Urteil des BVerwG vom 22.06.2011

Aufenthaltserlaubnis, Auslandsvertretung, Lebensgemeinschaft, Besitz

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 1 C 5.10
OVG 3 B 2.09
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. Juni 2011
durch die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig, Richter und
Prof. Dr. Kraft sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberver-
waltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 21. Januar
2010 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens mit
Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigelade-
nen, die dieser selbst trägt.
G r ü n d e :
I
Die Klägerin, eine vietnamesische Staatsangehörige, begehrt die Erteilung ei-
nes Visums.
Die Klägerin reiste im Februar 2000 in das Bundesgebiet ein; ihr Aufenthalt wur-
de im Anschluss an ein erfolgloses Asylverfahren geduldet. Im Juli 2000 heira-
tete sie einen vietnamesischen Staatsangehörigen, der kurz darauf die deut-
sche Staatsangehörigkeit erwarb. Daraufhin erteilte ihr die Ausländerbehörde
im Juni 2001 eine befristete Aufenthaltserlaubnis, die zuletzt bis zum 6. März
2006 verlängert wurde. In den Verlängerungsbescheiden findet sich der Hin-
weis, die Klägerin möge an eine rechtzeitige Terminvereinbarung zur Verlänge-
rung der Aufenthaltsgenehmigung denken.
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Im Juli 2004 erklärte der Ehemann gegenüber der Ausländerbehörde, er lebe
von der Klägerin seit April 2003 getrennt. Demgegenüber machte die Klägerin
geltend, erst Mitte September 2004 von der Trennungsabsicht ihres Eheman-
nes erfahren zu haben. Die Ehe wurde auf Antrag des Ehemannes vom 29. Mai
2006 am 15. Oktober 2008 geschieden. Dem Urteil des Amtsgerichts ist zu ent-
nehmen, dass der Ehemann gegenüber dem Familiengericht angegeben hat,
jedenfalls seit September 2004 endgültig getrennt von der Klägerin zu leben.
Die Klägerin, die im Januar 2006 nach Vietnam gereist war, beantragte am
9. März 2006 beim Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in
Ho-Chi-Minh-Stadt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, legte die Ehe-
schließungsurkunde vor und gab als Zweck „verheiratet“ an. Mit Schreiben vom
22. August 2006 lehnte das Generalkonsulat den Antrag u.a. mit der Begrün-
dung ab, dass die der Klägerin erteilte Aufenthaltserlaubnis während des Aus-
landsaufenthaltes abgelaufen sei. Darüber hinaus sei ihr Lebensunterhalt im
Bundesgebiet nicht gesichert.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 12. August 2008 abgewie-
sen und ausgeführt, die Voraussetzungen einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehe-
gattennachzug seien angesichts der Trennung der Eheleute und des anhängi-
gen Scheidungsverfahrens nicht erfüllt. Eine Verlängerung der bis zum 6. März
2006 erteilten Aufenthaltserlaubnis als eigenständiges Aufenthaltsrecht komme
nicht in Betracht, weil der Aufenthaltstitel drei Tage vor Stellung des Verlänge-
rungsantrags erloschen sei.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Klägerin mit Urteil vom
21. Januar 2010 zurückgewiesen. Zwar sei das Generalkonsulat der Beklagten
für die Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels gemäß § 71 Abs. 2 AufenthG
zuständig. Der Klägerin stehe aber kein Anspruch auf Verlängerung der ihr zu-
letzt bis zum 6. März 2006 erteilten Aufenthaltserlaubnis zu. Nachdem ihre Ehe
rechtskräftig geschieden sei, komme als Rechtsgrundlage für das Begehren
allein § 31 AufenthG in Betracht. Die danach mögliche Verlängerung der Auf-
enthaltserlaubnis des Ehegatten scheide jedoch aus Rechtsgründen aus, wenn
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sie erst nach deren Erlöschen beantragt werde. Mangels Existenz eines Auf-
enthaltstitels im Zeitpunkt der Antragstellung könne schon begrifflich nicht von
einer „Verlängerung“ gesprochen werden. Der verspätete Antrag habe auch
keine Fiktionswirkung gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG ausgelöst. Die Gegenauf-
fassung, die bei Bestehen eines inneren Zusammenhangs zwischen dem Ab-
lauf der Geltungsdauer und dem Zeitpunkt der Antragstellung von einer Fikti-
onswirkung auch eines verspäteten Antrags ausgehe, führe zu Rechtsunsicher-
heit. Der Gesetzgeber habe jedenfalls mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz
vom 19. August 2007 klargestellt, dass nach § 81 Abs. 4 AufenthG die Verlän-
gerung eines Aufenthaltstitels nach Ablauf seiner Geltungsdauer nicht möglich
sei. Die Obliegenheit zur rechtzeitigen Stellung eines Verlängerungsantrags sei
nicht unzumutbar. Zudem sei die Klägerin in den Verlängerungsbescheiden
ausdrücklich darauf hingewiesen worden, vor Ablauf der Geltungsdauer an eine
rechtzeitige Terminvereinbarung zu denken. Ob in Fällen einer unverschuldeten
Verhinderung etwas anderes gelte, bedürfe keiner Entscheidung, da die Kläge-
rin keinerlei Gesichtspunkte geltend gemacht habe, die sie entlasten könnten.
