Urteil des BVerwG vom 20.04.2004

Erwerb, Bayern, Gleichwertigkeit, Reform

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 1 C 13.03
Verkündet
VGH 5 BV 02.1943
am 20. April 2004
Schmidt
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 20. April 2004
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r ,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. M a l l m a n n und R i c h t e r ,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht B e c k und den Richter am Bundes-
verwaltungsgericht Prof. Dr. D ö r i g
für Recht erkannt:
Die Revision der Landesanwaltschaft Bayern gegen das Urteil
des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 3. April 2003
wird zurückgewiesen.
Die Landesanwaltschaft trägt die Kosten des Revisionsverfah-
rens.
G r ü n d e :
I.
Der Kläger erstrebt seine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband.
Der 1960 geborene Kläger ist griechischer Staatsangehöriger. Er lebt seit 1980 in der
Bundesrepublik Deutschland, ist seit 1985 im Besitz einer unbefristeten Aufent-
haltserlaubnis und arbeitet nach einem Studium der Psychologie als Psychothera-
peut. Im Juli 2000 beantragte er seine Einbürgerung und gab an, dass er zur Aufga-
be der griechischen Staatsangehörigkeit nicht bereit sei. Die Beklagte lehnte den
Einbürgerungsantrag mit Bescheid vom 18. Januar 2001 ab. Ein Anspruch auf Ein-
bürgerung nach § 85 AuslG bestehe nicht. Von der Voraussetzung, dass der Einbür-
gerungsbewerber seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgebe oder verliere, könne
nicht abgesehen werden, weil es an der nach § 87 Abs. 2 AuslG erforderlichen Ge-
genseitigkeit mit Griechenland fehle. Eine Ermessenseinbürgerung komme ebenfalls
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nicht in Betracht, weil auch hier der Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit
zu beachten sei. Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte verpflichtet, den Kläger einzubürgern. Der
Verwaltungsgerichtshof hat die hiergegen eingelegte Berufung der Landesanwalt-
schaft Bayern zurückgewiesen. Er hat dies im Wesentlichen wie folgt begründet: Der
Kläger erfülle alle Einbürgerungsvoraussetzungen des § 85 Abs. 1 Satz 1 AuslG mit
Ausnahme der in § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AuslG normierten Voraussetzung der Auf-
gabe oder des Verlusts der bisherigen Staatsangehörigkeit. Von der Erfüllung der
Voraussetzung des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AuslG werde der Kläger jedoch durch
die für die Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats der Europäischen Union getroffe-
ne Regelung in § 87 Abs. 2 AuslG befreit. Denn auch Griechenland nehme bei der
Einbürgerung von Deutschen Mehrstaatigkeit hin, so dass die vom Gesetz geforderte
Gegenseitigkeit insofern bestehe. Gegenseitigkeit im Sinne des § 87 Abs. 2 AuslG
liege dann vor, wenn und soweit nach dem Einbürgerungsrecht und der Einbürge-
rungspraxis des betreffenden Mitgliedstaats der Europäischen Union Mehrstaatigkeit
generell oder nach abstrakt-generellen Merkmalen in bestimmten Fällen hingenom-
men werde. Eine Gleichwertigkeit der Einbürgerungsvoraussetzungen und der Ein-
bürgerungsfolgen sei nicht zu verlangen. Das Gegenseitigkeitserfordernis erstrecke
sich insbesondere nicht darauf, dass der andere Mitgliedstaat ebenfalls eine An-
spruchseinbürgerung vorsehe. Im Verhältnis zu Griechenland bestehe Gegenseitig-
keit, weil dort bei der Einbürgerung das Fortbestehen der deutschen Staatsangehö-
rigkeit - ohne Beschränkung auf bestimmte Personengruppen - hingenommen werde.
Das Griechische Außenministerium habe mit Verbalnote vom 1. Februar 2001 auf
Anfrage der Deutschen Botschaft in Athen mitgeteilt, dass gemäß griechischem
Staatsangehörigkeitsrecht der Ausländer, der durch Einbürgerung die griechische
Staatsangehörigkeit erhalte, seine eigene Staatsangehörigkeit nicht ablegen müsse.
