Urteil des BVerwG vom 28.04.2015

Aufenthaltserlaubnis, Zugang, Arbeitsmarkt, Eugh

BVerwGE: ja
Fachpresse: ja
Sachgebiet:
Ausländerrecht
Rechtsquelle/n:
ARB 1/80 Art. 6 und 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich, Art. 13
AufenthG § 4 Abs. 5, § 8 Abs. 3, § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 und 8,
Satz 3 bis 5, § 28 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
AuslG 1965 §§ 7, 8
Stichworte:
Assoziationsrecht EWG-Türkei; ausreichende Kenntnisse; Betreuung;
Daueraufenthaltsrecht; deutsche Sprache; Grundkenntnisse der Rechts- und
Gesellschaftsordnung; Familiennachzug; Integrationskurs; Kleinkind;
Niederlassungserlaubnis; neue Beschränkung; Stillhalteklausel; türkischer
Arbeitnehmer; Verkehrsanbindung; Verschlechterungsverbot; Zugang zum
Arbeitsmarkt.
Leitsatz:
1. Die Betreuung von Kleinkindern und die Notwendigkeit der Fahrt zum nächsten
Ort des Integrationskurses mit öffentlichen Verkehrsmitteln stellen für sich
genommen keine Umstände dar, bei deren Vorhandensein ausnahmsweise von
dem Vorliegen ausreichender Kenntnisse der deutschen Sprache und
Grundkenntnissen der Rechts- und Gesellschaftsordnung zur Erlangung einer
Niederlassungserlaubnis nach § 9 Abs. 2 und § 28 Abs. 2 AufenthG abgesehen
werden kann.
2. Erhöhte Anforderungen an die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach §
9 Abs. 2 und § 28 Abs. 2 AufenthG stellen keine neue Beschränkung der
Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt nach Art. 13 ARB 1/80 dar, wenn
der Ausländer bereits über einen unbeschränkten Arbeitsmarktzugang aufgrund
eines Daueraufenthaltsrechts nach Art. 7 Abs. 1 Spiegelstrich 2 ARB 1/80
verfügt, das durch einen nationalen Aufenthaltstitel nach § 4 Abs. 5 AufenthG
dokumentiert werden kann.
Urteil des 1. Senats vom 28. April 2015 - BVerwG 1 C 21.14
I. VG München vom 7. März 2013
Az: VG M 12 K 12.6067
II. VGH München vom 3. Juni 2014
Az: VGH 10 B 13.2426
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 1 C 21.14
VGH 10 B 13.2426
Verkündet
am 28. April 2015
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 28. April 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig, Prof. Dr. Kraft
und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Fricke und Dr. Rudolph
für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayeri-
schen Verwaltungsgerichtshofs vom 3. Juni 2014 wird zu-
rückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Die 1984 geborene Klägerin türkischer Staatsangehörigkeit reiste 2005 im
Rahmen des Familiennachzugs zu ihrem türkischen Ehemann in die Bundesre-
publik Deutschland ein, der hier ordnungsgemäß als Arbeitnehmer beschäftigt
ist. Ihr wurde erstmals im August 2005 eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 30
AufenthG erteilt. Zugleich wurde ihr eine Bestätigung ausgehändigt, wonach sie
zur Teilnahme an einem Integrationskurs gemäß § 44a Abs. 1 Nr. 1 AufenthG
verpflichtet wurde. In der Zeit von Oktober bis Anfang Februar 2007 nahm die
Klägerin am Basiskurs Abschnitt 1 teil. Wegen ihrer Schwangerschaft brach die
Klägerin die Teilnahme an dem Integrationskurs vorzeitig ab. Im November
2007 kam ihr Sohn zur Welt. Auf Anfrage der Ausländerbehörde im November
2008 teilte der Ehegatte der Klägerin mit, dass die Klägerin noch stille und zwi-
schen dem Wohnort und dem Kursort eine schlechte Verkehrsanbindung be-
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stehe. Daraufhin wurde vereinbart, dass sich die Klägerin bis spätestens Sep-
tember/ Oktober 2009 wieder zum Integrationskurs anmeldet. Auf erneute An-
frage der Ausländerbehörde im Dezember 2009 teilte der Ehemann der Kläge-
rin mit, die Klägerin lerne gerade für den Führerschein. Sobald sie diesen er-
worben habe und das Kind den Kindergarten besuche, werde sie sich zum Kurs
anmelden.