Die Klägerin macht zur Begründung der vom Berufungsgericht zugelassenen
Revision geltend, das Berufungsgericht habe § 31 Abs. 1 Satz 1 letzter Halb-
satz AufenthG nicht geprüft, wonach von dem Besitz einer Aufenthaltserlaubnis
abgesehen werden könne, wenn der Ausländer die Verlängerung aus von ihm
nicht zu vertretenden Gründen nicht rechtzeitig habe beantragen können. Die
Klägerin habe den Ablauf der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis während
ihres Auslandsaufenthaltes übersehen und sich drei Tage verspätet bei der
Auslandsvertretung gemeldet. Auch unter Rückgriff auf § 81 Abs. 4 AufenthG
sei die kurzfristige Verspätung unbeachtlich, denn andernfalls könnten die Fol-
gen einer Verspätung im Einzelfall unverhältnismäßig sein. Im Übrigen habe
das Berufungsgericht die Voraussetzungen einer humanitären Aufenthaltser-
laubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG mit Blick auf eine Verwurzelung der Klä-
gerin im Bundesgebiet nicht geprüft.
Die Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.
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II
Die Revision der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis mit den Betei-
ligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141
Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist unbegründet. Das Berufungsgericht
hat einen Anspruch der Klägerin auf Erteilung eines Visums auf der Grundlage
eines eigenständigen Aufenthaltsrechts als Ehegatte in Übereinstimmung mit
Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) abgelehnt; weitere Ansprüche sind
nicht Gegenstand des Verfahrens. Die Beklagte ist gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 1
VwGO passivlegitimiert, denn die Auslandsvertretung war für die begehrte Ent-
scheidung sachlich zuständig (1.). Die bereits erloschene Aufenthaltserlaubnis
konnte jedoch nicht gemäß § 31 AufenthG verlängert werden (2.).
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren der Klägerin auf Ertei-
lung eines Visums zur Verlängerung ihrer ehegattenbezogenen Aufenthaltser-
laubnis als ehegattenunabhängiges Aufenthaltsrecht gemäß § 6 Abs. 4, § 8
Abs. 1 i.V.m. § 28 Abs. 3 und § 31 AufenthG. Einen Anspruch aus § 28 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 AufenthG hat die Klägerin im Revisionsverfahren nicht mehr gel-
tend gemacht; nach der Scheidung von ihrem Ehemann fehlt dafür in der Sache
auch jeglicher Anknüpfungspunkt. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach
§ 25 Abs. 5 AufenthG, die von der Klägerin erstmals im Revisionsverfahren an-
gesprochen worden ist, war von ihrem ursprünglich verfolgten Klagebegehren,
das einen anderen Streitgegenstand betrifft (Urteil vom 4. September 2007
- BVerwG 1 C 43.06 - BVerwGE 129, 226 Rn. 12 = Buchholz 402.242 § 31
AufenthG Nr. 2), nicht umfasst. Im Übrigen sieht § 25 Abs. 5 AufenthG die Ertei-
lung einer Aufenthaltserlaubnis an einen Ausländer, der sich nicht mehr im
Bundesgebiet aufhält, nicht vor.
