Urteil des BVerwG vom 27.01.2003

Ablauf der Frist, Eigenes Verschulden, Fristablauf, Rechtssicherheit

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BESCHLUSS
BVerwG 1 B 92.02 (1 PKH 12.02)
OVG 4 L 273/94
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Januar 2003
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts
E c k e r t z - H ö f e r , die Richterin am Bundes-
verwaltungsgericht B e c k und den Richter am Bundes-
verwaltungsgericht Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Pro-
zesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren
wird abgelehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzu-
lassung der Revision in dem Beschluss des
Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsge-
richts vom 14. Januar 2002 wird verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdever-
fahrens.
G r ü n d e :
Dem Kläger kann die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewil-
ligt werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine
Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht in-
nerhalb der Frist von zwei Monaten nach Zustellung der Beru-
fungsentscheidung begründet worden ist (§ 133 Abs. 3 Satz 1
VwGO). Auf diese Frist ist der Kläger in der Rechtsmittelbe-
lehrung der Berufungsentscheidung hingewiesen worden.
Die beantragte Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Beschwer-
debegründungsfrist kann dem Kläger nicht gewährt werden, weil
er nicht ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist gehin-
dert war (§ 60 VwGO). Dabei kann dahinstehen, ob der am
19. März 2002 und damit einen Tag nach Fristablauf beim Beru-
fungsgericht eingegangene Begründungsschriftsatz, wie der Pro-
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zessbevollmächtigte des Klägers vorgetragen und glaubhaft ge-
macht hat, von seinem Büropersonal so rechtzeitig zur Post ge-
geben worden ist, dass er bei normalen Postlaufzeiten noch in-
nerhalb der Frist hätte eingehen müssen. Denn dieser Umstand
war für die Versäumung der Frist nicht ursächlich, da der Pro-
zessbevollmächtigte des Klägers den Schriftsatz nicht eigen-
händig unterschrieben hat und damit auch bei rechtzeitigem
Eingang die Frist nicht gewahrt worden wäre.
Zur Schriftform gehört grundsätzlich die eigenhändige Unter-
schrift (vgl. z.B. Urteil vom 6. Dezember 1988 - BVerwG 9 C
40.87 - BVerwGE 81, 32, <33>). Die vom Prozessbevollmächtigten
des Klägers angeführte Rechtsprechung (Beschluss des Gemeinsa-
men Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 5. April
2000 - GmS-OBG 1/98 - Buchholz 310 § 81 VwGO Nr. 15 = NJW
2000, 2340), wonach bei Übermittlung bestimmender Schriftsätze
auf elektronischem Wege dem gesetzlichen Schriftformerforder-
nis unter bestimmten Voraussetzungen auch ohne eigenhändige
Unterschrift Genüge getan ist, gilt nur in den Fällen, in de-
nen aus technischen Gründen die Beifügung einer eigenhändigen
Unterschrift unmöglich ist, nicht aber für die durch normale
Briefpost übermittelten Schriftsätze, deren Unterzeichnung
möglich und zumutbar ist (vgl. auch Bundesfinanzhof, Urteil
vom 10. Juli 2002 - VII B 6/02 - BFH/NV 2002, 1597 und
und von Albedyll in: Bader u.a., VwGO, 2. Aufl., § 60 Rn. 29).
In diesem Fall ist vielmehr nach wie vor grundsätzlich die ei-
genhändige Unterschrift erforderlich, die vor Fristablauf vor-
liegen muss.
Allerdings kann auch im Fall der Übermittlung des Schriftsat-
zes durch normale Briefpost das Fehlen einer Unterschrift bei
Vorliegen besonderer Umstände ausnahmsweise unschädlich sein,
wenn sich aus anderen Anhaltspunkten eine der Unterschrift
vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen er-
gibt, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen (Urteil
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vom 6. Dezember 1988 - BVerwG 9 C 40.87 - BVerwGE 81, 32,
<34 ff.> und Beschluss vom 19. Dezember 1994 - BVerwG 5 B
79.94 - NJW 1995, 2121). Entscheidend ist, ob sich dies aus
dem bestimmenden Schriftsatz allein oder in Verbindung mit den
ihn begleitenden Umständen hinreichend sicher ergibt, ohne
dass darüber Beweis erhoben werden müsste. Aus Gründen der
Rechtssicherheit kann dabei nur auf die dem Gericht bei Ein-
gang des Schriftsatzes erkennbaren oder bis zum Ablauf der
Frist - hier der Beschwerdebegründungsfrist - bekannt geworde-
nen Umstände (vgl. Beschluss vom 2. Februar 2000 - BVerwG 7 B
154.99 - VwRR BY 2000, 235) abgestellt werden. Derartige be-
sondere Umstände liegen hier nicht vor.
