Urteil des BVerwG vom 13.01.2009

Innere Sicherheit, Gesetzliche Vermutung, Gefährdung, Aufschiebende Wirkung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 1 C 2.08
VGH 11 UE 765/07
Verkündet
am 13. Januar 2009
von Förster
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 13. Januar 2009
durch die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und Richter sowie
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Beck und Fricke
für Recht erkannt:
Der Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs
vom 3. Dezember 2007 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Ent-
scheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwie-
sen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung
vorbehalten.
G r ü n d e :
I
Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine Auswei-
sung aus Deutschland und erstrebt die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaub-
nis.
hier lebenden Eltern. Nach Vollendung des 16. Lebensjahrs erhielt er eine
befristete Aufenthaltserlaubnis, deren Verlängerung er im Juni 2003 beantragte.
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1996 heiratete der Kläger eine türkische Staatsangehörige, mit der er drei ge-
meinsame minderjährige Kinder hat. Die Eheleute leben inzwischen getrennt;
die Kinder wachsen bei den Großeltern mütterlicherseits auf.
Nach den Ermittlungen des Landesamtes für Verfassungsschutz Hessen ist der
Kläger Anhänger der Organisation „Kalifatstaat“. Diese Vereinigung wurde vom
Bundesministerium des Innern mit bestandskräftiger Verfügung vom 8. Dezem-
ber 2001 verboten. Außerdem ist der Kläger in Deutschland wiederholt straf-
rechtlich in Erscheinung getreten, insbesondere wegen Fahrens ohne Fahrer-
laubnis und Führens nicht versicherter Kraftfahrzeuge. Zuletzt wurde er im De-
zember 2006 wegen Körperverletzung in fünf Fällen, begangen an seiner Ehe-
frau in den Jahren 2000 bis 2005 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Mona-
ten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Mit Bescheid vom 12. April 2005 wies die Beklagte den Kläger unter Anordnung
des Sofortvollzugs aus, lehnte seinen Antrag auf Verlängerung der Aufenthalts-
erlaubnis ab und drohte ihm die Abschiebung in die Türkei an. Die Ausweisung
wurde auf die Regelausweisungsgründe des § 54 Nr. 5 und 6 AufenthG ge-
stützt. Der Kläger sei Anhänger einer verbotenen Organisation und habe hierzu
bei einer Sicherheitsbefragung in wesentlichen Punkten falsche bzw. unvoll-
ständige Angaben gemacht.
Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren hat der Verwaltungsgerichtshof im Ja-
nuar 2006 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Klägers wieder
hergestellt bzw. angeordnet und dies damit begründet, dass sich die Auswei-
sung voraussichtlich nicht auf die von der Beklagten herangezogenen Re-
gelausweisungstatbestände stützen lasse.
spruch des Klägers zurück. In der Begründung hieß es, auch wenn kein Re-
gelausweisungsgrund vorliege, sei die Ausweisung als Ermessensausweisung
aufrechtzuerhalten. Der Kläger genieße zwar besonderen Ausweisungsschutz,
es lägen jedoch schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ord-
nung vor. Es sei davon auszugehen, dass er Mitglied der verbotenen Kaplan-
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Vereinigung sei und auch ohne Verwirklichung eines gesetzlichen Regelfalls
erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtige.
Die vom Kläger erhobene Klage, mit der er die Aufhebung der Bescheide und
die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis begehrt, hatte beim Verwaltungs-
gericht und beim Verwaltungsgerichtshof keinen Erfolg. Zur Begründung hat der
Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 3. Dezember 2007 im
Wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen für eine Regelausweisung lä-
gen zwar nicht vor, die Widerspruchsbehörde habe die Ausweisung aber zu
Recht auf § 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 AufenthG gestützt. Der Kläger sei zumin-
dest Unterstützer der verbotenen Organisation „Kalifatstaat“ und des ihr zuzu-
rechnenden Mitgliedsvereins Ümmet-Moschee. Sein Name finde sich auf einer
bei einem Vorstandsmitglied im September 2002 aufgefundenen Mitgliederliste
des Vereins. Ferner seien in der Wohnung des Klägers im Dezember 2003 dem
„Kalifatstaat“ zuzurechnende Zeitschriften sichergestellt worden. Nach der
Verbotsverfügung richte sich die Vereinigung gegen die verfassungsmäßige
Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung und gefährde die innere
Sicherheit und sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland.
