Urteil des BVerwG vom 28.05.2015

Rücknahme, Ausstellung, Nationalität, Ex Nunc

BVerwGE: nein
Fachpresse: nein
Sachgebiet:
Recht der Vertriebenen einschließlich des Rechts der
Vertriebenenzuwendung, der Sowjetzonenflüchtlinge und der
politischen Häftlinge
Rechtsquelle/n:
AsylVfG §§ 2, 3, 5
BVFG § 4 Abs. 1, §§ 6, 15, 18, 100a
GG Art. 116 Abs. 1
StAG § 7 Abs. 1, §§ 8, 10 und 17
VwVfG §§ 20, 21, 48
Stichworte:
Angehörigenbescheinigung; Bekenntnis nur zum deutschen Volkstum; deutscher
Volkszugehöriger; Nationalitätenerklärung; Rücknahme; Spätaussiedler;
Spätaussiedlerbescheinigung; Staatsangehörigkeit; Vertrauensschutz;
Zuständigkeit der Ausgangsbehörde.
Leitsätze:
1. Die Rücknahme der Entscheidung über die Ausstellung einer Spätaussied-
lerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG richtet sich ausschließlich nach § 48
Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 VwVfG. § 48 Abs. 2 VwVfG findet erst bei etwa nachfol-
genden Entscheidungen über die Rücknahme von Leistungsbescheiden An-
wendung, die auf der Grundlage der Statusentscheidung erlassen wurden (wie
BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2015 - 1 C 24.14 - zur Veröffentlichung in der
Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen).
2. Die Rücknahme der Entscheidung über die Ausstellung einer Spätaussied-
lerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG berührt nicht den Erwerb der deut-
schen Staatsangehörigkeit gemäß § 7 StAG durch einen bereits zuvor erteilten
und nicht aufgehobenen Bescheid über die Erteilung einer Angehörigenbe-
scheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG (wie BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2015 - 1 C
24.14 -).
Urteil des 1. Senats vom 28. Mai 2015 - BVerwG 1 C 25.14
I. VG Chemnitz vom 25. November 2009
Az: VG 2 K 268/07
II. OVG Bautzen vom 8. Juli 2014
Az: OVG 4 A 237/14
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 1 C 25.14
OVG 4 A 237/14
Verkündet
am 28. Mai 2015
...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 28. Mai 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und Prof. Dr. Kraft
sowie die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Fricke und Dr. Rudolph
für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sächsi-
schen Oberverwaltungsgerichts vom 8. Juli 2014 wird zu-
rückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Die Klägerin wendet sich gegen die Rücknahme und Rückforderung einer
Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG.
Die 1956 in der ehemaligen Sowjetunion geborene Klägerin entstammt einer
gemischtnationalen Ehe (Vater Russe; Mutter Deutsche). Sowohl in ihrem sow-
jetischen Inlandspass aus dem Jahre 1977 als auch in den Geburtsurkunden
ihrer Söhne ist die Nationalität der Klägerin mit "russisch" angegeben. Im Au-
gust 1999 stellte die Klägerin Aufnahmeanträge für sich, ihren (russischen)
Ehemann und die gemeinsamen Söhne. Nach Einbeziehung der Klägerin und
ihrer Kinder in den Aufnahmebescheid der Mutter der Klägerin siedelte die Fa-
milie im September 2003 nach Deutschland um.
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Im November 2003 beantragte die Klägerin die Ausstellung einer Bescheini-
gung nach § 15 BVFG. Über diesen Antrag entschied das Landratsamt Freiberg
als Rechtsvorgänger des Beklagten mit Bescheid vom 30. März 2004 und stell-
te der Klägerin unter dem gleichen Datum eine Angehörigenbescheinigung
nach § 15 Abs. 2 BVFG aus. Ohne erkennbaren Anlass erging am 21. Juli 2004
ein weiterer Bescheid, in dem der Klägerin unter dem Betreff "Antrag auf Aus-
stellung einer Bescheinigung für Spätaussiedler nach § 15 Abs. 1 BVFG" aus-
geführt wurde, dass ihrem Antrag vom November 2003 auf "Ausstellung einer
Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG" entsprochen werde. Zugleich wurde ihr
unter dem 22. Juli 2004 eine Bescheinigung ausgestellt, nach der sie Spätaus-
siedlerin und ihr Ehemann Ehegatte einer Spätaussiedlerin ist.
Nach Hinweisen auf Unregelmäßigkeiten führte das Landratsamt Freiberg im
Herbst 2005 eine Überprüfung durch und nahm nach Anhörung mit Bescheid
vom 24. März 2006 gegenüber der Klägerin den Bescheid vom 21. Juli 2004
und die am 22. Juli 2004 ausgestellte Bescheinigung zurück (Ziffer 1), forderte
die Klägerin unter Fristsetzung zur Rückgabe des Bescheids und der Beschei-
nigung auf (Ziffer 2) und drohte ihr für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die-
se Verpflichtung die Wegnahme des Bescheids und der Bescheinigung an (Zif-
fer 4). Zur Begründung führte es aus, die Klägerin sei keine Spätaussiedlerin.
