Urteil des BVerwG vom 19.04.2011

Aufenthaltserlaubnis, Ausreise, Pakistan, Rücknahme

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 1 C 3.10
VGH 9 A 2024/08
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. April 2011
durch die Präsidentin des Bundesverwaltungsgericht Eckertz-Höfer,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Richter,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des
Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 14. Dezember
2009 aufgehoben, soweit der Klage darin stattgegeben
worden ist.
Die Sache wird insoweit an den Verwaltungsgerichtshof
zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück-
verwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt insoweit der Schlussent-
scheidung vorbehalten.
G r ü n d e :
I
Der Kläger erstrebt inzwischen nur noch die Erteilung einer Aufenthaltserlaub-
nis aus humanitären Gründen.
Der 1958 geborene Kläger war früher pakistanischer Staatsangehöriger und ist
inzwischen staatenlos. Er heiratete 1985 in Pakistan eine pakistanische Staats-
angehörige, mit der er nach wie vor verheiratet ist und nach eigenen Angaben
fünf gemeinsame Kinder hat. 1989 kam der Kläger - ohne seine Familie - nach
Deutschland und stellte einen Asylantrag, den er zurücknahm, nachdem er
1990 eine deutsche Staatsangehörige geheiratet hatte. Im Hinblick auf diese
Ehe erhielt er zunächst eine befristete Aufenthaltserlaubnis und 1993 eine un-
befristete Aufenthaltserlaubnis. 1996 wurde der Kläger eingebürgert, nachdem
er auf seine pakistanische Staatsangehörigkeit verzichtet hatte. Wenige Monate
später wurde seine Ehe mit der deutschen Staatsangehörigen geschieden.
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1997 beantragte die pakistanische Ehefrau des Klägers für sich und ihre Kinder
ein Visum zum Nachzug zu ihrem Ehemann. Erst dadurch erhielten die deut-
schen Behörden Kenntnis von der Ehe in Pakistan. Daraufhin wurde die Ein-
bürgerung des Klägers 1999 zurückgenommen. Seit Februar 2005 ist der
Rücknahmebescheid bestandskräftig.
Im April 2005 beantragte der Kläger die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
Der Beklagte lehnte den Antrag ab. Auf die daraufhin erhobene Klage hat das
Verwaltungsgericht auf den Hauptantrag des Klägers hin festgestellt, dass die
dem Kläger 1993 erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis seit Februar 2005,
also seit Abschluss des Verfahrens um die Rücknahme der Einbürgerung, als
Niederlassungserlaubnis fortgilt. Im Berufungsverfahren hat der Kläger bean-
tragt, die Berufung des Beklagten gegen den stattgebenden Feststellungsaus-
spruch zurückzuweisen, hilfsweise den Beklagten zur (Neu-)Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis zu verpflichten.
Der Verwaltungsgerichtshof hat der Berufung des Beklagten hinsichtlich des
Hauptantrages stattgegeben und die Klage auf Feststellung der Fortgeltung des
alten Aufenthaltstitels abgewiesen. Auf den Hilfsantrag des Klägers hin hat er
den Beklagten verpflichtet, über den Antrag auf (Neu-)Erteilung einer Aufent-
haltserlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu
entscheiden. Hinsichtlich des weitergehenden Hilfsantrags auf Verpflichtung zur
Erteilung hat er die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen
ausgeführt: Die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG seien gegeben.