Am 18. Februar 2010 erteilte die Ausländerbehörde des Beklagten der Klägerin
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG, die bis zum
17. Februar 2012 befristet war. Sie enthielt den Zusatz "Erwerbstätigkeit gestat-
tet".
Am 24. Januar 2012 beantragte die Klägerin die Erteilung einer Niederlas-
sungserlaubnis. Zugleich legte sie ein ärztliches Attest vor, wonach sie wegen
Schwangerschaftsbeschwerden aus medizinischen Gründen nicht an einem
Integrationskurs teilnehmen könne. Seit Februar 2012 erhält die Klägerin fort-
laufend Fiktionsbescheinigungen gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG.
Mit Schreiben vom Februar 2012 machte die Klägerin geltend, dass aufgrund
der Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 die erhöhten Anforderungen, die
durch § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 und 8 AufenthG zum 1. Januar 2005 für eine Nie-
derlassungserlaubnis eingeführt worden seien, für sie nicht gälten. Nach dem
früheren Ausländergesetz hätten für die Erteilung einer unbefristeten Aufent-
haltserlaubnis oder einer Aufenthaltsberechtigung Anforderungen, wie sie nun-
mehr in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 und 8 AufenthG gestellt würden, nicht bestan-
den, so dass diese eine Verschlechterung darstellten. Erschwerend komme
hinzu, dass wegen Komplikationen im Verlauf der erneuten Schwangerschaft
ärztlicherseits ein Verbot der Teilnahme am Deutschkurs ausgesprochen wor-
den sei.
Mit Schreiben vom 7. Mai 2012 beantragte die Klägerin hilfsweise, ihr eine Auf-
enthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 1 AuslG 1965, weiter hilfsweise eine un-
befristete Aufenthaltserlaubnis gemäß § 7 AuslG 1965 zu erteilen.
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Mit Bescheid vom 12. November 2012 lehnte die Ausländerbehörde des Be-
klagten den Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ab, da die Klä-
gerin das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 und 8
AufenthG nicht nachgewiesen habe. Eine Ausnahme nach § 9 Abs. 2 Satz 3 bis
5 AufenthG liege nicht vor. Insbesondere sei ein Härtefall weder geltend ge-
macht worden noch ersichtlich. Die mit der Gesetzesnovellierung zum 1. Januar
2005 eingeführte Verpflichtung zum Nachweis von ausreichenden Deutsch-
kenntnissen und Grundkenntnissen der Rechts- und Gesellschaftsordnung der
Bundesrepublik Deutschland stelle keine neue Beschränkung im Sinne von
Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Assoziationsab-
kommen EWG/Türkei dar, zumal es der Klägerin bereits aufgrund des erteilten
Aufenthaltstitels erlaubt sei, jeder Erwerbstätigkeit nachzugehen.
Die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom
7. März 2013 abgewiesen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung der Klägerin durch Urteil vom
3. Juni 2014 zurückgewiesen. Der mit dem Hauptantrag geltend gemachte An-
spruch ergebe sich weder aus § 9 Abs. 2 AufenthG und § 28 Abs. 2 AufenthG
noch unmittelbar aus Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 ARB 1/80. Ein Anspruch auf
Erteilung eines nationalen Aufenthaltstitels für ein Daueraufenthaltsrecht ergebe
sich auch nicht aus Art. 13 ARB 1/80. Die Hilfsanträge blieben ebenfalls erfolg-
los. Voraussetzung für einen Anspruch nach § 9 Abs. 2 AufenthG sei u.a., dass
der Ausländer über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfüge.