Es fehle an einem durchgängigen Bekenntnis nur zum deutschen Volkstum.
Nach Abwägung bestehe ein dringendes öffentliches Interesse an der soforti-
gen Rücknahme, um ungerechtfertigte Vorteile gegenüber der Allgemeinheit zu
vermeiden und eine missbräuchliche Verwendung für die Zukunft zu verhindern.
Den Widerspruch der Klägerin wies das Regierungspräsidium Chemnitz mit
Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 2007 mit der Maßgabe zurück, dass
nur die Bescheinigung spätestens zwei Wochen nach Bestandskraft der Rück-
nahmeentscheidung zurückzugeben ist. Der für die Erstellung des Bescheids
vom März 2004 zuständige Sachbearbeiter wurde nach Angaben des Beklagten
im Jahr 2011 zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
Das Verwaltungsgericht hat die gegen den Rücknahmebescheid gerichtete Kla-
ge abgewiesen. Mit Urteil vom 8. Juli 2014 hat das Oberverwaltungsgericht die
Berufung der Klägerin zurückgewiesen und dies im Wesentlichen wie folgt be-
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gründet: Das Landratsamt sei als Ausstellungsbehörde für die Rücknahme zu-
ständig gewesen. Dahinstehen könne, ob die handelnde Amtsleiterin befangen
gewesen sei, da die Widerspruchsbehörde die Rücknahme nach vollständiger
Überprüfung auch der Ermessensentscheidung bestätigt habe. Bescheid und
Bescheinigung vom Juli 2004 seien von Anfang an rechtswidrig gewesen, weil
die Klägerin keine Spätaussiedlerin sei. Dahinstehen könne, ob in der freiwilli-
gen Eintragung der russischen Nationalität in amtlichen Dokumenten bereits ein
Gegenbekenntnis liege. Es fehle jedenfalls nach dem eigenen Vorbringen der
Klägerin an einer familiären Vermittlung der deutschen Sprache. Ihrem Vorbrin-
gen seien auch keine Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen für
eine Bekenntnisfiktion zu entnehmen. Die für die Rücknahme begünstigender
Verwaltungsakte geltenden Einschränkungen seien beachtet worden. Die Jah-
resfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG habe erst nach Abschluss des Anhörungsver-
fahrens zu laufen begonnen. Die Behörde habe ihr Rücknahmeermessen ord-
nungsgemäß ausgeübt und die gesetzlichen Grenzen eingehalten. § 48 Abs. 2
VwVfG stehe der Rücknahme nicht entgegen. Die Statusbescheinigung nach
§ 15 Abs. 1 BVFG gewähre als solche keine Geld- oder Sachleistung. Auch sei
nicht ersichtlich, dass die Klägerin aufgrund der Bescheinigung Geld- oder
Sachleistungen erhalten oder ihr Vertrauen im Hinblick auf den Erhalt solcher
Leistungen sonst in schutzwürdiger Weise betätigt habe. Soweit sie im Beru-
fungsverfahren vorgetragen habe, dass sie im Vertrauen auf die Anerkennung
der in der Sowjetunion erworbenen Rentenansprüche eine private Altersvorsor-
ge unterlassen habe, fehle es schon an einer hinreichenden Substantiierung.
Mit der Rücknahme sei der Klägerin nicht die deutsche Staatsangehörigkeit
entzogen worden, die sie bereits im März 2004 mit der Ausstellung der Be-
scheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG erworben habe. Diese Bescheinigung ha-
be sich weder erledigt noch sei ihre Wirksamkeit anderweitig beseitigt worden.
Ob die Rechtswidrigkeit allein auf Umstände in der Sphäre der Behörde zurück-
zuführen sei, sei für die Ermessensentscheidung unerheblich.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin neben einer unzureichenden Sachver-
haltsaufklärung vor allem eine Verletzung von § 48 VwVfG. Die Jahresfrist habe
unter den hier gegebenen Umständen nicht erst mit Abschluss des Anhörungs-
verfahrens begonnen. Außerdem sei die Rücknahmeentscheidung ermessens-
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fehlerhaft. Sie führe zum Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit, da sich die
Angehörigenbescheinigung mit Ausstellung der Spätaussiedlerbescheinigung
erledigt habe. Zudem hätte die Behörde beim Ermessen den unterlassenen Ab-
schluss einer privaten Altersvorsorge und ihre Verantwortlichkeit für die man-
gelnde Gesetzmäßigkeit berücksichtigen müssen.
Der Beklagte und der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwal-
tungsgericht verteidigen das angefochtene Berufungsurteil.
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Urteil des Berufungsgerichts
steht im Ergebnis im Einklang mit revisiblem Recht. Der Rücknahmebescheid
vom 24. März 2006, dessen Ziffer 1 dahingehend auszulegen ist, dass der der
ausgestellten Spätaussiedlerbescheinigung zugrunde liegende Bescheid vom
21. Juli 2004 als Verwaltungsakt aufgehoben wird, ist in der Fassung des Wi-
derspruchsbescheids vom 12. Februar 2007 formell (1.) und materiell (2. und
3.) rechtmäßig.
Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Rück-
nahmeentscheidung ist grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten Behördenent-
scheidung (hier: Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 2007). Dies folgt
schon daraus, dass hier eine Ermessensentscheidung zu treffen war, die eine
Anpassung an eine neue Rechtslage nur begrenzt ermöglicht (vgl. BVerwG,
Urteil vom 20. Mai 1980 - 1 C 82.76 - BVerwGE 60, 133 <136>). Mithin finden
das Verwaltungsverfahrensgesetz für den Freistaat Sachsen - SächsVwVfG - in
der Fassung der Bekanntmachung vom 10. September 2003 (SächsGVBl.
S. 614) und das Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flücht-
linge - Bundesvertriebenengesetz (BVFG) - in der Fassung des Zuwanderungs-
gesetzes vom 30. Juli 2004 - ZuwandG 2004 - (BGBl. I S. 1950) Anwendung.
Die seit der letzten Behördenentscheidung ergangenen Änderungen des Bun-
desvertriebenengesetzes, insbesondere die durch das Achte Gesetz zur Ände-
rung des Bundesvertriebenengesetzes vom 6. Juli 2009 - BVFGÄndG 8 -
(BGBl. I S. 1694) mit Wirkung zum 11. Juli 2009 in Kraft getretenen spezielle
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Rücknahmevorschrift des § 15 Abs. 4 BVFG n.F., die mit Blick auf die staatsan-
gehörigkeitsrechtlichen Folgen nur Rücknahmen mit Wirkung für die Vergan-
genheit erfasst, sind ohne entsprechende Übergangsregelungen nicht auf
eine - wie hier - vor ihrem Inkrafttreten ausgesprochene Rücknahme anwendbar
(vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2012 - 5 C 17.11 - BVerwGE 143, 161
Rn. 12).
Nach der allgemeinen Rücknahmevorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG
i.V.m. § 1 Satz 1 SächsVwVfG, auf die hier mangels einer speziellen Rücknah-
meregelung zurückzugreifen ist, kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch
nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die
Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (BVerwG, Urteil
vom 24. Mai 2012 - 5 C 17.11 - BVerwGE 143, 161 Rn. 13).
1. Mit dem Oberverwaltungsgericht ist von der formellen Rechtmäßigkeit der
Rücknahmeentscheidung auszugehen. Der Rechtsvorgänger des Beklagten
war insbesondere für diese Entscheidung zuständig (a). Unerheblich ist, dass
Rücknahmebescheid und zurückgenommener Bescheid von der gleichen Per-
son unterzeichnet worden sind (b).
a) Die Zuständigkeit des Landratsamts ergibt sich aus der speziellen Zustän-
digkeitsregelung des § 15 Abs. 3 BVFG. Danach entscheidet über die Rück-
nahme und den Widerruf sowie über die Ausstellung einer Zweitschrift einer
Bescheinigung die Ausstellungsbehörde. Abweichend von den allgemeinen
verwaltungsverfahrensrechtlichen Grundsätzen zur Bestimmung der Zuständig-
keit für eine Rücknahmeentscheidung nach § 48 VwVfG war das Landratsamt
damit schon deshalb für die Rücknahmeentscheidung zuständig, weil es die
zurückzunehmende Spätaussiedlerbescheinigung ausgestellt hatte (vgl.
BT-Drs. 12/3212 S. 26 und 16/12593 S. 9). Dass die Zuständigkeit für die Aus-
stellung von Bescheinigungen nach § 15 Abs. 1 und 2 BVFG inzwischen auf
das Bundesverwaltungsamt übergegangen ist, ist unerheblich.
b) Das Oberverwaltungsgericht hat auch mit Recht einen behördlichen Verfah-
rensfehler verneint, den die Klägerin aus der Tatsache abzuleiten versucht,
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dass die frühere Leiterin des Sozialamts des Landratsamts nicht nur den Rück-
nahmebescheid, sondern auch den zurückgenommenen Bescheid unterzeich-
net hat. Dies begründet weder einen gesetzlichen Ausschlussgrund nach § 20
VwVfG noch eine Fehlerhaftigkeit wegen Besorgnis der Befangenheit nach § 21
VwVfG. Dabei konnte das Berufungsgericht die Frage einer etwaigen Befan-
genheit der Amtsleiterin offenlassen, denn es fehlt jedenfalls an dem erforderli-
chen Kausalzusammenhang zwischen ihrer Mitwirkung und der in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids zur Prüfung gestellten Rücknahmeentscheidung
(vgl. BVerwG, Urteile vom 30. Mai 1984 - 4 C 58.81 - BVerwGE 69, 256
<269 f.> und vom 5. Dezember 1986 - 4 C 13.85 - BVerwGE 75, 214 <228>
jeweils zu § 20 VwVfG), weil die Widerspruchsbehörde den Rücknahmebe-
scheid vollständig überprüft und durch eine vollständige Sachentscheidung be-
stätigt hat. Folglich kommt es auch nicht auf die von der Revision erhobene Rü-
ge an, das Gericht habe seine Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO ver-
letzt, weil es nicht ermittelt habe, ob die Amtsleiterin positive Kenntnis von den
Vorgängen in ihrer Behörde gehabt oder gar kollusiv mit dem Sachbearbeiter
zusammengewirkt habe.
