Urteil des BVerwG vom 20.01.2005

Rechtliches Gehör, Versicherung, Anklageschrift, Verdacht

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 86.04 (1 PKH 29.04)
VGH 6 UE 2054/01.A
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Januar 2005
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. M a l l m a n n und R i c h t e r
beschlossen:
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe
wird abgelehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Re-
vision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs
vom 25. Februar 2004 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, da die Beschwer-
de keine Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO, § 114 ZPO).
Die auf die Rüge von Verfahrensfehlern (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) in Gestalt der
Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör gestützte Beschwerde
kann keinen Erfolg haben.
1. Die Beschwerde rügt zunächst die unzureichende Berücksichtigung der mit
Schriftsatz vom 26. März 2003 zu den Gerichtsakten gereichten eidesstattlichen Ver-
sicherung des Neffens des Klägers Y.C. durch das Berufungsgericht. Darin bekundet
der Neffe u.a., er sei während der Polizeihaft im Jahre 1993 unter Folter verhört und
nach dem Aufenthaltsort des Klägers befragt worden. Die von dem Neffen verlangte
Aussage, der Kläger habe sich der Guerilla angeschlossen und sei in die Berge ge-
gangen, habe er verweigert. Der nach dem Verzicht des Klägers auf das Dorfschüt-
zenamt auf dessen Familie ausgeübte Druck erkläre sich aus der Vermutung der
türkischen Sicherheitskräfte, der Kläger habe sich den kämpfenden Einheiten der
PKK angeschlossen. Die Beschwerde macht geltend, die Argumentation des Beru-
fungsgerichts zur Frage der asylerheblichen Rückkehrgefährdung (UA S. 18 f.) bele-
ge, dass dieses die in der erwähnten eidesstattlichen Versicherung enthaltenen Aus-
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führungen nicht in der Bedeutung zur Kenntnis genommen und verwertet habe, die
sie für diese Frage tatsächlich hätten.
Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs kann nur festgestellt werden, wenn sich aus
besonderen Umständen des Falles deutlich ergibt, dass das Berufungsgericht tat-
sächliches Vorbringen der Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genom-
men oder nicht in Erwägung gezogen hat. Solche Umstände zeigt die Beschwerde
nicht auf. Sie sind auch sonst nicht erkennbar. Die Beschwerde macht nicht ersicht-
lich, dass das Berufungsgericht die in Rede stehende eidesstattliche Versicherung
nicht hinreichend berücksichtigt hat. Hiergegen spricht bereits der Umstand, dass
das Berufungsgericht sich in den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils
mehrfach mit dieser eidesstattlichen Versicherung befasst hat (UA S. 15, 17, 18). Es
hat namentlich im Hinblick auf die in der eidesstattlichen Versicherung und vom Klä-
ger geschilderten Schwierigkeiten seiner Familienangehörigen in den Jahren 1993/94
angenommen, dass die örtlichen Sicherheitskräfte aufgrund des Verschwindens des
Klägers ursprünglich den Verdacht hegten, er habe sich den kämpfenden Einheiten
der PKK angeschlossen. Es sieht die sich maßgeblich auf Vorgänge aus dem Jahr
1993 beziehende eidesstattliche Versicherung des Neffen Y.C. des Klägers aber auf
der Grundlage einer Gesamtwürdigung der ermittelten Umstände als nicht relevant
für die Frage an, ob dem Kläger im Falle seiner Rückkehr die Gefahr einer längeren
Polizeihaft und der Überstellung "an die politische Abteilung" - verbunden mit der
Gefahr von Misshandlung und Folter - drohe. Dies schließt es vor allem daraus, dass
die türkische Anklageschrift aus dem Jahr 1998 dem Kläger nur unerlaubten
Waffenbesitz und die Weitergabe dieser Waffe anlaste, und ihm nicht etwa vorwerfe,
