Urteil des BVerwG vom 18.03.2003

Verwaltungskosten, Abkommen, Vollzug, Bahrain

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IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 1 C 9.02
Verkündet
OVG 7 A 11342/01
am 18. März 2003
Battiege
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 18. März 2003
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. M a l l m a n n , H u n d und R i c h t e r ,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht B e c k
sowie den Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. D ö r i g
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten werden das Ur-
teil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-
Pfalz vom 12. März 2002 und das Urteil des Ver-
waltungsgerichts Koblenz vom 10. April 2001
hinsichtlich der Entscheidung über die Dolmet-
scherkosten in Höhe von 880 DM geändert.
Auf die Berufung der Beklagten wird die Klage
auch insoweit abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens in erster Instanz
tragen die Klägerin zu neun Zehnteln und die
Beklagte zu einem Zehntel.
Die Kosten des Berufungs- und des Revisionsver-
fahrens trägt die Klägerin.
G r ü n d e :
I.
Die Klägerin, ein in Bahrain ansässiges Luftfahrtunternehmen,
beförderte im September 1997 eine Iranerin und ihre beiden
minderjährigen Töchter von Bahrain nach Frankfurt am Main.
Nachdem diese keine gültigen Grenzübertrittsdokumente vorlegen
konnten und ihre Asylanträge im so genannten Flughafenverfah-
ren abgelehnt worden waren, verweigerte ihnen die Grenzschutz-
behörde die Einreise. Da im Falle der Mutter Suizidgefahr be-
stand, wurde sie vorübergehend in einer psychiatrischen Klinik
untergebracht, während die Töchter in die Obhut einer Einrich-
tung der Jugendhilfe kamen. Sechs Wochen später war der Ge-
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sundheitszustand der Mutter so stabil, dass die Rückführung in
den Iran vorbereitet werden konnte. Während des sich über zwei
Tage erstreckenden Aufenthalts der Iranerinnen auf dem Flugha-
fengelände bis zum Antritt des Rückfluges wurde für einen
Zeitraum von 15 Stunden und 45 Minuten ein Dolmetscher be-
schäftigt, u.a. zwecks Befragung zum Gesundheitszustand und
Durchführung der Flugtauglichkeitsuntersuchung. Die der Be-
klagten hierdurch entstandenen Dolmetscherkosten beliefen sich
auf 880 DM.
Mit Leistungsbescheid vom 5. Juli 1999 machte die Beklagte
Kosten in Höhe von insgesamt 4 712,53 DM gegen die Klägerin
geltend, die aus Anlass der Zurückweisung der Iranerinnen ent-
standen waren. In diesem Betrag waren Dolmetscherkosten in Hö-
he von 110 DM enthalten. Auf den Widerspruch der Klägerin
brachte die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25. Oktober
2000 weitere 770 DM Dolmetscherkosten in Ansatz, so dass ins-
gesamt 5 482,53 DM gefordert wurden.