Den Nachweis hierfür erbringe der Ausländer im Regelfall, indem er einen In-
tegrationskurs erfolgreich abschließe oder einen standardisierten Sprachtest
ablege. Einen solchen Nachweis habe die Klägerin trotz ihrer Mitwirkungspflicht
nicht erbracht. Von der Voraussetzung des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 AufenthG sei
auch nicht nach § 9 Abs. 2 Satz 3 und 4 AufenthG abzusehen. Die während der
Schwangerschaft aufgetretenen Komplikationen, die Betreuung der kleinen
Kinder und eine ungünstige Busverbindung zum Kursort stellten keine einer
körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung vergleich-
bare Einschränkung im Sinne von § 9 Abs. 2 Satz 3 AufenthG dar. Auch eine
Härte im Sinne des § 9 Abs. 2 Satz 4 AufenthG sei nicht gegeben. Die Klägerin
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habe ferner keinen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach
§ 28 Abs. 2 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG, da sie die auch hierfür
erforderlichen ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache nicht nach-
gewiesen habe. Ein Anspruch der Klägerin auf Erteilung einer Niederlassungs-
erlaubnis ergebe sich ferner nicht unmittelbar aus Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2
ARB 1/80. Hieraus lasse sich kein Anspruch auf Erteilung einer Niederlas-
sungserlaubnis ohne Vorliegen der in § 9 Abs. 2 Satz 1 AufenthG genannten
Erteilungsvoraussetzungen ableiten. Die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80
rechtfertige ebenfalls nicht die Erteilung eines Aufenthaltstitels, der der Klägerin
ein Daueraufenthaltsrecht zuerkenne. Zwar habe das Aufenthaltsgesetz in § 9
Abs. 2 Satz 1 die Erteilungsvoraussetzungen für den unbefristeten Aufenthalts-
titel gegenüber der im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Beschlusses Nr. 1/80
geltenden Rechtslage verschärft, da § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 AufenthG gegen-
über den Regelungen zur unbefristeten Aufenthaltserlaubnis in den Ausländer-
gesetzen von 1965 und 1990 höhere Anforderungen an die Sprachkompetenz
stelle. Bei den hier entscheidungserheblichen zusätzlichen Anforderungen für
die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis handele es sich aber nicht um neue
Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt. Die An-
spruchsvoraussetzungen in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 und 8 AufenthG blieben
nämlich ohne Auswirkungen auf den Arbeitsmarktzugang der Klägerin, weil die-
se schon wegen der ihr zu erteilenden befristeten Aufenthaltserlaubnis unbe-
schränkten Zugang zum Arbeitsmarkt habe. Die Klägerin habe zudem einen
Anspruch auf befristete Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1
Satz 1 Nr. 3 AufenthG.
In ihrer Revision gegen dieses Urteil macht die Klägerin geltend: Der Verwal-
tungsgerichtshof gehe zu Unrecht davon aus, dass die Betreuung zweier min-
derjähriger Kinder, die Komplikationen während der Schwangerschaft und die
schlechte Busverbindung zum Ort des Integrationskurses nicht mit den in § 9
Abs. 2 Satz 3 AufenthG geregelten Einschränkungen vergleichbar sei bzw. kei-
ne Härte im Sinne des § 9 Abs. 2 Satz 4 AufenthG darstelle. Entgegen der Auf-
fassung des Verwaltungsgerichtshofs rechtfertige auch Art. 13 ARB 1/80 die
Erteilung eines Daueraufenthaltsrechts. Aus der Rechtsprechung des Gerichts-
hofs der Europäischen Union folge, dass jede Änderung, die dazu führe, dass
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es schwieriger werde, eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten, eine neue Be-
schränkung im Sinne von Art. 13 ARB 1/80 sei. Eine rein beschäftigungsbezo-
gene Betrachtungsweise, die ausschließlich darauf abstelle, ob mit dem unbe-
fristeten Aufenthaltsstatus eine rechtliche Verbesserung des Arbeitsmarktzu-
gangs verbunden ist, sei hiernach ausgeschlossen. Entgegen der Auffassung
des Verwaltungsgerichtshofs werde durch die Verschärfung der Erteilungsvo-
raussetzungen eines unbefristeten Aufenthaltstitels auch direkt und unmittelbar
der unbeschränkte Zugang zum Arbeitsmarkt erschwert. Faktisch führe ein un-
befristeter Aufenthaltsstatus dazu, dass der Ausländer auf dem Arbeitsmarkt für
Arbeitgeber attraktiver sei, da mit seinem dauerhaften Verbleib im Bundesge-
biet gerechnet werden könne.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Der Vertreter des Bundesinte-
resses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich am Verfahren und schließt
sich der Auffassung des Beklagten an.
II
Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat die Beru-
fung der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil im Ergebnis ohne Verstoß
gegen Bundesrecht zurückgewiesen. Es hat im Einklang mit revisiblem Recht
(§ 137 Abs. 1 VwGO) dahin erkannt, dass die Klägerin weder einen Anspruch
auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 Abs. 2 AufenthG (1.) und
nach § 28 Abs. 2 AufenthG (2.) noch unmittelbar aus Art. 7 Satz 1 Spiegel-
strich 2 ARB 1/80 (3.) hat. Es hat ferner zu Recht angenommen, dass sich aus
der Anwendung der Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 (i.V.m. §§ 7, 8 AuslG
1965) kein Anspruch auf Erteilung eines Daueraufenthaltsrechts ergibt (4.). Der
Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union
gemäß Art. 267 AEUV bedurfte es nicht (5.).