1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Beklagte
der richtige Anspruchsgegner für das Begehren der Klägerin ist (§ 78 Abs. 1
Nr. 1 VwGO). Im Ausland sind die vom Auswärtigen Amt ermächtigten Aus-
landsvertretungen gemäß § 71 Abs. 2 AufenthG für Pass- und Visaangelegen-
heiten zuständig. Diese sachliche Zuständigkeit erfasst auch das von der Klä-
gerin beantragte Visum, mit dem sie nach Aufhebung der ehelichen Lebensge-
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meinschaft die Verlängerung ihrer ehegattenbezogenen Aufenthaltserlaubnis
als ehegattenunabhängiges Aufenthaltsrecht erstrebt. Die Erteilung des Visums
für einen längerfristigen Aufenthalt richtet sich gemäß § 6 Abs. 4 Satz 2
AufenthG u.a. nach den für die Aufenthaltserlaubnis geltenden Vorschriften; auf
die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis finden dieselben Vorschriften An-
wendung wie auf die Erteilung (§ 8 Abs. 1 AufenthG). Die Zuständigkeit der
Auslandsvertretung entfällt nicht deshalb, weil als materiellrechtliche Grundlage
für die Erteilung des Visums ein Anspruch auf Verlängerung einer im Inland er-
teilten Aufenthaltserlaubnis geltend gemacht wird.
2. Die Klägerin hat keinen Anspruch aus § 28 Abs. 3 i.V.m. § 31 AufenthG auf
Verlängerung ihrer ehegattenbezogenen Aufenthaltserlaubnis als ehegattenun-
abhängiges Aufenthaltsrecht.
Gemäß § 31 Abs. 1 AufenthG (i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar
2008, BGBl I S. 162) wird die Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten im Fall der
Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft als eigenständiges, vom Zweck
des Familiennachzugs unabhängiges Aufenthaltsrecht für ein Jahr verlängert,
wenn u.a. die eheliche Lebensgemeinschaft seit mindestens zwei Jahren
rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden hat. Danach kann die Aufenthaltser-
laubnis verlängert werden, solange die Voraussetzungen für die Erteilung einer
Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG nicht
vorliegen (§ 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG). Im vorliegenden Fall kann die Klägerin
für den von ihr begehrten künftigen Aufenthalt im Bundesgebiet allenfalls ein
subjektiv-öffentliches Recht auf fehlerfreie Ausübung des Verlängerungsermes-
sens gemäß § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG geltend machen. Denn der Anspruch
nach Absatz 1 der Vorschrift bezieht sich auf den Aufenthalt nur in dem Jahr
unmittelbar nach Ablauf der Gültigkeit der ehegattenbezogenen Aufenthaltser-
laubnis (Urteile vom 29. Juli 1993 - BVerwG 1 C 25.93 - BVerwGE 94, 35 <42>
= Buchholz 402.240 § 7 AuslG 1990 Nr. 1 und vom 16. Juni 2004 - BVerwG 1 C
20.03 - BVerwGE 121, 86 <89 f.> zu § 19 AuslG 1990 = Buchholz 402.240 § 19
AuslG 1990 Nr. 10; vgl. auch Urteil vom 9. Juni 2009 - BVerwG 1 C 11.08 -
BVerwGE 134, 124 Rn. 19 zu § 31 AufenthG = Buchholz 402.242 § 7 AufenthG
Nr. 3). Dieser Anspruch ist aber Voraussetzung für eine darauf aufbauende Ver-
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längerung im Ermessenswege nach § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG. Die der Sa-
che nach begehrte Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 31 Abs. 4
Satz 2 AufenthG käme demzufolge nur in Betracht, wenn der Klägerin vom
7. März 2006 bis zum 6. März 2007 ein Verlängerungsanspruch nach Absatz 1
der Vorschrift zugestanden hätte. Das ist jedoch nicht der Fall. Die mit Ablauf
ihrer Geltungsdauer am 6. März 2006 erloschene Aufenthaltserlaubnis konnte
auf den verspätet gestellten Antrag hin nicht als eigenständiges Aufenthalts-
recht verlängert werden; eine Neuerteilung sieht § 31 Abs. 1 AufenthG nicht
vor.