2. Die Rücknahme der Entscheidung über die Ausstellung einer Spätaussied-
lerbescheinigung ist auch materiell nicht zu beanstanden. Der zurückgenom-
mene Bescheid war bei wertender Gesamtbetrachtung hinreichend bestimmt
auf die Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG
gerichtet (a). Er war aber rechtswidrig. Die Klägerin war bei Erlass des Be-
scheids keine Spätaussiedlerin. Es fehlte bei Verlassen der Aussiedlungsge-
biete jedenfalls an einem (durchgängigen) Bekenntnis zum deutschen Volkstum
(b). Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG ist gewahrt (c). Auch die Ermes-
sensentscheidung begegnet keinen Bedenken (d).
a) Der zurückgenommene Bescheid war hinreichend bestimmt. Das Berufungs-
gericht ist davon ausgegangen, dass mit dem aufgehobenen Bescheid vom
21. Juli 2004 die Rechtsstellung der Klägerin durch Erteilung einer Spätaussied-
lerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG neben der ihr im März 2004 ausge-
stellten Angehörigenbescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG hochgestuft werden
sollte. Diese Annahme ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Insbesonde-
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re war der aufgehobene Bescheid bei wertender Gesamtbetrachtung und unter
Einbeziehung der auf seiner Grundlage der Klägerin ausgestellten Bescheini-
gung noch hinreichend bestimmt auf die Erteilung einer Spätaussiedlerbeschei-
nigung gerichtet. Im Bescheid vom 21. Juli 2004 ist im Betreff ausdrücklich von
einem Antrag auf Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG die
Rede. Soweit in den Gründen einem Antrag auf Ausstellung einer Bescheini-
gung nach § 15 Abs. 2 BVFG entsprochen wird, handelt es sich offensichtlich
um ein Schreibversehen bei der Absatzbezeichnung. Denn der Klägerin war
bereits im März 2004 - auf der Grundlage des Bescheids vom 30. März 2004 -
eine Angehörigenbescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG ausgestellt worden,
während sie auf der Grundlage des Bescheids vom 21. Juli 2004 eine Spätaus-
siedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG erhielt.
b) Der zurückgenommene Bescheid war aber rechtswidrig. Die Beurteilung der
Rechtswidrigkeit des statusrechtlichen Bescheids vom 21. Juli 2004 richtet sich
nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG grundsätzlich nach der zum Zeitpunkt seines
Erlasses maßgeblichen Rechtslage (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2012 - 6 C
3.11 - BVerwGE 143, 87 Rn. 43 mit Verweis auf den Beschluss vom 7. Juli
2004 - 6 C 24.03 - BVerwGE 121, 226 <229> m.w.N.).
Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BVFG in der im Juli 2004 bei Erlass des aufgehobenen
Bescheids geltenden Fassung des Spätaussiedlerstatusgesetzes vom 30. Au-
gust 2001 (BGBl. I S. 2266) - BVFG 2001 - erhielten Spätaussiedler zum
Nachweis ihrer Spätaussiedlereigenschaft auf Antrag eine Bescheinigung
(Spätaussiedlerbescheinigung). Eine solche Bescheinigung steht nach § 15
Abs. 1 BVFG nur demjenigen zu, der in dem für die Ausstellung der Bescheini-
gung maßgeblichen Zeitpunkt die Spätaussiedlereigenschaft besitzt, d.h. Spät-
aussiedler ist (BVerwG, Urteil vom 12. März 2002 - 5 C 45.01 - BVerwGE 116,
119 Rn. 9).
Wer Spätaussiedler ist, richtet sich grundsätzlich nach der Rechtslage bei Auf-
nahme in das Bundesgebiet (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. März 2002 - 5 C
45.01 - BVerwGE 116, 119 <121>). Die Klägerin kann sich auch nicht über die
Übergangsregelung in § 100a Abs. 1 BVFG, wonach Anträge nach § 15 Abs. 1
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BVFG nach dem Recht zu bescheiden sind, das "nach dem 7. September 2001
gilt", auf die seit dem 14. September 2013 hinsichtlich der im Spätaussiedlerbe-
griff vorausgesetzten deutschen Volkszugehörigkeit geltenden Erleichterungen
in § 6 Abs. 2 BVFG n.F. durch das Zehnte Gesetz zur Änderung des Bundes-
vertriebenengesetzes vom 6. September 2013 (BGBl. I S. 3554) berufen. Bei
dieser Übergangsregelung handelt es sich - wie sich aus den Gesetzesmateria-
lien ergibt (BT-Drs.14/6310 S. 6 ff.) - lediglich um einen (statischen) Verweis auf
die zum 7. September 2001 in Kraft getretene Neufassung des § 6 Abs. 2
BVFG. Durch sie wollte der Gesetzgeber wieder zu der Rechtslage zurückkeh-
ren, die bis zu den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Oktober
2000 (- 5 C 44.99 - BVerwGE 112, 112 u.a.) in der Verwaltungspraxis von Bund
und Ländern und in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Anwendung
kam. Hingegen ergeben sich für die Gesetzesnovelle von 2013 keine Anhalts-
punkte, dass den durch sie bewirkten Erleichterungen für die Bestimmung der
Spätaussiedlereigenschaft Rückwirkung in Altverfahren beigemessen werden
sollte.
