Urteil des BVerwG vom 14.07.2014

Mitgliedstaat, Asylbewerber, Eugh, Verordnung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 9.14, 1 PKH 10.14
VGH A 11 S 1721/13
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. Juli 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Maidowski
beschlossen:
Der Antrag des Klägers, ihm Prozesskostenhilfe zu bewil-
ligen und Rechtsanwalt Norbert W., H., beizuordnen, wird
abgelehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs
Baden-Württemberg vom 16. April 2014 wird verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
1. Der Antrag des Klägers, ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen und seinen
Bevollmächtigten beizuordnen, ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechts-
verfolgung - wie sich aus den nachstehend ausgeführten Gründen ergibt - keine
hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114, 121 Abs. 1
ZPO).
2. Wird die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der
Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) begehrt, setzt die hinreichende Darle-
gung dieses Zulassungsgrundes gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO die Formu-
lierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch nicht geklärten und sowohl für
das Berufungsgericht als auch die begehrte Revisionsentscheidung entschei-
dungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus und verlangt
außerdem die Angabe, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehen-
de Bedeutung bestehen soll (stRspr, vgl. Beschluss vom 19. August 1997
- BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26). Diesen An-
forderungen genügt das Vorbringen der Beschwerde nicht.
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Die Beschwerde sieht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darin,
dass der Supreme Court des Vereinigten Königreichs in seinem Urteil vom
19. Februar 2014 (R v Secretary of State for the Home Department [2014]
UKSC 12) im Gegensatz zu der Auffassung des Berufungsgerichts davon aus-
gehe, dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 21. Dezember
2011 (EuGH, Große Kammer, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10
und Rs. C-493/10, N.S. u.a. - Slg. 2011, I-13905 = NVwZ 2012, 417) lasse sich
nicht entnehmen, „systemische Mängel“ in einem anderen Mitgliedstaat seien
eine (notwendige) Voraussetzung für ein Überstellungsverbot.
Mit diesem Vorbringen zu der Frage, ob die Berufung auf systemische Mängel
eine notwendige Voraussetzung für ein Überstellungsverbot in den nach dem
Dublin-System eigentlich zuständigen Mitgliedstaat darstellt, verfehlt die Be-
schwerde die Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Denn sie setzt sich nicht - wie erforderlich - mit der neueren
höchstrichterlichen Rechtsprechung zu dieser Frage auseinander. Weder be-
rücksichtigt sie die Verfestigung der Rechtsprechungslinie in den jüngeren Ent-
scheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteile der Großen
Kammer vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11, Puid - NVwZ 2014, 129 und
vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12, Abdullahi - NVwZ 2014, 208) noch
geht sie auf die dazu ergangene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge-
richts ein (Beschlüsse vom 19. März 2014 - BVerwG 10 B 6.14 - juris sowie
vom 15. April 2014 - BVerwG 10 B 16.14 und 10 B 17.14 - juris). Insbesondere
hätte die Beschwerde erläutern müssen, inwieweit nach dem Urteil des Ge-
richtshofs vom 10. Dezember 2013 (a.a.O.) noch ein Klärungsbedarf besteht.
Denn in dieser Entscheidung hat der Gerichtshof klargestellt, dass, wenn der
zuständige Mitgliedstaat der Aufnahme - wie hier - zustimmt, der Asylbewerber
mit dem in Art. 19 Abs. 2 der Dublin II-Verordnung vorgesehenen Rechtsbehelf
gegen die Überstellung der Heranziehung des in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung
niedergelegten Zuständigkeitskriteriums mit dem Einwand systemischer
Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber
entgegentreten kann (EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 a.a.O. Rn. 60; dem
folgend die oben angeführte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,
zuletzt Beschluss vom 6. Juni 2014 - BVerwG 10 B 35.14 - juris).
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Die Rüge, das Berufungsgericht hätte bei der Prüfung des Vorliegens systemi-
scher Mängel von Amts wegen berücksichtigen müssen, dass seitens der
Europäischen Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren wegen defizitärer
Bedingungen für Asylbewerber gegen diesen Mitgliedstaat (Italien) eingeleitet
worden sei, führt auch nicht ansatzweise auf eine in einem Revisionsverfahren
klärungsfähige und -bedürftige Grundsatzfrage i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Im Gewande der Grundsatzrüge wendet sich die Beschwerde mit diesem Vor-
bringen in Wahrheit gegen die dem Tatrichter vorbehaltene Feststellung der
tatsächlichen Prognosegrundlagen und dessen darauf aufbauende prognosti-
sche Würdigung, dem Kläger drohe infolge der angeordneten Abschiebung
nach Italien dort nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche
oder erniedrigende Behandlung aufgrund systemischer Mängel des Asylverfah-
rens oder der Aufnahmebedingungen. Die Zulassung der Revision gemäß
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vermag sie mit diesem Vorbringen nicht zu erreichen.
3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten
werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich
aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen
nicht vor.
Prof. Dr. Berlit
Prof. Dr. Kraft
Dr. Maidowski
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