Der Kläger sei seit Ablehnung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltser-
laubnis vollziehbar ausreisepflichtig. Seine Ausreise sei allerdings auf unabseh-
bare Zeit tatsächlich unmöglich, da er staatenlos sei und die Ausstellung eines
pakistanischen Passes nicht in Betracht komme. Er sei auch unverschuldet an
der Ausreise gehindert. Es spreche viel dafür, dass es in diesem Zusammen-
hang nicht darauf ankomme, ob das Ausreisehindernis schuldhaft geschaffen
worden sei, da die Vorschrift ihrem Wortlaut nach an ein aktuelles Verhalten
anknüpfe. Selbst wenn ein „Vorverschulden“ zu berücksichtigen wäre, könnte
dem Kläger das Bestehen des Ausreisehindernisses gleichwohl nicht angelastet
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werden. Zwar werfe der Beklagte dem Kläger zu Recht vor, dass er im Zusam-
menhang mit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Jahre 1990 sowie im
Rahmen des Einbürgerungsverfahrens im Jahre 1994 falsche Angaben über
seinen Familienstand gemacht habe. Aus dem Gesamtzusammenhang der
Regelbeispiele des § 25 Abs. 5 Satz 4 AufenthG wie auch der Gesamtregelung
des § 25 Abs. 5 AufenthG folge jedoch, dass sich die fehlerhaften Angaben auf
die Ausreisehindernisse beziehen müssten, die die Ausreise unmöglich mach-
ten. Dies sei vorliegend nicht der Fall, da das bestehende Ausreisehindernis der
Passlosigkeit des Klägers nicht etwa darauf beruhe, dass der Kläger insoweit
falsche Angaben gemacht habe, sondern vielmehr darauf zurückzuführen sei,
dass er aufgrund seiner Einbürgerung die pakistanische Staatsangehörigkeit
verloren habe und eine Wiedereinbürgerung nach den einschlägigen pakistani-
schen Gesetzen nicht möglich sei. Die falschen Angaben des Klägers seien
daher ursächlich für die Rücknahme der Einbürgerung, nicht jedoch für die Un-
möglichkeit der Ausreise.
Der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG könne dem Kläger nicht
entgegengehalten werden. Ein Ausweisungsgrund liege nicht vor. Ein straf-
rechtliches Ermittlungsverfahren wegen Vorlage gefälschter Urkunden sei we-
gen Geringfügigkeit eingestellt worden. Ob der Lebensunterhalt des Klägers
gesichert sei (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG), lasse sich den Akten nicht entneh-
men. Der Kläger sei seit einigen Jahren selbstständig im Reisegewerbe tätig
und beziehe hieraus sein Einkommen. Ob dieses Einkommen zur Sicherung
des Lebensunterhalts ausreiche, müsse vom Beklagten im Rahmen der Neube-
scheidung geprüft werden. Dabei sei auch § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG in den
Blick zu nehmen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision zugelassen. Er hat hierzu ausge-
führt, Gründe für die Zulassung der Revision lägen „insoweit vor, als eine Ent-
scheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu der Frage, ob ein infolge einer
Einbürgerung erloschener Aufenthaltstitel nach einer Rücknahme der Einbürge-
rung wiederauflebt, noch aussteht.“
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Revision hat lediglich der Beklagte eingelegt. Er wehrt sich gegen die auf den
Hilfsantrag des Klägers ausgesprochene Verpflichtung zur Neubescheidung
und macht geltend, die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG lägen nicht
vor.
II
Die Revision des Beklagten, über die der Senat im Einverständnis mit den Be-
teiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141
Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist zulässig und begründet. Das Beru-
fungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1
VwGO). Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen für einen Anspruch des
Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG mit
einer Begründung bejaht, die revisionsgerichtlicher Prüfung nicht standhält.
Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen im Berufungsurteil kann
der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden. Das Verfahren ist da-
her an den Verwaltungsgerichtshof zur anderweitigen Verhandlung und Ent-
scheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
1. Die Revision des Beklagten ist zulässig.
Das Berufungsgericht hat die Revision nicht nur hinsichtlich des Hauptantrages,
sondern unbeschränkt und damit auch hinsichtlich des Hilfsantrages zugelas-
sen. Weder der Urteilsformel noch der Rechtsmittelbelehrung ist ein Anhalt da-
für zu entnehmen, dass das Berufungsgericht die Revision lediglich hinsichtlich
des Hauptantrages zulassen wollte. Dessen ungeachtet wäre gleichwohl von
einer derartigen Beschränkung auszugehen, wenn sie sich aus der Begründung
für die Zulassung der Revision eindeutig ergeben würde. Es entspricht - auf der
Grundlage des hier geltenden Prozessrechts - allgemeiner Auffassung, dass die
Frage, ob eine Revision beschränkt oder unbeschränkt zugelassen worden ist,
gegebenenfalls durch Auslegung aller maßgebenden Umstände, insbesondere
der Zulassungsbegründung zu ermitteln ist. Aus Gründen der Rechtssicherheit
und Rechtsmittelklarheit kann aber nur dann von einer beschränkten Zulassung
ausgegangen werden, wenn sich dies bei der Auslegung eindeutig ergibt (vgl.