Maßgebend für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Verpflich-
tungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der
letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz.
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Während des Revisionsverfahrens eingetretene Rechtsänderungen sind aller-
dings zu berücksichtigen, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle
des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, BVerwG,
Urteil vom 14. Mai 2013 - 1 C 16.12 - BVerwGE 146, 271 Rn. 14). Der revisi-
onsgerichtlichen Beurteilung zugrunde zu legen ist daher das Aufenthaltsgesetz
in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162),
geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher
Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvor-
schriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl. I S. 2258) und
Art. 1 des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von international Schutzbe-
rechtigten und ausländischen Arbeitnehmern vom 29. August 2013 (BGBl. I
S. 3484).
1. Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist u.a. Voraussetzung für die Erteilung ei-
ner Niederlassungserlaubnis, dass der Ausländer über ausreichende Kenntnis-
se der deutschen Sprache (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 AufenthG) sowie über
Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensver-
hältnisse im Bundesgebiet (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 AufenthG) verfügt.
1.1 Ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache entsprechen nach der
Begriffsbestimmung in § 2 Abs. 11 AufenthG dem Niveau B1 des Gemeinsa-
men Europäischen Referenzrahmens für Sprachen. Sie liegen vor, wenn sich
der Ausländer im täglichen Leben einschließlich der üblichen Kontakte mit Be-
hörden in seiner deutschen Umgebung sprachlich zurechtzufinden vermag und
mit ihm ein seinem Alter und Bildungsstand entsprechendes Gespräch geführt
werden kann (vgl. BT-Drs. 15/420 S. 72 und BT-Drs. 15/5470 S. 20). Dazu ge-
hört auch, dass der Ausländer einen deutschsprachigen Text des alltäglichen
Lebens lesen, verstehen und die wesentlichen Inhalte mündlich wiedergeben
kann. Den Nachweis hierfür erbringt der Ausländer in der Regel, indem er einen
Integrationskurs erfolgreich abschließt (§ 9 Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Die erfor-
derlichen Sprachkenntnisse können aber auch auf andere Weise - etwa über
einen entsprechenden Schulabschluss - nachgewiesen werden (vgl.
BT-Drs. 15/420 S. 72; Nr. 9.2.1.7 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum
Aufenthaltsgesetz ). Zudem ist gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8
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AufenthG Voraussetzung für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis, dass
der Ausländer über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung
und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet verfügt. Die Grundkenntnisse
können ebenso wie die erforderlichen Sprachkenntnisse durch die erfolgreiche
Teilnahme an einem Integrationskurs, aber auch auf andere Weise - etwa über
einen entsprechenden Schulabschluss - nachgewiesen werden.
Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und insoweit bindenden
(§ 137 Abs. 2 VwGO) tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ver-
fügt die Klägerin weder über ausreichende Deutschkenntnisse noch über
Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung sowie der Lebensver-
hältnisse im Bundesgebiet.
1.2 Die Klägerin erfüllt auch nicht die Voraussetzungen, unter denen - nach § 9
Abs. 2 Satz 3 bis 5 AufenthG - ausnahmsweise von den Voraussetzungen nach
§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 und 8 AufenthG abgesehen werden kann.
1.2.1 Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, dass die während der
Schwangerschaft der Klägerin aufgetretenen Komplikationen, die Betreuung
von Kleinkindern und eine ungünstige Verkehrsanbindung zum Ort des Integra-
tionskurses nicht die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Satz 3 AufenthG erfüllen.
Dieser Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, dass auch behinderten oder
kranken Ausländern eine Aufenthaltsverfestigung möglich sein muss (Geset-
zesbegründung vom 7. Februar 2003, BT-Drs. 15/420 S. 72). Eine Krankheit
oder Behinderung in diesem Sinne, die den Erwerb der erforderlichen Kenntnis-
se (nahezu) dauerhaft unmöglich macht, liegt hier nicht vor.