Maßgeblich für den Erwerb der Spätaussiedlereigenschaft ist folglich § 4 Abs. 1
BVFG in der schon zum Zeitpunkt der Übersiedlung der Klägerin in das Bun-
desgebiet im September 2003 geltenden Fassung vom 30. August 2001
- BVFG 2001 -. Danach ist Spätaussiedler in der Regel ein deutscher Volkszu-
gehöriger, der die Republiken der ehemaligen Sowjetunion nach dem 31. De-
zember 1992 im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen und innerhalb von
sechs Monaten im Geltungsbereich des Gesetzes seinen ständigen Aufenthalt
genommen hat, wenn er zuvor (1.) seit dem 8. Mai 1945 oder (2.) nach seiner
Vertreibung oder der Vertreibung eines Elternteils seit dem 31. März 1952 oder
(3.) seit seiner Geburt, wenn er vor dem 1. Januar 1993 geboren ist und von
einer Person abstammt, die die Stichtagsvoraussetzung des 8. Mai 1945 nach
Nummer 1 oder des 31. März 1952 nach Nummer 2 erfüllt, es sei denn, dass
Eltern oder Voreltern ihren Wohnsitz erst nach dem 31. März 1952 in die Aus-
siedlungsgebiete verlegt haben, seinen Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten
hatte.
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Deutscher Volkszugehöriger ist nach § 6 Abs. 1 BVFG 2001, wer sich in seiner
Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch
bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt
wird. Wer - wie die Klägerin - nach dem 31. Dezember 1923 geboren worden
ist, ist nach § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG 2001 deutscher Volkszugehöriger, wenn er
von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen
abstammt und sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine ent-
sprechende Nationalitätenerklärung oder auf vergleichbare Weise nur zum
deutschen Volkstum bekannt oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur
deutschen Nationalität gehört hat. Das Bekenntnis zum deutschen Volkstum
oder die rechtliche Zuordnung zur deutschen Nationalität muss bestätigt wer-
den durch die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache (Satz 2). Diese ist
nur festgestellt, wenn jemand im Zeitpunkt der Aussiedlung aufgrund dieser
Vermittlung zumindest ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen kann
(Satz 3). Ihre Feststellung entfällt, wenn die familiäre Vermittlung wegen der
Verhältnisse in dem jeweiligen Aussiedlungsgebiet nicht möglich oder nicht
zumutbar war (Satz 4). Ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum wird unter-
stellt, wenn es unterblieben ist, weil es mit Gefahr für Leib und Leben oder
schwerwiegenden beruflichen oder wirtschaftlichen Nachteilen verbunden war,
jedoch aufgrund der Gesamtumstände der Wille unzweifelhaft ist, der deut-
schen Volksgruppe und keiner anderen anzugehören (Satz 5).
Die Klägerin stammt aus der ehemaligen Sowjetunion und wurde im Mai 2003
als Abkömmling einer Spätaussiedlerin in den Aufnahmebescheid ihrer Mutter
einbezogen. Damit hat sie die Aussiedlungsgebiete im September 2003 im We-
ge des Aufnahmeverfahrens verlassen und im Bundesgebiet Aufenthalt ge-
nommen (§ 4 Abs. 1 BVFG 2001). Das Berufungsgericht ist im Ergebnis zutref-
fend davon ausgegangen, dass die Klägerin jedoch die weitere Voraussetzung
der Spätaussiedlereigenschaft - die deutsche Volkszugehörigkeit im Sinne von
§ 6 BVFG 2001 - nicht erfüllt.
Die Voraussetzungen für die deutsche Volkszugehörigkeit ergeben sich für die
nach dem 31. Dezember 1923 geborene Klägerin aus § 6 Abs. 2 BVFG 2001.
Die Klägerin stammt zwar mütterlicherseits von einer deutschen Volkszugehöri-
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gen ab. Wegen der russischen Volkszugehörigkeit ihres Vaters wurde sie nach
dem Recht ihres Herkunftsstaats aber nicht ohne ihr Zutun der deutschen Nati-
onalität zugerechnet, wie dies z.B. nach der sowjetischen Passverordnung von
1974 bei Abkömmlingen der Fall war, bei denen beide Elternteile dem deut-
schen Volkstum zugehörten (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. August 1995 - 9 C
391.94 - BVerwGE 99, 133 <140>). Folglich hätte sie sich bis zum Verlassen
der Aussiedlungsgebiete durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung
oder auf vergleichbare Weise (nur) zum deutschen Volkstum bekennen müs-
sen. Hieran fehlt es bei Zugrundelegung der von der Klägerin nicht mit Verfah-
rensrügen angegriffenen und damit für den Senat grundsätzlich bindenden
(§ 137 Abs. 2 VwGO) tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts.