Das gelte für alle Ausländer unabhängig davon, ob sie eine EU-Staatsangehörigkeit
besäßen oder nicht. An dieser Rechtslage habe sich durch das In-Kraft-Treten neuer
gesetzlicher Regelungen zum Staatsangehörigkeitsrecht durch Gesetz 2910/2001
am 2. Juni 2001 nichts geändert. Die dort in Art. 58 geregelten Voraussetzungen für
eine Einbürgerung in Griechenland verlangten weiterhin weder die Aufgabe noch den
Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit. Anhaltspunkte für eine Einbürgerungs-
praxis, die entgegen der Auskunft des Griechischen Außenministeriums und der
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Rechtslage auf die Vermeidung von Mehrstaatigkeit gerichtet sei, seien von keinem
der Beteiligten vorgetragen worden und auch nicht ersichtlich, zumal Griechenland
nicht Vertragspartei des Übereinkommens über die Verringerung der Mehrstaatigkeit
und die Wehrpflicht von Mehrstaatern sei.
Hiergegen wendet sich die Landesanwaltschaft Bayern mit der Revision, zu deren
Begründung sie im Wesentlichen geltend macht: Die Entscheidung des Verwal-
tungsgerichtshofs berücksichtige nicht hinreichend, dass das deutsche Staatsange-
hörigkeitsrecht auch nach seiner Novellierung im Jahre 1999 vom Grundsatz der
Vermeidung von Mehrstaatigkeit ausgehe. Die in § 87 Abs. 2 AuslG getroffene Re-
gelung stelle eine Ausnahme von diesem Grundsatz dar. Die Auslegung der Vor-
schrift durch den Verwaltungsgerichtshof führe dazu, dass EU-Staatsangehörige im
Regelfall eingebürgert würden. Das sei mit dem Charakter der Vorschrift als Aus-
nahmeregelung nicht vereinbar. Gegenseitigkeit im Sinne von § 87 Abs. 2 AuslG lie-
ge nur dann vor, wenn das Staatsangehörigkeitsrecht des Herkunftsstaates die Hin-
nahme von Mehrstaatigkeit in der Weise vorsehe, dass ein deutscher Staatsangehö-
riger ebenfalls einen einklagbaren Anspruch auf Einbürgerung unter Hinnahme von
Mehrstaatigkeit besitze. Dies sei nach griechischem Staatsangehörigkeitsrecht nicht
der Fall, da es lediglich eine Einbürgerung nach Ermessen ermögliche. Auch liege
keine Gegenseitigkeit vor, wenn die Einbürgerungsfolgen differierten. Das sei der
Fall, wenn ein ausländischer Staatsangehöriger seine bisherige Staatsangehörigkeit
bei Erwerb der deutschen behalte, der Deutsche sie aber bei Erwerb der ausländi-
schen gemäß § 25 StAG ohne Genehmigung verliere. Im Übrigen habe das Beru-
fungsgericht seiner Pflicht zur Sachaufklärung nicht genügt, indem es sich mit der
Verbalnote des Griechischen Außenministeriums vom 1. Februar 2001 zufrieden
gegeben habe, wonach ein Ausländer, der durch Einbürgerung die griechische
Staatsangehörigkeit erhalte, seine eigene Staatsangehörigkeit nicht aufgeben müs-
se.
Die Landesanwaltschaft Bayern beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom
3. April 2003 und des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach
vom 15. Mai 2002 die Klage abzuweisen.
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Der Kläger tritt der Revision entgegen.
Der Vertreter des Bundesinteresses teilt die Erwägungen des Verwaltungsgerichts-
hofs zur Auslegung von § 87 Abs. 2 AuslG. Er weist darauf hin, dass § 87 Abs. 2
AuslG mit Ausnahme der Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg auch in der
Praxis im Sinne der vom Berufungsgericht vertretenen Auslegung angewandt werde.
Die Bundesrepublik Deutschland sei wegen der abweichenden Einbürgerungspraxis
der letztgenannten beiden Bundesländer im Ausland in Kritik geraten.