1.2.2 Die Klägerin erfüllt auch nicht die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Satz 4
AufenthG, wonach zur Vermeidung einer Härte von den Voraussetzungen des
§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 und 8 AufenthG abgesehen werden kann. Der Gesetz-
geber hat hier an Fälle gedacht, in denen die Betroffenen z.B. trotz verstärkter
Bemühungen die Anforderungen unverschuldet nicht erfüllen können. Er geht
davon aus, dass es insoweit (auch bei strikter Zuwanderungssteuerung im Be-
reich der wirtschaftlichen Migration) immer Einzelfälle - z.B. im Rahmen der
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Familienzusammenführung - geben werde, in denen die Betroffenen bei aller
Anstrengung - und selbst bei Berücksichtigung von Alter und Bildungsstand -
die geforderten Kenntnisse nicht in hinreichendem Maße erwerben können
(Gesetzesbegründung vom 7. Februar 2003, BT-Drs. 15/420 S. 72 f.). Dies sei
z.B. bei "bildungsfernen" Menschen der Fall, die in einer anderen Schriftspra-
che sozialisiert worden seien. Eine Härte im Sinne des § 9 Abs. 2 Satz 4 Auf-
enthG kann ferner auch dann vorliegen, wenn eine körperliche, geistige oder
seelische Erkrankung oder Behinderung die Erfüllung der Voraussetzungen
zwar nicht unmöglich macht, aber dauerhaft erschwert, wenn der Ausländer bei
der Einreise bereits über 50 Jahre alt war oder wegen der Pflegebedürftigkeit
eines Angehörigen der Besuch eines Integrationskurses auf Dauer unmöglich
oder unzumutbar war (vgl. Nr. 9.2.2. AufenthG-VwV).
Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die von der Klä-
gerin geltend gemachte Betreuung ihrer beiden kleinen Kinder (2 und 7 Jahre
alt) und die Notwendigkeit der Fahrt zum nächsten Ort des Integrationskurses
mit öffentlichen Verkehrsmitteln keine Härte im Sinne des § 9 Abs. 2 Satz 4
AufenthG begründen. Die Erziehung eigener Kinder und auch die Sorge für
Kinder im Vorschulalter stellen für sich genommen keine Umstände dar, die die
Erfüllung der Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 und 8 AufenthG we-
sentlich erschweren. Gleiches gilt auch für den Fall einer ungünstigen Ver-
kehrsanbindung zum nächsten Kursort. Zum einen lässt sich dem Vorbringen
der Klägerin bereits nicht entnehmen, dass die Busverbindung zum Kursort
derart ungünstig ist, dass die Teilnahme am Integrationskurs hier wesentlich
erschwert wäre. Zum anderen kann eine ungünstige Verkehrsanbindung bereits
deshalb nicht dazu führen, von den Erfordernissen des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7
und 8 AufenthG abzusehen, weil der Ausländer zum Nachweis der erforderli-
chen Sprachkenntnisse auch ein Sprachdiplom vorlegen kann, das der Be-
scheinigung über die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs ent-
spricht. Hierauf ist die Klägerin durch die Ausländerbehörde des Beklagten
auch hingewiesen worden.
Ein Ausnahmegrund nach § 9 Abs. 2 Satz 5 AufenthG liegt schon deshalb nicht
vor, weil die Klägerin einen Anspruch auf Kursteilnahme hat.
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2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungser-
laubnis nach § 28 Abs. 2 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG. In dem für
die Beurteilung der Begründetheit der Verpflichtungsklage maßgeblichen Zeit-
punkt verfügte die Klägerin nach den insoweit bindenden tatsächlichen Feststel-
lungen des Berufungsgerichts bereits nicht über die (auch nach § 28 Abs. 2
Satz 1 AufenthG) erforderlichen ausreichenden Kenntnisse der deutschen
Sprache. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hat die
Klägerin auch die nach § 28 Abs. 2 AufenthG a.F. erforderlichen einfachen
Kenntnisse der deutschen Schriftsprache nicht nachgewiesen, so dass sich die
Frage einer Verlagerung des maßgeblichen Zeitpunktes aus Gründen des ef-
fektiven Rechtsschutzes (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. März 2010 - 1 C
6.09 - BVerwGE 136, 211 Rn. 24 f.) bereits im Ansatz nicht stellt.
