Urteil des BVerwG vom 23.09.2005

Amnesty International, Genfer Flüchtlingskonvention, Rechtliches Gehör, Abkommen

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 88.05 (1 PKH 26.05)
VGH 14 B 02.30258
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. September 2005
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht H u n d und Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:
Der Antrag des Klägers, ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen
und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 30. Mai 2005 wird verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsan-
walts ist abzulehnen, da die Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166
VwGO, §§ 114, 121 ZPO).
Die auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO)
und Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde ist unzu-
lässig. Sie entspricht nicht den Anforderungen an die Darlegung der geltend gemach-
ten Zulassungsgründe gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
1. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache
setzt voraus, dass eine klärungsfähige und klärungsbedürftige Rechtsfrage aufge-
worfen wird. Eine solche lässt sich der Beschwerde nicht entnehmen. Sie begründet
die grundsätzliche Bedeutung zunächst mit der Auslegung des neuen § 60 Abs. 1
des Aufenthaltsgesetzes, weil darin "auf das Abkommen über die Rechtstellung der
Flüchtlinge des UNHCR Bezug genommen" werde. Das sei in § 51 Abs. 1 des alten
Ausländergesetzes noch nicht der Fall gewesen. Unter Zugrundelegung der neuen
Flüchtlingsdefinition liege im vorliegenden Fall eine asylrelevante Verfolgung vor,
denn die Religionsausübung umfasse auch die Ausübung der Religion im öffentli-
chen Bereich. Mit dem Aufzeigen einer Änderung des Normtextes und Ausführungen
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zu einer vermeintlich neuen Rechtslage unter Hinweis auf Publikationen des UNHCR
wirft die Beschwerde aber keine Rechtsfrage im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO
auf. Außerdem legt sie nicht dar, warum hierfür im vorliegenden Fall ein Klärungsbe-
dürfnis besteht. So fehlt auch jegliche Auseinandersetzung mit der Entscheidung des
Senats vom 20. Januar 2004 (- BVerwG 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16, 22), in der der
Senat sich auf den Flüchtlingsbegriff der Genfer Flüchtlingskonvention, also das Ab-
kommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge stützt.
Eine Grundsatzrevision vermag die Beschwerde auch nicht aus der Wahl des neuen
iranischen Präsidenten Ahmadinedschad im Juni 2005 und des von ihm nach dem
Beschwerdevorbringen zu erwartenden massiven Vorgehens gegen Christen im Iran
abzuleiten. Auf diesen neuen Sachvortrag, der sich zudem auf Ereignisse nach dem
Ergehen der angefochtenen Berufungsentscheidung vom 30. Mai 2005 bezieht, lässt
sich die Zulassungsrüge nicht stützen. Außerdem formuliert die Beschwerde auch
hier keine Rechtsfrage. Sie bezieht sich vielmehr ausschließlich auf die Feststellung
und Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse im Iran, die nach der Prozessordnung
den Tatsachengerichten vorbehalten ist. Die Zulassung einer Grundsatzrevision kann
sie damit nicht erreichen.
2. Die Beschwerde legt auch eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör
(Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) durch das vom Berufungsgericht gewählte
Verfahren der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 130 a VwGO nicht
schlüssig dar. Ob das Berufungsgericht den ihm nach § 130 a VwGO eröffneten Weg
der Entscheidung im Beschlussverfahren beschreitet, steht in seinem pflichtgemäßen
Ermessen, das nur auf sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzungen
überprüfbar ist (stRspr, etwa Beschluss vom 3. Februar 1999 - BVerwG 4 B 4.99 -
Buchholz 310 § 130 a VwGO Nr. 33 = NVwZ 1999, 1109). Anhaltspunkte für derarti-
ge Ermessensfehler lassen sich der Beschwerde nicht entnehmen. Sie rügt lediglich,
dass das Berufungsgericht im Verfahren nach § 130 a VwGO entschieden habe, ob-
wohl der Kläger in mehreren Schreiben die Notwendigkeit einer mündlichen Verhand-
lung begründet habe. Dadurch sei eine "falsche Beweiswürdigung zustande gekom-
men" und der Kläger habe sich nicht "zu sämtlichem Vorbringen der anderen Betei-
ligten äußern können". Die Beschwerde legt aber keine konkreten Umstände dar,
warum eine mündliche Verhandlung im vorliegenden Fall unabdingbar war. Der pau-
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schale Verweis auf lediglich datumsmäßig bezeichnete Schreiben an das Berufungs-
gericht reicht hierfür nicht aus.
