Urteil des BVerwG vom 03.04.2008

Unterhaltsbeitrag, Disziplinarverfahren, Beschränkung, Arbeitsamt

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 1 D 1.07
VG 12 A 7/03
In dem Disziplinarverfahren
g e g e n
den Technischen Fernmeldehauptsekretär a.D. …,
…,
hat das Bundesverwaltungsgericht, Disziplinarsenat,
in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 3. April 2008,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Albers,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen,
Zollbetriebsinspektor Kleoff
und Posthauptsekretärin Beilenhoff
als ehrenamtliche Richter
sowie
Postoberrätin …,
als Vertreterin der Einleitungsbehörde,
Rechtssekretär …,
als Verteidiger
und
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Justizhauptsekretärin …
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Auf die Berufung des Technischen Fernmeldehaupt-
sekretärs a.D. … wird das Urteil des Verwaltungs-
gerichts … vom 14. September 2006 dahin geändert, dass
der Unterhaltsbeitrag für die Dauer von zwölf Monaten auf
75 v.H. des erdienten Ruhegehalts festgesetzt wird.
Der Ruhestandsbeamte hat die Kosten des Berufungs-
verfahrens zu tragen.
G r ü n d e :
I
Das Verwaltungsgericht … hat mit Urteil vom 14. September 2006 entschieden,
dass dem … Ruhestandsbeamten wegen eines schweren Dienstvergehens das
Ruhegehalt aberkannt wird. Zugleich ist dem Ruhestandsbeamten ein Unter-
haltsbeitrag in Höhe von 75 v.H. seines erdienten Ruhegehalts auf die Dauer
von sechs Monaten bewilligt worden.
Der Ruhestandsbeamte hat gegen das Urteil zunächst unbeschränkt Berufung
eingelegt. In der Hauptverhandlung vor dem Senat hat er das Rechtsmittel auf
die Bewilligung eines erweiterten Unterhaltsbeitrags beschränkt und beantragt,
ihm einen Unterhaltsbeitrag in Höhe von 75 v.H. des erdienten Ruhegehalts auf
die Dauer von zwölf Monaten zu gewähren.
II
Die auf den Unterhaltsbeitrag beschränkte Berufung hat Erfolg. Sie führt zu der
beantragten Bewilligung eines Unterhaltsbeitrags in erweitertem Umfang.
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Das Disziplinarverfahren ist nach bisherigem Recht, d.h. auch nach Inkrafttreten
des Bundesdisziplinargesetzes am 1. Januar 2002 nach den Verfahrensregeln
und -grundsätzen der Bundesdisziplinarordnung fortzuführen, weil es vor dem
1. Januar 2002 förmlich eingeleitet worden ist (vgl. zum Übergangsrecht z.B.
Urteil vom 20. Februar 2002 - BVerwG 1 D 19.01 - NVwZ 2002, 1515).
1. Die (nachträgliche) Beschränkung des Rechtsmittels auf die Gewährung ei-
nes Unterhaltsbeitrags in erweitertem Umfang ist zulässig. Da die Entscheidung
über die Bewilligung oder Versagung einer solchen finanziellen Unterstützung
als gerichtliche Nebenentscheidung einen rechtlich abgrenzbaren Teil des erst-
instanzlichen Urteilsausspruchs darstellt, kann sie zum Gegenstand einer
selbstständigen Prüfung und Rechtsmittelentscheidung gemacht werden
(stRspr, z.B. Urteil vom 23. Mai 2006 - BVerwG 1 D 18.05 - juris Rn. 6 m.w.N.).
Die Beschränkung der Berufung auf den Unterhaltsbeitrag hat zur Folge, dass
der Senat an die Tat- und Schuldfeststellungen des Verwaltungsgerichts eben-
so gebunden ist wie an die rechtliche Bewertung als Dienstvergehen und an die
Rechtsfolge der Aberkennung des Ruhegehalts; er hat nur noch über den Un-
terhaltsbeitrag zu befinden.
2. Dem Ruhestandsbeamten steht gemäß § 77 Abs. 1 BDO ein Unterhaltsbei-
trag zum beantragten gesetzlichen Höchstsatz von 75 v.H. des erdienten Ru-
hegehalts auf die Dauer von zwölf Monaten zu.