3. Ferner ergibt sich ein Anspruch der Klägerin auf Erteilung einer Niederlas-
sungserlaubnis ohne Vorliegen der in § 9 Abs. 2 Satz 1 und § 28 Abs. 2
AufenthG genannten Erteilungsvoraussetzungen nicht unmittelbar aus Art. 7
Satz 1 Spiegelstrich 2 ARB 1/80. Die Klägerin hat durch die Eheschließung mit
einem türkischen Staatsangehörigen, der eine Rechtsposition aus Art. 6 Abs. 1
ARB 1/80 innehat, eine Rechtsstellung nach Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2
ARB 1/80 erworben. Zwar folgt aus dieser Rechtsstellung auch ein Aufenthalts-
recht, da das von der Vorschrift eingeräumte Recht auf Zugang zum Arbeits-
markt ohne ein korrespondierendes Aufenthaltsrecht nicht ausgeübt werden
könnte (EuGH, Urteil vom 29. März 2012 - C-7/10 und C-9/10
[ECLI:EU:C:2012:180], Kahveci und Inan - Rn. 28). Aus diesem Grund können
Assoziationsberechtigte die Ausstellung einer (deklaratorischen) Aufenthaltser-
laubnis nach § 4 Abs. 5 AufenthG beanspruchen. Dieses implizite Aufenthalts-
recht ändert jedoch nichts daran, dass das Assoziationsrecht und das mitglied-
staatliche Aufenthaltsrecht getrennte Rechtskreise darstellen, die teilweise un-
terschiedliche Ziele verfolgen: Während das Assoziationsabkommen aus-
schließlich wirtschaftlichen Zwecken dient und sich deshalb auf die schrittweise
Herstellung der Arbeitnehmerfreizügigkeit beschränkt (EuGH, Urteil vom
8. Dezember 2011 - C-371/08 [ECLI:EU:C:2011:809], Ziebell - Rn. 72), verfolgt
das innerstaatliche Aufenthaltsrecht weiter gefasste Ziele, insbesondere die
Steuerung der Zuwanderung unter Berücksichtigung der Aufnahme- und
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Integrationsfähigkeit (§ 1 Abs. 1 AufenthG). Die Niederlassungserlaubnis ist als
rechtliche Bestätigung einer erfolgreichen Integration konstruiert und gewährt
denjenigen Ausländern ein Daueraufenthaltsrecht, die aufgrund der Dauer ihres
Aufenthalts und ihrer persönlichen Lebensumstände in die Lebensverhältnisse
der Bundesrepublik Deutschland integriert sind (BT-Drs. 15/420 S. 72, vgl.
BVerwG, Urteil vom 22. Mai 2012 - 1 C 6.11 - BVerwGE 143, 150 Rn. 17). Dem
Aufenthaltsgesetz ist das gleichzeitige Bestehen verschiedener - in ihren Vor-
aussetzungen und Rechtsfolgen unterschiedlich ausgestalteter - Rechtsstellun-
gen eines Ausländers auch nicht fremd, wie die Regelung des § 4 Abs. 5
AufenthG zeigt. Dieser Vorschrift ist zu entnehmen, dass das Bestehen eines
assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts der konstitutiven Erteilung eines nati-
onalen Aufenthaltstitels nicht entgegensteht (BVerwG, Urteil vom 19. März
2013 - 1 C 12.12 - BVerwGE 146, 117 Rn. 20). Die mit der Erteilung einer Nie-
derlassungserlaubnis verbundene aufenthaltsrechtliche Verfestigung hängt in-
des von anderen Voraussetzungen ab als das assoziationsrechtliche Aufent-
haltsrecht, so dass sich aus den assoziationsrechtlichen Vorschriften der Art. 6
und 7 ARB 1/80 kein Anspruch auf eine Niederlassungserlaubnis ableiten lässt.
4. Die Klägerin hat schließlich auch aufgrund der Stillhalteklausel des Art. 13
ARB 1/80 keinen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ohne
Erfüllung der in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 und 8 und § 28 Abs. 2 AufenthG ge-
nannten Voraussetzungen.
4.1 Art. 13 ARB 1/80 enthält ein Verschlechterungsverbot. Danach dürfen die
Mitgliedstaaten keine neuen innerstaatlichen Maßnahmen einführen, die be-
zwecken oder bewirken, dass die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit
durch einen türkischen Staatsangehörigen oder einen Familienangehörigen in
einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen als denjenigen unterworfen
wird, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Bestimmung in dem Mitgliedstaat
gelten (EuGH, Urteil vom 17. September 2009 - C-242/06
[ECLI:EU:C:2009:554], Sahin - Rn. 63). Maßgeblich für diesen Vergleich ist die
am 1. Dezember 1980 geltende Rechtslage (Art. 16 ARB 1/80; EuGH, Urteil
vom 9. Dezember 2010 - C-300/09 und C-301/09 [ECLI:EU:C:2010:756],
Toprak und Oguz - Rn. 62). Darüber hinaus erfasst die Stillhalteklausel auch die
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nachträgliche Verschärfung einer nach diesem Stichtag in Bezug auf die Arbeit-
nehmerfreizügigkeit eingeführten Bestimmung, die eine Erleichterung der da-
mals geltenden Bestimmungen vorsah, auch wenn diese Verschärfung nicht die
Bedingungen für die Erteilung der Erlaubnis im Vergleich zu den bei Inkrafttre-
ten geltenden Bedingungen verschlechterte (EuGH, Urteil vom 9. Dezember
2010 - C-300/09 und C-301/09 - Rn. 50 f.). Dies bedeutet, dass für den Ver-
gleich der Rechtslage auf die jeweils günstigste Regelung abzustellen ist, die
seit dem Inkrafttreten der Stillhalteklausel eingeführt wurde (BVerwG, Urteil vom