sich der PKK angeschlossen zu haben. Außerdem gehe die Staatsanwaltschaft
entsprechend den Angaben des Neffen V.A. des Klägers davon aus, dass der Kläger
als Gastarbeiter ins Ausland gegangen sei (UA S. 18 f.). Soweit die Beschwerde
demgegenüber geltend macht, der Inhalt der Anklageschrift lasse entgegen der
Ansicht des Berufungsgerichts keinerlei Rückschlüsse auf den Verdacht der örtlichen
Sicherheitskräfte zu, der Kläger habe sich den kämpfenden Verbänden der PKK
angeschlossen (Berufungsbegründung S. 4 oben), lässt sich dem wie auch dem
weiteren Vorbringen der behauptete Gehörsverstoß nicht entnehmen. Vielmehr greift
die Beschwerde in Wahrheit im Gewande der Gehörsrüge lediglich die Feststellung
und Würdigung des Sachverhalts durch das Berufungsgericht sowie seine
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Gefahrenprognose an, ohne einen Gehörsverstoß schlüssig darzulegen. Fehler in
der Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind indessen regelmäßig revisionsrechtlich
nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzurechnen. Mit
Angriffen gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung der Tatsacheninstanz kann
daher ein Verfahrensmangel grundsätzlich - und so auch hier - nicht begründet
werden. Für eine ausnahmsweise zu berücksichtigende grobe und eindeutige Verlet-
zung des Gebots der freien Beweiswürdigung ist in diesem Zusammenhang nichts
ersichtlich (vgl. zu den Voraussetzungen Beschluss vom 20. August 2003 - BVerwG
1 B 463.02 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 275).
2. Die Beschwerde macht darüber hinaus als Gehörsverletzung geltend, das Beru-
fungsgericht habe sich nicht mit dem erstinstanzlichen Vorbringen des Klägers be-
fasst, im Rückkehrfall asylerheblicher Verfolgung aufgrund sippenhaftsähnlicher
Praktiken wegen der exilpolitischen Aktivitäten seines Bruders E. ausgesetzt zu sein.
Insoweit fehlt es bereits an der gebotenen substantiierten Darlegung des - nach Auf-
fassung der Beschwerde vom Berufungsgericht nicht berücksichtigten - erstinstanzli-
chen Vortrags des Klägers. Schon deshalb kann die Beschwerde insoweit mangels
Erfüllung der Darlegungsvoraussetzungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO keinen
Erfolg haben. Der Kläger hat hierzu im Übrigen im Rahmen seiner Vernehmung als
Partei vor dem Verwaltungsgericht am 17. Dezember 1998 lediglich vorgetragen,
sein Bruder betreibe ein Asylverfahren und "sei in größerem Umfang in der Bundes-
republik Deutschland exilpolitisch aktiv".
Darüber hinaus legt die Beschwerde die Entscheidungserheblichkeit der angeblichen
Gehörsverletzung nicht hinreichend dar. Das Berufungsgericht hat die Problematik
exilpolitischer Aktivitäten von Kurden in Deutschland eingehend erörtert und ist zu
dem Ergebnis gekommen, dass derartige Aktivitäten bei einer Rückkehr in die Türkei
nur unter engen Voraussetzungen zu einer politischen Verfolgung führen können. Mit
diesen - nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffenen - Ausführungen
hätte sich die Beschwerde bezogen auf die geltend gemachten exilpolitischen Tätig-
keiten des Bruders des Klägers im Hinblick auf den engen Zusammenhang mit der
Frage, ob hieraus eine Rückkehrgefährdung des Klägers abzuleiten ist, befassen
müssen.
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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 zweiter
Halbsatz VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden
gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG a.F. (= § 83 b AsylVfG i.d.F. des Kostenrechtsmoder-
nisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004, BGBl I S. 718) nicht erhoben; der Gegens-
tandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG a.F. (vgl. § 60 RVG).
Eckertz-Höfer Dr. Mallmann Richter