Das Berufungsgericht hat zutreffend entschieden, dass ein erloschener Aufent-
haltstitel nicht verlängert werden kann. Denn eine Verlängerung im Sinne des
§ 8 Abs. 1 AufenthG ist auf die weitere lückenlose Legalisierung des Aufent-
halts ohne Wechsel des Aufenthaltszwecks gerichtet (vgl. Dienelt/Röseler, in:
Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl. 2011, § 8 AufenthG Rn. 3). Der Gesetzgeber
unterscheidet im Aufenthaltsgesetz - wie bereits zuvor im Ausländergesetz -
deutlich zwischen der Erteilung und der Verlängerung einer Aufenthaltserlaub-
nis; in einigen Fällen unterliegt - abweichend von dem Grundsatz des § 8 Abs. 1
AufenthG - die Verlängerung günstigeren Voraussetzungen als die (Neu-)Er-
teilung (z.B. § 30 Abs. 3, § 34 Abs. 1 und § 37 Abs. 4 AufenthG). Vor dem Hin-
tergrund der in § 51 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG angeordneten Rechtsfolge, wonach
eine Aufenthaltserlaubnis mit Ablauf ihrer Geltungsdauer erlischt, setzt die Ver-
längerung aber noch einen wirksamen Aufenthaltstitel und demzufolge einen
grundsätzlich vor Ablauf der Aufenthaltserlaubnis gestellten Antrag voraus
(Albrecht, in: Storr u.a., Zuwanderungsgesetz, 2. Aufl. 2008, § 81 AufenthG
Rn. 21 m.w.N.). Der Systematik des Aufenthaltsgesetzes widerspräche es, eine
bereits abgelaufene Aufenthaltserlaubnis mit Rückwirkung vor den Zeitpunkt
der Antragstellung zu verlängern (Urteil vom 1. März 1983 - BVerwG 1 C
14.81 - BVerwGE 67, 47 <51> zu § 7 Abs. 2 Satz 2 AuslG 1965 = Buchholz
402.24 § 10 AuslG 1990 Nr. 93; Beschluss vom 19. August 1993 - BVerwG 1 B
49.93 - Buchholz 402.240 § 48 AuslG 1990 Nr. 2 zu § 13 AuslG 1990). Das
verkennt die Revision, wenn sie sich darauf beruft, dass bei Vorliegen eines
schutzwürdigen Interesses die Erteilung eines Aufenthaltstitels auch für einen in
der Vergangenheit liegenden Zeitraum beansprucht werden kann. Eine Ertei-
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lung und Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis für die Vergangenheit kommt
nur für Zeiten nach der Antragstellung bei der Ausländerbehörde in Betracht
(Urteil vom 9. Juni 2009 - BVerwG 1 C 7.08 - Buchholz 402.242 § 9a AufenthG
Nr. 1 Rn. 13).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 81 Abs. 4 AufenthG. Danach gilt,
wenn der Ausländer die Verlängerung seines Aufenthaltstitels oder die Erteilung
eines anderen Aufenthaltstitels beantragt, der bisherige Aufenthaltstitel vom
Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fort-
bestehend. Der Auffassung, dass die sog. Fiktionswirkung in allen Fällen einer
verspäteten Antragstellung (Hofmann, in: Hofmann/Hoffmann, Ausländerrecht -
Handkommentar, 1. Aufl. 2008, AufenthG § 81 Rn. 29 ff.) oder zumindest dann
greift, wenn noch ein innerer Zusammenhang zwischen dem Ablauf der Gel-
tungsdauer des Titels und dem Antrag besteht (OVG Münster, Beschluss vom
23. März 2006 - 18 B 120/06 - InfAuslR 2006, 448; OVG Bautzen, Beschluss
vom 30. November 2009 - 3 B 174/08 - juris Rn. 3; VGH München, Beschluss
vom 28. September 2009 - 19 CS 09.1610 - juris Rn. 4; Dienelt, InfAuslR 2005,
136; Benassi, InfAuslR 2006, 178 <182 ff.>; Hailbronner, Ausländerrecht, A 1
§ 81 AufenthG - Stand: Februar 2010 - Rn. 40: „leichte Verspätung“), folgt der
Senat nicht.