6. November 2014 - 1 C 4.14 - NVwZ 2015, 373).
4.2 Im Vergleich zu den im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Beschlusses
Nr. 1/80 geltenden Regelungen zur Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltser-
laubnis (§ 7 Abs. 2 AuslG 1965) bzw. Aufenthaltsberechtigung (§ 8 AuslG 1965)
stellen § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 und 8 und § 28 Abs. 2 AufenthG höhere Anforde-
rungen an die Erteilung eines Daueraufenthaltstitels, da die Erteilung einer Nie-
derlassungserlaubnis ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache voraus-
setzt, die gemäß § 2 Abs. 11 AufenthG dem Niveau B 1 des Gemeinsamen Eu-
ropäischen Referenzrahmens für Sprachen entsprechen müssen. Für die Ertei-
lung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis oder einer Aufenthaltsberechti-
gung nach den am 1. Dezember 1980 geltenden Bestimmungen reichte es da-
gegen aus, dass sich der Ausländer auf einfache Art in deutscher Sprache
mündlich verständlich machen konnte (vgl. Nr. 4 (1) b) zu § 7 AuslG und Nr. 4
a) zu § 8 AuslG der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Ausführung des
Ausländergesetzes vom 7. Juli 1967 , zuletzt geän-
dert durch AuslVwV vom 7. Juli 1978 ).
Der Vergleich der Rechtslage nach dem Ausländergesetz 1965 und den heute
geltenden Bestimmungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ergibt,
dass die Erteilungsvoraussetzungen für den (nationalen) unbefristeten Aufent-
haltstitel verschärft wurden. Dies wirkt sich auch zulasten der Klägerin aus, da
sie sich nach den insoweit bindenden tatsächlichen Feststellungen des Beru-
fungsgerichts auf einfache Art in deutscher Sprache mündlich verständlich ma-
chen kann und insoweit die Erteilungsvoraussetzungen nach alter Rechtslage
erfüllt.
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4.3 Der Anwendbarkeit der Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 steht auch
nicht bereits entgegen, dass die Klägerin im Besitz einer Rechtsposition aus
Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 ARB 1/80 ist.
Die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 steht neben den unmittelbar anwend-
baren Rechten der Art. 6 und 7 ARB 1/80, die türkischen Arbeitnehmern und
deren Familienangehörigen im Unionsrecht wurzelnde Beschäftigungs- und
Aufenthaltsrechte vermitteln, und erfasst demnach nicht lediglich denjenigen
Personenkreis, der noch keine Rechte in Bezug auf Aufenthalt und Beschäfti-
gung hat. Dies folgt aus der mit der Stillhalteklausel verfolgten Zielsetzung,
günstige Bedingungen für die schrittweise Verwirklichung der Arbeitnehmerfrei-
zügigkeit zu schaffen, indem den innerstaatlichen Stellen verboten wird, neue
Hindernisse für die Ausübung dieser Freiheit einzuführen (EuGH, Urteil vom
9. Dezember 2010 - C-300/09 und C-301/09 - Rn. 53 f.), sowie ihrer Funktion,
allgemein die Einführung neuer innerstaatlicher Maßnahmen zu verbieten, die
bezwecken oder bewirken, dass die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit
durch einen türkischen Staatsangehörigen strengeren Voraussetzungen als
denjenigen unterworfen wird, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des
ARB 1/80 galten (EuGH, Urteil vom 17. September 2009 - C-242/06 - Rn. 63).
