Urteil des BVerwG vom 03.06.2002

Kausalzusammenhang, Ausreise, Rüge, Polizei

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BESCHLUSS
BVerwG 1 B 9.02
VGH 9 B 99.30393
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 3. Juni 2002
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. M a l l m a n n , R i c h t e r und
Dr. E i c h b e r g e r
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nicht-
zulassung der Revision in dem Beschluss des
Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom
19. Oktober 2001 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerde-
verfahrens.
G r ü n d e :
Die im Wesentlichen auf Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Zu Unrecht rügt die Beschwerde, das Berufungsgericht sei ver-
fahrensfehlerhaft über den Berufungsantrag des Bundesbeauf-
tragten für Asylangelegenheiten hinausgegangen, indem es die
Klage insgesamt abgewiesen und damit auch über das Vorliegen
der Voraussetzungen eines Asylanspruchs nach Art. 16 a GG ent-
schieden habe. Damit verkennt die Beschwerde die Reichweite
des angefochtenen Beschlusses. Das Berufungsgericht hat nach
Tenor und Entscheidungsgründen eindeutig nicht zu Art. 16 a GG
entschieden. Die im Tenor ausgesprochene Abweisung der Klage
in vollem Umfang erfasst den ursprünglichen Streitgegenstand
lediglich insoweit, als das Verwaltungsgericht der Klage
stattgegeben hatte und der hilfsweise gestellte Verpflich-
tungsantrag zu § 53 AuslG danach automatisch in der Berufungs-
instanz angewachsen ist (vgl. hierzu Urteil vom 15. April 1997
- BVerwG 9 C 19.96 - BVerwGE 104, 260 <263>; stRspr).
Die Rüge, das Berufungsgericht hätte nicht ohne persönliche
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Anhörung der Klägerin über ihre Glaubwürdigkeit entscheiden
dürfen, bleibt schon deshalb ohne Erfolg, weil der angefochte-
ne Beschluss der Klägerin den herabgestuften Wahrscheinlich-
keitsmaßstab bei der Beurteilung der Rückkehrgefährdung nicht
nur deshalb versagt, weil er ihre Glaubwürdigkeit im Hinblick
auf das von ihr geltend gemachte Vorfluchtschicksal verneint,
sondern auch weil er aus einem zweiten, selbständig tragenden
Grund annimmt, dass die Klägerin nicht wegen einer erlittenen
oder ihr unmittelbar drohenden politischen Verfolgung ihr Hei-
matland verlassen habe. Diese zweite Begründung, dass es je-
denfalls an dem notwendigen Kausalzusammenhang zwischen be-
haupteter Verfolgung und der Ausreise aus Äthiopien fehle (BA
S. 4 f.), wird von der Beschwerde nicht, wie es für eine er-
folgreiche Revisionszulassung erforderlich wäre, ihrerseits
mit durchgreifenden Revisionsgründen angegriffen.
Es kann daher dahinstehen, ob die gegen die Beurteilung der
Glaubwürdigkeit der Klägerin vorgebrachten Verfahrensrügen
letztlich durchgreifen. Die Beschwerde nimmt zwar im Ausgangs-
punkt zutreffend an, dass es dem Berufungsgericht verwehrt
ist, die schriftlich festgehaltene Aussage eines im ersten
Rechtszug gehörten Zeugen oder Beteiligten auch ohne nochmali-
ge Vernehmung zu dem unverändert gebliebenen Beweisthema selb-
ständig zu würdigen, wenn es die Glaubwürdigkeit des in erster
Instanz Vernommenen abweichend vom Erstrichter beurteilen will
und es für diese Beurteilung auf den persönlichen Eindruck von
dem Zeugen oder Beteiligten ankommt (Beschluss vom 28. April
2000 - BVerwG 9 B 137.00 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 235
m.w.N.). Sie übersieht jedoch, dass das Verwaltungsgericht
hier bereits selbst den von der Klägerin vorgebrachten Vor-
fluchtgründen wegen erheblicher Zweifel hieran keinen Glauben
schenken konnte (UA S. 6). Zudem hat es die Klägerin versäumt,
auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu dringen,
nachdem das Berufungsgericht gem. § 130 a Satz 2 i.V.m. § 125
Abs. 2 Satz 2 VwGO eine Entscheidung im vereinfachten Beru-
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fungsverfahren angekündigt hatte. Auch hat sie trotz der da-
rauf gegründeten Zweifel des Verwaltungsgerichts ihren Vortrag
zu dem behaupteten Verfolgungsschicksal im Berufungsverfahren
nicht näher substantiiert.
