Urteil des BVerwG vom 27.01.2009

Aufenthaltserlaubnis, Wider Besseres Wissen, Achtung des Privatlebens, Eltern

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 1 C 40.07
OVG 11 LB 69/07
Verkündet
am 27. Januar 2009
von Förster
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 27. Januar 2009
durch die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Richter,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
für Recht erkannt:
Das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsge-
richts vom 2. Oktober 2007 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Ent-
scheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwie-
sen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung
vorbehalten.
G r ü n d e :
I
Der Kläger erstrebt die Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis
aus humanitären Gründen.
Er wurde im März 1979 im Libanon geboren und ist kurdischer Volkszugehöri-
ger. Im April 1985 kam er mit seinen Eltern nach Deutschland und erhielt im
November 1990 aufgrund eines niedersächsischen Bleiberechtserlasses für
staatenlose Kurden aus dem Libanon eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitä-
ren Gründen, die bis April 2001 als Aufenthaltsbefugnis fortlaufend verlängert
wurde. Die Eltern des Klägers, die türkischer Herkunft sind, hatten bei der An-
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tragstellung im Oktober 1990 nach den Feststellungen des Berufungsgerichts
wider besseres Wissen angegeben, ihre Staatsangehörigkeit sei ungeklärt.
1994 erhielt der Kläger die libanesische Staatsangehörigkeit.
Seit 1997 ist er nach islamischem Ritus verheiratet und hat mit seiner ebenfalls
aus dem Libanon stammenden Frau vier Kinder im Alter zwischen elf und drei
Jahren. Nachdem die Ausweisung der Frau, die türkische Staatsangehörige ist
und deren Eltern ebenfalls über ihre Identität getäuscht hatten, bestandskräftig
geworden war, wurde sie im Februar 2005 in die Türkei abgeschoben und lebt
dort mit den beiden jüngeren Kindern. Die beiden älteren Kinder, die zusammen
mit ihrer Mutter (bestandskräftig) ausgewiesen worden sind, leben nach wie vor
beim Kläger in Deutschland.
Der Kläger beantragte im April 2001 die Verlängerung seiner Aufenthaltsbefug-
nis. Die Ausländerbehörde des Beklagten hatte inzwischen nach umfangreichen
Ermittlungen festgestellt, dass der Vater des Klägers aus der Türkei stammt
und Vater und Sohn auch die türkische Staatsangehörigkeit besitzen. Die
Ausländerbehörde lehnte daraufhin im Oktober 2001 die Verlängerung der
Aufenthaltsbefugnis ab und drohte die Abschiebung in den Libanon an. Der
Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg. Ihm wurde aber vorläufiger Rechts-
schutz gewährt. Außerdem wird er seit Ablauf der Aufenthaltsbefugnis von der
Beklagten förmlich geduldet. Im Mai 2004 wurde der Kläger wegen eines vor-
sätzlich begangenen Verstoßes gegen das Fleischhygienegesetz zu einer
Geldstrafe von 100 Tagessätzen verurteilt.
Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten verpflichtet, über den Antrag des
Klägers auf Verlängerung der Aufenthaltsbefugnis unter Beachtung der Rechts-
auffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Das Oberverwaltungsgericht
hat das Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im
Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe wegen seiner türkischen Staatsan-
gehörigkeit von vornherein nicht zu dem geschützten Personenkreis des nie-
dersächsischen Bleiberechtserlasses von 1990 gehört. Im Hinblick auf die
strafgerichtliche Verurteilung falle er auch nicht unter die Altfallregelungen des
§ 104a Abs. 1 und 2 AufenthG. Der Kläger habe schließlich auch keinen An-
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spruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1
AufenthG. Seine Ausreise sei nicht unmöglich. Dies gelte auch im Hinblick auf
Art. 8 EMRK. Der Kläger sei weder wirtschaftlich noch rechtlich integriert. Er
müsse sich auch die falschen Angaben seiner Eltern zu seiner Staatsangehö-
rigkeit zurechnen lassen.
Hiergegen richtet sich die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision
des Klägers.
