Urteil des BVerwG vom 01.10.2003

Puk, Beweisantrag, Verfügung, Rüge

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 9.03
VGH 20 B 01.30577
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 1. Oktober 2003
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z – H ö f e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. D ö r i g und H u n d
beschlossen:
Die Beschwerde des Beigeladenen gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 10. Oktober 2002 wird verworfen.
Der Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die auf Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und eine grundsätzliche Be-
deutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde ist unzu-
lässig. Die geltend gemachten Zulassungsgründe werden nicht den Anforderungen
des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dargelegt.
1. Die Beschwerde sieht einen Verstoß gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen
Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) darin, dass "die angefochtene Entscheidung im wesent-
lichen nicht begründet" sei (Beschwerdebegründung Ziff. 1). Den Verstoß leitet sie
aus dem Umstand ab, dass sich das angefochtene Urteil "wegen der Gefährdung
des Beigeladenen durch die irakische Zentralregierung und wegen einer möglichen
Fluchtalternative im Nordirak" auf die Berufungsentscheidung des Verwaltungsge-
richtshofs vom 21. September 2000 bezieht, ohne weitere Ausführungen hierzu zu
machen (UA S. 4). Das Berufungsgericht habe von einer eigenen Begründung nicht
absehen dürfen, weil die in Bezug genommene Entscheidung durch Beschluss des
Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar 2001 vollumfänglich aufgehoben wor-
den sei. Damit mangele es dem angefochtenen Urteil - neben dem Verstoß gegen
das rechtliche Gehör - auch an den notwendigen Entscheidungsgründen (§ 138 Nr. 6
VwGO).
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Mit diesem Vorbringen wird ein Verfahrensmangel nicht aufgezeigt. Vom Fehlen der
notwendigen Entscheidungsgründe nach § 138 Nr. 6 VwGO kann nämlich nur dann
ausgegangen werden, wenn die angefochtene Entscheidung so mangelhaft begrün-
det ist, dass ihre Gründe die Informationsfunktion gegenüber den Verfahrensbeteilig-
ten nicht mehr erfüllen und eine Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht nicht er-
möglichen. Dies ist dann der Fall, wenn der Entscheidung entweder überhaupt keine
Gründe beigegeben sind oder die Begründung völlig unverständlich und verworren
ist, so dass sich in Wirklichkeit nicht erkennen lässt, welche Überlegungen für die
Entscheidung maßgebend gewesen sind (vgl. Beschluss vom 5. Juni 1998 - BVerwG
9 B 412.98 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 6 VwGO Nr. 32 = NJW 1998, 3290 m.w.N.).
Das Vorliegen dieser Voraussetzungen legt die Beschwerde nicht dar. Zwar begrün-
det das angefochtene Urteil nicht mit eigenen Worten, warum dem Beigeladenen
eine Fluchtalternative im Nordirak zur Verfügung steht, die ihm hinreichende Sicher-
heit vor Verfolgung durch die irakische Zentralregierung gewährt. Der Verwaltungs-
gerichtshof nimmt insoweit aber Bezug auf seine vorausgegangene Entscheidung
und sieht keinen Anlass zu Änderungen an deren Feststellungen (UA S. 4). Die Be-
schwerde zeigt nicht auf, inwieweit durch die Bezugnahme die Information der Ver-
fahrensbeteiligten und die Überprüfungsmöglichkeit des Urteils beeinträchtigt sein
sollten. Die Ausführungen, auf die verwiesen wird, sind eindeutig gekennzeichnet
(vgl. hierzu Beschluss vom 3. April 1990 - BVerwG 9 CB 5.90 - Buchholz 310 § 117
VwGO Nr. 31). Ihre Informationsfunktion und Überprüfbarkeit büßen die in Bezug ge-
nommenen Gründe nicht dadurch ein, dass sie einer aufgehobenen Entscheidung
