Urteil des BVerwG vom 18.02.2003

Die Post, Schuldfähigkeit, Unterhaltsbeitrag, Behandlung

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IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 1 D 13.02
BDiG XVIII VL 8/02
In dem Disziplinarverfahren
g e g e n
den Postbetriebsassistenten ... ,
...,
hat das Bundesverwaltungsgericht, 1. Disziplinarsenat,
in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 18. Februar 2003,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht
A l b e r s ,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht
H e e r e n ,
Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. H. M ü l l e r ,
Regierungshauptsekretär Ralf K a t t und
Postbetriebsassistent Johannes K e r s t i n g
als ehrenamtliche Richter
sowie
Leitender Regierungsdirektor ...
für den Bundesdisziplinaranwalt,
und
Justizangestellte ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
Die Berufung des Postbetriebsassistenten
... gegen das Urteil des Bundesdisziplinarge-
richts, Kammer XVIII - ... -, vom 5. März 2002
wird auf seine Kosten mit der Maßgabe zurückge-
wiesen, dass ihm ein Unterhaltsbeitrag nur in
Höhe von 50 v.H. des erdienten Ruhegehalts auf
die Dauer von sechs Monaten bewilligt wird.
G r ü n d e :
I.
1. Der Bundesdisziplinaranwalt hat den ..., alkoholkranken und
zuletzt in der Briefzustellung eingesetzten Beamten angeschul-
digt, dadurch ein Dienstvergehen begangen zu haben, dass er
in der Zeit vom 9. Januar 2000 bis zum 23. Juli 2000
und vom 26. Juli 2000 bis zum 4. April 2001 seinem
Dienst schuldhaft ungenehmigt ferngeblieben ist.
2. Das Bundesdisziplinargericht hat durch Urteil vom 5. März
2002 entschieden, dass der Beamte unter Bewilligung eines
12-monatigen Unterhaltsbeitrags in Höhe von 60 v.H. seines er-
dienten Ruhegehalts aus dem Dienst entfernt wird. Es hat fol-
genden Sachverhalt festgestellt:
Nach einem Vermerk der Personalsachbearbeiterin S. vom
25. Juli 2000 hatte der Beamte eine Arbeitsunfähigkeitsbe-
scheinigung von Dr. K. bis einschließlich 8. Januar 2000 vor-
gelegt. Ab dem 9. Januar 2000 meldete sich der Beamte nicht
wieder bei seiner Personaleinsatzstelle und legte auch keine
weiteren Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mehr vor, da er
sich nicht weiter in ärztlicher Behandlung befand. Mehrere
Versuche einer Kontaktaufnahme von Seiten der Zustellstütz-
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punktleitung (ZSPL) B., seiner damaligen Einsatzdienststelle,
scheiterten.
Am 21. Juli 2000 nahm Frau S. mit dem Beamten Kontakt auf und
bestellte ihn zu einem Gespräch am 24. Juli 2000 ins Brief-
zentrum. Im Verlaufe dieses Gespräches gab der Beamte zu, dass
er nach Ausstellung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen
(bis 8. Januar 2000) nicht mehr in ärztlicher Behandlung gewe-
sen sei. Er habe sich nach Ende der Alkoholtherapie trotz ge-
genteiliger Versprechungen von seinen Vorgesetzten schlecht
behandelt gefühlt, weil man sich nach der Kur nicht um seinen
Einsatz gekümmert habe. Zunächst sei er in Erholungsurlaub ge-
schickt worden und habe dann geleistete Mehrarbeit abbummeln
müssen. In seinen alten Bezirk habe er nicht zurückkehren dür-
fen. Daraufhin habe er "mit der Post abgeschlossen" und sich
um nichts mehr gekümmert. Für ihn hinterlegte Postsendungen
habe er nicht abgeholt. Im Laufe des Gesprächs mit Frau S. er-
klärte sich der Beamte bereit, seinen Dienst kurzfristig wie-
der aufzunehmen. Es wurde deshalb für den nächsten Tag, den
25. Juli 2000, Urlaub gebucht. Am 25. Juli 2000 wurde dem Be-
amten telefonisch mitgeteilt, am Folgetag im ZSPL B. seinen
Dienst wieder anzutreten. Dazu erklärte sich dieser auch be-
reit, erschien aber nicht.