II.
Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsurteil steht mit Bundesrecht im Einklang
(§ 137 Abs. 1 VwGO). Das Berufungsgericht hat die Beklagte zu Recht als verpflich-
tet angesehen, den Kläger einzubürgern.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Einbürgerung unter Hinnahme seiner Mehrstaa-
tigkeit (§ 85 Abs. 1 Satz 1, § 87 Abs. 2 AuslG). Er erfüllt die Einbürgerungsvoraus-
setzungen des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 und 5 AuslG, weil er seit mehr als acht
Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat, das
Verfassungstreuebekenntnis und die Loyalitätserklärung abgegeben hat, eine Auf-
enthaltserlaubnis besitzt, seinen Lebensunterhalt bestreiten kann und nicht wegen
einer Straftat verurteilt ist. Das ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Es fehlt allein
an der Voraussetzung des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AuslG, weil der Kläger seine bis-
herige Staatsangehörigkeit nicht aufgibt oder verliert, wie das Berufungsgericht näher
ausgeführt hat. Von der Voraussetzung des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AuslG ist im
vorliegenden Fall aber gemäß § 87 Abs. 2 AuslG abzusehen, weil der Kläger die
Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union besitzt
und mit diesem Gegenseitigkeit besteht.
Gegenseitigkeit im Sinne von § 87 Abs. 2 AuslG besteht, wenn und soweit nach dem
Einbürgerungsrecht und der Einbürgerungspraxis eines Mitgliedstaats der Europäi-
schen Union bei der Einbürgerung eines deutschen Staatsangehörigen Mehrstaatig-
keit generell oder in Bezug auf bestimmte Personengruppen hingenommen wird (vgl.
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auch zur Bedeutung der Staatenpraxis hinsichtlich des völkerrechtlichen Grundsat-
zes der Gegenseitigkeit Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl., S. 48 ff.;
vgl. ferner Urteil vom 29. September 1998 - BVerwG 1 C 20.96 - BVerwGE 107, 223
<226 ff.>). Eine Gleichwertigkeit der übrigen Voraussetzungen und Folgen einer Ein-
bürgerung ist nicht erforderlich.
1. Das Erfordernis der Gegenseitigkeit bezieht sich nach Wortlaut und Regelungs-
systematik des § 87 Abs. 2 AuslG auf die Hinnahme von Mehrstaatigkeit, nicht aber
auf weitere Voraussetzungen oder Folgen einer Einbürgerung. § 87 Abs. 2 AuslG
regelt, unter welchen Bedingungen von der Voraussetzung des § 85 Abs. 1 Satz 1
Nr. 4 AuslG abzusehen ist. Die Norm befasst sich also weder mit unterschiedlichen
Einbürgerungsvoraussetzungen noch mit Rechtsfolgen der Einbürgerung. Nament-
lich erfordert sie nicht, dass der andere Mitgliedstaat ebenfalls eine Anspruchsein-
bürgerung vorsieht. Der Regelungsgehalt des § 87 Abs. 2 AuslG bezieht sich viel-
mehr nur auf die Hinnahme von Mehrstaatigkeit. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht
aus dem von der Revision hervorgehobenen Charakter des § 87 AuslG als Ausnah-
mevorschrift zu dem in § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AuslG niedergelegten Grundsatz der
Vermeidung von Mehrstaatigkeit. Vielmehr spricht unter systematischen Gesichts-
punkten gerade die Trennung von Regel und Ausnahme in verschiedenen Vorschrif-
ten dafür, das Gegenseitigkeitserfordernis auf die betroffene Frage der Hinnahme
von Mehrstaatigkeit zu beschränken und nicht auch auf die weiteren Voraussetzun-
gen der Anspruchseinbürgerung des § 85 Abs. 1 AuslG zu beziehen.
Diese Auslegung entspricht auch dem Zweck des § 87 Abs. 2 AuslG. Ausweislich der
Begründung des - ohne Änderungen verabschiedeten - Fraktionsentwurfs soll die
Vorschrift nämlich für Ausländer, die Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats
der Europäischen Union sind, im Hinblick auf das Ziel der europäischen Integration
einen verstärkten Anreiz zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit schaffen
(Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP zur Re-
form des Staatsangehörigkeitsrechts vom 16. März 1999, BTDrucks 14/533, S. 19).