II
Die Revision ist begründet. Das Berufungsurteil beruht auf einer Verletzung von
Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht hat einen An-
spruch des Klägers auf Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis
mit einer Begründung abgelehnt, die revisionsgerichtlicher Prüfung nicht stand-
hält. Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil in
der Sache selbst nicht abschließend entscheiden kann, ist das Verfahren zur
anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht
zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren des Klägers auf Ver-
längerung seiner nach altem Recht erteilten Aufenthaltsbefugnis als Aufent-
haltserlaubnis nach dem seit Januar 2005 geltenden Aufenthaltsgesetz. Er er-
strebt damit einen Aufenthaltstitel, der an den Ablauf der bis zum 15. April 2001
befristeten Aufenthaltsbefugnis anknüpft und zum Zeitpunkt der gerichtlichen
Entscheidung noch besteht. Die beantragte „Verlängerung“ des Aufenthaltstitels
erfasst grundsätzlich auch Ansprüche, die auf Neuerteilung einer Aufent-
haltserlaubnis gerichtet sind. Gegenständlich ist das Begehren des Klägers auf
die Verlängerung oder Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis beschränkt, wie sie
sich aus Abschnitt 5 des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes ergibt. Denn der
Streitgegenstand einer Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wird be-
stimmt und begrenzt durch den Aufenthaltszweck, aus dem der Ausländer sei-
nen Anspruch herleitet. Im vorliegenden Verfahren stützt der Kläger sein Kla-
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gebegehren in tatsächlicher Hinsicht auf humanitäre Gründe, wie sie in Ab-
schnitt 5 des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes normiert sind. Sein Klagebe-
gehren erfasst damit auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der
durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien
der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienum-
setzungsgesetz - eingeführten und am 28. August 2007 in Kraft getretenen Alt-
fallregelung des § 104a AufenthG (Urteil vom 4. September 2007 - BVerwG 1 C
43.06 - BVerwGE 129, 226 <229 f.>). Da lediglich der Beklagte Berufung gegen
das Urteil des Verwaltungsgerichts eingelegt hat, ist das Begehren des Klägers
im Revisionsverfahren auf eine Neubescheidung seines Antrags durch den Be-
klagten beschränkt.
2. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist bei Verpflichtungsklagen auf
Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis grundsätzlich insoweit
auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhand-
lung in der Tatsacheninstanz abzustellen, als es um die Frage geht, ob schon
aus Rechtsgründen eine Erlaubnis erteilt oder versagt werden muss (vgl. Urteil
vom 16. Juni 2004 - BVerwG 1 C 20.03 - BVerwGE 121, 86 <88>). Danach ist
hier der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht im
September 2007 maßgeblich. Zu diesem Zeitpunkt war das Aufenthaltsgesetz
bereits in der Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes in Kraft. Der rechtli-
chen Beurteilung ist das Aufenthaltsgesetz in dieser Fassung auch hinsichtlich
der Frage zugrunde zu legen, ob dem Kläger ein Anspruch auf Verlängerung
seiner Aufenthaltsbefugnis für die Zeit ab 16. April 2001, also für die Zeit vor
Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes zusteht (vgl. Urteil vom 16. Juni 2004
- BVerwG 1 C 20.03 - a.a.O. S. 88).
Nicht dargelegt und auch sonst nicht ersichtlich ist ein Rechtsschutzbedürfnis
des Klägers, eine ausdrückliche Verpflichtung zur Erteilung einer Aufenthaltser-
laubnis für die Vergangenheit zu erwirken, da sich diese auf seine weitere auf-
enthaltsrechtliche Stellung nicht auswirken kann (vgl. § 102 Abs. 2 AufenthG).
Sein dahingehender Antrag im Revisionsverfahren war daher in sachdienlicher
Weise eingrenzend auszulegen.
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3. Dem Berufungsgericht ist im Ergebnis darin zuzustimmen, dass der Kläger
keinen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltsbefugnis nach § 23 Abs. 1
AufenthG in Verbindung mit dem niedersächsischen Bleiberechtserlass vom
18. Oktober 1990 hat. Ungeachtet aller Fortgeltungsbestimmungen in den Fol-
geerlassen kann dem Landeserlass von 1990 schon deshalb keine rechtliche
Bedeutung mehr zukommen, weil das inzwischen zwingend erforderliche Ein-
vernehmen mit dem Bundesministerium des Innern - BMI - nicht hergestellt ist.