Der Beamte bestätigte die Richtigkeit dieses Sachverhalts im
Untersuchungstermin am 4. April 2001. In diesem Termin brachte
er auch zum Ausdruck, wieder als Zusteller eingesetzt werden
zu wollen. In seinem Schreiben vom 10. Mai 2001 informierte er
die Niederlassung noch einmal über seine Bereitschaft zur
Dienstaufnahme. Dem inzwischen vom Dienst suspendierten Beam-
ten wurden daraufhin für die Zeit vom 5. April 2001 bis zum
31. Mai 2001 ungekürzte und danach um 30 % gekürzte Bezüge ge-
zahlt.
Durch den Leiter der Niederlassung Produktion Brief B. der
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Deutschen Post AG wurde mit Verfügung vom 3. August 2000 der
Verlust der Bezüge gemäß § 9 BBesG für den Zeitraum vom
9. Januar 2000 bis zum 23. Juli 2000 und fortlaufend ab dem
26. Juli 2000 festgestellt. Dieser Bescheid wurde durch
rechtskräftigen Beschluss des Bundesdisziplinargerichts vom
2. Januar 2001 aufrechterhalten, weil der Beamte vorsätzlich
seinen Dienstpflichten in diesen Zeiträumen nicht nachgekommen
sei.
Aufgrund der Alkoholerkrankung des Beamten wurde im diszipli-
narrechtlichen Untersuchungsverfahren seine Schuldfähigkeit
hinsichtlich des Zeitraumes, in dem das Dienstvergehen began-
gen wurde, überprüft und ein Gutachten erstellt. Das Gutachten
wurde vom Sachverständigen in der mündlichen Anhörung am
23. August 2001 erläutert. Der Sachverständige legte zur dis-
ziplinarrechtlichen Verantwortlichkeit des Beamten dar, aus
psychiatrischer Sicht hätten keine Bedenken gegen seine
Dienstfähigkeit bestanden, zumal er von der Fachklinik als ar-
beitsfähig entlassen worden sei. Nichts würde darauf hindeu-
ten, dass der Beamte aufgrund einer psychiatrischen Behandlung
nicht in der Lage gewesen sei, Dienst zu leisten oder sich bei
Vorliegen einer körperlichen Erkrankung dienstunfähig krank zu
melden. Seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit während des
gesamten Zeitraums sei nicht eingeschränkt gewesen.
Ergänzend hat die Vorinstanz ausgeführt, der Beamte habe sein
Fehlverhalten sowohl bei den disziplinarrechtlichen Ermitt-
lungen als auch vor dem Bundesdisziplinargericht eingesehen
und zugegeben. Spätestens nach dem Gespräch vom 24. Juli 2000
sei ihm klar gewesen, dass er seinen Dienst wieder aufzunehmen
hatte und dies von ihm auch erwartet wurde. Da er nach eigenen
Angaben mit der Post nichts mehr habe zu tun haben wollen,
habe er pflichtwidrig seine Belange über die seines Dienst-
herrn gesetzt.
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Das Bundesdisziplinargericht hat die festgestellte Handlungs-
weise des Beamten als vorsätzliche Verstöße gegen seine
Dienstpflichten, sich mit voller Hingabe seinem Beruf zu wid-
men (§ 54 Satz 1 BBG), sich innerhalb des Dienstes achtungs-
und vertrauensgerecht zu verhalten (§ 54 Satz 3 BBG), die ein-
schlägigen Anordnungen und Dienstvorschriften zu beachten
(§ 55 Satz 2 BBG) und dem Dienst nicht ohne Genehmigung seines
Dienstvorgesetzten fernzubleiben (§ 73 Abs. 1 BBG), gewertet.
Das Dienstvergehen (§ 77 Abs. 1 Satz 1 BBG) wiege so schwer,
dass die disziplinare Höchstmaßnahme verhängt werden müsse.
Durchgreifende Milderungsgründe lägen nicht vor. Der Sachver-
ständige habe dem Beamten für die Tatzeit nicht einmal vermin-
derte Schuldfähigkeit zugebilligt.