Der Ruhestandsbeamte ist eines Unterhaltsbeitrags nicht unwürdig und in der
zuerkannten Höhe auch bedürftig. An diese Entscheidungen der Vorinstanz ist
der Senat ebenfalls gebunden, da die Vertreterin der Einleitungsbehörde, die in
die Rechtsstellung des Bundesdisziplinaranwalts eingetreten ist (Urteil vom
20. Januar 2004 - BVerwG 1 D 33.02 - BVerwGE 120, 33 <44 f.>), in der Haupt-
verhandlung keinen Abänderungsantrag gemäß § 80 Abs. 4 BDO gestellt hat
(vgl. dazu Urteil vom 24. Oktober 1995 - BVerwG 1 D 44.94 - m.w.N.). Der
Senat hat aber den Bewilligungszeitraum antragsgemäß auf zwölf Monate er-
weitert. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass der jetzt 59-jährige Ruhe-
standsbeamte bereits seit über acht Jahren dienstunfähig ist. Sein Gesund-
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heitszustand hat sich inzwischen weiter verschlechtert, wie er in der Hauptver-
handlung vor dem Senat glaubhaft dargelegt hat. Unter diesen Umständen ist
es derzeit höchst ungewiss, ob er in absehbarer Zeit einen Arbeitsplatz finden
wird. Sollte sich der Ruhestandsbeamte, der von seinem Dienstherrn in der ge-
setzlichen Rentenversicherung nachzuversichern ist, um eine Rente wegen
Erwerbsminderung (§ 43 SGB VI) bemühen, würde das entsprechende Ver-
fahren voraussichtlich auch nicht innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen
sein. Der Senat hat deshalb - wie in den Nachversicherungsfällen von Ruhe-
standsbeamten im gesetzlichen Rentenalter - die Laufzeit des Unterhaltsbei-
trags auf zwölf Monate festgesetzt. Dies reicht (vorerst) aus, um die Möglich-
keiten eines Übergangs in einen anderen Beruf oder in eine andere Art der
finanziellen Existenzsicherung zu klären. Im Hinblick auf die Anrechenbarkeit
und die Abtretungspflicht zeitgleich bezogener gesetzlicher Renten (vgl. § 77
Abs. 2 Satz 1 und 2 BDO) ist dabei das Risiko einer Zweckentfremdung des
Unterhaltsbeitrags für den Fall einer etwaigen früheren Rentengewährung auf-
grund einer Laufzeitverlängerung des Unterhaltsbeitrags für den Dienstherrn
vermeidbar (vgl. dazu insgesamt z.B. Urteil vom 26. September 2001 - BVerwG
1 D 32.00 - ZBR 2002, 271<274> m.w.N.).
Der verlängerten Bewilligungsdauer des Unterhaltsbeitrags liegt die Erwartung
zugrunde, dass sich der Ruhestandsbeamte nachweisbar und in aus-
reichendem Maße, d.h. fortlaufend, um die Aufnahme einer anderen Erwerbs-
tätigkeit oder um eine andere Art der Sicherung seiner finanziellen
Lebensgrundlagen bemüht. Der Senat macht vorsorglich darauf aufmerksam,
dass sich z.B. die Bemühungen um einen neuen Arbeitsplatz nicht auf die
Meldung beim Arbeitsamt (Agentur für Arbeit) als arbeitsuchend beschränken
dürfen. Der Ruhestandsbeamte ist von vornherein gehalten, sich rechtzeitig und
fortwährend z.B. auf Arbeitsplatzangebote in den Tageszeitungen oder im
Internet zu bewerben und auch selbst, beispielsweise durch eigene
Stellengesuche, initiativ zu werden. Dabei ist es ihm gegebenenfalls auch
zuzumuten, einfache Arbeiten, die keine oder nur eine geringe Qualifikation
voraussetzen, anzunehmen. Bei Erfolglosigkeit ist der Nachweis dieser
Bemühungen - ebenso wie der Nachweis erfolgloser Bemühungen um eine
vorzeitige Rentengewährung - Voraussetzung einer etwaigen Weiterbewilligung
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des Unterhaltsbeitrags gemäß § 110 Abs. 2 BDO. Diese ist gegebenenfalls
beim zuständigen Verwaltungsgericht, unter Vorlage entsprechender
Unterlagen, zu beantragen (vgl. zur Rechtslage nach dem am 1. Januar 2002 in
Kraft getretenen Bundesdisziplinargesetz: Senatsbeschlüsse vom 15. Januar
2002 - BVerwG 1 DB 34.01 - Buchholz 235 § 110 BDO Nr. 10 = ZBR 2002, 436
= DokBer B 2002, 95 und vom 19. Oktober 2004 - BVerwG 1 DB 5.04 -).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 114 Abs. 1 Satz 1 BDO. Danach hat der
Ruhestandsbeamte die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, soweit er
das Rechtsmittel nachträglich beschränkt und damit teilweise zurückgenommen
hat. Eine Kostenquotelung unter dem Gesichtspunkt der antragsgemäß er-
weiterten Unterhaltsbewilligung kommt nicht in Betracht, weil es sich im Hinblick
auf den Umfang der zunächst eingelegten Berufung nur um einen verhältnis-
mäßig geringfügigen Teilerfolg handelt (stRspr, vgl. zuletzt Urteil vom
20. Oktober 2005 - BVerwG 1 D 12.04 - m.w.N.).
Albers Dr. Müller
Richterin am Bundesver-
waltungsgericht Thomsen
ist wegen Erkrankung ver-
hindert zu unterschreiben.
Albers
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Formelles Beamtendisziplinarrecht
Fachpresse:
nein
Rechtsquellen:
BDO § 77 Abs. 1 und 2, § 80 Abs. 4
Stichworte:
Aberkennung des Ruhegehalts eines 59-jährigen Ruhestandsbeamten (Altfall);
nachträglich auf den Unterhaltsbeitrag beschränkte Berufung des Ruhestands-
beamten; erweiterter Bewilligungszeitraum im Hinblick auf mögliche Ver-
zögerungen bei der Arbeitsplatzsuche wegen des schlechten
Gesundheitszustandes des Ruhestandsbeamten sowie im Hinblick auf mögliche
Verzögerungen bei der Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Urteil des Disziplinarsenats vom 3. April 2008 - BVerwG 1 D 1.07
I. VG ... vom 14.09.2006 - Az.: VG 12 A 7/03 -