Durch die auch nach der bestandskräftigen Verbotsverfügung fortgesetzte wei-
tere Unterstützung der Vereinigung und die strafrechtlichen Verurteilungen ha-
be der Kläger den Ausweisungsgrund des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG verwirk-
licht. Zwar genieße er nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG besonderen
Ausweisungsschutz. In dem fortgesetzten Verstoß gegen die bestandskräftige
Verbotsverfügung in Verbindung mit den hartnäckigen, von Uneinsichtigkeit
geprägten Straftaten im unteren Bereich der Kriminalität lägen aber schwerwie-
gende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Dem stehe nicht ent-
gegen, dass die Regelvermutung des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG nicht ein-
greife. Schwerwiegende Gründe könnten auch außerhalb des Bereichs von
Straftaten gegeben sein und vorliegen, wenn jemand als passives oder einfa-
ches Mitglied einem in § 54 Nr. 7 AufenthG genannten Verein angehöre. Die
Ermessenserwägungen der Widerspruchsbehörde seien nicht zu beanstanden.
Sie habe gegenwärtig vorliegende schwerwiegende Gründe der öffentlichen
Sicherheit und Ordnung festgestellt und sei bei der Ermessensausübung von
einem gegenwärtigen erheblichen Interesse der Bundesrepublik Deutschland
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an der Ausweisung ausgegangen. Diese Einschätzung habe die Behörde durch
die von ihr in das gerichtliche Verfahren eingeführte Verurteilung vom Dezem-
ber 2006 untermauert. In der kommentarlosen Übersendung des Urteils an das
Verwaltungsgericht sei eine statthafte Ergänzung der Ermessenserwägungen
zu sehen. Diese Verurteilung stelle die Verbindung her zu der in der Auswei-
sungsverfügung festgestellten verfassungsfeindlichen Einstellung des Klägers.
Sie zeige, dass nicht nur seine gedankliche Einstellung, sondern auch sein
Handeln nicht mit Grundsätzen der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundes-
republik Deutschland, insbesondere der unbedingten Achtung der Menschen-
würde, vereinbar sei. Schon die Widerspruchsbehörde habe festgestellt, dass
der Kläger seine Frau wie sein persönliches Eigentum behandle. Aus der Ver-
urteilung ergebe sich, dass er sie mehrfach und in entwürdigender Art und
Weise misshandelt habe. Die gegenläufigen privaten Interessen des Klägers
seien in die Ermessensausübung eingestellt worden. Nachdem er von seiner
Familie getrennt lebe, habe er hinsichtlich der Berücksichtigung seiner familiä-
ren Situation im Hauptsacheverfahren keine Rügen mehr erhoben.
Mit der Revision wendet sich der Kläger in materieller Hinsicht gegen die An-
nahme schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Die
ihm vorgeworfenen verfassungsfeindlichen Bestrebungen lägen unterhalb der
strafrechtlichen Schwelle und seien den Regelausweisungsgründen nicht
gleichzustellen. Auch habe das Berufungsgericht zu Unrecht in der kommentar-
losen Übersendung der letzten Verurteilung eine statthafte Ergänzung der Er-
messenserwägungen gesehen. Außerdem rügt er Verfahrensfehler.
Die Beklagte und der Vertreter des Bundesinteresses treten der Revision ent-
gegen.
II
Die Revision ist begründet. Die Berufungsentscheidung beruht in materieller
Hinsicht auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das
Berufungsgericht hat bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung
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nicht auf den richtigen Zeitpunkt abgestellt (1.). Dagegen ist die vom Beru-
fungsgericht vertretene Auffassung zum Vorliegen schwerwiegender Gründe
der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2
AufenthG, deretwegen es die Revision zugelassen hat, revisionsrechtlich nicht
zu beanstanden (2.). Auch die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg (3.). Das
Verfahren ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1
Nr. 2 VwGO), da für eine abschließende Entscheidung des Senats in der Sache
keine ausreichenden Feststellungen getroffen sind (4.).
1. Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asyl-
rechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I
S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - am 28. August 2007 ist für die Beur-
teilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung bei allen Ausländern einheitlich
die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung
oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich (vgl. Urteil vom 15. No-
vember 2007 - BVerwG 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 11 ff.). Damit hatte
das Berufungsgericht, das ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, et-
waige Änderungen, die in tatsächlicher Hinsicht bis zu seiner Entscheidung am
3. Dezember 2007 eingetreten sind, zu berücksichtigen. Dies ist nicht gesche-
hen. Die Berufungsentscheidung enthält keine Aussage zu dem ihrer Prüfung
zugrunde gelegten Beurteilungszeitpunkt. Diesem Umstand ist zusammen mit
dem Hinweis auf die Ermessenserwägungen der Widerspruchsbehörde und die
im Widerspruchsbescheid festgestellten „gegenwärtigen“ Ausweisungsgründe
(BA S. 11) zu entnehmen, dass dem Berufungsgericht die kurz zuvor ergange-
ne Rechtsprechung des Senats zur Verlagerung des Beurteilungszeitpunkts
offensichtlich nicht bekannt war und damit nicht zur Anwendung gekommen ist.
2. Die Auffassung des Berufungsgerichts, schwerwiegende Gründe der öffentli-
chen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG könn-
ten auch in der Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen liegen, oh-
ne dass die Regelausweisungsgründe nach § 54 Nr. 5, 5a oder 7 AufenthG
erfüllt sein müssen, steht dagegen im Einklang mit Bundesrecht.
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Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger die
tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Ermessensausweisung nach § 55
Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 AufenthG erfüllt, er jedoch nach § 56 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz genießt. Dies hat nach § 56
Abs. 1 Satz 2 AufenthG zur Folge, dass er nur aus schwerwiegenden Gründen
der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden kann. Der Senat
legt den - bereits in § 48 AuslG 1990 und § 11 AuslG 1965 verwandten - Begriff
in ständiger Rechtsprechung an den Ausweisungszwecken orientiert dahin aus,
dass das öffentliche Interesse an der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und
Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz des Ausländers
vor Ausweisung ein deutliches Übergewicht haben muss. Ob ein Verstoß die-
sen Tatbestand erfüllt, ist im Wesentlichen eine Frage des Einzelfalls und un-
terliegt voller gerichtlicher Kontrolle (vgl. Urteil vom 11. Juni 1996 - BVerwG 1 C
24.94 - BVerwGE 101, 247 <253> m.w.N.).
Nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen schwerwiegende Gründe der öffentli-
chen Sicherheit und Ordnung in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5,
5a und 7 AufenthG vor. Diese - durch das Änderungsgesetz 1997 in das Aus-
ländergesetz eingefügte und auf Anregung des Vermittlungsausschusses in das
Aufenthaltsgesetz übernommene und dabei auf die Regelausweisungsgründe
des § 54 Nr. 5, 5a und 7 AufenthG ausgeweitete (vgl. BTDrucks 15/3479 S. 9) -
gesetzliche Vermutung beruht darauf, dass bei Verwirklichung der genannten
Ausweisungstatbestände regelmäßig das öffentliche Interesse an der Erhaltung
der öffentlichen Sicherheit und Ordnung die Ausweisung des Ausländers
erfordert und der vom Gesetz bezweckte Schutz des Ausländers dahinter zu-
rückzutreten hat. Die Regelung enthält allerdings keine Automatik, sondern
erfordert eine individuelle Prüfung im jeweiligen Einzelfall, ob nicht Be-
sonderheiten vorliegen, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass
als weniger gewichtig erscheinen lassen (vgl. Urteil vom 31. August 2004
- BVerwG 1 C 25.03 - BVerwGE 121, 356 <362>).