Die Materialien zur Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift, die während des
Gesetzgebungsverfahrens verändert worden ist (Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung BTDrucks 15/420 S. 30 und 96, Beschlussempfehlung und Bericht des
Bundestagsinnenausschusses BTDrucks 15/955 S. 30, Empfehlungen der Aus-
schüsse des Bundesrates BRDrucks 22/1/03 S. 71, Beschlussempfehlung des
Vermittlungsausschusses BTDrucks 15/3479 S. 11), liefern dafür keinen ein-
deutigen Befund (so zutreffend Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, II-§ 81 - Stand:
Oktober 2010 - Rn. 41 ff.). Vielmehr lässt die amtliche Begründung des Richtli-
nienumsetzungsgesetzes vom 19. August 2007 (BTDrucks 16/5065 S. 184 zu
§ 58 AufenthG) erkennen, dass auch der Gesetzgeber davon ausgeht, verspä-
tet gestellte Verlängerungsanträge lösten keine Fiktionswirkung aus. Abgese-
hen davon, dass die Gegenauffassung die klare datumsmäßige Fixierung der
Geltungsdauer von Aufenthaltstiteln durch wertende Kriterien wie „zeitlicher Zu-
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sammenhang“ oder „leichte Verspätung“ aufweicht und auf diese Weise zu ei-
nem erheblichen Verlust an Rechtssicherheit führen würde, sprechen Sinn und
Zweck des § 81 Abs. 4 AufenthG gegen sie. Die Fiktionswirkung schützt den
Ausländer davor, dass sich die bloße Dauer des Verwaltungsverfahrens mate-
riell zu seinen Lasten auswirkt. Deshalb soll er durch eine verspätete Entschei-
dung über seinen Antrag nicht schlechter, aber auch nicht besser gestellt wer-
den, als wenn die Behörde sofort entschieden hätte. Die Fiktion nach § 81
Abs. 4 AufenthG hat besitzstandswahrende, nicht aber rechtsbegründende Wir-
kung (Urteil vom 30. März 2010 - BVerwG 1 C 6.09 - BVerwGE 136, 211 Rn. 21
= Buchholz 402.242 § 26 AufenthG Nr. 5); Zeiträume vor der Antragstellung bei
der Ausländerbehörde erfasst sie demzufolge nicht.
Der allgemeine aufenthaltsrechtliche Grundsatz, dass die Verlängerung einer
Aufenthaltserlaubnis einen (noch) wirksamen Aufenthaltstitel und demzufolge
einen vor Ablauf der Aufenthaltserlaubnis gestellten Antrag voraussetzt, gilt
auch für § 31 AufenthG. Die Vorschrift eröffnet einem ausländischen Ehepart-
ner den Übergang von einem ehegattenbezogenen akzessorischen zu einem
verselbstständigten Aufenthaltsrecht. Sie bietet ihm die Möglichkeit, das zum
Zweck des Ehegattennachzugs begründete Aufenthaltsrecht befristet zu ver-
längern, um den Aufbau einer eigenständigen Lebensführung in Deutschland zu
ermöglichen, nachdem seine geschützten Erwartungen in den Bestand der Ehe
enttäuscht wurden. Mit Blick auf diesen Normzweck kann eine verlängerungs-
fähige „Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten“ im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1
AufenthG nur eine zum Zweck des Ehegattennachzugs erteilte Aufenthaltser-
laubnis sein (Urteil vom 4. September 2007 - BVerwG 1 C 43.06 - BVerwGE
129, 226 Rn. 17 ff. = Buchholz 402.242 § 31 AufenthG Nr. 2). In der gesetzli-
chen Ausgestaltung der Gesamtregelung des § 31 AufenthG knüpft der An-
spruchstatbestand in Absatz 1 an den Bestand der ehelichen Lebensgemein-
schaft in der Vergangenheit an und leitet daraus das einjährige Aufenthaltsrecht
ab. Die Vorschrift ermöglicht - wie oben bereits ausgeführt - den Aufenthalt nur
in dem Jahr unmittelbar nach Ablauf der Gültigkeit der ehegattenbezogenen
Aufenthaltserlaubnis. Damit geht der Gesetzgeber von einem engen zeitlichen
Zusammenhang zwischen ehebezogener Aufenthaltserlaubnis und deren Ver-
längerung zum eigenständigen Aufenthaltsrecht aus. Dem entspricht es, dass
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er in § 31 AufenthG nur die Rechtsfolge der Verlängerung, nicht aber einer
(Neu-)Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vorgesehen hat. Folglich gilt auch bei
§ 31 AufenthG, dass der Ehegatte bei Stellung des Verlängerungsantrags noch
im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis sein muss; ein Verlängerungsan-
spruch ist nach Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis grundsätzlich ausgeschlos-
sen.
