Urteil des BVerwG vom 24.02.2005

Eltern, Disziplinarverfahren, Dienstort, Verfahrensmangel

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 D 1.05
VG 7 A 2/04
In dem Disziplinarverfahren
g e g e n
den Technischen Fernmeldeobersekretär ... ,
...,
- Verteidiger:
Rechtsanwälte ...,
... -
hat der Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. Februar 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht A l b e r s ,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht M a y e r und die Richterin
am Bundesverwaltungsgericht H e e r e n
beschlossen:
Auf die Berufung der Einleitungsbehörde wird das Urteil des
Verwaltungsgerichts ... vom 30. November 2004 aufgehoben.
Die Sache wird zur nochmaligen Verhandlung und Entschei-
dung an das Verwaltungsgericht ... zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entschei-
dung vorbehalten.
- 2 -
G r ü n d e :
I.
Der Leiter der Niederlassung ... der Deutschen Telekom AG hat den Beamten ange-
schuldigt, dadurch ein Dienstvergehen begangen zu haben, dass er
während seiner Abordnung vom Fernmeldeamt U. zum Fernmeldeamt M. in der
Zeit vom 19. September 1995 - 31. Mai 1996 in 9 Fällen wahrheitswidrige An-
gaben über Mietkosten machte und hierüber bei der Deutschen Telekom Miet-
quittungen vorlegte, die lediglich zum Schein aus Gefälligkeit ausgestellt wor-
den waren, wodurch er eine Überzahlung in einer Gesamthöhe von 15 594 DM
= 8 097,56 € zu Lasten der Deutschen Telekom AG erreichte und das auf diese
Weise erlangte Geld unrechtmäßig vereinnahmte.
Das Verwaltungsgericht ... hat den Beamten durch Urteil vom 30. November 2004 in
das Amt eines Technischen Fernmeldesekretärs versetzt. Gegen dieses Urteil hat
die Einleitungsbehörde rechtzeitig Berufung eingelegt und beantragt, den Beamten
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils aus dem Dienst zu entfernen.
II.
Die Berufung der Einleitungsbehörde hat insoweit Erfolg, als das am 30. November
2004 verkündete Urteil des Verwaltungsgerichts ... wegen eines schweren Verfah-
rensmangels gemäß § 85 Abs. 7 Satz 3 BDG, § 85 Abs. 1 Nr. 3 BDO aufzuheben
und das Verfahren zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an das Verwal-
tungsgericht ... zurückzuverweisen ist.
Der Verfahrensmangel besteht darin, dass das VG mit der Zurückstufung des Beam-
ten zum Technischen Fernmeldesekretär auf eine Maßnahme erkannt hat, die im
Gesetz nicht vorgesehen ist. Wie die Einleitungsbehörde mit der Berufungsschrift
zutreffend nachgewiesen hat, beginnt das Eingangsamt für die Laufbahn des mittle-
ren technischen Dienstes mit dem Technischen Fernmeldeobersekretär. Darüber
- 3 -
hinaus mangelt es dem angefochtenen Urteil an einer weiteren erforderlichen Sach-
aufklärung.
Das VG hat ausgeführt, ob und in welcher Höhe dem Beamten im streitgegenständ-
lichen Zeitraum Unterkunftskosten entstanden seien, könne nicht festgestellt werden,
weil der Beamte im Untersuchungsverfahren dazu keine Angaben gemacht habe.
Darüber hinaus stehe nicht fest, dass der Beamte täglich zwischen ... und seinem
Dienstort L. gependelt sei, weil im Untersuchungsverfahren dazu keine Feststellun-
gen getroffen oder Beweise erhoben worden seien. Das trifft so nicht zu. Der Unter-
suchungsführer hat auch insoweit Beweise erhoben. Darüber hinaus hat der Beamte
innerhalb der Einlassungsfrist gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 und 2 BDO mit Schriftsatz
vom 6. August 2004 umfängliche Beweisanträge gestellt, die ausweislich des Proto-
kolls der Hauptverhandlung vom 30. November 2004 nicht behandelt worden sind.
