Urteil des BVerwG vom 17.08.2011

Aufenthaltserlaubnis, Ermessen, Kumulation, Hauptsache

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 C 19.10
VG 12 K 4084/09
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. August 2011
durch die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer sowie
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Richter und Prof. Dr. Kraft
beschlossen:
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Das Verfahren wird eingestellt.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 5. Oktober
2010 ist unwirksam.
Der Kläger und die Beklagte tragen die Kosten des Ver-
fahrens je zur Hälfte.
Der Wert des Streitgegenstands wird für das Revisions-
verfahren bis zur Erledigung auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Nachdem der Beklagte dem Kläger während des Revisionsverfahrens eine Nie-
derlassungserlaubnis erteilt hat, haben die Beteiligten den Rechtsstreit überein-
stimmend für erledigt erklärt. Das Verfahren ist daher in entsprechender An-
wendung des § 92 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 141 und 125 Abs. 1 VwGO einzu-
stellen; zugleich ist die Unwirksamkeit der Entscheidung der Vorinstanz festzu-
stellen und gemäß § 161 Abs. 2 VwGO über die Kosten
Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermes-
sen zu entscheiden. Billigem Ermessen entspricht es in der Regel, demjenigen
Verfahrensbeteiligten die Verfahrenskosten aufzuerlegen, der das erledigende
Ereignis aus eigenem Willensentschluss herbeigeführt hat oder der ohne die
Erledigung bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage voraussichtlich
unterlegen wäre. Diese Maßstäbe führen vorliegend zur Kostenteilung.
Der Beklagte hat sich mit der Erteilung der Niederlassungserlaubnis nicht frei-
willig in die Rolle des Unterlegenen begeben, sondern lediglich auf eine wäh-
rend des Revisionsverfahrens eingetretene Änderung der Sachlage reagiert. Da
der Kläger während des laufenden Revisionsverfahrens die Voraussetzungen
des § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erfüllt hat, wurde ihm von dem Beklagten am
30. Juni 2011 eine Niederlassungserlaubnis erteilt.
Der in § 161 Abs. 2 VwGO zum Ausdruck kommende Grundsatz der Prozess-
wirtschaftlichkeit befreit das Gericht nach Erledigung des Rechtsstreits in der
Hauptsache regelmäßig davon, abschließend über den Rechtsstreit zu ent-
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scheiden. Hat der Rechtsstreit bisher höchstrichterlich nicht geklärte Rechtsfra-
gen aufgeworfen, kann deshalb der Verfahrensausgang in aller Regel nicht an-
hand einer nur noch summarischen Prüfung hypothetisch prognostiziert wer-
den. Dies gilt auch im vorliegenden Fall, in dem das Verwaltungsgericht die
Sprungrevision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen hat und der Senat auch in anderem Zu-
sammenhang noch keine Gelegenheit hatte, die Frage der Erteilung einer (oder
mehrerer) Aufenthaltserlaubnis(se) zu unterschiedlichen Aufenthaltszwecken zu
entscheiden.
Zwar stellt sich diese Frage in dem hier vorliegenden Fall, in dem der Kläger im
Besitz einer humanitären Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG
war und zusätzlich die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegatten-
nachzug gemäß § 30 Abs. 1 AufenthG begehrt hat, nicht in der von der Vorin-
stanz angenommenen allgemeinen Weise. Denn der Tatbestand des § 25
Abs. 5 Satz 1 AufenthG setzt voraus, dass der Ausländer vollziehbar ausreise-
pflichtig ist. Diese Voraussetzung entfällt jedoch mit der Erteilung u.a. einer
ehegattenbezogenen Aufenthaltserlaubnis. Demzufolge kann eine Aufenthalts-
erlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG nicht zusammen mit oder zusätzlich zu
einem anderen Aufenthaltstitel erteilt werden. Ob die Subsidiarität der humani-
tären Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG in der hier vor-
liegenden Fallkonstellation dazu geführt hätte, dass das ausdrücklich auf die
Kumulation von Aufenthaltstiteln gerichtete Klagebegehren unbegründet gewe-
sen wäre oder aber Erfolg gehabt, jedoch dem Beklagten die Möglichkeit zur
Verkürzung der Geltungsdauer der humanitären Aufenthaltserlaubnis gemäß
§ 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG eröffnet hätte, ist nach der Erledigung des Rechts-
streits nicht mehr zu entscheiden. Unter diesen Umständen entspricht es billi-
gem Ermessen, die Verfahrenskosten zwischen den Parteien entsprechend
§ 155 Abs. 1 VwGO hälftig zu teilen.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
Eckertz-Höfer
Richter
Prof. Dr. Kraft
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Sachgebiet:
BVerwGE: nein
Ausländerrecht
Fachpresse: nein
Rechtsquellen:
AufenthG
§ 7 Abs. 2, § 25 Abs. 5, § 30 Abs. 1
VwGO
§ 161 Abs. 2
Stichworte:
Aufenthaltserlaubnis; Aufenthaltszweck; Ehegattennachzug; Erledigung der
Hauptsache; Häufung; humanitärer Aufenthaltszweck; Kumulation von Aufent-
haltstiteln; mehrere Aufenthaltszwecke; Fristverkürzung.
Leitsatz:
Zur Frage, ob ein Ausländer, der eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis gemäß
§ 25 Abs. 5 AufenthG besitzt, zusätzlich die Erteilung einer ehegattenbezoge-
nen Aufenthaltserlaubnis verlangen kann.
Beschluss des 1. Senats vom 17. August 2011 - BVerwG 1 C 19.10
VG Köln vom 5.10.2010 - Az.: VG 12 K 4084/09 -