3. Hiergegen hat der Beamte rechtzeitig Berufung eingelegt mit
dem Antrag, auf eine mildere Maßnahme zu erkennen. Zur Begrün-
dung macht er geltend: Es sei nicht ausreichend berücksichtigt
worden, dass er aufgrund seiner Alkoholerkrankung und seiner
psychiatrischen Behandlung nicht vollständig in der Lage gewe-
sen sei, seinen Dienst aufzunehmen und die Tragweite seiner
Handlungen zu erkennen. Entsprechend der dienstlichen Beurtei-
lung vom 2. Mai 2000 habe er seine Aufgaben überdurchschnitt-
lich gut erfüllt. Nach der letzten Entwöhnungskur sei er "tro-
cken", so dass sich eine positive Prognose stellen lasse.
II.
Die Berufung hat keinen Erfolg.
Das Disziplinarverfahren ist nach bisherigem Recht, d.h. auch
nach In-Kraft-Treten des Bundesdisziplinargesetzes nach den
Verfahrensregeln und –grundsätzen der Bundesdisziplinarordnung
fortzuführen (vgl. zum Übergangsrecht z.B. Urteil vom
20. Februar 2002 - BVerwG 1 D 19.01 – NVwZ 2002, 1515).
- 6 -
Das Rechtsmittel ist auf die Disziplinarmaßnahme beschränkt.
Der Senat ist daher an die Tat- und Schuldfeststellungen des
Bundesdisziplinargerichts sowie an die disziplinarrechtliche
Würdigung als innerdienstliches Dienstvergehen gebunden; er
hat nur noch über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu be-
finden.
Die Verhängung der disziplinaren Höchstmaßnahme durch die Vor-
instanz ist nicht zu beanstanden.
1. Das vorsätzlich begangene Dienstvergehen des Beamten (§ 54
Sätze 1 und 3, § 55 Satz 2, § 73 Abs. 1, § 77 Abs. 1 Satz 1
BBG) wiegt schwer. Wie der Senat in ständiger Rechtsprechung
betont, ist das Gebot, überhaupt zum Dienst zu erscheinen,
Grundpflicht eines jeden Beamten. Ohne die regelmäßige und
dienstplanmäßige Dienstleistung ihrer Mitarbeiter wäre die
Verwaltung - hier die Post - nicht im Stande, die ihr gegen-
über der Allgemeinheit obliegenden Aufgaben zu erfüllen. Des-
halb kann einem Beamten, der ohne triftigen Grund nicht zum
vorgeschriebenen Dienst erscheint, nicht mehr das Vertrauen
entgegengebracht werden, das für eine gedeihliche Zusammenar-
beit unerlässlich ist. Verweigert er den Dienst für einen län-
geren Zeitraum oder wiederholt - auch für kürzere Zeitspan-
nen -, so kann sich die Notwendigkeit, das Beamtenverhältnis
einseitig zu lösen, regelmäßig schon aus der Gesamtdauer der
Dienstverweigerung selbst sowie aus dem Umstand ergeben, dass
das Erfordernis der Dienstleistung und damit die Bedeutung ih-
rer Unterlassung für jedermann leicht zu erkennen sind. Setzt
sich ein Beamter gleichwohl über diese Erkenntnis hinweg, of-
fenbart er ein so hohes Maß an Pflichtvergessenheit und an
fehlender Einsicht in die Notwendigkeit einer geordneten Ver-
waltung, dass in aller Regel seine Entfernung aus dem Dienst
die Folge sein muss (stRspr, z.B. Urteil vom 7. März 2001
- BVerwG 1 D 14.00 - m.w.N.).
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Unter diesen Voraussetzungen ist bei einem vorsätzlich uner-
laubten Fernbleiben vom Dienst über einen Zeitraum von über
sechs sowie über sieben Monaten, d.h. insgesamt über 13 Mona-
ten - wie hier -, die Entfernung aus dem Dienst unerlässlich
(vgl. z.B. Urteil vom 12. April 1994 - BVerwG 1 D 33.93 -:
Fernbleibenszeitraum elf Monate; Urteil vom 26. September 2000
- BVerwG 1 D 10.99 -: Fernbleibenszeitraum knapp acht Monate).
2. Durchgreifende Milderungsgründe, die es rechtfertigen könn-
ten, von der Entfernung des Beamten aus dem Dienst abzusehen,
liegen nicht vor.