Entgegen der Ansicht der Beschwerde reicht die Tatsache, dass
der Prozessbevollmächtigte des Klägers bereits rechtzeitig Be-
schwerde gegen die Nichtzulassung der Revision erhoben hat,
hierfür ebenso wenig aus wie der gedruckte Briefkopf auf dem
Begründungsschriftsatz. Beides bietet keine der Unterschrift
vergleichbare Gewähr dafür, dass das Schriftstück von einer
beim Bundesverwaltungsgericht postulationsfähigen Person
stammt und mit deren Willen in den Verkehr gebracht worden
ist. Soweit der Prozessbevollmächtigte des Klägers sich in
diesem Zusammenhang auf Verfahrensabläufe in seiner Kanzlei
vor Absendung des Schriftsatzes und auf die dem Wiedereinset-
zungsantrag vom 18. April 2002 beigefügten Unterlagen beruft,
verkennt er, dass diese Umstände bei Eingang der Beschwerdebe-
gründung am 19. März 2002 für das Gericht nicht erkennbar wa-
ren und schon deshalb nicht die ausnahmsweise Entbehrlichkeit
der eigenhändigen Unterschrift rechtfertigen können. Da die
Beschwerdebegründungsfrist bei Eingang des Schriftsatzes be-
reits abgelaufen war, bestand im Übrigen keine Möglichkeit
mehr, die versehentlich unterbliebene Unterschrift nachzuho-
len. Die Beschwerde kann sich deshalb auch nicht mit Erfolg
darauf berufen, dass das Fehlen der Unterschrift vom Gericht
selbst zunächst nicht beanstandet worden sei. Dem von ihr in
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diesem Zusammenhang angeführten Beschluss des Bundesverwal-
tungsgerichts vom 2. Februar 2000 (a.a.O.) lag insoweit eine
andere Fallgestaltung zugrunde.
Hinsichtlich des Fehlens der Unterschrift kann dem Kläger auch
nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO ge-
währt werden. Denn dieser Mangel beruht auf einem Versehen
seines Prozessbevollmächtigten, das der Kläger sich gemäß
§ 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss (vgl.
hierzu auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 21. Juni 2000 - 2 BvR
1989.97 - NVwZ 2000, 907). Bei der Anfertigung von Rechtsmit-
tel- und Rechtsmittelbegründungsschriften handelt es sich
grundsätzlich um eine eigenverantwortliche Tätigkeit des Pro-
zessbevollmächtigten (vgl. Beschluss vom 7. Februar 1992
- BVerwG 2 B 92.91 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 175). Der Pro-
zessbevollmächtigte des Klägers macht im Übrigen auch nicht
geltend, dass das Fehlen der Unterschrift nicht auf sein eige-
nes Verschulden, zu dem auch ein sog. Organisationsverschulden
zählt, zurückgeht. Es ist daher weder dargetan noch glaubhaft
gemacht, dass die Versäumung der Frist auf einem unabwendbaren
Ereignis und nicht auf einem dem Kläger zuzurechnenden Ver-
schulden beruht.
Im Übrigen hätte die Beschwerde mit der Rüge, das Berufungsge-
richt habe die Klage nicht im vereinfachten Berufungsverfahren
nach § 130 a Abs. 1 VwGO abweisen dürfen, nachdem der Kläger
in erster Instanz durch Gerichtsbescheid in vollem Umfang ob-
siegt habe, auch in der Sache keinen Erfolg gehabt. Zwar
trifft es zu, dass die Entscheidung im vereinfachten Beru-
fungsverfahren nach § 130 a Satz 1 VwGO vorliegend prozess-
rechtlich fehlerhaft war (vgl. Urteil des Senats vom 14. März
2002 - BVerwG 1 C 15.01 - NVwZ 2002, 993 = Buchholz 310
§ 130 a VwGO Nr. 58). Dem Kläger ist es aber verwehrt, sich
mit der Nichtzulassungsbeschwerde auf diesen Verfahrensfehler
zu berufen, weil er im Verfahren vor dem Berufungsgericht
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nicht seinerseits auf die Durchführung einer mündlichen Ver-
handlung hingewirkt hat. Er hat gegenüber dem Berufungsgericht
weder in der Sache etwas vorgetragen noch den Wunsch nach ei-
ner mündlichen Verhandlung geäußert und insbesondere auf die
gerichtliche Anhörung zum vereinfachten Berufungsverfahren
nach § 130 a VwGO nicht reagiert. Da er nicht alles ihm Zumut-
bare zur Wahrnehmung seines Rechts auf Durchführung einer
mündlichen Verhandlung unternommen hat, kann er im Beschwerde-
verfahren nicht mehr mit Erfolg die Verletzung dieses Rechts
rügen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichts-
kosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der
Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.
Eckertz-Höfer Beck Prof. Dr. Dörig
Sachgebiet:
BVerwGE: nein
Verwaltungsprozessrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
VwGO § 133 Abs. 3 Satz 1; § 60 Abs. 1
Stichworte:
Nichtzulassungsbeschwerde; Schriftform; Begründungsschrift;
Unterschrift, eigenhändige; Fehlen der Unterschrift; Nachho-
lung der Unterschrift.
Leitsätze:
Das Fehlen der Unterschrift unter der Begründungsschrift für
eine Nichtzulassungsbeschwerde kann bei Vorliegen besonderer
Umstände ausnahmsweise unschädlich sein. Diese Umstände müssen
aus Gründen der Rechtssicherheit dem Gericht regelmäßig spä-
testens bei Ablauf der Begründungsfrist bekannt sein. Geht die
nicht unterzeichnete Begründungsschrift (hier: wegen überlan-
ger Postlaufzeit) erst nach Fristablauf ein, können nur die
bei Eingang des Schriftsatzes erkennbaren Umstände berücksich-
tigt werden; eine Nachholung der versehentlich unterbliebenen
Unterschrift nach Fristablauf ist nicht möglich.
Beschluss des 1. Senats vom 27. Januar 2003 – BVerwG 1 B 92.02
I. VG Schleswig vom 14.10.1994 – Az.: VG 5 A 275/94 -
II. OVG Schleswig vom 14.01.2002 – Az.: OVG 4 L 273/94 –