Bevor das Gericht eine Entscheidung nach dem Grundsatz in dubio pro reo trifft,
muss es selbst versuchen, diese Zweifel auszuräumen, was vorliegend möglich er-
scheint. Das Gericht ist keineswegs gehindert, zusätzlich zur Beweisaufnahme im
Untersuchungsverfahren weitere Beweise zu erheben. Dem Gericht obliegt vielmehr,
und zwar unabhängig von gestellten Beweisanträgen, eine umfassende Pflicht zur
Sachaufklärung. Hierzu könnte insbesondere die Vernehmung der vom Beamten
nicht benannten Eltern der benannten Zeugin L. zum Beweis dafür erforderlich sein,
ob der Beamte im streitgegenständlichen Zeitraum in G., Straße ..., eine Wohnung
angemietet hatte und ob und ggf. in welcher Höhe er Miete gezahlt hat. Die Anschrift
der Eltern kann auch durch Vernehmung der Zeugin L. ermittelt werden, ggf. durch
Auskunft des Einwohnermeldeamtes. Wegen des langen Zeitablaufs könnte eine
Gegenüberstellung des Beamten mit den Eltern der Frau L. in Betracht kommen. In
diesem Zusammenhang wird auf Folgendes hingewiesen:
Das aktuelle Telefonverzeichnis von G. enthält nur eine Teilnehmerin mit dem Na-
men L., ....-R.-Straße ... Ob es sich hierbei um die von dem Beamten benannte Zeu-
gin L. in der R.-Straße ... handelt, ist nicht bekannt. Gegebenenfalls wären auch hier
Nachforschungen anzustellen. Eine Vernehmung der Zeugin L. könnte auch aus fol-
genden Gründen angezeigt sein: Im Vorermittlungsverfahren hat der Beamte für die
Zeit vom 1. Juni 1996 bis 31. Dezember 1996 Mietquittungen über jeweils 1 200 DM
vorgelegt, die mit L. unterschrieben sind. Dieser Schriftzug unterscheidet sich völlig
- 4 -
von dem, den die Zeugin L. auf dem Rückschein bezüglich ihrer Ladung zum Unter-
suchungstermin vom 16. Juli 2003 (Anlage Blatt 71 der Untersuchungsakte) abge-
geben hat. Es könnte sich aufgrund der Tatsache, dass die Zeugin einer zweimaligen
Ladung des Untersuchungsführers nicht gefolgt ist und der Zeuge H. für die Zeit vom
19. September 1995 bis 31. Mai 1996 nachweislich Gefälligkeitsunterschriften
geleistet hat, auch bezüglich dieser nachfolgenden Zeit um eine von einer anderen
Person geleistete Gefälligkeitsunterschrift oder um eine Fälschung handeln und der
Beamte in der Zeit vom 1. Juni 1996 bis 31. Dezember 1996 nicht unter der angege-
benen Anschrift gewohnt haben. Dies könnte dem Beamten, da nicht angeschuldigt,
disziplinar zwar nicht angelastet werden, es könnte jedoch auch im angeschuldigten
Rahmen, insbesondere für die Frage, ob der Beamte täglich zwischen seinem
Wohnort ... und Dienstort L. gependelt ist oder ihm eine monatliche Aufwandsent-
schädigung sowie Trennungsgeldentschädigungen und Familienheimfahrten zustan-
den, als Indiztatsache von Bedeutung sein. Sollte sich herausstellen, dass der Be-
amte über einen Zeitraum von 15,5 Monaten nicht unter den angegebenen Anschrif-
ten gewohnt hat, lässt sich mangels anderer plausibler Angaben des Beamten in
zulässiger Weise der Schluss ziehen, dass er dann täglich nach Hause gefahren sein
muss.
Schließlich wird noch darauf hingewiesen, sollte die Zeugin L. auch einer gerichtli-
chen Ladung nicht Folge leisten, dass dann eine zwangsweise Vorführung gemäß
§ 25 BDO i.V.m. § 51 Abs. 1 Satz 2 StPO zulässig ist. Hierauf sollte die Zeugin auf-
grund der Erfahrungen im Untersuchungsverfahren bereits mit ihrer Ladung hinge-
wiesen werden.
