperliche Berührungen - wie hier der vorsätzli-
che Griff an die Brust der Zeugin W. -, die von der Betroffenen erkennbar abgelehnt
werden (§ 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 2 BeschSchG). Im innerdienstlichen Be-
reich stellt ein solches Fehlverhalten eines Beamten in der Regel zugleich einen vor-
sätzlichen Verstoß gegen § 54 Satz 3 BBG dar (vgl. z.B. Urteil vom 4. April 2001
- BVerwG 1 D 15.00 - Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 27).
Im außerdienstlichen Bereich - wie hier - kommt es jedoch im Rahmen der Prüfung
der Voraussetzungen des § 54 Satz 3 i.V.m. § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG für die Frage
der Beeinträchtigung des Ansehens des Beamtentums allein darauf an, ob in dem
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Verstoß gegen das Beschäftigtenschutzgesetz zugleich eine Verletzung der Treue-
und Loyalitätspflichten gegenüber dem Dienstherrn gesehen werden kann. Das ist zu
verneinen. Zwar ist der Beamte aufgrund seines fortbestehenden Treue- und Loyali-
tätsverhältnisses gehalten, den Dienstherrn nicht in seinem Interesse an einer sach-
gerechten Wahrnehmung seiner Fürsorgepflicht (§ 79 BBG) gegenüber anderen Be-
amten zu beeinträchtigen. Diese im Beschäftigtenschutzgesetz konkretisierte Für-
sorgepflicht, eine Beamtin vor der Verletzung ihrer Würde durch sexuelle Belästigung
am Arbeitsplatz präventiv wie repressiv zu schützen (vgl. § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1
BeschSchG), besteht jedoch bei Beamten, die unter Wahrung ihrer Rechtsstellung
und der Verantwortung des Dienstherrn bei der Deutschen Post AG beschäftigt wer-
den (vgl. dazu Art. 143 b Abs. 3 GG), nur noch subsidiär. Das Beschäftigtenschutz-
gesetz gilt nicht nur für Beamte und für Arbeitnehmer in Betrieben und Verwaltungen
des öffentlichen Rechts, sondern auch für Arbeitnehmer in Betrieben und Verwaltun-
gen des privaten Rechts (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BeschSchG). Dies ist hier von Be-
deutung. Im Hinblick auf die Einbindung des vom Dienst beurlaubten Beamten in ein
privatrechtliches Arbeitsverhältnis zur Deutschen Post AG oblag es zunächst dem
Unternehmen, von seinen arbeitgeberrechtlichen Befugnissen Gebrauch zu machen,
bevor es die ihm zustehenden Dienstherrnbefugnisse wahrnahm (vgl. Art. 143 b
Abs. 3 Satz 2 GG, § 1 Abs. 1 Satz 1 PostPersRG). Aufgabe des Bundes als Dienst-
herrn ist es grundsätzlich nur noch, im Rahmen seiner fortbestehenden Verantwor-
tung Rechtsaufsicht auszuüben, und im Übrigen dann einzugreifen, wenn die privat-
rechtlichen Sanktionen zur Wahrung der Belange des Dienstherrn nicht ausreichen.
Im vorliegenden Fall hat die Deutsche Post AG auf die sexuelle Belästigung durch
den Beamten arbeitsrechtlich mit einer Versetzung ... reagiert. Dabei handelt es sich
nach dem Stufenkatalog angemessener arbeitsrechtlicher Maßnahmen gemäß § 4
Abs. 1 Nr. 1 BeschSchG - Abmahnung, Umsetzung, Versetzung, Kündigung - um
eine relativ schwerwiegende Sanktion. Der Beamte musste in der Folgezeit - bis zum
1. September 2003 - von seinem privaten Wohnsitz mit einem Familienheim in S. aus
seiner Arbeit im mehr als 190 km entfernten B. nachgehen. Dies hatte weiterhin zur
Folge, dass er der herausgehobenen Stellung des Leiters einer großen Niederlas-
sung verlustig ging. Man kann auch sagen, dass damit seine Karriere einen empfind-
lichen Knick erfahren hat. Der Bund als Dienstherr hat diese Reaktionen der Deut-
schen Post AG nicht beanstandet. Er hat sie aus Fürsorgegesichtspunkten, insbe-
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sondere den weiblichen Beamten gegenüber, womöglich auch in Ansehung weiterer
Vorwürfe, die hier keine Rolle spielen können und dürfen, offensichtlich als ausrei-
chend angesehen. Eine Verletzung der Treue- und Loyalitätspflichten gegenüber
dem Dienstherrn mit Blick auf dessen Fürsorgepflicht ist demnach - bezogen auf den
hier allein erhobenen Vorwurf - nicht gegeben.