3. Die Beschwerde zeigt keinen Verstoß gegen die gerichtliche Sachaufklärungs-
pflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) auf, wenn sie rügt, das Berufungsgericht sei dem Antrag
des Klägers vom 18. März 2005 nicht nachgekommen, "den gerichtlichen Beweisan-
trag vom 12.07.2005 hinsichtlich amnesty international zu erweitern" und auch von
amnesty international und von human rights watch Auskünfte einzuholen. Soweit die
Beschwerde damit die Auswahl der Gutachter im Beweisbeschluss des Berufungsge-
richts angreift, verkennt sie, dass diese generell im Ermessen des Tatsachengerichts
liegt (§ 98 VwGO i.V.m. §§ 404, 412 ZPO, vgl. zuletzt etwa Beschluss vom
5. Februar 2002 - BVerwG 1 B 18.02 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 319).
Weshalb die Auswahlentscheidung des Berufungsgerichts fehlerhaft gewesen sein
soll, macht die Beschwerde nicht deutlich. Soweit die Beschwerde möglicherweise
das Unterlassen der Einholung weiterer Sachverständigengutachten von amnesty
international und von human rights watch rügen will, setzt sie sich nicht damit aus-
einander, dass es ebenfalls im Ermessen des Tatsachengerichts steht, Anträge auf
Einholung weiterer Sachverständigengutachten insbesondere unter Hinweis auf eine
ausreichende eigene Sachkunde abzulehnen (vgl. dazu etwa Beschluss vom
27. März 2000 - BVerwG 9 B 518.99 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 60 = InfAuslR
2000, 412; Beschluss vom 11. Februar 1999 - BVerwG 9 B 381.98 - Buchholz 310
§ 86 Abs. 2 VwGO Nr. 42 = DVBl 1999, 1206, jeweils m.w.N.). Seine Überzeugung
von der ausreichenden Aufklärung des Sachverhalts hat das Berufungsgericht auf
die von ihm eingeholten Auskünfte des Auswärtigen Amtes und des Deutschen Ori-
ent-Instituts gestützt, die ihm ein gleichermaßen aussagekräftiges wie übereinstim-
mendes Gesamtbild vermittelt hatten (BA S. 7). Die Beschwerde hat keine Anhalts-
punkte dafür aufgezeigt, dass und weshalb die von ihr benannten Auskunftsstellen
über weitergehende, neuere oder abweichende Erkenntnisse verfügen.
Die Beschwerde macht weiter - offenbar als weiteren Verfahrensmangel - geltend,
"gemäß dem Schreiben vom 08.04.2005" hätte ein Herr B. "als Zeuge gehört werden
müssen", der "die Verfolgung der Christen im Iran" hätte "darstellen können". Mit die-
sem Vortrag wird weder eine Aufklärungs- noch eine Gehörsrüge schlüssig darge-
legt. Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang auf eine gegenüber den ein-
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geholten Auskünften veränderte Sachlage infolge der Wahl des neuen iranischen
Präsidenten hinweist, ließe sich auch daraus kein Aufklärungsmangel ableiten, da
die Wahl - wie bereits ausgeführt - erst nach der angefochtenen Berufungsentschei-
dung stattgefunden hat.
Die weitere Rüge, das Berufungsgericht habe den Beweisanträgen im Schriftsatz
vom 15. Februar 2005 Seite 5 stattgeben müssen - auf deren Wiedergabe die Be-
schwerde verzichtet -, genügt ebenfalls den Darlegungsanforderungen des § 133
Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht.
4. Die Beschwerde beanstandet schließlich, das Berufungsgericht habe § 60 Abs. 1
"des neuen Ausländergesetzes" - gemeint ist offenbar das AufenthG - "falsch ange-
wendet". Eine Verfolgung könne auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen; der
neue Präsident sei nicht gewillt, gegen radikale Islamisten vorzugehen. Auch mit die-
sem Vorbringen wird ein Revisionszulassungsgrund im Sinne des § 132 Abs. 2
VwGO nicht bezeichnet.
5. Die Berücksichtigung von neuem Tatsachenvortrag und neuen Beweismitteln (vgl.
Ziff. 8 der Beschwerdebegründung) ist im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde
nicht möglich (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2
VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden ge-
mäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Satz 1
RVG.
Eckertz-Höfer
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Prof. Dr. Dörig
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