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etwa BVerfG, Kammerbeschluss vom 9. November 2009 - 1 BvR 2298/09 -;
BVerwG, Urteil vom 10. September 1992 - BVerwG 5 C 80.88 - Buchholz
436.61 § 18 SchwbG Nr. 6; jeweils m.w.N.).
Im Entscheidungsfall lässt sich dem Berufungsurteil nicht eindeutig entnehmen,
dass das Berufungsgericht die Revision hinsichtlich des Hilfsantrages nicht zu-
lassen wollte. Die vom Berufungsgericht in der Zulassungsbegründung ange-
sprochene „Frage, ob ein infolge einer Einbürgerung erloschener Aufenthaltsti-
tel nach einer Rücknahme der Einbürgerung wieder auflebt“, hat nicht nur für
den Hauptantrag auf Feststellung der Fortgeltung des alten Aufenthaltstitels
Bedeutung, sondern - als Vorfrage - auch für den Hilfsantrag auf Verpflichtung
zur (Neu-)Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
2. Der Hauptantrag des Klägers ist nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens.
Da lediglich der Beklagte Revision eingelegt hat, ist die für den Kläger nachteili-
ge Entscheidung des Berufungsgerichts hinsichtlich seines auf Feststellung der
Fortgeltung des alten Aufenthaltstitels gerichteten Hauptantrages rechtskräftig
geworden. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur der Hilfsantrag des
Klägers bezüglich der Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis, und zwar be-
schränkt auf die vom Berufungsgericht ausgesprochene Verpflichtung des Be-
klagten zur Neubescheidung. Den weitergehenden Antrag des Klägers auf Ver-
pflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat das Beru-
fungsgericht abgewiesen. Diese Teilabweisung ist, da der Kläger keine Revi-
sion eingelegt hat, rechtskräftig geworden.
3. Die Revision des Beklagten ist begründet. Das Berufungsgericht hat bereits
die allgemeinen Voraussetzungen des § 5 AufenthG für die Erteilung einer Auf-
enthaltserlaubnis in einer Weise beurteilt, die Bundesrecht verletzt.
So hätte das Berufungsgericht nicht offenlassen dürfen, ob der Lebensunterhalt
des Klägers gesichert ist (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Das Tatsachengericht ist
gehalten, die Sache spruchreif zu machen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 86
Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es kann sich nicht, wie es das Berufungsgericht getan
hat, darauf beschränken, den Akteninhalt auszuwerten (UA S. 13 f.). Gegebe-
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nenfalls muss es eigene Ermittlungen anstellen und kann dies nicht der Behör-
de im Rahmen der Neubescheidung überantworten (stRspr, vgl. etwa Be-
schluss vom 23. Oktober 2003 - BVerwG 1 B 80.03 - Buchholz 310 § 113
Abs. 5 VwGO Nr. 5 m.w.N.). Dies gilt auch insoweit, als die Ausländerbehörde
- bei fehlender Sicherung des Lebensunterhalts - gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2
AufenthG ermächtigt ist, im Ermessenswege von diesem Erfordernis abzuse-
hen. Hier hätte das Berufungsgericht gegebenenfalls prüfen müssen, ob nicht
angesichts der Tatsache, dass der Kläger die deutschen Behörden über Jahre
massiv getäuscht hat, das behördliche Ermessen zu Lasten des Klägers auf
Null reduziert ist.