Zwar bedurfte es im Jahre 1990 dieses Einvernehmens nicht. Unter Geltung
des Ausländergesetzes 1965, also bis Ende 1990 waren die obersten Landes-
behörden berechtigt, Bleiberechtsregelungen aus humanitären Gründen ohne
Einvernehmen mit dem BMI vorzusehen. Das Ausländergesetz 1990 führte ab
Januar 1991 das Erfordernis des Einvernehmens ein (§ 32 AuslG 1990), stellte
es den obersten Landesbehörden in einer Übergangsvorschrift aber frei, wei-
terhin ohne Einvernehmen mit dem BMI Anordnungen hinsichtlich der Verlän-
gerung von humanitären Aufenthaltserlaubnissen zu treffen, die - wie hier -
erstmals vor Inkrafttreten des Ausländergesetzes 1990 erteilt worden waren
(vgl. § 94 Abs. 3 Nr. 3 i.V.m. § 99 Abs. 1 und 2 AuslG 1990). Das seit Januar
2005 geltende Aufenthaltsgesetz enthält jedoch eine derartige Übergangsvor-
schrift nicht mehr und sieht nunmehr zur Wahrung der Bundeseinheitlichkeit
zwingend das Einvernehmen zwischen oberster Landesbehörde und BMI vor
(§ 23 Abs. 1 Satz 3 AufenthG). Das Richtlinienumsetzungsgesetz hat dies aus-
drücklich bekräftigt (§ 105a AufenthG). Auf den Erlass von 1990 kann der Klä-
ger sich daher nicht mehr berufen.
4. Dem Berufungsgericht ist im Ergebnis auch darin zu folgen, dass die nach-
folgenden Erlasse des Landes Niedersachsen dem Kläger ebenfalls nicht zugu-
te kommen. Dies gilt zunächst für den Erlass vom 27. September 1992. Der
Senat kann offen lassen, ob - wie vom Berufungsgericht erwogen - die dem
Kläger aufgrund des Bleiberechtserlasses 1990 erteilte Aufenthaltserlaubnis
umgedeutet werden kann in eine Aufenthaltsbefugnis auf der Grundlage des
Erlasses 1992. Der Senat kann ferner offen lassen, wie der Erlass 1992 im
Hinblick auf das Verlängerungsverbot des § 26 Abs. 2 AufenthG rechtlich zu
beurteilen ist. Danach darf eine aus humanitären Gründen erteilte Aufenthalts-
erlaubnis nicht weiter verlängert werden, wenn - wie hier - das Ausreisehinder-
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nis oder die sonstigen einer Aufenthaltsbeendigung entgegenstehenden Gründe
entfallen sind. Anders als im Ausländergesetz 1990 (§ 99 Abs. 1 Satz 1 i.V.m.
§ 34 Abs. 2) ist im Aufenthaltsgesetz keine Übergangsregelung mehr enthalten,
die von dem Verlängerungsverbot befreit. Ungeachtet dieser Bedenken hilft der
Erlass 1992 dem Kläger nicht weiter. Zwar war der Erlass im Einvernehmen mit
dem BMI ergangen. Das Einvernehmen wurde aber lediglich für Kurden aus
dem Libanon hergestellt, die staatenlos sind oder deren Staatsangehörigkeit
ungeklärt ist. Dies ergibt sich aus dem niedersächsischen Bleiberechtserlass
vom 16. August 2001 und ist für die Zeit seit 2001 durch ein Schreiben des
Niedersächsischen Innenministeriums an den Senat bestätigt worden. Der
Kläger besitzt neben der libanesischen Staatsangehörigkeit seit seiner Geburt
auch die türkische Staatsangehörigkeit. Er hat allerdings hinsichtlich der An-
nahme des Berufungsgerichts, dass er türkischer Staatsangehöriger ist,
mehrere Verfahrensrügen erhoben. Diese Rügen greifen jedoch nicht durch.
Dies hat der Senat auf entsprechende Rügen der Prozessbevollmächtigten des
Klägers in den beiden Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren der Eltern des
Klägers im Einzelnen ausgeführt (vgl. Beschlüsse vom 4. August 2008
- BVerwG 1 B 2 und 3.08 - juris). Hierauf nimmt der Senat Bezug.
Auf den niedersächsischen Bleiberechtserlass vom 6. Dezember 2006 kann der
Kläger sich nicht berufen, da im Hinblick auf die strafgerichtliche Verurteilung
ein Ausweisungsgrund vorliegt und der Kläger das vorliegende Verfahren über
den 30. September 2007 hinaus fortgeführt hat (Nr. 5.1.2 und 6.1 des Erlasses).