Danach ist die Nationalität der Klägerin in ihrem sowjetischen Inlandspass aus
dem Jahre 1977 mit "russisch" angegeben. Diese Nationalität ist auch in den
Geburtsurkunden ihrer beiden Kinder eingetragen (UA Rn. 2). Wie das Ober-
verwaltungsgericht weiter festgestellt hat, wäre die Abgabe eines Bekenntnis-
ses zum deutschen Volkstum für die Klägerin auch nicht mit unzumutbaren
Nachteilen verbunden gewesen (UA Rn. 32) und erfolgte die Eintragung einer
anderen, nämlich der russischen Nationalität "freiwillig" (UA Rn. 31), beruhte
also auf einer entsprechenden Erklärung der Klägerin. Fehlt es damit bereits an
einem (positiven) Bekenntnis zum deutschen Volkstum, wie es § 6 Abs. 2
BVFG 2001 verlangt, konnte das Berufungsgericht offenlassen, ob in dem Ver-
halten der Klägerin zugleich ein "Gegenbekenntnis" zu einem fremden Volks-
tum liegt, wie es der Rechtsvorgänger des Beklagten und das Verwaltungsge-
richt angenommen haben. Damit kann auch dahinstehen, ob die für das Beru-
fungsgericht maßgebliche Erwägung, dass es bei der Klägerin jedenfalls an
einer familiären Vermittlung der deutschen Sprache fehle (UA Rn. 31), mit Bun-
desrecht zu vereinbaren ist. Folglich erübrigt sich auch ein Eingehen auf die
von der Revision erhobene Verfahrensrüge gegen die tatrichterlichen Feststel-
lungen, auf denen diese Einschätzung beruht.
c) Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG steht entgegen der Auffassung der
Revision der Rücknahme nicht entgegen. Hiernach ist, wenn die Behörde von
Tatsachen Kenntnis erlangt, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Ver-
waltungsakts rechtfertigen, die Rücknahme - außer in den Fällen des § 48
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Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG - nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der
Kenntnisnahme zulässig. Diese Frist wird nach der ständigen Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts in Lauf gesetzt, sobald die Rücknahmebehörde
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die weiteren für
die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind.
Dient eine Anhörung des Betroffenen nach § 28 Abs. 1 VwVfG - wie hier - der
Ermittlung weiterer entscheidungserheblicher Tatsachen, beginnt die Jahresfrist
erst nach Abschluss des Anhörungsverfahrens zu laufen (stRspr, vgl. BVerwG,
Urteil vom 24. Mai 2012 - 5 C 17.11 - BVerwGE 143, 161 Rn. 19 m.w.N.).
Da es für die Entscheidung über die Rücknahme nicht nur auf die Rechtswidrig-
keit des zurückgenommenen Bescheids ankommt, sondern mit Blick auf das
der Behörde eingeräumte Rücknahmeermessen möglicherweise auch Aspekte
zu berücksichtigen waren, von denen sie nur durch eine Anhörung der Klägerin
Kenntnis erlangen konnte, kommt es auch für den Beginn der Jahresfrist auf
eine etwaige "Bösgläubigkeit" der zur Entscheidung berufenen Amtswalterin
und die von der Revision in diesem Zusammenhang erhobene Aufklärungsrüge
nicht an. Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerin auch
nicht aus dem Rechtsstaatsprinzip. Selbst in Fällen, in denen die Ursache für
die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts allein in der Sphäre der Behörde
liegt und dem Betroffenen nicht bekannt war, bedarf es außerhalb der Ein-
schränkungen des § 48 Abs. 2 VwVfG einer Abwägung des Bestandsinteresses
des Betroffenen mit dem gegenläufigen öffentlichen Interesse an der Herstel-
lung rechtmäßiger Zustände und beginnt die Jahresfrist erst mit der Kenntnis
der für diese Ermessensentscheidung erforderlichen Tatsachen zu laufen.
d) Zutreffend ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gekommen, dass auch
die Ausübung des Rücknahmeermessens nicht zu beanstanden ist. Nach § 48
Abs. 1 Satz 1 VwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er
unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder
für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Für einen Verwaltungsakt, der
- wie hier - ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder
bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf eine Rücknahme nach § 48
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- 13 -
Abs. 1 Satz 2 VwVfG nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 erfol-
gen.
aa) Das Berufungsgericht hat die Rücknahme des rechtswidrigen Bescheids
über die Spätaussiedlereigenschaft der Klägerin im Ergebnis zu Recht nicht am
Maßstab des § 48 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 VwVfG gemessen. Soweit das Bundes-
verwaltungsgericht in früheren Entscheidungen einen Rückgriff auf § 48 Abs. 2
VwVfG für geboten hielt, wenn und soweit im Einzelfall feststand, dass der Be-
günstige aufgrund seines Status als Spätaussiedler (früher: Vertriebener) kon-
krete Geld- oder Sachleistungen erhalten oder sein Vertrauen im Hinblick auf
den Erhalt solcher Leistungen sonst in schutzwürdiger Weise betätigt hat (vgl.
BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2012 - 5 C 17.11 - BVerwGE 143, 161 Rn. 22
m.w.N.), hält der inzwischen für das Vertriebenenrecht zuständige 1. Revisions-
senat an dieser Rechtsprechung nicht fest (vgl. BVerwG, Urteil vom heutigen
Tag im Parallelverfahren - 1 C 24.14 - zur Veröffentlichung in der Entschei-
dungssammlung BVerwGE vorgesehen Rn. 28 ff.).
Im Übrigen liegen im Fall der Klägerin selbst nach der früheren Rechtsprechung
die Voraussetzungen für eine partielle Anwendung des § 48 Abs. 2 VwVfG auf
der Grundlage der nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen tatrichterlichen
Feststellungen des Berufungsgerichts nicht vor. Weder der zurückgenommene
Bescheid noch die auf seiner Grundlage erteilte Spätaussiedlerbescheinigung
gewähren der Klägerin eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare
Sachleistung. Soweit der durch die Bescheinigung nachgewiesene Spätaus-
siedlerstatus Voraussetzung für die Gewährung bestimmter Geld- oder Sach-
leistungen ist (etwa für Hilfen nach § 9 BVFG, Leistungen bei Krankheit nach
§ 11 BVFG, Leistungen der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung nach
§ 13 BVFG und zur Förderung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit nach § 14
BVFG (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2005 - 5 C 10.04 - BVerwGE 123,
101 <103 f.>), hat die Klägerin nach den tatrichterlichen Feststellungen des Be-
rufungsgerichts derartige Leistungen weder erhalten noch ihr Vertrauen im
Hinblick auf den Erhalt solcher Leistungen sonst in schutzwürdiger Weise betä-
tigt. Diese Feststellung umfasst auch die - nach Auffassung des Berufungsge-
richts nicht hinreichend substantiierte - Behauptung der Klägerin, sie habe im
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Vertrauen auf die Spätaussiedlerbescheinigung und die damit verbundene An-
erkennung der in der ehemaligen Sowjetunion erworbenen Rentenansprüche
den Abschluss einer Altersvorsoge unterlassen (UA Rn. 15).
bb) Die Rücknahmeentscheidung ist auch nicht - wie die Klägerin meint - wegen
Verstoßes gegen Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG ermessensfehlerhaft, denn sie führt
nicht zum Verlust ihrer deutschen Staatsangehörigkeit.
Die Klägerin hat die deutsche Staatsangehörigkeit gemäß § 7 Satz 1 Staats-
angehörigkeitsgesetz in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Än-
derung des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15. Juli 1999 (BGBl. I S. 1618)
- StAG a.F. - bereits mit der ihr auf der Grundlage des Bescheids vom 30. März
2004 ausgestellten Angehörigenbescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG erwor-
ben. Die neue Fassung, welche die Vorschrift durch das Gesetz zur Umsetzung
aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom
19. August 2007 - EURLAsylUmsG - (BGBl. I S. 1970) mit Wirkung zum
28. August 2007 erhalten hat, ist hier nicht anwendbar. Nach § 7 Satz 1
StAG a.F. erwarb ein Deutscher im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG, der nicht die
deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, mit der Ausstellung der Bescheinigung
gemäß § 15 Abs. 1 oder 2 BVFG die deutsche Staatsangehörigkeit.
Bei Ausstellung der Angehörigenbescheinigung im März 2004 erfüllte die Kläge-
rin auch die weiteren Voraussetzungen des § 7 Satz 1 StAG a.F., insbesondere
war sie mit ihrer Aufnahme Deutsche im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG gewor-
den. Nach dieser Vorschrift ist Deutscher im Sinne des Grundgesetzes vorbe-
haltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehö-
rigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörig-
keit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiet des Deutschen
Reichs nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat. Un-
ter welchen Voraussetzungen eine Person "als Vertriebener deutscher Volks-
zugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling" diesen Status er-
wirbt, ist seit Inkrafttreten der durch das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz vom
21. Dezember 1992 - KfbG - (BGBl. I S. 2094) geänderten Fassung des Bun-
desvertriebenengesetzes am 1. Januar 1993 grundsätzlich nach den Bestim-
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mungen dieses Gesetzes zu beurteilen. Personen, die - wie die Klägerin - als
Abkömmling einer Spätaussiedlerin in Deutschland Aufnahme gefunden haben,
sind mit der Übersiedlung Deutsche im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG gewor-
den. Die einschlägigen Bestimmungen des Bundesvertriebenengesetzes stellen
insoweit die in Art. 116 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber vorbehaltene gesetzliche
Regelung für den Erwerb des Deutschen-Status dar (BVerwG, Urteile vom
20. April 2004 - 1 C 3.03 - BVerwGE 120, 292 <295>, vom 19. Juni 2001 - 1 C
26.00 - BVerwGE 114, 332 <334> und vom 24. Mai 2012 - 5 C 18.11 -
BVerwGE 143, 171 Rn. 29).
