Urteil des BVerwG vom 29.09.2005

Anerkennung, Syrien, Eltern, Anhörung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 1 C 32.04
VGH 3 UE 168/03.A
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. September 2005
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r ,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht H u n d und R i c h t e r , die Richterin
am Bundesverwaltungsgericht B e c k sowie den Richter am Bundesverwaltungs-
gericht Prof. Dr. D ö r i g
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
Der Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom
13. September 2004 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entschei-
dung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vor-
behalten.
G r ü n d e :
I.
Der Kläger begehrt seine Anerkennung als Asylberechtigter und als Flüchtling.
Der im Oktober 2000 in Deutschland geborene Kläger ist - wie seine im Verfahren
BVerwG 1 C 33.04 ebenfalls Asyl begehrenden Eltern, die aus Syrien stammen -
jezidischer Glaubens- und kurdischer Volkszugehöriger. Seinen Asylantrag lehnte
das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge) ab, versagte Abschiebungsschutz und drohte die Ab-
schiebung nach Syrien an. Seiner Klage hat das Verwaltungsgericht stattgegeben.
Auf die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten hat der Verwal-
tungsgerichtshof das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Er
hat ausgeführt, er entscheide über die zugelassene und auch im Übrigen zulässige
Berufung gemäß § 130 a VwGO durch Beschluss; die Beteiligten seien hierzu gehört
worden. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts habe der Kläger keinen
Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16 a GG und auf Ab-
schiebungsschutz für politisch Verfolgte nach § 51 Abs. 1 AuslG. Auch seien An-
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haltspunkte für Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 4 und 6 AuslG weder vor-
getragen noch sonst ersichtlich.
Mit der hiergegen gerichteten Nichtzulassungsbeschwerde hat der Kläger geltend
gemacht, er sei entgegen den Ausführungen in der Berufungsentscheidung nicht
nach § 130 a Satz 2 VwGO angehört worden. Seiner Prozessbevollmächtigten seien
lediglich Schreiben vom 7. April 2004 und vom 28. April 2004 sowie der Beschluss
über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vom 2. August 2004 zugegangen. Ihr sei
jedoch zu keinem Zeitpunkt mitgeteilt worden, dass der Verwaltungsgerichtshof
beabsichtige, nach § 130 a VwGO zu entscheiden. Darin liege eine Verletzung des
rechtlichen Gehörs. Der Verwaltungsgerichtshof hat der Nichtzulassungsbeschwerde
abgeholfen und die Revision wegen einer Verletzung des rechtlichen Gehörs durch
versehentliches Unterlassen der vorgeschriebenen Anhörung zugelassen.
Mit der Revision wiederholt der Kläger seinen Vortrag im Beschwerdeverfahren und
macht zusätzlich geltend, der Verwaltungsgerichtshof habe das rechtliche Gehör
noch aus weiteren Gründen verletzt. So habe er seinen Vortrag, er sei staatenloser
Kurde, dem der syrische Staat die Wiedereinreise verweigere, mit unzutreffender
Begründung nicht weiter geprüft. Auch habe sich das Berufungsgericht mit dem Vor-
bringen zu einer mittelbaren Gruppenverfolgung der Jeziden in Syrien nicht hinrei-
chend auseinander gesetzt.
II.
Der Senat kann mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung
entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Revision ist begründet.
Der angefochtene Beschluss, der im sog. vereinfachten Berufungsverfahren ohne
mündliche Verhandlung nach § 130 a VwGO ergangen ist, ist bereits deshalb aufzu-
heben, weil - wie die Revision zu Recht geltend macht und das Berufungsgericht in
seiner Abhilfeentscheidung selbst eingeräumt hat - die für eine solche Verfahrens-
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weise notwendige Anhörung des Klägers entgegen § 130 a Satz 2, § 125 Abs. 2
Satz 2 VwGO versehentlich unterblieben ist. Insbesondere ist der Kläger weder
durch das Schreiben des Berichterstatters vom 7. April 2004 (GA Bl. 129) noch durch
das weitere Schreiben des Gerichts vom 28. April 2004 (GA Bl. 136) zu einer
Entscheidung im vereinfachten Berufungsverfahren angehört worden. Das Unterlas-
sen der zur Wahrung des rechtlichen Gehörs gesetzlich vorgesehenen Anhörung
nach § 130 a Satz 2, § 125 Abs. 2 Satz 2 VwGO stellt einen Verfahrensmangel und
absoluten Revisionsgrund gemäß § 138 Nr. 3 VwGO dar. Die angefochtene Beru-
fungsentscheidung muss deshalb aufgehoben und die Sache an den Verwaltungsge-
richtshof zurückverwiesen werden (vgl. § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 137 Abs. 1
Nr. 1 und Abs. 3, § 138 Nr. 3 VwGO). Auf die im Revisionsverfahren weiter erhobe-
nen Rügen einer Verletzung des rechtlichen Gehörs kommt es danach nicht mehr an.
Zur Förderung des weiteren Verfahrens und zu der Rüge in der Revisionsbegrün-
dung (unter II., S. 3) bemerkt der Senat, dass der Verwaltungsgerichtshof dem Vor-
trag des Klägers dazu, dass er und seine Eltern nicht syrische Staatsangehörige,
sondern staatenlose Kurden seien, grundsätzlich nachgehen muss (vgl. insbesonde-
re Urteil vom 8. Februar 2005 - BVerwG 1 C 29.03 - InfAuslR 2005, 339, 341; Urteil
vom 22. Februar 2005 - BVerwG 1 C 17.03 - ; beide zur Veröf-
fentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen und Urteil vom
12. April 2005 - BVerwG 1 C 3.04 - ). Dies gilt unabhängig davon, dass für das
vorliegende Verfahren - anders als im Verfahren der Eltern - der Vorwurf nicht zutrifft,
der Verwaltungsgerichtshof habe in der Berufungsentscheidung (angeblich BA S. 10)
die Behauptung, der Kläger sei staatenloser Kurde, dem der syrische Staat die
Wiedereinreise verweigere, ohne weitere Prüfung zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung ist der Schlussentscheidung vorzubehalten. Der Gegen-
standswert für das Revisionsverfahren ergibt sich aus § 30 RVG.
Eckertz-Höfer Hund Richter
Beck Prof. Dr. Dörig
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