Zwar könnte der Senat den Verfahrensfehler im Interesse einer Verfahrensbe-
schleunigung selbst beseitigen und im erforderlichen Umfang Auskünfte einholen und
die Zeugen selbst vernehmen. Hierzu - und zum weitgehenden Verlust einer
Tatsacheninstanz - zwingt aber das Beschleunigungsverbot jedenfalls dann nicht,
wenn - wie hier - die Aufhebung und Zurückverweisung unmittelbar nach Eingang
eines Rechtsmittels gegen das angefochtene Urteil erfolgen kann. Was den weiter-
gehenden Verlust einer Tatsacheninstanz betrifft, ist auch auf folgenden Umstand
hinzuweisen: Anstelle der unzulässigen Degradierung kann im laufenden Disziplinar-
verfahren die nächst mildere Disziplinarmaßnahme der Gehaltskürzung ebenfalls
- 5 -
nicht verhängt werden. Sie wäre nach § 4 Abs. 2 BDO unzulässig, weil seit dem
Dienstvergehen (31. Mai 1996) bis zur Einleitung des förmlichen Disziplinarverfah-
rens durch Verfügung vom 13. Dezember 2001 (zugestellt am 14. Dezember 2001)
mehr als drei Jahre verstrichen waren. Das Verfahren müsste gemäß § 76 Abs. 3
Satz 1 i.V.m. § 64 Abs. 1 Nr. 1 BDO eingestellt werden. Im vorliegenden Verfahren
kann es daher nur darum gehen, ob das Verfahren einzustellen oder der Beamte aus
dem Dienst zu entfernen ist. Da das VG aufgrund des Verfahrensfehlers, dem es
unterlegen ist, diesen Gesichtspunkt nicht gesehen hat, sollte ihm Gelegenheit
gegeben werden, erstmals eine zulässige Sachentscheidung unter Ausschöpfung
vorhandener Beweismittel zu treffen, so dass den Beteiligten ggf. zwei Instanzen
offen stehen, die in der Sache entscheiden. Zwar hat das VG, nachdem es nach
Verkündung des Urteils von der Vertreterin der Einleitungsbehörde auf den Verfah-
rensfehler hingewiesen worden war, in einer Art obiter dictum ausgeführt, es hätte
das Verfahren bei unzulässiger Degradierung des Beamten wegen Zeitablaufs ein-
gestellt. Diese Überlegungen können naturgemäß nicht Gegenstand der Beratung
gewesen sein und sind offensichtlich erst nachträglich ohne Beteiligung des ehren-
amtlichen Richters zum Gegenstand des Urteils gemacht worden, was eine weitere
verfahrensfehlerhafte Handlungsweise darstellt.
Als Anregung für eine angemessene Disziplinarmaßnahme weist der Senat auf fol-
gende Entscheidungen im Zusammenhang mit Unregelmäßigkeiten bei der Abord-
nung in die neuen Bundesländer hin. Urteil vom 6. August 1996 - BVerwG 1 D
81.95 - (Schaden 10 488 DM, Degradierung); Urteil vom 17. März 1998 - BVerwG
1 D 14.97 - (Schaden 2 095 DM, Degradierung); Urteil vom 1. September 1998
- BVerwG 1 D 71.97 - (Schaden 3 259 DM, Milderungsgründe, Gehaltskürzung auf
fünf Jahre); Urteil vom 3. April 2001 - BVerwG 1 D 59.00 - (Schaden 19 300 DM,
Entfernung aus dem Dienst); Urteil vom 27. Juni 2001 - BVerwG 1 D 36.00 - (Scha-
den 44 500 DM, Entfernung aus dem Dienst); insbesondere Urteil vom 22. Februar
2005 - BVerwG 1 D 30.03 - (Schaden mindestens 12 167 DM, Entfernung aus dem
Dienst).
Als allgemeiner Grundsatz lässt sich daraus ableiten, dass bei einem Schaden von
über 10 000 DM bzw. 5 000 € je nach den Umständen des Einzelfalles unter Berück-
- 6 -
sichtigung der von der Senatsrechtsprechung entwickelten Kriterien eine Entfernung
aus dem Dienst in Betracht kommt.
Die Kostenentscheidung ist dem Verwaltungsgericht auch für das Berufungsverfah-
ren vorzubehalten, weil erst seine erneute Entscheidung zeigen wird, ob und inwie-
weit die Berufung der Einleitungsbehörde in der Sache Erfolg hat.
Albers Mayer Heeren
Sachgebiet:
BVerwGE: nein
Formelles Disziplinarrecht
Fachpresse: nein
Rechtsquellen:
BDO § 85 Abs. 1 Nr. 3
Stichworte:
Schwerer Verfahrensmangel; Zurückstufung eines Beamten in ein in dessen Lauf-
bahn nicht vorgesehenes Amt; fehlende weitere Sachaufklärung; Aufhebung und
Zurückverweisung.
Beschluss des Disziplinarsenats vom 24. Februar 2005 - BVerwG 1 D 1.05
I. VG ... vom 30.11.2004 - Az.: VG 7 A 2/04 -