5. Dem Berufungsgericht ist schließlich auch darin zuzustimmen, dass § 104a
Abs. 1 AufenthG als Anspruchsgrundlage ausscheidet. Nach dieser durch das
Richtlinienumsetzungsgesetz eingeführten Altfallregelung, die im Übrigen
- ebenso wie § 104a Abs. 2 AufenthG - nur einen Anspruch für die Zeit ab In-
krafttreten dieses Gesetzes am 28. August 2007 begründen könnte, soll einem
geduldeten Ausländer abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 eine Aufent-
haltserlaubnis erteilt werden, wenn er sich am 1. Juli 2007 seit mindestens acht
Jahren oder, falls er zusammen mit einem oder mehreren minderjährigen ledi-
gen Kindern in häuslicher Gemeinschaft lebt, seit mindestens sechs Jahren
ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis aus
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humanitären Gründen im Bundesgebiet aufgehalten hat und weitere im Einzel-
nen unter Nr. 1 bis 6 bezeichnete Voraussetzungen vorliegen. Der Kläger erfüllt
zwar die aufenthaltsrechtlichen Anforderungen der Vorschrift. Da er - wie von
der Vorschrift vorausgesetzt - förmlich geduldet wird, kann dahinstehen, ob ein
Ausländer, der wie der Kläger (zusätzlich) vorläufigen Rechtsschutz genießt,
einem geduldeten Ausländer im Sinne des § 104a Abs. 1 AufenthG gleichzu-
stellen ist. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift
scheidet jedoch zwingend aus, weil der Kläger wegen einer im Bundesgebiet
begangenen vorsätzlichen Straftat zu einer Geldstrafe von mehr als 50 Tages-
sätzen verurteilt worden ist (§ 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG). Entgegen
der Hilfserwägung des Berufungsgerichts (UA S. 25) besteht insoweit kein be-
hördliches Ermessen, denn die Verurteilung zu einer Geldstrafe von mehr als
50 Tagessätzen stellt einen strikten Versagungsgrund dar.
6. Dagegen kann den Ausführungen des Berufungsgerichts zu § 104a Abs. 2
AufenthG nicht in vollem Umfang gefolgt werden. Die Begründung, mit der im
Berufungsurteil ein Anspruch des Klägers nach dieser Vorschrift verneint wor-
den ist, lässt sich mit Bundesrecht nicht vereinbaren (§ 137 Abs. 1 Nr. 1
VwGO).
Nach der ebenfalls durch das Richtlinienumsetzungsgesetz eingefügten Altfall-
regelung des § 104a Abs. 2 Satz 1 AufenthG kann einem geduldeten volljähri-
gen ledigen Kind eines geduldeten Ausländers, der sich am 1. Juli 2007 seit
mindestens acht Jahren oder, falls er zusammen mit einem oder mehreren
minderjährigen ledigen Kindern in häuslicher Gemeinschaft lebt, seit mindes-
tens sechs Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufent-
haltserlaubnis aus humanitären Gründen im Bundesgebiet aufgehalten hat, eine
Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn es bei der Einreise minderjährig war
und gewährleistet erscheint, dass es sich auf Grund seiner bisherigen Aus-
bildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik
Deutschland einfügen kann. Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob der
nach islamischem Ritus verheiratete Kläger als „lediges“ Kind im Sinne dieser
Vorschrift anzusehen ist, und hat auch keine Feststellungen dazu getroffen, ob
die Eltern des Klägers im Besitz einer Duldung sind. Es hat einen Anspruch
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nach dieser Vorschrift vielmehr deshalb verneint, weil im Falle des Klägers je-
denfalls die erforderliche positive Integrationsprognose nicht getroffen werden
könne, und sich hierbei auf drei strafgerichtliche Verurteilungen des Klägers
gestützt (ein Verstoß gegen das Fleischhygienegesetz und zwei Falschbeur-
kundungen; vgl. UA S. 26, 27 und 28). Das Berufungsgericht hat dabei überse-
hen, dass die im Februar 2004 nach Jugendstrafrecht erfolgte Verurteilung we-
gen Falschbeurkundung einem Verwertungsverbot unterliegt (§ 60 Abs. 1 Nr. 2,
§ 63 Abs. 1 und 4, § 51 Abs. 1, §§ 52 sowie 63 Abs. 2 BZRG). Die Feststellung
des Berufungsgerichts hinsichtlich einer zweiten Verurteilung wegen Falschbe-
urkundung dürfte aktenwidrig sein; jedenfalls finden sich in der Ausländerakte
des Beklagten keine Hinweise auf eine weitere Verurteilung des Klägers. Aller-
dings wiegt die Verurteilung des Klägers wegen eines vorsätzlichen Verstoßes
gegen das Fleischhygienegesetz im hier gegebenen Zusammenhang auch für
sich genommen schwer und spricht dafür, dass eine positive Integrationsprog-
nose tatsächlich nicht getroffen werden kann. Zwar enthält die Vorschrift keinen
ausdrücklichen Hinweis auf die Bedeutung einer strafgerichtlichen Verurteilung.