Erfüllt ein Ausländer, der besonderen Ausweisungsschutz genießt, keinen der in
§ 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG aufgeführten Ist- oder Regelausweisungsgründe,
steht dies einer Ausweisung im Ermessenswege nicht entgegen. In diesem Fall
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fehlt es lediglich an einer gesetzlichen Vermutung für die Annahme
schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Schwerwie-
gende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung können aber auch bei
Vorliegen eines sonstigen (Regel- oder Ermessens-)Ausweisungsgrundes ge-
geben sein (vgl. BTDrucks 13/4948 S. 9). Erforderlich ist jedoch, dass dem
Ausweisungsanlass ein besonderes Gewicht zukommt. Dieses kann sich etwa
bei Straftaten insbesondere aus deren Art, Schwere und Häufigkeit ergeben.
Erfolgt die Ausweisung - wie hier - aus spezialpräventiven Gründen, müssen
zudem Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefähr-
dung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Verfehlungen des
Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein
rungen genügt nicht (vgl. Urteil vom 11. Juni 1996 a.a.O. m.w.N.). In Fällen
mittlerer und schwerer Kriminalität sind die Voraussetzungen für eine spezial-
präventive Ausweisung grundsätzlich zu bejahen (vgl. Beschluss vom 10. Feb-
ruar 1995 - BVerwG 1 B 221.94 - Buchholz 402.240 § 48 AuslG 1990 Nr. 5).
Diese Grundsätze gelten auch für die durch die Regelausweisungstatbestände
des § 54 Nr. 5, 5a und 7 AufenthG angesprochenen Gefahren. Auch ein von
diesen Tatbeständen nicht erfasstes verfassungsfeindliches Verhalten kann im
Einzelfall einen schwerwiegenden Ausweisungsgrund im Sinne des § 56 Abs. 1
Satz 2 AufenthG darstellen. Hierbei muss es sich auch nicht zwingend um ein
strafbares Verhalten handeln. Erforderlich ist nach der Rechtsprechung des
Senats aber, dass dem konkreten Ausweisungsanlass bei Würdigung der ge-
samten Umstände des Falles im Hinblick auf das öffentliche Interesse an der
Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ein deutliches Übergewicht
zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz des Ausländers zukommt. Ob hierfür
schon allein die einfache Mitgliedschaft in einer verbotenen Vereinigung genügt,
kann hier dahinstehen.
Denn jedenfalls ist angesichts der weiteren Umstände im Falle des Klägers von
einem hinreichend gewichtigen Ausweisungsanlass auszugehen. Der „Kalifat-
staat“ richtet sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts gegen die
verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung und
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gefährdet die innere Sicherheit und sonstige erhebliche Belange der Bundesre-
publik Deutschland (zur Rechtmäßigkeit der Verbotsverfügung vgl. auch Urteil
vom 27. November 2002 - BVerwG 6 A 4.02 - Buchholz 402.45 VereinsG
Nr. 35). Der Kläger ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, die im
Revisionsverfahren nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen
worden (vgl. unten 3.) und damit für den Senat bindend sind (vgl. § 137 Abs. 2
VwGO), Mitglied der Organisation und hat diese nach dem bestandskräftigen
Verbot weiter unterstützt und damit fortgesetzt gegen das Vereinsverbot ver-
stoßen. Darüber hinaus ist er in erheblichem und sich steigerndem Maße in
Deutschland straffällig geworden. Insbesondere seine letzte Verurteilung wegen
Körperverletzung in fünf Fällen zeigt nach den Feststellungen des Beru-
fungsgerichts, dass er mit den verfassungsfeindlichen Zielen der verbotenen
Vereinigung „Kalifatstaat“ nicht nur gedanklich sympathisiert.
Diese Verurteilung ist entgegen der Auffassung der Revision in die Prüfung
einzubeziehen. Dies ergibt sich schon daraus, dass - wie oben ausgeführt - für
die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung die Sach- und Rechtslage
im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tat-
sachengerichts maßgeblich ist. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts
hat der Kläger seine Ehefrau bei den der Verurteilung zugrunde liegenden Ta-
ten immer wieder in besonders entwürdigender Weise misshandelt. Hieraus hat
das Berufungsgericht geschlossen, dass nicht nur die gedankliche Einstellung
des Klägers, sondern auch sein Handeln nicht mit Grundsätzen der verfas-
sungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere der
unbedingten Achtung der Menschenwürde vereinbar ist. Die Gewichtigkeit der
Körperverletzungen ergibt sich im Übrigen auch aus den der festgesetzten Ge-
samtfreiheitsstrafe von 15 Monaten zugrunde liegenden Einzelstrafen von je-
weils sechs Monaten für jede einzelne Körperverletzung.