Hiergegen hat die Klägerin Anfechtungsklage erhoben. Das Ver-
waltungsgericht hat sie überwiegend abgewiesen, ihr jedoch in-
soweit stattgegeben, als die festgesetzte Forderung
4 037,73 DM übersteigt. In Höhe von 1 444,80 DM - einschließ-
lich der gesamten Dolmetscherkosten von 880 DM - hat es die
Forderung als nicht gerechtfertigt angesehen. Die auf die Dol-
metscherkosten beschränkte Berufung der Beklagten hat das
Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen. Zur Begründung hat es
sich im Wesentlichen auf folgende Gesichtspunkte gestützt:
§ 83 Abs. 2 AuslG enthalte keine hinreichende Rechtsgrundlage
für die Heranziehung der Klägerin zur Zahlung der geltend ge-
machten Übersetzungskosten. Zwar bestünden keine Bedenken ge-
gen die Erforderlichkeit eines Dolmetschers zur Vorbereitung
des Rücktransports der drei Iranerinnen, auch soweit es den
geltend gemachten zeitlichen Umfang betreffe. Nach der Rege-
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lung in § 83 Abs. 2 Nr. 2 AuslG seien indessen die Überset-
zungskosten aus dem Umfang der vom Beförderungsunternehmen zu
erstattenden Kosten ausgenommen. Das ergebe sich aus einem
Vergleich des Wortlauts von § 83 Abs. 1 Nr. 2 AuslG, der die
Übersetzungskosten ausdrücklich einbeziehe, mit dem Wortlaut
des Abs. 2 Nr. 2, der diese Kosten nicht erwähne. Diese Ausle-
gung entspreche auch dem Sinn und Zweck der Regelung. Es liege
nahe, dass der Gesetzgeber von der Auferlegung von Überset-
zungskosten gegenüber dem Beförderungsunternehmen abgesehen
habe, weil er deren Nähe zu Aufwendungen für die normale Per-
sonalausstattung im Blick gehabt habe.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Berufungsge-
richt zugelassenen Revision. Sie erstrebt die Abweisung der
Klage, soweit sie die festgesetzten Dolmetscherkosten be-
trifft. Die Haftung des Beförderungsunternehmens für die er-
forderlichen Übersetzungskosten ergebe sich aus § 83 Abs. 2
Nr. 2 AuslG, denn sie seien Verwaltungskosten im Sinne dieser
Vorschrift. Sinn und Zweck der gesetzlichen Kostenpflicht sei
es zu verhindern, dass die finanziellen Aufwendungen einer
Rückführung von Ausländern auf die Allgemeinheit überwälzt
würden. Nach dem Veranlasserprinzip solle der Beförderungsun-
ternehmer neben dem Ausländer auch für die entstandenen Dol-
metscherkosten haften.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom
12. März 2002 und das Urteil des Verwaltungsgerichts
Koblenz vom 10. April 2001 hinsichtlich der Entscheidung
über die Dolmetscherkosten in Höhe von 880 DM zu ändern
und die Klage auch insoweit abzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.
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Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsge-
richt beteiligt sich am Verfahren und weist darauf hin, dass
die Haftung des Beförderungsunternehmers für die erforderli-
chen Übersetzerkosten auch nach der Allgemeinen Verwaltungs-
vorschrift zum Ausländergesetz vorgesehen ist.
II.
Die Revision der Beklagten ist begründet. Die durch das ange-
fochtene Urteil bestätigte Aufhebung des Leistungsbescheides
der Beklagten in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
25. Oktober 2000 verletzt, soweit sie die darin festgesetzten
Dolmetscherkosten in Höhe von 880 DM betrifft, Bundesrecht.
Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts hat die
Beklagte einen Anspruch auf Erstattung dieser Kosten nach § 83
Abs. 2 Nr. 2, § 82 Abs. 3 Satz 1, § 73 Abs. 1 des Ausländerge-
setzes vom 9. Juli 1990 (BGBl I S. 1354) in der Fassung des
Gesetzes vom 25. Mai 2000 (BGBl I S. 742).
1. § 73 Abs. 1 AuslG verpflichtet Beförderungsunternehmer, die
von ihnen beförderten Ausländer, die in das Bundesgebiet ein-
reisen wollen, unverzüglich außer Landes zu bringen, sofern
diese an der Grenze zurückgewiesen werden. Die verschuldens-
unabhängige, nur an die Verursachung anknüpfende Rückbeförde-
rungspflicht wird ergänzt durch die Kostenhaftung nach § 82
Abs. 3 Satz 2 AuslG. Hiernach haftet der Beförderungsunterneh-
mer in den Fällen des § 73 Abs. 1 und 2 AuslG neben dem Aus-
länder für die Kosten der Rückbeförderung des Ausländers und
für die Kosten, die von der Ankunft des Ausländers an der
Grenzübergangsstelle bis zum Vollzug der Entscheidung über die
Einreise entstehen. Eine erweiterte - alle sonstigen Kosten
umfassende - Haftung sieht § 82 Abs. 3 Satz 2 AuslG für den
Fall eines schuldhaften Zuwiderhandelns gegen ein behördlich
verfügtes Beförderungsverbot nach § 74 AuslG vor. § 83 AuslG
regelt den Umfang der Kostenhaftung. § 83 Abs. 1 AuslG be-
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stimmt zunächst allgemein, was im Einzelnen die von den Kos-
tenschuldnern nach § 82 AuslG zu tragenden "Kosten der Ab-
schiebung, Zurückschiebung und Zurückweisung umfassen". Dazu
zählen "die bei der Vorbereitung und Durchführung der Maßnahme
entstehenden Verwaltungskosten einschließlich der Kosten für
die Abschiebungshaft und der Übersetzungskosten" (§ 83 Abs. 1
Nr. 2 erste Alternative AuslG). § 83 Abs. 2 AuslG definiert
dann speziell, was "die Kosten, für die der Beförderungsunter-
nehmer nach § 82 Abs. 3 Satz 1 haftet, umfassen". Zu diesen
Kosten, die denjenigen Unternehmer treffen, der - wie hier die
Klägerin - nicht schuldhaft gegen ein Beförderungsverbot ver-
stoßen hat, gehören "die bis zum Vollzug der Entscheidung über
die Einreise entstehenden Verwaltungskosten" (§ 83 Abs. 2
Nr. 2 erste Alternative AuslG).