Der systematische Zusammenhang der Vorschrift mit § 104a Abs. 1 auf der
einen und § 104a Abs. 3 AufenthG auf der anderen Seite macht aber deutlich,
dass dem Umstand einer oder mehrerer strafgerichtlicher Verurteilungen auch
im Rahmen der nach § 104a Abs. 2 AufenthG zu treffenden Integrationsprog-
nose entscheidendes Gewicht zukommt. So wird bei der Verurteilung zu einer
Strafe, die - wie hier - doppelt so hoch ist wie die Tagessatz-Grenze in § 104a
Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG die erforderliche positive Integrationsprognose in
aller Regel ausscheiden, insbesondere auch dann, wenn eine Wiederholungs-
gefahr nicht auszuschließen ist. In atypischen Fällen, in denen besondere Um-
stände die Integration des Ausländers im Bundesgebiet belegen, kann jedoch
auch bei einer Bestrafung wie hier die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in
Betracht kommen. Ein Anhalt in dieser Richtung ist der Vorschrift etwa in Bezug
auf die Ausbildung des Ausländers zu entnehmen. Das Berufungsgericht hat
hierzu keine Feststellungen getroffen. Bei der erneuten Prüfung der Anspruchs-
voraussetzungen des § 104a Abs. 2 AufenthG im weiteren Verfahren wird das
Berufungsgericht davon auszugehen haben, dass der Kläger als „lediges“ Kind
im Sinne dieser Vorschrift anzusehen ist. Denn insoweit kann nicht angenom-
men werden, dass die sonst im Aufenthaltsrecht nicht anerkannte Eheschlie-
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ßung nach islamischem Ritus im Rahmen von § 104a Abs. 2 AufenthG zulasten
des Ausländers anders zu beurteilen ist. Das Berufungsgericht wird ferner die
erforderlichen Feststellungen zur aufenthaltsrechtlichen Situation der Eltern des
Klägers treffen und ggf. auch die Frage der Integrationsprognose für den Kläger
nach Klärung aller hierfür wesentlichen Umstände im Wege einer Ge-
samtbewertung erneut beurteilen müssen.
7. Ein Anspruch des Klägers nach § 25 Abs. 5 AufenthG scheidet von vorn-
herein aus. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts fehlt es bereits
daran, dass der Kläger nicht vollziehbar ausreisepflichtig ist, weil er nach wie
vor vorläufigen Rechtsschutz genießt.
8. In Betracht kommt jedoch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus hu-
manitären Gründen nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG. Diese Vorschrift ist im
bisherigen Verfahren weder von den Behörden noch den Gerichten in den Blick
genommen worden. Nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG kann eine Aufenthalts-
erlaubnis abweichend von § 8 Abs. 1 und 2 AufenthG, also unabhängig vom
Wegfall der Erteilungsvoraussetzungen verlängert werden, wenn aufgrund be-
sonderer Umstände des Einzelfalles das Verlassen des Bundesgebiets für den
Ausländer eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde. Die Vorschrift ent-
spricht im Wesentlichen der früheren Regelung in § 30 Abs. 2 Nr. 2 AuslG
1990. Insofern kann an die Rechtsprechung des Senats zu dieser Regelung
angeknüpft werden (so bereits Beschluss vom 8. Februar 2007 - BVerwG 1 B
69.06 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 7).