Auch die Annahme des Berufungsgerichts, gegen den Kläger liege kein Aus-
weisungsgrund vor (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG), hält einer revisionsrechtlichen
Prüfung nicht stand. Diese Annahme ist, soweit das Berufungsgericht sich da-
bei auf das strafrechtliche Ermittlungsverfahren aus dem Jahre 2004 bezieht
(UA S. 13), auf eine zu schmale Tatsachengrundlage gestützt und wird daher
den Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung nicht gerecht
(§ 108 Abs. 1 VwGO). Das Ermittlungsverfahren betraf den Vorwurf der Urkun-
denfälschung (§ 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG). Der Kläger hatte im Klageverfahren
gegen die Rücknahme seiner Einbürgerung Dokumente vorgelegt, die belegen
sollten, dass er sich vor seiner Heirat in Deutschland von seiner pakistanischen
Ehefrau hatte scheiden lassen, deshalb keine Doppelehe geführt und daher
keine falschen Angaben in diesem Zusammenhang gemacht hatte. Der Hessi-
sche Verwaltungsgerichtshof hat in dem Rücknahmeverfahren durch Sachver-
ständigengutachten, durch Recherchen des Vertrauensanwalts der Deutschen
Botschaft in Pakistan sowie durch eine eingehende, förmliche Vernehmung des
Klägers festgestellt, dass die Dokumente gefälscht waren (Urteil vom 22. Juni
2004 - VGH 12 UE 2792/02 - UA S. 11 f.; auf dieses Urteil und die beigezogene
entsprechende Gerichtsakte hat das Berufungsgericht Bezug genommen). Bei
dieser Sachlage hätte sich das Berufungsgericht nicht darauf beschränken dür-
fen, sich ohne eigene Bewertung auf die nicht näher begründete Einschätzung
der Staatsanwaltschaft zu beziehen, zumal die Straftat des Klägers unmittelba-
ren aufenthaltsrechtlichen Bezug hat.
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4. Auch bei den speziellen Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG
hat das Berufungsgericht auf zu schmaler Tatsachengrundlage angenommen,
dass die Ausreise des Klägers nach Pakistan unmöglich sei.
Es trifft zwar zu, dass der Kläger nicht in der Lage ist, ohne ein Reisedokument
nach Pakistan auszureisen. Es mag auch zutreffen, dass der Kläger, der die
pakistanische Staatsangehörigkeit aufgegeben hat, nicht mehr mit der Ausstel-
lung eines pakistanischen Reisedokuments rechnen kann (UA S. 10). Das Be-
rufungsgericht hat aber nicht geprüft, ob der Kläger nicht mit einem deutschen
Reisedokument ausreisen könnte. Ausweislich der Akten und nach dem vom
Kläger nicht bestrittenen Vorbringen des Beklagten ist der Kläger in den ver-
gangenen Jahren mehrfach nach Pakistan ausgereist und hat sich dort zum Teil
offenbar längere Zeit aufgehalten. Hierfür hat ihm der Beklagte jeweils einen
befristeten Reiseausweis ausgestellt. Auch für eine endgültige Ausreise aus
dem Bundesgebiet kommt die Ausstellung eines Reiseausweises durch den
Beklagten in Betracht (§ 6 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 5 AufenthV). Für einen Aufent-
halt des Klägers in Pakistan, wo nach wie vor seine Familie lebt, ist nach den
vom Beklagten vorgelegten Unterlagen die Erteilung einer sogenannten
„Pakistan Origin Card“ denkbar.