entstammen, die in den Verfahrensakten dokumentiert und den Verfahrensbeteiligten
bekannt gegeben worden ist (vgl. allgemein zur Zulässigkeit von Bezugnahme Kopp/
Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 117 VwGO, Rn. 16 m.w.N.). Die in Bezug genommenen
Entscheidungsgründe setzen sich sowohl mit der Frage auseinander, warum dem
Beigeladenen der Nordirak als inländische Fluchtalternative zur Verfügung steht (UA
S. 9 - 11), als auch mit der in der Beschwerde angesprochenen Gefahr, dass der
Beigeladene ins Visier der irakischen Zentralregierung als vermeintlicher Spitzel der
PUK geraten sein könnte, was aufgrund einer Beweiswürdigung des Gerichts ver-
neint wird (UA S. 6 f.). Der Verwaltungsgerichtshof hat sich die in Bezug genomme-
nen Gründe seiner vorausgegangenen Entscheidung auch zu Eigen gemacht, indem
er festgestellt hat, dass kein Anlass zu Änderungen an den getroffenen Feststellun-
gen bestehe (UA S. 4). Die Beschwerde zeigt auch nicht auf, inwiefern durch die Be-
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zugnahme auf die Gründe der ersten Berufungsentscheidung das rechtliche Gehör
des Beigeladenen verletzt worden sein könnte, da die in Bezug genommenen Grün-
de auf das Vorbringen des Beigeladenen eingehen und sich mit ihm auseinander
setzen (vgl. hierzu Beschluss vom 5. Februar 1999 - BVerwG 9 B 797.98 - Buchholz
310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 4 unter Hinweis auf BVerfGE 96, 205 <216 f.>).
Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vermag die Beschwerde ferner nicht daraus
abzuleiten, dass das Berufungsgericht seinen Beweisanträgen nicht entsprochen hat,
"die sich ... mit dem Vortrag auseinander setzen, dass der Beigeladene im Zentral-
irak verfolgt ist und eine inländische Fluchtalternative nicht zur Verfügung steht" (Be-
schwerdebegründung S. 2). Die Ablehnung von Beweisanträgen stellt nämlich nur
dann einen Gehörsverstoß dar, wenn die Nichtberücksichtigung eines erheblichen
Beweisangebots im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. etwa BVerfGE 50, 32
<35 f.>; 65, 305 <307>; 69, 145, <148 f.> und zuletzt etwa Kammer-Beschluss vom
12. März 1999 - 2 BvR 206.98 - NVwZ - Beilage I 6/1999, 51). Die Beschwerde zeigt
nicht auf, dass die von ihr angegriffene Begründung des Berufungsgerichts für die
Ablehnung der Beweiserhebung prozessrechtlich unzulässig gewesen sein soll. Hier-
für genügt nicht der Hinweis darauf, dass das angefochtene Urteil "mit einem Satz
auf eine aufgehobene Berufungsentscheidung des 23. Senats verweist" (Berufungs-
begründung S. 2). Denn eine Bezugnahme auf das vorangegangene Urteil des Beru-
fungsgerichts ist unter den eingangs dargelegten Voraussetzungen - und so auch
hier - zulässig. Darin begründet der Verwaltungsgerichtshof seine Auffassung, wa-
rum dem Beigeladenen im Nordirak keine Verfolgung durch die irakische Zentralre-
gierung droht (UA S. 6 - 7 und 9 - 11) und warum den damals hilfsweise - weit-
gehend identisch - gestellten Beweisanträgen nicht nachzugehen war (UA S. 14 f.).
Die Beschwerde setzt sich im Rahmen der ersten Rüge auch nicht damit auseinan-
der, dass der Verwaltungsgerichtshof an anderer Stelle (UA S. 6) auf die Beweisan-
träge eingegangen ist.
2. Die Beschwerde sieht einen weiteren Gehörsverstoß und zugleich einen Verstoß
gegen die Denkgesetze darin, dass der Vortrag des Beigeladenen, von der PUK "we-
gen verweigerter Spitzeltätigkeiten im Falle seiner Rückkehr in asylerheblicher Weise
verfolgt zu sein", im angefochtenen Urteil "nicht vollständig" wiedergegeben werde
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und das Berufungsgericht ihm nicht geglaubt hat (Beschwerdebegründung Ziff. 2).