Dieser Anreiz wurde deshalb als notwendig angesehen, weil das Interesse am Er-
werb der deutschen Staatsangehörigkeit bei dem genannten Personenkreis wegen
der bereits bestehenden Inländergleichbehandlung gering sei. Der Gesetzgeber woll-
te mithin Unionsbürger bei der Einbürgerung gegenüber anderen Ausländern
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privilegieren. Nur ihnen soll zur Förderung ihres Einbürgerungsinteresses die Beibe-
haltung ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit bereits dann ermöglicht werden, wenn
im umgekehrten Fall deutschen Staatsangehörigen diese Möglichkeit bei einer Ein-
bürgerung in den betreffenden Mitgliedstaat ebenfalls offen steht. Aus der Entste-
hungsgeschichte der Vorschrift ergeben sich auch keine Anhaltspunkte dafür, dass
der Gesetzgeber das Gegenseitigkeitserfordernis über die Hinnahme der Mehr-
staatigkeit hinaus auf weitere Umstände erstrecken wollte. Das gesetzgeberische
Ziel, die Einbürgerung von EU-Ausländern zu erleichtern, würde vielmehr nicht er-
reicht, wenn man - wie die Revision - für die Gegenseitigkeit eine Gleichwertigkeit der
Voraussetzungen und Folgen einer Einbürgerung verlangte und dementsprechend
forderte, dass auch andere EU-Staaten die im Wesentlichen nur in Deutschland
verankerte Anspruchseinbürgerung vorsehen. § 87 Abs. 2 AuslG liefe dann weit-
gehend leer. Ähnliches gilt für die von der Revision vertretene Auffassung, dass eine
Gleichwertigkeit bei den Einbürgerungsfolgen grundsätzlich nicht gegeben sei, wenn
der ausländische Einbürgerungsbewerber seine bisherige Staatsangehörigkeit bei
Erwerb der deutschen beibehalte, der Deutsche seine Staatsangehörigkeit dagegen
bei Erwerb einer ausländischen nach § 25 Abs. 1 StAG verliere. Dies hätte zur Folge,
dass aus Gründen des deutschen Rechts die Frage der Gegenseitigkeit von
vornherein nicht aufgeworfen wäre und kaum ein Anwendungsbereich für § 87 Abs. 2
AuslG verbliebe. Eine derartige Auslegung verbietet sich, wie das Berufungsgericht
zutreffend dargelegt hat.
Der Revision ist auch nicht darin zu folgen, dass die Gegenseitigkeitsklausel des
§ 87 Abs. 2 AuslG der Ausfüllung durch völkerrechtliche Vereinbarungen zwischen
Deutschland und den übrigen EU-Mitgliedstaaten bedürfe. Insbesondere lässt sich
dies nicht § 87 Abs. 4 AuslG entnehmen. Aus dem Wortlaut und der systematischen
Stellung dieser Vorschrift ergibt sich, dass sie eine zusätzliche Möglichkeit der Hin-
nahme von Mehrstaatigkeit eröffnet, nicht hingegen eine Einschränkung der in § 87
Abs. 1 bis 3 AuslG normierten Tatbestände in der Weise zum Inhalt hat, dass diese
zur ihrer Wirksamkeit der Umsetzung durch völkerrechtlichen Vertrag bedürften.
Die bei In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts
erörterte Frage, ob § 87 Abs. 2 AuslG zu dem Übereinkommen vom 6. Mai 1963
über die Verringerung der Mehrstaatigkeit und über die Wehrpflicht von Mehrstaatern
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(BGBl 1969 II S. 1953) teilweise im Widerspruch steht und nach dem Grundsatz der
völkerrechtskonformen Anwendung und Auslegung zurückhaltend zu interpretieren
ist oder als lex posterior vorgeht (vgl. Berlit, GK-StAR, § 87 AuslG, Rn. 248;
Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 3. Aufl., § 87 AuslG, Rn. 32), stellt
sich nicht mehr. Dieses Übereinkommen ist nämlich von der Bundesrepublik
Deutschland am 20. Dezember 2001 gekündigt worden und am 21. Dezember 2002
außer Kraft getreten (BGBl 2002 II S. 171).