5. Sollte es noch darauf ankommen, wird das Berufungsgericht auch die Frage,
ob der Kläger im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 3 und 4 AufenthG unverschuldet
an der Ausreise gehindert ist, rechtlich neu zu beurteilen haben. Die Annahme
des Berufungsgerichts, der Kläger habe die Unmöglichkeit seiner Ausreise nicht
zu vertreten, greift zu kurz. Das Berufungsgericht sieht allein in der Passlosig-
keit des Klägers den maßgeblichen Umstand, der das Ausreisehindernis dar-
stelle. Diese Passlosigkeit beruhe jedoch nicht auf den falschen Angaben, die
der Beklagte dem Kläger zu Recht vorhalte (UA S. 11). Mit dieser Sichtweise
verfehlt das Berufungsgericht die Frage des Verschuldens im Sinne des § 25
Abs. 5 AufenthG. Der Kläger hat sich nach den Feststellungen des Berufungs-
gerichts und ausweislich der vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Ak-
ten des Beklagten den Aufenthalt in Deutschland von Anfang an durch falsche
Angaben erschlichen und durch Täuschung sowohl bei der Einbürgerung als
auch bei der Rücknahme der Einbürgerung weiter über Jahre gesichert. Ohne
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die falschen Angaben und ohne die Täuschung hätte er keine Aufenthaltser-
laubnis erhalten. Er wäre nicht eingebürgert worden und hätte keine Veranlas-
sung gehabt, auf seine pakistanische Staatsangehörigkeit zu verzichten. Dieser
Umstand ist vom Kläger zu vertreten. Er kann in dem Gesamtzusammenhang,
der bei der Beurteilung des § 25 Abs. 5 AufenthG in den Blick zu nehmen ist,
nicht unberücksichtigt bleiben. Es widerspricht Sinn und Zweck einer humanitä-
ren Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG, einen Ausländer, der
sich - wie der Kläger - den Aufenthalt in Deutschland von vornherein erschli-
chen und durch Täuschung weiter langfristig gesichert hat, dadurch zu privile-
gieren, dass man nach Aufdeckung der Täuschung seinen Aufenthalt erneut
legalisiert und ihm damit die Perspektive eines Daueraufenthalts und gegebe-
nenfalls einer erneuten Einbürgerung eröffnet.
Dieser vom Kläger zu vertretende Umstand bleibt, auch wenn seine Anfänge
Jahre zurückliegen, für die Beurteilung des Verschuldens im Sinne von § 25
Abs. 5 Satz 3 und 4 AufenthG beachtlich, solange das Ausreisehindernis darauf
beruht. Da ist dann nicht mehr der Fall, wenn dieser Umstand durch andere
Ursachen für ein Ausreisehindernis - in der Art einer überholenden Kausalität -
überlagert wird, die der Kläger nicht zu vertreten hat. Dies bedarf anlässlich des
Entscheidungsfalles keiner weiteren Erörterung, zumal vorliegend nichts für
eine derart überholende Kausalität ersichtlich ist.
Im Übrigen erscheint es auch als fraglich, ob der Kläger alles ihm Zumutbare
unternommen hat, um das Ausreisehindernis zu überwinden („Pakistan Origin
Card“, deutsches Reisedokument). Das Berufungsgericht wird gegebenenfalls
beide angesprochenen Komplexe näher zu untersuchen haben.
6. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Eckertz-Höfer
Richter
Beck
Prof. Dr. Kraft
Fricke
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B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 5 000 €
festgesetzt (§ 47 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG).
Eckertz-Höfer
Richter
Fricke
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Ausländerrecht
Fachpresse:
ja
Rechtsquellen:
AufenthG
§§ 5, 25 Abs. 5
Stichworte:
Aufenthaltserlaubnis; Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen; Einbür-
gerung; Täuschung; Rücknahme; Staatenloser; Unmöglichkeit der Ausreise;
Ausreisehindernis; Verschulden; Sicherung des Lebensunterhalts; Herbeifüh-
rung der Spruchreife; Ausweisungsgrund; beschränkte Zulassung der Revision.
Leitsatz:
Ein Ausreisehindernis ist auch dann im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 3 und 4
AufenthG vom Ausländer verschuldet, wenn es auf einem in der Vergangenheit
liegenden Fehlverhalten beruht.
Urteil des 1. Senats vom 19. April 2011 - BVerwG 1 C 3.10
I. VG Gießen vom 04.12.2007 - Az.: VG 9 E 2059/06 -
II. VGH Kassel vom 14.12.2009 - Az.: VGH 9 A 2024/08 -