Die Vorschrift setzt nicht nur eine besondere Härte, sondern eine außerge-
wöhnliche Härte voraus. Hierfür gelten naturgemäß hohe Anforderungen. Die
Beendigung des Aufenthalts in Deutschland muss für den Ausländer mit Nach-
teilen verbunden sein, die ihn deutlich härter treffen als andere Ausländer in
einer vergleichbaren Situation. Die Beendigung des Aufenthalts muss für den
Ausländer bei dieser Vergleichsbetrachtung unzumutbar sein (vgl. etwa Urteil
des Senats vom 19. September 2000 - BVerwG 1 C 14.00 - Buchholz 402.240
§ 6 AuslG Nr. 16 sowie Beschluss vom 8. Februar 2007 - BVerwG 1 B 69.06 -
a.a.O.). In einem anderen aufenthaltsrechtlichen Zusammenhang hat der Senat
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eine außergewöhnliche Härte angenommen, wenn die mit der Versagung der
Aufenthaltserlaubnis eintretenden Schwierigkeiten nach ihrer Art und Schwere
so ungewöhnlich und groß sind, dass die Ablehnung der Erlaubnis schlechthin
unvertretbar ist (Beschluss vom 25. Juni 1997 - BVerwG 1 B 236.96 - Buchholz
402.240 § 22 AuslG Nr. 4 zu der früheren Familiennachzugsregelung in § 22
AuslG 1990). Die Kommentarliteratur sieht eine außergewöhnliche Härte im
Sinne des § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG erst bei einer exzeptionellen Ausnah-
mesituation als gegeben an (Hailbronner, Kommentar zum Ausländerrecht, § 25
AufenthG Rn. 92; Burr, in: Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz,
§ 25 Rn. 93; jeweils m.w.N.).
Bei der Beurteilung, ob die Beendigung des Aufenthalts eines in Deutschland
aufgewachsenen Ausländers eine außergewöhnliche Härte darstellt, kommt
auch dem Umstand Bedeutung zu, inwieweit der Ausländer in Deutschland ver-
wurzelt ist. Das Ausmaß der Verwurzelung bzw. die für den Ausländer mit einer
„Entwurzelung“ verbundenen Folgen sind unter Berücksichtigung der verfas-
sungsrechtlichen Vorgaben der Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG sowie der
Regelung des Art. 8 EMRK zu ermitteln, zu gewichten und mit den Gründen, die
für eine Aufenthaltsbeendigung sprechen, abzuwägen. Dabei ist der Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Diese Würdigung unter Einbeziehung
aller Umstände des Einzelfalls ist in erster Linie eine tatrichterliche Aufgabe.
Das Berufungsgericht hat diese Beurteilung im Rahmen des § 25 Abs. 4 Satz 2
AufenthG bisher nicht vorgenommen. Die Erwägungen im Berufungsurteil zu
Art. 8 EMRK (UA S. 32 f.) finden sich bei der Prüfung des § 25 Abs. 5 AufenthG
und damit in einem anderen rechtlichen Zusammenhang; im Übrigen sind sie
unzureichend und teilweise auch fehlerhaft. Bei der Beurteilung, ob eine
außergewöhnliche Härte im Sinne des § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG vorliegt,
wird das Berufungsgericht Folgendes zu beachten haben:
Das Recht auf Achtung seines Familienlebens steht beim Kläger nicht im Vor-
dergrund. Seine familiäre Situation ist seit Jahren dadurch gekennzeichnet,
dass seine Frau bestandskräftig ausgewiesen worden ist und mit zwei Kindern
in der Türkei lebt. Die beiden anderen Kinder sind ebenfalls bestandskräftig
ausgewiesen worden. Auch wenn dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis gemäß
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§ 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG erteilt würde, wäre eine Familienzusammenfüh-
rung in Deutschland problematisch (§ 29 Abs. 3 Satz 3 AufenthG). Im Vorder-
grund steht das Recht des Klägers auf Achtung seines Privatlebens. Dieses
Recht umfasst, auch soweit es keinen familiären Bezug hat, die Summe der
persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für das
Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind und denen - angesichts der
zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit
eines Menschen - bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Be-
deutung zukommt (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 10. Mai 2007 - 2 BvR 304/07 -
InfAuslR 2007, 275 <277> und vom 10. August 2007 - 2 BvR 535/06 - InfAuslR
2007, 443 <446>; jeweils m.w.N.).
