Urteil des BVerwG vom 21.11.2006

Bundesamt, Libanon, Abschiebung, Hund

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Verkündet
BVerwG 1 C 8.06
am 21. November 2006
OVG 10 LB 7/06
von Förster
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 21. November 2006
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann, Hund und Richter
sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck
für Recht erkannt:
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Niedersäch-
sischen Oberverwaltungsgerichts vom 15. März 2006 wird
zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Die Kläger, in Deutschland geborene Kinder abgelehnter Asylbewerber aus
dem Libanon, wenden sich gegen die behördliche Einleitung eines Asylverfah-
rens nach § 14a Abs. 2 AsylVfG und begehren die Aufhebung des danach er-
gangenen negativen Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge
(Bundesamt).
Die im Juni 1993 und im August 1997 in Deutschland geborenen Kläger sind
wie ihre Eltern libanesische Staatsangehörige. Die Eltern sind zusammen mit
einem weiteren Kind bereits 1992 in die Bundesrepublik eingereist; ihre Asylan-
träge wurden 1993 (bestandskräftig seit der Zurückweisung eines Antrags auf
Zulassung der Berufung im November 1995) abgelehnt. Seither wird die Familie
geduldet; nur von Februar bis Juli 2005 hatte sie eine Aufenthaltserlaubnis nach
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§ 25 Abs. 5 AufenthG. Im Juni 2005 zeigte die Ausländerbehörde dem
Bundesamt die Geburten der Kläger gemäß § 14a Abs. 2 AsylVfG an. Darauf-
hin führte das Bundesamt für die Kläger ein Asylverfahren durch, das es jedoch
zunächst durch Bescheid vom 28. Juli 2005 (mit negativer Entscheidung zu
§ 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG und einer Abschiebungsandrohung in den Libanon)
einstellte. Im Klageverfahren hat das Bundesamt mit dem angegriffenen Be-
scheid vom 25. Oktober 2005 seinen Einstellungsbescheid vom 28. Juli 2005
aufgehoben (Nr. 1), die Anerkennung der Kläger als Asylberechtigte abgelehnt
(Nr. 2) und festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG
(Nr. 3) sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG (Nr. 4)
nicht vorliegen. Gleichzeitig hat es den Klägern die Abschiebung in den Libanon
angedroht (Nr. 5).
Die Kläger haben daraufhin beantragt, nunmehr den Bescheid vom 25. Oktober
2005 aufzuheben. Dabei haben sie auf die bisherige Begründung ihrer Klage
verwiesen, dass § 14a Abs. 2 AsylVfG auf sie nicht anwendbar sei. Das Ver-
waltungsgericht Hannover hat der geänderten Klage stattgegeben und den Be-
scheid vom 25. Oktober 2005 aufgehoben, weil für die Kläger weder Asylanträ-
ge gestellt worden seien noch solche durch die Anzeige der Ausländerbehörde
als gestellt gelten könnten. § 14a Abs. 2 AsylVfG beziehe sich nur auf solche
Fälle, die an Ereignisse nach dem 1. Januar 2005 anknüpften.
Auf Antrag der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht Lüneburg die Beru-
fung zugelassen. Im Berufungsverfahren haben sich die Kläger nicht mehr
schriftlich zur Sache geäußert. Nach einem Vermerk des Berichterstatters (GA
Bl. 88 Rückseite) hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger auf eine telefoni-
sche Befragung wegen des Rechtsschutzziels der Klage erklärt, dass er be-
wusst und allein einen kassatorischen Antrag gestellt habe, da die Argumenta-
tion der Kläger auf die (Un-)Anwendbarkeit der Vorschrift abziele und Asylgrün-
de auch der Sache nach nicht geltend gemacht würden; einen hilfsweisen Ver-
pflichtungsantrag wolle er nicht stellen. Durch Urteil vom 15. März 2006 hat das
Oberverwaltungsgericht die Klage abgewiesen. § 14a Abs. 2 AsylVfG sei auf
die Kläger anwendbar. Dagegen bestünden weder verfassungsrechtliche noch
gemeinschaftsrechtliche Bedenken.
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Mit ihrer vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision wiederholen die
Kläger ihre Einwände gegen die Anwendbarkeit des § 14a Abs. 2 AsylVfG.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Berufungsurteil.
Die Vertreterin des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht weist
darauf hin, dass inzwischen beabsichtigt sei, in das derzeit geplante Ände-
rungsgesetz eine Regelung einzufügen, die klarstelle, dass § 14a Abs. 2
AsylVfG auch für Altfälle gilt.