3. Die mit der Revision erhobenen Verfahrensrügen haben keinen Erfolg. Sie
genügen schon nicht den Anforderungen an die ordnungsgemäße Darlegung
eines Verfahrensmangels (vgl. dazu im Einzelnen Beschluss vom 19. August
1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26).
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Soweit die Revision im Zusammenhang mit der aufgefundenen Mitgliederliste
und den sichergestellten Zeitschriften einen Verstoß gegen das Recht auf recht-
liches Gehör rügt, setzt sie sich nicht damit auseinander, dass schon die
angegriffenen Bescheide sich auf diese Umstände stützten und damit ausrei-
chend Gelegenheit bestand, sich hierzu zu äußern. Auch legt die Revision die
der Sache nach gerügte Verletzung der Aufklärungspflicht in Bezug auf die
verwertete Mitgliederliste nicht weiter dar. Ebenso wenig wird aufgezeigt, wa-
rum das Berufungsgericht die zwischenzeitliche Einstellung des Strafverfahrens
nicht berücksichtigt haben soll, obwohl es in seiner Entscheidung ausdrücklich
hervorhebt, dass auch außerhalb des Bereichs von Straftaten schwerwiegende
Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gegeben sein können (BA
S. 10). Soweit die Revision die vom Berufungsgericht aus den festgestellten
Tatsachen gezogenen Schlussfolgerungen beanstandet, wendet sie sich der
Sache nach gegen die den Tatsachengerichten vorbehaltene Sachverhalts- und
Beweiswürdigung. Ein Verfahrensfehler wird in diesem Zusammenhang nicht
dargelegt. Ein solcher ergibt sich schließlich auch nicht aus dem Umstand, dass
das Berufungsgericht dem einstweiligen Rechtsschutzbegehren des Klägers
stattgegeben hatte, zumal sich die Sachlage durch den Widerspruchsbescheid
nachträglich geändert und das Berufungsgericht die Beteiligten vor seiner Ent-
scheidung ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass und warum es die
Berufung für unbegründet erachtet.
4. Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des Berufungsgerichts
kann der Senat die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verfügung nicht ab-
schließend beurteilen. Durch die Verlagerung des für die Beurteilung der
Rechtmäßigkeit maßgeblichen Zeitpunkts sind bei der Anfechtung einer Aus-
weisung nunmehr auch während des gerichtlichen Verfahrens neu eingetretene
Tatsachen zu berücksichtigen. Das Berufungsgericht wird daher im Rahmen
der ihm nach § 86 Abs. 1 VwGO obliegenden Aufklärungspflicht zu entscheiden
haben, ob die Ausweisung bezogen auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt
seiner letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung rechtmäßig ist.
Dabei hat es auch der Frage nachzugehen, ob der Kläger nicht schon die tat-
bestandlichen Voraussetzungen für eine Regelausweisung nach § 54 Nr. 5a
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Alt. 1 AufenthG erfüllt. Denn in diesem Fall lägen nach § 56 Abs. 1 Satz 3
AufenthG in der Regel die für die Überwindung des besonderen Ausweisungs-
schutzes notwendigen schwerwiegenden Gründe der öffentlichen Sicherheit
und Ordnung vor. Dann käme dem Ausweisungsanlass im Rahmen der nach
§ 56 Abs. 1 Satz 4 AufenthG auf eine Ermessensausweisung herabgestuften
Ausweisung ein entsprechendes Gewicht zu.