Von erheblichem Gewicht ist vorliegend die Dauer des Aufenthalts. Der Kläger
ist mit sechs Jahren nach Deutschland gekommen und hält sich seit 1985
durchgehend hier auf. Er hat hier die gesamte Schulzeit verbracht und die
Schule mit dem Hauptschul-Abschluss beendet. Nach den Feststellungen des
Berufungsgerichts spricht der Kläger fließend Deutsch (UA S. 35). Er ist in
Deutschland entscheidend geprägt worden. Einschränkend muss allerdings
berücksichtigt werden, dass die Legitimität des Aufenthalts über viele Jahre
belastet gewesen ist. Zwar weist der Aufenthaltsstatus des Klägers in formeller
Hinsicht keine Lücken oder sonstige Mängel auf. Materiellrechtlich muss sich
der Kläger aber entgegenhalten lassen, dass sein Aufenthaltsrecht in Deutsch-
land durch eine bewusste Täuschung seiner Eltern begründet worden ist. Das
Berufungsgericht hat in den Verfahren der Eltern des Klägers, die deswegen
ausgewiesen worden sind, festgestellt, dass diese vorsätzlich und in strafbarer
Weise gegenüber dem Beklagten ihre türkische Staatsangehörigkeit ver-
schwiegen haben (Urteile vom 2. Oktober 2007 - 11 LB 130 und 131/07 -). Die-
se Täuschung und die dadurch gravierend belastete Legitimität des Aufenthalts
muss der Kläger sich jedenfalls für die Zeit seiner Minderjährigkeit, also bis
1997 zurechnen lassen. Damit kommt der Aufenthaltsdauer insgesamt nicht
das Gewicht zu, wie wenn der Aufenthalt formell und materiell in jeder Hinsicht
unbedenklich wäre. Ob dagegen - wie vom Berufungsgericht mehrfach betont -
dem Umstand, dass der Kläger als Volljähriger seine türkische Herkunft weiter
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„geleugnet“ hat, größeres Gewicht beizumessen ist, erscheint unter den beson-
deren Umständen des vorliegenden Falls eher fraglich.
Was die berufliche Verwurzelung des Klägers in Deutschland betrifft, wird das
Berufungsgericht zu prüfen haben, ob der Kläger nach wie vor berufstätig und
dadurch in der Lage ist, den Lebensunterhalt für sich und seine Familie dauer-
haft zu sichern. Beim Ausmaß der beruflichen Integration ist zu berücksichtigen,
dass der Kläger über Jahre öffentliche Sozialleistungen bezogen hat. Das
Berufungsgericht wird außerdem festzustellen haben, ob der Kläger eine Be-
rufsausbildung absolviert hat und ihn diese Ausbildung gegebenenfalls für eine
Berufstätigkeit qualifiziert, die nur oder bevorzugt in Deutschland ausgeübt
werden kann.
Bei der sozialen Integration des Klägers hat das Berufungsgericht das Ausmaß
sozialer Bindungen bzw. Kontakte des Klägers außerhalb der Kernfamilie bisher
nicht ermittelt. Zu Unrecht ist das Berufungsgericht, wie ausgeführt, von drei
strafgerichtlichen Verurteilungen des Klägers ausgegangen. Es bleibt seine
Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen das Fleischhygiene-
gesetz. Diese Verurteilung ist unter dem Aspekt der Integration zu bewerten.
Sie hat im Rahmen des § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG allerdings wohl nicht die
dominierende Bedeutung wie im Rahmen des § 104a AufenthG. Schließlich ist
vom Berufungsgericht zu klären, ob für den Kläger ein Zusammenleben mit
seiner Familie im Libanon oder in der Türkei möglich und zumutbar ist. Alle die-
se Umstände sind im Wege einer Gesamtbewertung zu gewichten und im Hin-
blick auf das Vorliegen einer außergewöhnlichen Härte gemäß § 25 Abs. 4
Satz 2 AufenthG zu beurteilen.
Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auch nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG
setzt weiter in der Regel voraus, dass die allgemeinen Erteilungsvor-
aussetzungen nach § 5 Abs. 1 AufenthG vorliegen. Auch dies wird das Beru-
fungsgericht zu prüfen haben. Dabei ist davon auszugehen, dass die Verurtei-
lung des Klägers einen Ausweisungsgrund im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 Auf-
enthG darstellt, solange sie im Bundeszentralregister nicht getilgt ist. Allerdings
kann von einer Regelerteilungsvoraussetzung, sofern sie nicht bereits wegen
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Vorliegens eines Ausnahmefalls entbehrlich ist, im Rahmen des Ermessens
abgesehen werden (§ 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG). Dies müsste die Beklagte im
Falle einer - hier ohnehin nur in Betracht kommenden - Verpflichtung zur erneu-
ten Bescheidung bei Ausübung ihres Ermessens, das ihr sowohl im Rahmen
von § 25 Abs. 4 Satz 2 als auch im Rahmen von § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG
eröffnet ist, prüfen. Auch in diesem Zusammenhang sind die verfassungsrecht-
lichen Vorgaben der Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG sowie die Regelung des
Art. 8 EMRK von Bedeutung.
Die Entscheidung über die Kosten ist der Schlussentscheidung vorbehalten.
Eckertz-Höfer Richter Beck
Prof. Dr. Kraft Fricke
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 5 000 €
festgesetzt (§ 47 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG).
Eckertz-Höfer Richter Fricke
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Sachgebiet:
BVerwGE:
ja
Ausländerrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
AufenthG
§ 5 Abs. 1 und 3, § 8 Abs. 1, § 23 Abs. 1, § 25 Abs. 4 und 5,
§ 26 Abs. 2, § 29 Abs. 3, § 102 Abs. 2, § 104a Abs. 1 und 2,
§ 105a
AuslG 1990 § 94 Abs. 3, § 99 Abs. 1 und 2
GG
Art. 2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1
EMRK
Art. 8
Stichworte:
Altfallregelung; Bleiberechtserlass; oberste Landesbehörde; Einvernehmen mit
dem Bundesministerium des Innern; Verlängerungsverbot; Übergangsregelun-
gen; Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen; außergewöhnliche Härte;
Verwurzelung in Deutschland; Dauer des Aufenthalts; Legitimität des Aufent-
halts; Achtung des Privatlebens; soziale Bindungen; Familieneinheit; Auswei-
sungsgrund; tatrichterliche Würdigung.
Leitsätze:
1. Einer Bleiberechtsregelung, die eine oberste Landesbehörde aus humanitä-
ren Gründen getroffen hat, kommt keine rechtliche Bedeutung zu, wenn das
zwingend erforderliche Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern
nicht hergestellt ist (§ 23 Abs. 1 Satz 3 AufenthG). Dies gilt auch für Regelun-
gen, die vor Inkrafttreten des Ausländergesetzes 1990 getroffen worden sind.
2. Bei der Altfallregelung des § 104a Abs. 1 AufenthG stellt die Verurteilung zu
einer Geldstrafe von mehr als 50 Tagessätzen einen strikten Versagungsgrund
dar.
3. Die nach § 104a Abs. 2 AufenthG erforderliche positive Integrationsprognose
kann bei der Verurteilung zu einer Strafe, die doppelt so hoch ist wie die Ta-
gessatz-Grenze in § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG, in aller Regel nicht
getroffen werden.
4. Bei der Beurteilung, ob die Beendigung des Aufenthalts eines in Deutschland
aufgewachsenen Ausländers eine außergewöhnliche Härte im Sinne des § 25
Abs. 4 Satz 2 AufenthG darstellt, kommt auch dem Umstand Bedeutung zu,
inwieweit der Ausländer in Deutschland verwurzelt ist. Das Ausmaß der Ver-
wurzelung bzw. die für den Ausländer mit einer „Entwurzelung“ verbundenen
Folgen sind unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben der
Art. 2 Abs. 1 und Art 6 Abs. 1 GG sowie der Regelung des Art. 8 EMRK zu er-
mitteln, zu gewichten und mit den Gründen, die für eine Aufenthaltsbeendigung
sprechen, abzuwägen. Dabei ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu be-
achten.
5. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist - neben anderen Aspekten der
Verwurzelung - nicht nur die Dauer des Aufenthalts in Deutschland, sondern
auch die Legitimität des Aufenthalts zu würdigen.
Urteil des 1. Senats vom 27. Januar 2009 - BVerwG 1 C 40.07
I. VG Hannover vom 21.06.2006 - Az.: VG 6 A 3691/03 -
II. OVG Lüneburg vom 02.10.2007 - Az.: OVG 11 LB 69/07 -