Der Gerichtshof der Europäischen Union interpretiert die Stillhalteklausel nicht
dahingehend, dass nur arbeits- und gewerberechtliche Regelungen dem Ver-
schlechterungsverbot unterfallen, sondern auch die aufenthaltsrechtlichen
Rahmenbedingungen einschließlich der Regeln über die Erteilung und Verlän-
gerung von Aufenthaltstiteln, Erteilungsverfahren und Gebühren. Solche Rege-
lungen können auch diejenigen türkischen Staatsangehörigen, die bereits eine
Rechtsposition aus Art. 6 oder 7 ARB 1/80 haben, betreffen (vgl. BVerwG, Urteil
vom 19. März 2013 - 1 C 12.12 - BVerwGE 146, 117 Rn. 30).
4.4 Der Anwendbarkeit der Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 steht indes
entgegen, dass die nachträgliche Verschärfung der Voraussetzungen für die
Erteilung eines Daueraufenthaltsrechts ohne Auswirkungen auf den Arbeits-
marktzugang der Klägerin bleibt. Es liegen keine neuen Beschränkungen der
Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt im Sinne des Art. 13 ARB 1/80
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vor. Denn die Klägerin hat auch ohne die Erteilung einer Niederlassungserlaub-
nis nach § 9 Abs. 2, § 28 Abs. 2 AufenthG aufgrund ihres assoziationsrechtli-
chen Daueraufenthaltsrechts nach Art. 7 Satz 1 Spiegelstrich 2 ARB 1/80, das
in einer mindestens auf fünf Jahre befristeten deklaratorischen Aufenthaltser-
laubnis nach § 4 Abs. 5 AufenthG dokumentiert wird (vgl. BVerwG, Urteil vom
22. Mai 2012 - 1 C 6.11 - BVerwGE 143, 150 Rn. 27), einen auch zeitlich unbe-
schränkten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. Das assoziationsrechtliche
Daueraufenthaltsrecht wird durch die Rechtsvorschrift des § 4 Abs. 5 AufenthG
in das nationale Recht inkorporiert, so dass jedenfalls für den durch diese Re-
gelung erfassten Personenkreis nicht nur nach Unionsrecht, sondern auch nach
dem im Bundesgebiet anzuwendenden nationalen Recht keine Beschränkung
des Arbeitsmarktzugangs gegeben ist. Art. 13 ARB 1/80 gebietet keine auf ein-
zelne (nationale) Aufenthaltstitel bezogene Betrachtung, soweit nach nationa-
lem Recht ein im Ergebnis unbeschränkter Arbeitsmarktzugang auf der Grund-
lage eines gesicherten Aufenthaltsrechts besteht.
5. Einen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis kann die Kläge-
rin auch nicht aus Art. 41 Abs. 1 Zusatzprotokoll zum Assoziationsabkommen
EWG/Türkei -ZP- herleiten. Denn ungeachtet der Tatsache, dass sie bisher
nicht vorgetragen hat, eine selbstständige Erwerbstätigkeit anzustreben, wird
diese durch die Versagung einer Niederlassungserlaubnis nicht erschwert.
Auch zu einer selbstständigen Erwerbstätigkeit hat die Klägerin nämlich bereits
aufgrund ihrer Rechtsstellung nach Art. 7 Abs. 1 Spiegelstrich 2 ARB 1/80 einen
unbeschränkten Zugang.
6. Der Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen
Union gemäß Art. 267 AEUV bedurfte es nicht. Der Prozessbevollmächtigte der
Klägerin hat die Vorlage zweier Fragen an den Gerichtshof angeregt.
Die Voraussetzungen für die Einholung einer Vorabentscheidung zu diesen
Fragen liegen jedoch nicht vor, weil sie nicht entscheidungserheblich sind. Wie
oben bereits ausgeführt (Rn. 29), kann sich die Klägerin deswegen nicht mit
Erfolg auf die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 berufen, weil sie bereits
aufgrund ihres nach § 4 Abs. 5 AufenthG in das nationale Recht inkorporierten
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assoziationsrechtlichen Daueraufenthaltsrechts nach Art. 7 Satz 1 Spiegel-
strich 2 ARB 1/80 einen unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt hat. Auf die
Frage, ob die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 auch im Falle von Er-
schwernissen für die Erteilung eines nationalen Aufenthaltstitels, der ein Recht
auf Daueraufenthalt gewährt, gilt, kommt es mithin nicht mehr an.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Prof. Dr. Berlit
Prof. Dr. Dörig
Prof. Dr. Kraft
Fricke
Dr. Rudolph
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5 000 € festgesetzt (§ 47 Abs. 1,
§ 52 Abs. 2 GKG).
Prof. Dr. Berlit
Prof. Dr. Dörig
Dr. Rudolph
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