Nach § 54 Nr. 5a Alt. 1 AufenthG wird ein Ausländer in der Regel ausgewiesen,
wenn er die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der
Bundesrepublik Deutschland gefährdet (vgl. hierzu Urteile vom 31. Mai 1994
- BVerwG 1 C 5.93 - BVerwGE 96, 86 <91> und vom 15. März 2005 - BVerwG
1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <120>). In diesem Zusammenhang ist der Se-
nat davon ausgegangen, dass die bloße Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, die
ihrerseits wegen Gefährdung der inneren Sicherheit verboten werden kann, für
sich genommen noch nicht ausreicht, sondern dass sich bei einer Betätigung
für eine Vereinigung der vereinsrechtliche Verbotsgrund nach polizeirechtlichen
Grundsätzen in der Person des Ausländers konkretisiert haben muss (vgl. Urteil
vom 15. März 2005 a.a.O. S. 120 f.). Entsprechend begründet nach Auffassung
des Senats auch das Fortbestehen der Mitgliedschaft in einer Vereinigung, die
wegen Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der
Sicherheit der Bundesrepublik verboten worden ist, für sich genommen in der
Regel noch keine Gefährdung im Sinne des § 54 Nr. 5a AufenthG. Dies schließt
eine andere Beurteilung bei Vorliegen besonderer Umstände nicht aus.
Derartige Umstände können sich im Einzelfall etwa aus der Art und der
Gefährlichkeit der verbotenen Vereinigung ergeben (etwa im Fall eines
besonders hartnäckigen Zuwiderhandelns gegen die Verbotsverfügung).
In diesem Sinne wird das Berufungsgericht hier vor allem zu klären haben, ob
vom Kläger wegen fortbestehender Verbindungen zu der verbotenen Vereini-
gung „Kalifatstaat“ - bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Entschei-
dung des Berufungsgerichts - eine gegenwärtige Gefährdung ausgeht. Dabei
wird den bei den Akten befindlichen Hinweisen des Verfassungsschutzes auf
eine mögliche Beteiligung des Klägers bei der Finanzierung der verbotenen
Organisation (vgl. Stellungnahme des Landesamtes für Verfassungsschutz vom
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27. Oktober 2004, Ausländerakte Bd. II Bl. 276 ff.) zumindest durch Einholung
einer aktualisierten Auskunft nachzugehen sein. Auf dieser neuen Tatsachen-
grundlage wird sich das Berufungsgericht sodann eine eigene Überzeugung bil-
den müssen.
Kommt das Berufungsgericht hierbei zu dem Ergebnis, dass - bezogen auf den
Zeitpunkt seiner neuen Entscheidung - der Regelausweisungsgrund des § 54
Nr. 5a AufenthG nicht vorliegt und/oder die daran anknüpfende gesetzliche
Vermutung des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG keine Anwendung findet, wird es
im Rahmen des § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG weiter festzustellen haben, ob
beim Kläger außer dem sich aus seinem bisherigen Verhalten ergebenden hin-
reichend gewichtigen Ausweisungsanlass auch Anhaltspunkte dafür bestehen,
dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ord-
nung durch neue Verfehlungen ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeut-
same Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht.
Des Weiteren wird das Berufungsgericht ggf. zu prüfen haben, ob die Verfü-
gung der Beklagten - bezogen auf den Zeitpunkt seiner erneuten Entschei-
dung - ermessensfehlerfrei ist. Durch die Zeitpunktverlagerung sind bei der An-
fechtung einer Ausweisung während des gerichtlichen Verfahrens bis zum
maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt neu eingetretene Tatsachen - sowohl zu
Gunsten als auch zu Lasten des Ausländers - zu berücksichtigen. Dies wirkt
sich auch auf die Ermessensentscheidung aus. Diese bedarf bei Änderungen
während des gerichtlichen Verfahrens der Aktualisierung. Hieraus ergeben sich
sowohl für den Ausländer als auch für die Ausländerbehörde entsprechende
Mitwirkungspflichten. Sind bei der Anfechtung einer Ausweisung nunmehr auch
während des gerichtlichen Verfahrens neu eingetretene Tatsachen zu berück-
sichtigen, ist es primär Aufgabe des Ausländers, auf etwaige zu seinen Gunsten
eingetretene persönliche Umstände hinzuweisen. Hierzu wird der Kläger im
neuen Berufungsverfahren Gelegenheit haben. Werden vom Ausländer wäh-
rend des gerichtlichen Verfahrens neue zu seinen Gunsten sprechende Tatsa-
chen vorgetragen, hat das Gericht der Ausländerbehörde Gelegenheit zu ge-
ben, ihre Verfügung im Hinblick darauf zu überprüfen und ggf. der neuen Sach-
lage anzupassen. Hierdurch erhält die Ausländerbehörde die Möglichkeit, in
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Erfüllung ihrer Pflicht zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle ihre Er-
messenserwägungen in Anwendung der prozessualen Möglichkeit des § 114
Satz 2 VwGO im laufenden Verfahren zu aktualisieren (vgl. Urteile vom 15. No-
vember 2007 - BVerwG 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 20, und vom
3. August 2004 - BVerwG 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <309 f.> und
- BVerwG 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <319 f.>). Eine Pflicht zur Aktualisie-
rung der Ermessensentscheidung besteht aber auch, wenn der Ausländerbe-
hörde auf anderem Wege neue erhebliche Tatsachen bekannt werden. Spre-
chen diese zu Gunsten des Ausländers für einen weiteren Verbleib im Bundes-
gebiet, hat die Ausländerbehörde zu entscheiden, ob sie an ihrer Verfügung
dennoch festhält und ihre Ermessenserwägungen der neuen Sachlage anpasst.