Wenn die Revision demgegenüber auf § 31 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AufenthG
verweist, verhilft ihr das nicht zum Erfolg. Nach dieser Vorschrift setzt die Ver-
längerung der Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten u.a. voraus, dass der Aus-
länder während des mindestens zweijährigen Bestands der ehelichen Lebens-
gemeinschaft oder bis zu deren Beendigung durch seinen Tod im Besitz einer
Aufenthaltserlaubnis, Niederlassungserlaubnis oder Erlaubnis zum Dauerauf-
enthalt-EG war, es sei denn, er konnte die Verlängerung aus von ihm nicht zu
vertretenden Gründen nicht rechtzeitig beantragen. Diese Regelung begünstigt
nicht die Klägerin, da mit „Ausländer“ der Stammberechtigte und nicht der Ehe-
gatte gemeint ist, der die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis begehrt.
Der Ausschluss des Anspruchs auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis als
Folge der verspäteten Antragstellung erweist sich nicht als unverhältnismäßig.
Die Befristung der Aufenthaltserlaubnis (§ 7 Abs. 2 Satz 1 AufenthG) dient dem
Zweck effektiver und zeitnaher Überwachung (vgl. BTDrucks 15/420 S. 71).
Den Ausländer trifft die Obliegenheit, rechtzeitig tätig zu werden und der Aus-
länderbehörde sein Interesse an einem weiteren Aufenthalt kundzutun. § 31
Abs. 1 AufenthG sanktioniert die verfahrensrechtliche Säumnis durch einen ma-
teriellen Rechtsverlust, denn die Regelung schließt im Falle verspäteter Antrag-
stellung eine - bei anderen aufenthaltsrechtlichen Anspruchsgrundlagen zu-
meist mögliche - Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus. Diese Folge ist
jedenfalls dann nicht unverhältnismäßig und unzumutbar, wenn der Betreffende
die verspätete Antragstellung zu vertreten hat. Ob in Fällen einer unverschulde-
ten Verspätung etwas anderes gilt, braucht hier nicht entschieden zu werden.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Klägerin habe „keinerlei Gesichts-
punkte“ in dieser Richtung geltend gemacht (UA S. 12 f.).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Eckertz-Höfer
Prof. Dr. Dörig
Richter
Prof. Dr. Kraft
Fricke
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstands wird für das Revisionsverfahren auf 5 000 €
festgesetzt (§ 47 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG).
Eckertz-Höfer
Richter
Prof. Dr. Kraft
20
Sachgebiet:
BVerwGE: ja
Ausländerrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
AufenthG § 6 Abs. 4; § 7 Abs. 2; § 8 Abs. 1; § 25 Abs. 5; § 28 Abs. 3;
§§ 31, 51 Abs. 1 Nr. 1; § 71 Abs. 2; § 81 Abs. 4
VwGO
§ 78 Abs. 1 Nr. 1
Stichworte:
Aufenthaltserlaubnis; Auslandsvertretung; Ehegattennachzug; ehegattenunab-
hängiges Aufenthaltsrecht; Erteilung; Fiktionswirkung; Passivlegitimation; Ver-
längerung; Verschulden; Visaangelegenheiten; Visum; Zuständigkeit.
Leitsätze:
1. Die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis kommt in aller Regel nur in Be-
tracht, wenn der Verlängerungsantrag vor Ablauf ihrer Geltungsdauer gestellt
worden ist.
2. Zeiträume vor der Antragstellung bei der Ausländerbehörde werden von der
Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG nicht erfasst.
Urteil des 1. Senats vom 22. Juni 2011 - BVerwG 1 C 5.10
I. VG Berlin
vom 12.08.2008 - Az.: VG 38 V 26.08 -
II. OVG Berlin-Brandenburg vom 21.01.2010 - Az.: OVG 3 B 2.09 -