Die Verfahrensrüge kann hier, wie bereits ausgeführt, jeden-
falls deshalb keinen Erfolg haben, weil die Beschwerde die
zweite tragende Begründung für die Annahme des Berufungsge-
richts, die Klägerin habe ihr Heimatland nicht wegen erlitte-
ner oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlas-
sen, nämlich dass es in ihrem Fall an dem notwendigen Kausal-
zusammenhang zwischen behaupteter Verfolgung und der Ausreise
aus Äthiopien gefehlt habe, nicht mit durchgreifenden Revisi-
onsgründen angegriffen. Soweit sie in diesem Zusammenhang be-
anstandet, die Entscheidung sei insoweit nicht mit Gründen
versehen (§ 138 Nr. 6 VwGO), weil das Berufungsgericht mit der
zweiten Begründung zu erkennen gebe, dass es sich selbst nicht
die notwendige Überzeugungsgewissheit von der fehlenden Glaub-
würdigkeit der Klägerin in Bezug auf die von ihr geltend ge-
machte Vorverfolgung verschafft habe, verkennt sie das Wesen
der kumulativen Doppelbegründung. Ein Gericht zieht seine Auf-
fassung zu einer entscheidungstragenden Frage nicht dadurch
selbst in Zweifel, dass es diese Auffassung ergänzend auf eine
zweite Begründung stützt.
Soweit die Beschwerde hierzu weiter einwendet, das Berufungs-
gericht habe nicht ausreichend aufgeklärt, ob trotz der Ent-
lassung der Klägerin aus dem Gefängnis gleichzeitige Fahn-
dungsmaßnahmen der Polizei gegen sie ausgeschlossen werden
könnten (Beschwerdebegründung S. 2 f.), genügt die damit erho-
bene Rüge eines Verstoßes gegen die richterliche Sachaufklä-
rungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) schon nicht den Darlegungsan-
forderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO (zu diesen vgl. Be-
schluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310
§ 133 VwGO n.F. Nr. 26 = NJW 1997, 3328). Denn die Beschwerde
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zeigt nicht, wie erforderlich, näher auf, welche für geeignet
und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen zum Beweis
der behaupteten Tatsache in Betracht gekommen wären und welche
tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung der unter-
bliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen
worden wären. Im Übrigen hat die anwaltlich vertretene Kläge-
rin im Berufungsverfahren auch nicht auf eine entsprechende
Beweiserhebung hingewirkt; aus der Beschwerde ergibt sich auch
nicht, dass sich dem Berufungsgericht eine solche Beweisauf-
nahme gleichwohl von Amts wegen hätte aufdrängen müssen.
Aus den gleichen Gründen ist auch die weitere, die Vorausset-
zungen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 AuslG betref-
fende Aufklärungsrüge (Beschwerdebegründung S. 3 f.) nicht
ausreichend dargetan. Insbesondere hat die anwaltlich vertre-
tene Klägerin auch insoweit keinen Beweisantrag im Berufungs-
verfahren gestellt.
Von einer weiteren Begründung, vor allem zu den gleichfalls
nicht ausreichend begründeten Rügen eines Verstoßes gegen ver-
schiedene Verfahrensgrundrechte und einer Divergenz zu Ent-
scheidungen des Bundesverfassungsgerichts, sieht der Senat ab
(§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichts-
kosten werden nach § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der
Gegenstandswert bestimmt sich nach § 83 b Abs. 2 AsylVfG a.F.
Dr. Mallmann Richter Dr. Eichberger