Sprechen die neuen Tatsachen dagegen zu Lasten des Ausländers gegen
einen weiteren Verbleib im Bundesgebiet, genügt die Ausländerbehörde ihrer
Pflicht zur Ermessensaktualisierung regelmäßig, wenn sie - wie hier mit der
kommentarlosen Übersendung des neuen Strafurteils - das Gericht auf die
neuen, ihre ursprüngliche Ermessensentscheidung bestätigenden Umstände
hinweist.
Darüber hinaus wird sich das Berufungsgericht im neuen Berufungsverfahren
damit auseinanderzusetzen haben, ob die Ausweisung des Klägers, der sich
seit seinem 11. Lebensjahr im Bundesgebiet aufhält, bezogen auf den neuen
Beurteilungszeitpunkt und unter Berücksichtigung des durch Art. 2 Abs. 1, Art. 6
Abs. 2 GG und Art. 8 Abs. 1 und 2 EMRK geschützten Rechts auf Achtung des
Privat- und Familienlebens und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte verhältnismäßig ist (vgl. u.a. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom
10. Mai 2007 - 2 BvR 304/07 - NVwZ 2007, 946 und vom 10. August 2007
- 2 BvR 535/06 - NVwZ 2007, 1300; EGMR, Urteile vom 2. August 2001
- 54273/00, Boultif - InfAuslR 2001, 476, vom 18. Oktober 2006 - 46410/99,
Üner - NVwZ 2007, 1279, vom 22. Mai 2008 - 42034/04, Emre - InfAuslR 2008,
336 und vom 23. Juni 2008 - 1638/03, Maslov II - InfAuslR 2008, 333).
Kommt das Berufungsgericht danach zu dem Ergebnis, dass die Ausweisung
- bezogen auf den neuen Beurteilungszeitpunkt - nach nationalem Recht nicht
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zu beanstanden ist, wird es schließlich darüber zu entscheiden haben, ob sie
auch etwaigen gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben entspricht. Das Berufungs-
gericht hat bisher nicht festgestellt, ob der Kläger sich auf ein aus dem Be-
schluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei - ARB 1/80 - abgeleitetes
Aufenthaltsrecht berufen kann. Insoweit spricht nach Aktenlage einiges dafür,
dass der Kläger über seine Eltern ein aus Art. 7 Abs. 1 Satz 1 1. Spiegelstrich
ARB 1/80 abgeleitetes Aufenthaltsrecht erworben hat. Dies wird das Beru-
fungsgericht abschließend zu prüfen haben. Eine etwaige Rechtsposition nach
Art. 7 ARB 1/80 hätte der Kläger auch nicht durch die Aufnahme einer selb-
ständigen Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet wieder verloren. Denn nach mitt-
lerweile gefestigter Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Ge-
meinschaften führt die Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit nicht
zum Verlust der Rechtsstellung aus Art. 7 ARB 1/80 (vgl. Urteil vom 9. August
2007 - BVerwG 1 C 47.06 - BVerwGE 129, 162 <166> m.w.N.).