2. Im Verhältnis zu Griechenland besteht nach den - nicht mit durchgreifenden Revi-
sionsrügen angegriffenen und damit für das Revisionsgericht bindenden (§ 137
Abs. 2 VwGO) - Feststellungen des Berufungsgerichts Gegenseitigkeit, weil dort bei
der Einbürgerung deutscher Staatsangehöriger das Fortbestehen der deutschen
Staatsangehörigkeit - ohne Beschränkung auf bestimmte Personengruppen - recht-
lich und tatsächlich hingenommen wird. Hierbei handelt es sich um die Feststellung
von Tatsachen, auch soweit es um die Entscheidung geht, welche ausländischen
Rechtsvorschriften zur Auslegung des Gegenseitigkeitserfordernisses in § 87 Abs. 2
AuslG heranzuziehen sind, wie sie auszulegen sind und wie die griechischen Vor-
schriften bei der Einbürgerung von Deutschen in der Praxis angewandt werden
(§ 173 VwGO i.V.m. § 293 ZPO, vgl. etwa Urteil vom 18. Juli 1974 - BVerwG 3 C
4.73 - BVerwGE 45, 357 <365>; Beschluss vom 11. August 1999 - BVerwG 9 B
19.99 - Buchholz 402.25 § 26 AsylVfG Nr. 6 m.w.N.). Diese tatsächlichen Feststel-
lungen des Berufungsgerichts sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Die festgestellten Tatsachen unterliegen nur insoweit der revisionsgerichtlichen
Überprüfung, als geltend gemacht wird, das Berufungsgericht habe seiner Ermitt-
lungspflicht nicht genügt oder das Ergebnis sei unter Verstoß gegen sonstige Verfah-
rensvorschriften gewonnen worden (Urteil vom 18. Juli 1974, a.a.O., Leitsatz 3). Die
Revision sieht eine mangelnde Sachaufklärung in dem Umstand, dass sich das Be-
rufungsgericht mit der Verbalnote des Griechischen Außenministeriums vom 1. Feb-
ruar 2001 zufrieden gegeben habe, wonach ein Ausländer, der durch Einbürgerung
die griechische Staatsbürgerschaft erhalte, seine eigene Staatsangehörigkeit nicht
ablegen müsse. Vielmehr hätte sich ihm aufdrängen müssen, von Amts wegen den
Fällen von Entlassung aus der griechischen Staatsangehörigkeit nachzugehen, die
sich aus der vorgelegten deutschen Einbürgerungsstatistik des Jahres 2001 ergäben.
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Mit ihrem Vorbringen wird die Revision den Anforderungen an eine ordnungsgemäße
Begründung des gerügten Verfahrensmangels nicht gerecht (§ 139 Abs. 3 Satz 4
VwGO). Ein Verfahrensmangel ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn er sowohl
in den ihn begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung im Ein-
zelnen dargetan wird. Für die ordnungsgemäße Begründung der hier erhobenen
Rüge mangelhafter Sachaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO) muss dementsprechend
substantiiert dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklä-
rungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklä-
rungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären, welche tatsächlichen Fest-
stellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussicht-
lich getroffen worden wären und inwiefern deren Berücksichtigung auf der Grundlage
der vordergerichtlichen Rechtsauffassung zu einem anderen Ergebnis hätte führen
können. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor
dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vor-
nahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hin-
gewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch
ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. Beschluss
vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 n.F. VwGO Nr. 26
= NJW 1997, 3328 und vom 4. Oktober 1995 - BVerwG 1 B 138.95 - Buchholz 310
§ 86 Abs. 1 VwGO Nr. 271).