Dessen ungeachtet lägen hier auch die besonderen qualifizierenden Voraussetzun-
gen des § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG nicht vor. Von einem Beamten wird außerdienstlich
kein wesentlich anderes Sozialverhalten erwartet als von einem Durchschnittsbürger
(Urteil vom 30. August 2000 - BVerwG 1 D 37.99 - BVerwGE 112, 19 <26>). Daher
überschreitet das außerdienstliche einmalige "Busengrapschen" eines Beamten - nur
dies ist hier angeschuldigt und erwiesen, der Senat muss bei einer allein angeschul-
digten Einmaligkeit auch von einer Erstmaligkeit ausgehen - im Regelfall das einer
jeden außerdienstlichen Pflichtverletzung innewohnende Maß an disziplinarischer
Relevanz noch nicht so deutlich, wie dies nach dem Wortlaut des § 77 Abs. 1 Satz 2
BBG für die Annahme eines außerdienstlichen Dienstvergehens erforderlich wäre
(vgl. dazu Urteil vom 8. Mai 2001 a.a.O. <219 f.>). Zwar ist ein solches Verhalten
strafrechtlich als Beleidigung zu qualifizieren. Eine Beleidigung nach § 185 StGB wird
aber nur auf Antrag verfolgt (§ 194 StGB) und ist im Regelfall mit keinem anderen
Strafmaß bedroht als die sog. einfache Trunkenheitsfahrt nach § 316 StGB. Die erst-
und einmalige außerdienstliche Trunkenheitsfahrt eines dienstlich nicht mit dem Füh-
ren von Kraftfahrzeugen betrauten Beamten stellt aber nach der neueren Rechtspre-
chung des Senats ebenfalls noch kein außerdienstliches Dienstvergehen dar (in der
Regel mangelt es dann bereits an den Voraussetzungen des § 54 Satz 3 BBG, vgl.
Urteil vom 30. August 2000 - BVerwG 1 D 37.99 - a.a.O., Leitsatz 1). Für eine Belei-
digung der vorliegenden Art als außerdienstliches Dienstvergehen kann nichts ande-
res gelten.
- 13 -
Der Beamte war daher aus Rechtsgründen mit der Kostenfolge aus § 113 Abs. 3
i.V.m. § 115 Abs. 1 BDO freizusprechen.
Albers
Mayer
Müller
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Materielles Beamtendisziplinarrecht
Fachpresse:
ja
Rechtsquellen:
GG
Art. 143 b Abs. 3
BBG
§ 54 Satz 3, § 77 Abs. 1 Satz 2, § 79
BDO
§ 17 Abs. 5, § 18 Abs. 1 Satz 1, § 21 Abs. 1 Satz 2, § 76 Abs. 2
BeschSchG §§ 1, 2 und 4 Abs. 1 Nr. 1
PostPersRG § 1 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 3
StGB
§§ 185, 194
SUrlV
§ 13 Abs. 1
Stichworte:
"In-sich-beurlaubter" Beamter des höheren Dienstes bei der Deutschen Post AG
(Niederlassungsleiter); erst- und einmaliger Fall der sexuellen Belästigung einer be-
amteten Mitarbeiterin ("Busengrapschen"); Versetzung des Beamten als arbeitsrecht-
liche Maßnahme; strafgerichtlicher Freispruch vom Vorwurf der sexuellen Nötigung
und - mangels Strafantrags - vom Vorwurf der Beleidigung; wegen fehlender Bindung
an tatsächliche Feststellungen des Strafgerichts eigene Sachverhaltsfeststellungen
des Disziplinargerichts; Voraussetzungen der § 54 Satz 3, § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG
verneint; Freispruch.
Leitsatz:
Das einmalige außerdienstliche "Busengrapschen" eines "in-sich-beurlaubten" Be-
amten, auf das der Arbeitgeber nach dem Beschäftigtenschutzgesetz wegen sexuel-
ler Belästigung am Arbeitsplatz mit einer Versetzung reagiert hat, stellt im Regelfall
noch kein außerdienstliches Dienstvergehen dar, das zusätzlich disziplinarisch ge-
ahndet werden müsste.
Urteil des 1. Disziplinarsenats vom 16. März 2004 - BVerwG 1 D 15.03
I. BDiG, Kammer XVI - ... -, vom 26.02.2003
- Az.: VG 37 K 31/04. BDG (vormals BDiG XVI VL 13/02) -