II
Die Revision der Kläger ist unbegründet. Das Berufungsurteil steht mit Bundes-
recht in Einklang (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
Wie in der Revisionsverhandlung erörtert, begehren die Kläger die Aufhebung
des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt)
ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Unanwendbarkeit des § 14a Abs. 2
AsylVfG in ihrem Falle. Das Rechtsschutzbegehren wird - unter bewusstem
Verzicht auf eine weitergehende gerichtliche Sachprüfung der Ablehnung von
Asyl und Abschiebungsschutz sowie einer Abschiebungsandrohung und der
damit verbundenen nachteiligen Folgen - mit dem isolierten Anfechtungsantrag
geltend gemacht. (Hilfs-)Anträge auf Verpflichtung (zur Anerkennung als Asyl-
berechtigte und als Flüchtlinge nach § 60 Abs. 1 AufenthG sowie auf Feststel-
lung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG) werden
nicht gestellt. Dabei geht auch der Prozessbevollmächtigte der Kläger davon
aus, dass der angefochtene Bescheid bei Abweisung der isolierten Anfech-
tungsklage ohne materielle Prüfung der Asyl- und Abschiebungsschutzanträge
unanfechtbar und bestandskräftig wird.
Die danach ausschließlich begehrte isolierte Anfechtung des Bundesamtsbe-
scheids ist statthaft. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
- insbesondere auch zu Asylverfahren - ist zwar grundsätzlich von einem Vor-
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rang der Verpflichtungsklage auszugehen mit der Folge, dass Rechtsschutz
gegen die Ablehnung eines begünstigenden Verwaltungsaktes in der Regel
(nur) durch eine Verpflichtungsklage („Versagungsgegenklage“) zu erstreiten
ist, welche die Aufhebung des Versagungsbescheids umfasst, soweit er entge-
gensteht. Die Rechtsprechung erkennt aber an, dass allein die Aufhebung des
Versagungsbescheids ausnahmsweise ein zulässiges - gegenüber der Ver-
pflichtungsklage für den Kläger vorteilhafteres - Rechtsschutzziel sein kann,
wenn eine mit diesem Bescheid verbundene Beschwer nur so oder besser ab-
gewendet werden kann.
Die isolierte Anfechtung - wie sie die Kläger hier betreiben - bietet gegenüber
einem Verzicht auf die Durchführung eines Asylverfahrens nach § 14a Abs. 3
AsylVfG den Vorteil, dass dessen nachteilige Folgen, die denjenigen einer be-
standskräftigen Ablehnung entsprechen (§ 71 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG), bei ei-
nem Erfolg der Klage nicht eintreten, weil der negative Bescheid des Bundes-
amts ersatzlos aufgehoben wird. Dies legitimiert auch die Zulassung der isolier-
ten Anfechtung als alleiniges Ziel einer Klage wie hier, die sich nur dagegen
wendet, dass der angefochtene Bescheid des Bundesamts wegen Verstoßes
gegen § 14a Abs. 2 AsylVfG rechtswidrig ist. Wegen weiterer Einzelheiten wird
auf das Urteil des Senats vom heutigen Tag im Verfahren BVerwG 1 C 10.06
(zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung des Bundesverwaltungs-
gerichts vorgesehen) Bezug genommen.
Das Berufungsgericht hat die danach statthafte und auch sonst zulässige Klage
zu Recht als unbegründet angesehen. Der angefochtene Bescheid ist nicht
mangels eines beachtlichen Asylantrags der Kläger rechtswidrig.
§ 14a Abs. 2 AsylVfG gilt auch für vor dem 1. Januar 2005 in Deutschland ge-
borene Kinder (vgl. im Einzelnen das erwähnte Urteil des Senats vom heutigen
Tag im Verfahren BVerwG 1 C 10.06). Die Vorschrift enthält zwar keine aus-
drückliche Regelung ihres zeitlichen Anwendungsbereichs, auch fehlt eine
Übergangsvorschrift im Zuwanderungsgesetz. Für eine Anwendbarkeit auf „Alt-
fälle“ sprechen aber die Entstehungsgeschichte sowie vor allem Sinn und
Zweck der Vorschrift. Sie soll vermeiden, dass durch sukzessive Antragstellung
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überlange Aufenthaltszeiten in Deutschland ohne aufenthaltsrechtliche Per-
spektive für die Betroffenen entstehen (vgl. die Begründung des Regierungs-
entwurfs BTDrucks 15/420 S. 108). Dem Willen des Gesetzgebers entspricht
es, die von ihm als Missbrauch und Umgehung angesehene Vorgehensweise,
bei drohender Abschiebung sukzessiv Asylanträge für minderjährige Kinder zu
stellen, möglichst rasch, umfassend und effektiv zu unterbinden. Das ist nur zu
erreichen, wenn § 14a Abs. 2 AsylVfG auch auf „Altfälle“ angewendet wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten wer-
den gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus
§ 30 RVG.
Eckertz-Höfer Dr. Mallmann Hund
Richter Beck
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