Der Gesetzgeber hat damit die Haftung eines Beförderungsunter-
nehmers, der - wie die Klägerin - nicht gegen eine Untersa-
gungsverfügung verstoßen hat, nach § 83 Abs. 2 AuslG begrenzt
und weniger weitgehend als die verschärfte Haftung gemäß § 83
Abs. 1 AuslG ausgestaltet. Eine Haftungserleichterung bezüg-
lich der Verwaltungskosten erfährt die Klägerin insoweit aber
nur hinsichtlich des erfassten Zeitraums. Sie hat nur für die
Verwaltungskosten einzustehen, die bis zum Vollzug der Ent-
scheidung über die Einreise entstehen. Für den Umfang der Ver-
waltungskosten folgt aus der unterschiedlichen Fassung von
§ 83 Abs. 1 Nr. 2 AuslG (Verwaltungskosten "einschließlich der
Übersetzungskosten") einerseits und § 83 Abs. 2 Nr. 2 (Verwal-
tungskosten ohne Zusatz) andererseits jedoch nichts. Insbeson-
dere ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber die Überset-
zungskosten aus dem Begriff der Verwaltungskosten gemäß § 83
Abs. 2 Nr. 2 AuslG herausnehmen wollte. Vielmehr gibt es ge-
wichtige Gründe für die gegenteilige Annahme. So ist zu be-
rücksichtigen, dass der privilegierte Beförderungsunternehmer
nach der haftungsbegründenden Norm des § 82 Abs. 3 Satz 1
AuslG für "die" - also alle - Kosten haftet, die von der An-
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kunft des Ausländers an der Grenzübergangsstelle bis zum Voll-
zug der Entscheidung über die Einreise entstehen. Dazu gehören
auch Dolmetscherkosten, die in dem gesetzlich bezeichneten
Zeitrahmen entstehen, um wie hier die Verständigung mit dem
Ausländer bis zum Vollzug der Ausreise zu ermöglichen. Ferner
rechnet § 10 Abs. 1 Nr. 5 VwKostG i.V.m. § 17 ZSEG die Dolmet-
scherkosten generell zu den Auslagen der Behörde, die grund-
sätzlich in jedem Verwaltungsverfahren zu erstatten sind. Das
widerlegt die Ansicht des Berufungsgerichts, Dolmetscherkosten
wiesen eine Nähe zu Aufwendungen für die Personalausstattung
der zuständigen Behörde auf, die nur ausnahmsweise auf der
Grundlage eines gesonderten Gebührentatbestandes verlangt wer-
den könnten.