Die Verhängung der Höchstmaßnahme ist beim Fernbleiben vom
Dienst von insgesamt nicht unerheblicher Dauer zwar nicht re-
gelmäßig mit der Folge ausgesprochen worden, dass nur bestimm-
te Milderungsgründe die Fortsetzung des Beamtenverhältnisses
ermöglichen. Der Senat hat vielmehr wiederholt hervorgehoben,
dass es bei der Beurteilung des Dienstvergehens des unerlaub-
ten Fernbleibens vom Dienst auch auf die Ursachen hierfür und
damit auf die Persönlichkeit des Beamten, seine Motive und
- vor allem - auf die Prognose seines zukünftigen Verhaltens
ankommt. Er hat insbesondere auch bei längerfristigem ungeneh-
migten Fernbleiben vom Dienst die Fortsetzung des Beamten-
verhältnisses dann für möglich gehalten, wenn es sich bei den
Ursachen für das Fernbleiben um im Grunde persönlichkeitsfrem-
de, durch bestimmte äußere Ereignisse oder Einwirkungen verur-
sachte Umstände gehandelt hat und die Aussicht auf künftiges
pflichtgemäßes Verhalten deshalb begründet war (vgl. z.B. Ur-
teil vom 27. März 1996 - BVerwG 1 D 8.95 -; Urteil vom
8. Dezember 1999 - BVerwG 1 D 29.99 -, jeweils m.w.N.). Solche
Milderungsgründe liegen hier jedoch nicht vor.
a) Soweit der Beamte mit seiner Berufung sinngemäß erheblich
verminderte Schuldfähigkeit geltend macht, führt dies nicht zu
einer milderen Bewertung des Dienstvergehens. Es ist mehr als
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zweifelhaft, ob die Voraussetzungen des § 21 StGB zur Tatzeit
überhaupt vorlagen. Dagegen spricht der Inhalt des Gutachtens
des Sachverständigen Dr. H., Facharzt für Psychiat-
rie/Psychotherapie und Chefarzt der Fachklinik ... Dieser war
vom Untersuchungsführer aufgefordert worden, zur Frage der
Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Beamten eine Beurtei-
lung abzugeben. In seinem schriftlichen Gutachten und bei sei-
ner anschließenden mündlichen Anhörung hat der Sachverständige
dargelegt, dass sich der Beamte seines Handelns bewusst war
und seine Einsichts- sowie Steuerungsfähigkeit nicht aufgeho-
ben waren. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte spricht alles
dafür, dass damit auch verminderte Schuldfähigkeit ausge-
schlossen werden sollte, wie die Vorinstanz meint. Aber selbst
wenn zu Gunsten des Beamten davon ausgegangen würde, dieser
sei damals erheblich vermindert schuldfähig gewesen, könnte
dies nicht zu einer Milderung der Maßnahme führen. Nach stän-
diger Rechtsprechung des Senats kommt eine maßnahmemildernde
Wirkung verminderter Schuldfähigkeit dann nicht in Betracht,
wenn das Dienstvergehen in der Verletzung einer elementaren,
selbstverständlichen und einfach zu befolgenden Dienstpflicht
besteht. Dies ist bei der Pflicht zur Dienstverrichtung als
primärer und leicht einsehbarer Grundpflicht eines jeden Beam-
tenver-hältnisses der Fall (vgl. z.B. Urteil vom 31. August
1999 - BVerwG 1 D 12.98 – BVerwGE 111, 1 = Buchholz 232 § 73
BBG Nr. 15 = NVwZ-RR 2000, 231; Urteil vom 26. September 2000
a.a.O, jeweils m.w.N.).
b) Auch der Hinweis des Beamten auf den Inhalt der für ihn
- zum Teil nicht ungünstigen - dienstlichen Beurteilung vom
2. Mai 2000 und seine - bis Herbst 2001 ärztlich belegte - Be-
hauptung, seit der letzten Therapie sei er "trocken", sind
zwar anerkennenswerte Umstände. Im Ergebnis sind sie jedoch
nicht geeignet, sein schweres Fehlverhalten in einem milderen
Licht erscheinen zu lassen. Eine Reihe von Tatsachen sprechen
für ein persönlichkeitsimmanentes Versagen, das keine Aussicht
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auf künftig pflichtgemäßes Verhalten zulässt:
Bereits 1984 war eine Feststellung des Verlustes der Dienstbe-
züge des Beamten gemäß § 9 BBesG wegen schuldhaft ungenehmig-
ten Fernbleibens vom Dienst am 9. April und 2. Juni erfolgt.