Eine Verletzung der Aufklärungspflicht zeigt die Revision nicht in einer diesen Anfor-
derungen entsprechenden Weise auf. Sie macht nicht ersichtlich, inwiefern sich dem
Berufungsgericht weitere Ermittlungen hätten aufdrängen müssen und welche Be-
weismittel dafür in Betracht gekommen wären. Als voraussichtliches Ergebnis der
von ihr vermissten Aufklärung gibt die Revision an, dass entgegen der Erklärung
Griechenlands in der Verbalnote vom 1. Februar 2001 die Hinnahme von Mehrstaa-
tigkeit "durchaus differenziert entschieden" werde. Inwiefern sich aus einer differen-
zierten Entscheidungspraxis bei Anträgen von Griechen auf Entlassung aus der grie-
chischen Staatsangehörigkeit eine Praxis der griechischen Behörden bei der Einbür-
gerung von Deutschen ergebe, die Zweifel an der generellen Hinnahme von Mehr-
staatigkeit begründeten, legt die Revision aber nicht in der erforderlichen Weise dar.
Im Übrigen zeigt die Revision auch nicht auf, inwiefern sich aus der von ihr behaup-
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teten Praxis der griechischen Behörden, die Zahl von Staatsangehörigen türkischer
Abstammung möglichst klein zu halten, eine restriktive Einbürgerungspraxis gegen-
über deutschen Staatsbürgern ergeben kann. Die von ihr vorgelegte deutsche Ein-
bürgerungsstatistik des Jahres 2001, wonach von der Gesamtzahl von 1 402 einge-
bürgerten Griechen 1 320 ihre bisherige Staatsangehörigkeit beibehielten und 82
nicht, sagt allenfalls etwas über die griechische Ausbürgerungspraxis, aber nichts
über die griechische Einbürgerungspraxis aus.
Unabhängig davon sind im Übrigen keine konkreten Anhaltspunkte für eine nicht auf
die Hinnahme von Mehrstaatigkeit gerichtete Behördenpraxis in Griechenland er-
sichtlich. Dementsprechend ist Griechenland im Gesetzgebungsverfahren zur Re-
form des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts unwidersprochen als Staat bezeich-
net worden, der die Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit "problemlos"
zulasse (vgl. die Aussage der Sachverständigen Dr. Kürsat-Ahlers im Innenaus-
schuss des Deutschen Bundestages am 13. April 1999, Reform des Staatsangehö-
rigkeitsrechts - Die parlamentarische Beratung, S. 53; vgl. auch Berlit, a.a.O., § 87
AuslG Rn. 250.5, der ausführt, die Nichtaufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit
solle nach der erkennbaren griechischen Staatspraxis kein Entscheidungskriterium
sein).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Eckertz-Höfer Dr. Mallmann Richter
Beck Prof. Dr. Dörig
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B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 8 000 € fest-
gesetzt.
Eckertz-Höfer Dr. Mallmann Prof. Dr. Dörig
Sachgebiet:
BVerwGE: ja
Staatsangehörigkeitsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
AuslG § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, § 87 Abs. 2
VwGO § 86 Abs. 1, § 139 Abs. 3 Satz 4
StAG § 25
Stichworte:
Staatsangehörigkeit; Einbürgerung; doppelte Staatsangehörigkeit; Hinnahme von
Mehrstaatigkeit; Gegenseitigkeit; gerichtliche Sachaufklärung; Unionsbürger.
Leitsatz:
Gegenseitigkeit im Sinne von § 87 Abs. 2 AuslG besteht, wenn und soweit nach dem
Einbürgerungsrecht und der Einbürgerungspraxis eines Mitgliedstaats der Europäi-
schen Union bei der Einbürgerung eines deutschen Staatsangehörigen Mehrstaatig-
keit generell oder in Bezug auf bestimmte Personengruppen hingenommen wird.
Eine Gleichwertigkeit der übrigen Voraussetzungen und Folgen der Einbürgerung ist
nicht erforderlich.
Urteil des 1. Senats vom 20. April 2004 - BVerwG 1 C 13.03
I. VG Ansbach vom 15.05.2002 - Az.: VG AN 15 K 01.791 -
II. VGH München vom 03.04.2003 - Az.: VGH 5 BV 02.1943 -