Mit diesem Vorbringen wird kein Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO aufgezeigt. Aus einem Schweigen der Urteilsgründe zu Einzelheiten des Pro-
zessstoffs allein kann nicht der Schluss gezogen werden, das Gericht habe diese
nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen. Nach der ständigen Recht-
sprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts ist
vielmehr grundsätzlich - und so auch hier - davon auszugehen, dass die Gerichte
das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen
haben. Nur wenn sich aus den Umständen des Einzelfalles deutlich ergibt, dass das
Gericht dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist, kommt eine Gehörsverletzung
in Betracht (vgl. etwa Beschluss vom 5. Februar 1999 - BVerwG 9 B 797.98 -
Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 4 unter Hinweis auf BVerfGE 96, 205
<216 f.>). Solche besonderen Umstände zeigt die Beschwerde nicht auf. Das ergibt
sich hier schon daraus, dass das Berufungsgericht im Anschluss an die von der Be-
schwerde beanstandeten Ausführungen eine Verfolgung des Beigeladenen durch die
PUK als wahr unterstellt (UA S. 5 unten) und seine Entscheidung - insoweit selb-
ständig tragend - zugleich darauf gestützt hat, dem Beigeladenen hätte in der von
der KDP beherrschten Provinz Arbil eine Fluchtalternative offen gestanden. Die da-
gegen erhobene Rüge greift nicht durch (vgl. Beschwerdebegründung S. 5 unten).
Außerdem gibt das Berufungsurteil im Tatbestand den Vortrag des Beigeladenen
wieder, er habe den Irak verlassen müssen, weil er die Verfolgung seitens der PUK
habe befürchten müssen. Er habe sich geweigert für die PUK im Nordirak Informati-
onen zu sammeln, die er bei seiner Tätigkeit (Lastwagentransporte zwischen Kirkuk
und Sulaimaniya) gewonnen habe (UA S. 3 oben). In den Entscheidungsgründen
wird das Vorbringen des Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung vor dem Be-
rufungsgericht wiedergegeben. Aus mehreren vom Gericht getroffenen Feststellun-
gen (keine persönliche Misshandlung oder Bedrohung des Beigeladenen seitens der
PUK, lediglich allgemeine Aufforderung zur "Hilfe", Abnahme von Fahrzeug- und
Führerschein nur zur Verhinderung der Fahrten von und nach Kirkuk im Zentralirak)
wird sein Vorbringen dahin gewürdigt, dass es keine Verfolgungsgefahr gemäß § 51
Abs. 1 AuslG begründe (UA S. 5). Zwar geht die angefochtene Entscheidung nicht
ausdrücklich auf die Aussage des Beigeladenen ein, die Leute im PUK-Parteibüro
hätten ihm "wegen der Fahrten nach Kirkuk den Vorwurf gemacht, er sei ein Spitzel
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für den Irak" und er habe seine Festnahme befürchtet - was die Beschwerde rügt
(dort S. 3). Doch zeigt die Beschwerde nicht auf, dass diese Umstände von so zent-
raler Bedeutung sind, dass sich das Urteil ausdrücklich damit hätte auseinander set-
zen müssen (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Einen Gehörsverstoß legt sie damit
nicht dar. Der Sache nach wendet sich die Beschwerde gegen die Sachverhalts- und
Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht. Damit kann sie die Zulassung der
Revision nicht erreichen.
3. Eine weitere Gehörsverletzung sieht die Beschwerde in der Ablehnung des hilfs-
weise gestellten Beweisantrags Nr. 6 aus dem Schriftsatz vom 14. September 2000
zu einer dem Beigeladenen drohenden Verfolgungsgefahr durch die PUK aufgrund
der Verweigerung einer Zusammenarbeit (Beschwerdebegründung Ziff. 3). Hierzu
legt die Beschwerde nicht schlüssig dar, dass die Begründung des Berufungsgerichts
hierfür im Prozessrecht keine Stütze findet. Das Argument, dass dem Beweisantrag
"zum Teil das eigene Vorbringen des Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung
entgegen" stehe (UA S. 6), bezieht sich erkennbar auf die vorausgegangenen Aus-
führungen in der angefochtenen Entscheidung, wonach sich aus den vom Beigela-
denen geschilderten Tatsachen keine Umstände für seine Bedrohung ergäben (UA
S. 5 - siehe auch die Ausführungen oben unter 2). Dort findet sich auch die von der
Beschwerde als "unverständlich" angegriffene Würdigung des Gerichts, dass die Ab-
nahme des Fahrzeug- und Führerscheins durch die PUK-Sicherheitsorgane den Bei-
geladenen zwar erwerbslos gestellt habe, die daraus erwachsenen Nachteile oder
Gefährdungen aber nicht verfolgungsbedingt seien (UA S. 5). Das Berufungsgericht
hat mithin den Beweisantrag als aus seiner Sicht rechtlich unerheblich abgelehnt.