Dieser hatte am jeweiligen Vorabend "gefeiert" und dann am
Folgetag bis 11.00 Uhr bzw. 14.00 Uhr geschlafen; zum Dienst
war er nicht erschienen. Nach der ersten Entziehungstherapie
im Jahre 1995, die fremdmotiviert angetreten und am 23. Mai
mit einer ungünstigen Prognose ("die Prognose ist belastet
durch das Alleinsein und Bindungsängste") abgeschlossen worden
war, kam es am 12. Juli 1997 erneut zu alkoholbedingten
dienstlichen Pflichtwidrigkeiten. Der Beamte hatte seinen
Dienst verspätet angetreten und dann nicht allein verrichten
können. Dieses Fehlverhalten wurde durch Disziplinarverfügung
vom 30. Januar 1998 mit einer Geldbuße in Höhe von 750 DM ge-
ahndet. Die zweite Alkoholentwöhnungsbehandlung, die der Beam-
te 1999 ebenfalls fremdmotiviert begonnen hatte, endete am
2. Oktober mit einer nur mittelfristig guten Prognose; nach-
teilig sei nach wie vor, dass er noch immer engen Kontakt zu
seinem Bruder habe, der ebenfalls dem Alkohol sehr zugetan
sei. Einer Selbsthilfegruppe hatte sich der Beamte nicht ange-
schlossen.
Der Beamte, der sich die bestandskräftige Disziplinarverfügung
vom 30. Januar 1998 nicht hat als Warnung dienen lassen, hat
zu den Ursachen und Motiven seines zwei Jahre später erfolgten
unerlaubten Fernbleibens vom Dienst, das Gegenstand des vor-
liegenden Verfahrens ist, u.a. angegeben, er habe sich nach
Rückkehr von der zweiten Alkoholtherapie darüber geärgert,
dass ihm die Niederlassung nicht den gewünschten, festen Ar-
beitsplatz in der Zustellung angeboten habe. Letztlich habe er
sich überflüssig gefühlt. Im Anschluss an einen Unfall sei er
nach Ausstellung der letzten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung,
da nicht dienstunfähig erkrankt, nicht mehr in ärztlicher Be-
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handlung gewesen. Aus Verärgerung sei er gleichwohl nicht zum
Dienst gegangen. Er habe mit der Post "abgeschlossen" gehabt
und sich nicht mehr um dienstliche Belange gekümmert. Zwar ha-
be er hin und wieder seinen Briefkasten geleert und diesem Be-
nachrichtigungsscheine entnommen, die bei der Postfiliale nie-
dergelegten Sendungen aber nicht abgeholt, da er mit der Post
nichts mehr habe zu tun haben wollen. Der Beamte hat sich da-
mit als höchst uneinsichtig und unbelehrbar erwiesen. Noch in
der Hauptverhandlung vor dem Bundesdisziplinargericht hat er
an der bewussten Verweigerung der Erfüllung seiner Dienstleis-
tungspflicht festgehalten, indem er erklärt hat: Wenn er zum
Postdienst zurückkäme, dann nur als Briefzusteller in seinem
früheren Bezirk; keinesfalls sei er bereit, etwa in der
Frachtzustellung zu arbeiten. Bereits während der Vorermitt-
lungen war der Eindruck entstanden, dass er den Dienst erst
wieder aufnehmen würde, wenn ihm ein gewünschter Zustellbezirk
angeboten werde. Die "Dienstbereitschaftserklärungen" vom
4. April 2001 und vom 10. Mai 2001 können danach - in Überein-
stimmung mit der Vorinstanz - nur als "Lippenbekenntnisse" ge-
wertet werden.
Nach alledem erscheint die hier zutage getretene erhebliche
Gleichgültigkeit des Beamten gegenüber seinen dienstlichen
Pflichten und den Anforderungen des Dienstbetriebs über eine
gelegentliche dienstliche Unzuverlässigkeit hinaus in seinem
Wesen tiefer verwurzelt zu sein. Da ein persönlichkeitsfremdes
Versagen mithin nicht vorliegt, kann auch - unabhängig von der
Alkoholrückfallprognose - keine günstige Vorhersage im Hin-
blick auf die künftige Erfüllung der Dienstpflichten abgegeben
werden. Der Beamte erweist sich damit in dienstlichen Angele-
genheiten insgesamt als nicht mehr vertrauenswürdig und kann
deshalb nicht länger im Beamtenverhältnis bleiben.