Als Deutsche im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG hat die Klägerin nach § 7 Abs. 1
StAG a.F. die deutsche Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes mit der Ausstellung
der Angehörigenbescheinigung im März 2004 erworben. Hieran hat die spätere
Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG nichts
geändert. Insbesondere war die deutsche Staatsangehörigkeit der Klägerin nie
eine gesetzliche Folge dieser Bescheinigung. Vielmehr beruht der Staatsange-
hörigkeitserwerb der Klägerin auf dem Bescheid vom März 2004 und der auf
seiner Grundlage ausgestellten Angehörigenbescheinigung. Diese Entschei-
dung wurde nach den Feststellungen des Berufungsgerichts mit der späteren
Erteilung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG - weder ausdrücklich
noch konkludent - aufgehoben (UA Rn. 47). Insoweit unterscheidet sich der vor-
liegende Fall von dem der Entscheidung des 5. Senats vom 24. Mai 2012 (- 5 C
18.11 - BVerwGE 143, 171) zugrunde liegenden Sachverhalt, da im dortigen
Verfahren der Erwerb der Staatsangehörigkeit auf dem zurückgenommenen
Bescheid beruhte und mit der auf den Ausstellungstag zurückreichenden Rück-
nahme eine wesentliche Voraussetzung für den Erwerb der deutschen Staats-
angehörigkeit (rückwirkend) beseitigt wurde, was ex post zum Verlust der deut-
schen Staatsangehörigkeit führte. Ob sich die Angehörigenbescheinigung - wie
die Klägerin meint - mit der Ausstellung der Spätaussiedlerbescheinigung mit
Wirkung für die Zukunft erledigt hat, bedarf keiner Entscheidung. Selbst wenn
entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten unterstellt würde, dass sich die
Entscheidung über die Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 2
BVFG mit der Entscheidung über eine solche nach § 15 Abs. 1 BVFG "auf an-
dere Weise" erledigte (§ 43 Abs. 2 VwVfG), wofür allerdings nichts spricht, wür-
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de dies nichts daran ändern, dass der Erwerb der Staatsangehörigkeit weiterhin
auf der Angehörigenbescheinigung vom März 2004 beruht, deren Unwirksam-
keit ex nunc keinen Verlustgrund darstellen würde (vgl. § 17 StAG).
cc) Die Ermessensentscheidung weist auch im Übrigen keine Ermessensfehler
im Sinne des § 114 Satz 1 VwGO zu Lasten der Klägerin auf. Insbesondere
haben Ausgangs- und Widerspruchsbehörde bei der Abwägung der für und ge-
gen eine Rücknahme sprechenden öffentlichen und privaten Belange alle nach
Lage der Dinge maßgeblichen Umstände berücksichtigt und fehlerfrei abgewo-
gen. Nachdem das Berufungsgericht davon ausgegangen ist, dass die Behaup-
tung der Klägerin, sie habe im Vertrauen auf die Spätaussiedlerbescheinigung
den Abschluss einer privaten Altersvorsorge unterlassen, schon nicht hinrei-
chend substantiiert ist, musste die Behörde diesen von der Klägerin nach Ak-
tenlage erstmals im Klageverfahren geltend gemachten Umstand nicht nach-
träglich in ihre Ermessenserwägungen einbeziehen. Dass die Fehlerhaftigkeit
der Statusfeststellung möglicherweise allein im Verantwortungsbereich der Be-
hörde lag und der Klägerin nicht bekannt war, mindert nicht das öffentliche Inte-
resse an der Einhaltung der Rechtsordnung und der Verhinderung einer unge-
rechtfertigten Leistungsgewährung und führt entgegen der Auffassung der Klä-
gerin nicht zu einer Ermessensverdichtung zu ihren Gunsten.
3. Die im Widerspruchsverfahren abgeänderte Aufforderung zur Rückgabe
der Spätaussiedlerbescheinigung innerhalb von zwei Wochen nach Bestands-
kraft der Rücknahmeentscheidung findet ihre Rechtsgrundlage in § 52 VwVfG
i.V.m. § 1 Satz 1 SächsVwVfG. Danach kann die Behörde, wenn ein Verwal-
tungsakt unanfechtbar zurückgenommen ist, die aufgrund dieses Verwaltungs-
akts erteilten Urkunden oder Sachen, die zum Nachweis der Rechte aus dem
Verwaltungsakt oder zu deren Ausübung bestimmt sind, zurückfordern. Dies
kann unter der aufschiebenden Bedingung des Eintritts der Unanfechtbarkeit
auch schon zusammen mit der Rücknahme verfügt werden. Auch die Zwangs-
mittelandrohung bezieht sich nach der Abänderung der Rückgabeverpflichtung
durch die Widerspruchbehörde nur noch auf die Rückgabe der Spätaus-
siedlerbescheinigung. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 20 i.V.m. § 27
SächsVerwVollstrG und ist ebenfalls nicht zu beanstanden.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Prof. Dr. Berlit
Prof. Dr. Dörig
Prof. Dr. Kraft
Fricke
Ri'inBVerwG Dr. Rudolph
ist wegen Urlaubs verhindert
zu unterschreiben.
Prof. Dr. Berlit
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstands wird für das Revisionsverfahren auf 5 000 €
festgesetzt (§ 47 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG).
Prof. Dr. Berlit
Fricke
Ri'inBVerwG Dr. Rudolph
ist wegen Urlaubs verhindert
zu unterschreiben.
Prof. Dr. Berlit
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