Das erkennt die Beschwerde nicht. Unabhängig hiervon gilt auch für diese Verfah-
rensrüge, dass das Berufungsurteil auf eine weitere, selbständig tragende und nicht
mit durchgreifenden Rügen angegriffene Begründung gestützt ist (vgl. oben zu 2).
4. Einen Gehörsverstoß bezeichnet die Beschwerde auch nicht hinsichtlich der Ab-
lehnung des hilfsweise gestellten Beweisantrags Nr. 5 aus dem Schriftsatz vom
14. September 2000 zur Frage der Ausübung staatsähnlicher Herrschaft durch die
PUK (Beschwerdebegründung Ziff. 4). Das folgt schon daraus, dass die Beschwerde
nicht darlegt und auch nicht darlegen kann, weshalb die vom Berufungsgericht gege-
bene Begründung der mangelnden Entscheidungserheblichkeit prozessrechtlich un-
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zulässig sein soll. Sie verkennt, dass das Recht auf Gehör nicht vor der Ablehnung
eines Beweisantrags aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts schützt. Im
Übrigen ist die Feststellung des Berufungsgerichts, dass der Beigeladene keine Ver-
folgung seitens der PUK erlitten oder zu befürchten hat, nicht zu beanstanden (vgl.
vorstehende Ziffern 2 und 3). Entsprechendes gilt für die Annahme, der Beigeladene
hätte jedenfalls im Gebiet der KDP eine Fluchtalternative.
5. Die Beschwerde kann eine Gehörsverletzung schließlich nicht darauf stützen,
dass der Verwaltungsgerichtshof das Bestehen einer Existenzmöglichkeit als Vor-
aussetzung einer Fluchtalternative für den Beigeladenen in dem von der KDP be-
herrschten Kurdengebiet nicht entsprechend dem Beweisantrag Nr. 7 aus dem
Schriftsatz vom 14. September 2000 weiter aufgeklärt hat (Beschwerdebegründung
Ziff. 5). Mit ihren Einwänden greift die Beschwerde wiederum lediglich die Sachver-
halts- und Beweiswürdigung des Berufungsgerichts an, ohne eine Verletzung des
Anspruchs auf Gehör schlüssig darzulegen. Sie befasst sich auch nicht - wie erfor-
derlich - damit, dass das Berufungsgericht den Beweisantrag unter Hinweis auf eine
gesicherte Auskunftslage abgelehnt hat (UA S. 5 - 6). Sie zeigt demgemäß auch
nicht auf, inwiefern die gegebene Begründung prozessrechtlich unzulässig sein soll.
Weshalb das Gericht den Beigeladenen - von seinem rechtlichen und tatrichterlichen
Standpunkt aus - in der mündlichen Verhandlung zur Wahrung seines rechtlichen
Gehörs zu den Geschäftsbeziehungen hätte befragen müssen, lässt sich der Be-
schwerde nicht entnehmen; eine überraschende Entscheidung behauptet sie selbst
nicht. Im Übrigen geht sie nicht darauf ein, dass es für die Entscheidung des Beru-
fungsgerichts auf diese Frage nicht ankommt, soweit der Verwaltungsgerichtshof
sein Abschiebungsschutz versagendes Urteil vorrangig darauf gestützt hat, dass der
Beigeladene keine Verfolgung seitens der PUK zu befürchten hat (UA S. 4 f.). Nur
wenn dieser Feststellung durchgreifende Verfahrensmängel entgegenstünden, käme
es auf die Frage an, ob der Beigeladene in den von der KDP beherrschten Gebieten
eine sichere Fluchtalternative finden könnte.
Die von der Beschwerde noch behauptete grundsätzliche Bedeutung ist weder dar-
gelegt noch erkennbar.
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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2
VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nach
§ 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b
Abs. 2 AsylVfG.
Eckertz-Höfer Prof. Dr. Dörig Hund