3. Die erstinstanzliche Entscheidung über die Bewilligung ei-
nes Unterhaltsbeitrags war dem - nicht bindenden - Antrag des
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Bundesdisziplinaranwalts entsprechend nach § 80 Abs. 4 BDO so-
wohl in der Höhe als auch in der Laufzeit herabzusetzen.
Der Unterhaltsbeitrag dient allein dazu, einem aus dem Dienst
entfernten Beamten den durch den Wegfall der Dienstbezüge not-
wendig gewordenen Übergang in einen anderen Beruf oder in eine
andere Art der finanziellen Existenzsicherung zu erleichtern
und ihn während dieses – vorübergehenden - Zeitraumes nicht in
Not geraten zu lassen. Für den notwendigen Lebensunterhalt
orientiert sich der Senat in ständiger Rechtsprechung an den
geltenden Regelsätzen der Sozialhilfe (vgl. z.B. Urteil vom
14. Mai 1997 - BVerwG 1 D 51.96 - m.w.N.). Danach kann dem Be-
amten, gemessen an seinem bisher bekannten notwendigen Bedarf,
nur ein Minimum an Unterhaltsbeitrag in Höhe von 50 v.H. sei-
nes erdienten Ruhegehalts, das von seiner Beschäftigungsbehör-
de mit 1 227 € brutto beziffert worden ist, bewilligt werden.
Dabei war für den Senat mit entscheidend, dass der Beamte, der
zeitweise bei seinem Bruder lebt, seiner Mitwirkungspflicht
bei der Aufklärung seines Unterhaltsbedarfs nicht nachgekommen
ist. Den ihm übersandten Fragebogen über seine persönlichen
und wirtschaftlichen Verhältnisse hat er nicht ausgefüllt und
ist auch zur Hauptverhandlung vor dem Senat nicht erschienen.
Bei erstmaliger Gewährung eines Unterhaltsbeitrags begrenzt
der Senat die Laufzeit der Bewilligung regelmäßig auf sechs
Monate, weil grundsätzlich davon auszugehen ist, dass in die-
sem Zeitraum bei einem gesunden Beamten die Möglichkeit be-
steht, eine neue Erwerbsquelle zu finden (vgl. Urteil vom
14. Mai 1997 a.a.O.). Ein solcher Regelfall liegt hier vor.
Der 47-jährige Beamte, der nach eigenen Angaben "trocken" ist,
ist nicht arbeitsunfähig.
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Weist der Beamte nach, dass er sich während des gesamten Be-
willigungszeitraumes nachdrücklich, aber letztlich erfolglos
um eine andere Einnahmequelle bemüht hat, so kann ihm vom Bun-
desdisziplinargericht auf Antrag gemäß § 110 Abs. 2 BDO bei
Fortbestehen der Bedürftigkeit ein Unterhaltsbeitrag neu be-
willigt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 114 Abs. 1 Satz 1 BDO.
Albers
Heeren
Müller
Sachgebiet:
BVerwGE: nein
Materielles Beamtendisziplinarrecht
Fachpresse: nein
Rechtsquellen:
BBG § 54 Sätze 1 und 3, § 55 Satz 2,
§ 73 Abs. 1, § 77 Abs. 1 Satz 1
BDO § 80 Abs. 4
StGB § 21
Stichworte:
Alkoholkranker Postbeamter; schuldhaft ungenehmigtes
Fernbleiben vom Dienst über ca. 6 und 7 Monate
(insgesamt über 13 Monate);
keine durchgreifenden Milderungsgründe (Verweigerungs-
haltung, ungünstige Prognose);
Disziplinarmaß: Entfernung aus dem Dienst; Herabsetzung
des Unterhaltsbeitrags hinsichtlich Höhe und Laufzeit.
Urteil des 1. Disziplinarsenats vom 18. Februar 2003
- BVerwG 1 D 13.02 -
I. BDiG, Kammer XVIII – ... -, vom 05.03.2002
- Az.: BDiG XVIII VL 8/02 -