Schließlich entspricht es dem Sinn und Zweck der gesetzlichen
Regelung, dass die Klägerin als (Mit-)Verursacherin und nicht
die Beklagte die Dolmetscherkosten zu tragen hat. Der Beförde-
rungsunternehmer soll nämlich für die Kosten der Zurückweisung
haften, "da es nicht angeht, die Allgemeinheit mit diesen Kos-
ten zu belasten" (so zur Vorgängerregelung in § 18 Abs. 4
AuslG 1965: Bericht des Innenausschusses des Deutschen Bundes-
tags vom 26. Januar 1965, BTDrucks IV/3013, S. 5 f.; vgl. auch
Urteil vom 29. Juni 2000 - BVerwG 1 C 25.99 - Buchholz 402.240
§ 83 AuslG Nr. 1).
Davon geht auch das Bundesministerium des Innern in der mit
Zustimmung des Bundesrats ergangenen Allgemeinen Verwaltungs-
vorschrift zum Ausländergesetz vom 28. Juni 2000 aus (GMBl
S. 618; vgl. Nr. 83.2). Im gescheiterten Zuwanderungsgesetz
vom 20. Juni 2002 (BGBl I, 1946) war eine entsprechende aus-
drückliche Regelung zur Klarstellung vorgesehen (vgl. § 67
Abs. 2 Nr. 2 Aufenthaltsgesetz und die Gesetzesbegründung
hierzu, BTDrucks 14/7387, S. 87).
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2. Die Haftung von Fluggesellschaften für Dolmetscherkosten
steht im Einklang mit internationalen Verpflichtungen, die die
Bundesrepublik Deutschland eingegangen ist. Dies gilt insbe-
sondere für das Chicagoer Abkommen über die Internationale Zi-
villuftfahrt vom 7. Dezember 1944 (BGBl 1956 II S. 411/934)
und das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
dem Staat Bahrain über den Luftverkehr vom 18. Juni 1991 (BGBl
1993 II S. 818). Beide Abkommen gehen davon aus, dass der Be-
förderungsunternehmer - über die Rückbeförderungspflicht
hinaus - die Vorschriften der Bundesrepublik Deutschland, ins-
besondere über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern
einzuhalten hat (Art. 13, 38 des Chicagoer Abkommens und
Art. 3 Abs. 3 des Deutsch-Bahrainischen Abkommens). Das gilt
auch für die Bestimmungen des Ausländergesetzes über die Kos-
tentragung in Fällen der Zurückweisung eingeflogener Ausländer
(so bereits Urteil vom 29. Juni 2000 a.a.O.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1
Satz 1 VwGO.
Dr. Mallmann Hund Richter
Beck Prof. Dr. Dörig
Sachgebiet:
BVerwGE: nein
Ausländerrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
AuslG § 73 Abs. 1 und Abs. 2, § 74, § 81 Abs. 2 Satz 2, § 82
Abs. 1 bis Abs. 3, § 83 Abs. 1 und Abs. 2
VwKostG § 10 Abs. 1 Nr. 5
ZSEG § 17
Chicagoer Abkommen über die Internationale Zivilluftfahrt vom
7. Dezember 1944 (BGBl 1956 II S. 411/934) Art. 13, 38
Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat
Bahrain über den Luftverkehr vom 18. Juni 1991 (BGBl
1993 II S. 818) Art. 3 Abs. 3
Stichworte:
Ausländer; Beförderungsunternehmen; Chicagoer Abkommen; Dol-
metscherkosten; Einreise; Einreisebestimmungen; Einreisever-
weigerung; Erforderlichkeit; Fluggesellschaft; Flughafenver-
fahren; Kostenhaftung; Rückbeförderung; Übersetzungskosten;
Verhinderung der Einreise; Verursacherhaftung; Verwaltungskos-
ten; Zurückweisung an der Grenze.
Leitsatz:
Der Beförderungsunternehmer haftet nach § 83 Abs. 2 Nr. 2
AuslG auch für die Kosten eines Dolmetschers, der von den
Grenzschutzbehörden zur Vorbereitung der Zurückweisung (hier:
Rückbeförderung ins Heimatland auf dem Luftweg) in Anspruch
genommen wird.
Urteil vom 18. März 2003 – BVerwG 1 C 9.02
I. VG Koblenz vom 10.04.2001 – Az.: VG 3 K 3113/00.KO
II. OVG Rheinland-Pfalz vom 12.03.2002 – Az.: OVG 7 A 11342/01