Sollte dem Kläger nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 ARB 1/80 ein assoziationsrechtli-
ches Aufenthaltsrecht zustehen, genießt er nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 Aus-
weisungsschutz und kann (nur) aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicher-
heit oder Gesundheit ausgewiesen werden. Ohne Entscheidung durch den
Europäischen Gerichtshof kann derzeit nicht abschließend entschieden werden,
welche Anforderungen sich hieraus nach dem Außerkrafttreten der Richtlinie
64/221/EWG und dem Ablauf der Umsetzungsfrist für die Richtlinie 2004/38/EG
vom 29. April 2004 - sog. Unionsbürger-RL - ergeben (zu den Anforderungen
an die Ausweisung eines türkischen Staatsangehörigen, der ein Aufenthalts-
recht nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 besitzt, unter Geltung der
Richtlinie 64/221/EWG vgl. Urteil vom 3. August 2004 - BVerwG 1 C 29.02 -
a.a.O. S. 318 f.; zur hier nicht einschlägigen Übergangsproblematik vgl. EuGH,
Urteil vom 4. Oktober 2007 - C-349/06, Polat - NVwZ 2008, 59 Rn. 23 ff.). Sollte
es auf diese europarechtliche Zweifelsfrage hier entscheidungserheblich an-
kommen, kommt eine Aussetzung des Berufungsverfahrens in entsprechender
Anwendung von § 94 VwGO durch den Verwaltungsgerichtshof im Hinblick auf
das bereits anhängige Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts-
hofs Baden-Württemberg (vgl. Beschluss vom 22. Juli 2008 - 13 S 1917/07 -
juris) in Betracht.
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- 15 -
Auf der Grundlage der neu vorzunehmenden Bewertung der Ausweisungsent-
scheidung wird das Berufungsgericht auch über das weitere Begehren des Klä-
gers auf Verpflichtung der Beklagten zur Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis
und auf Aufhebung der Abschiebungsandrohung zu entscheiden haben.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Eckertz-Höfer Prof. Dr. Dörig Richter
Beck Fricke
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstands wird für das Revisionsverfahren auf 10 000 €
festgesetzt (§ 47 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG).
Eckertz-Höfer Prof. Dr. Dörig Fricke
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Ausländerrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
GG
Art. 2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2 GG
AufenthG
§ 54 Nr. 5a, § 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2,
§ 56 Abs. 1
VwGO
§ 86 Abs. 1, § 114 Satz 2
EMRK
Art. 8 Abs. 1, Abs. 2
Beschluss Nr. 1/80 des
Assoziationsrats EWG-Türkei
über die Entwicklung der
Assoziation - ARB 1/80 -
Art. 7 Abs. 1 Satz 1 1. Spiegelstrich,
Art. 14 Abs. 1
Stichworte:
Ausweisung; Aufenthaltserlaubnis; maßgeblicher Zeitpunkt; Sach- und Rechts-
lage; besonderer Ausweisungsschutz; Ermessensausweisung; Regelauswei-
sungsgrund; schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung;
türkischer Staatsangehöriger; Kalifatstaat; Sicherheit der Bundesrepublik
Deutschland; Gefährdung; Aktualisierung der Ermessensentscheidung; Ver-
hältnismäßigkeit.
Leitsätze:
1. Auch ein von den Regelausweisungstatbeständen des § 54 Nr. 5, 5a und 7
AufenthG nicht erfasstes verfassungsfeindliches Verhalten kann im Einzelfall ei-
nen schwerwiegenden Ausweisungsgrund im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2
AufenthG darstellen. Hierbei muss es sich nicht zwingend um ein strafbares
Verhalten handeln.
2. Die Mitgliedschaft in einer Vereinigung, die wegen Gefährdung der freiheitli-
chen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik
verboten worden ist, begründet für sich genommen in der Regel noch keine
Gefährdung im Sinne des § 54 Nr. 5a AufenthG. Dies schließt eine andere Be-
urteilung bei Vorliegen besonderer Umstände jedoch nicht aus.
Urteil des 1. Senats vom 13. Januar 2009 - BVerwG 1 C 2.08
I. VG Frankfurt am Main vom 14.03.2007 - Az.: VG 1 E 5342/06(2) -
II. VGH Kassel vom 03.12.2007 - Az.: VGH 11 UE 765/07 -