Urteil des BVerwG vom 11.04.2003

Politische Verfolgung, Befragung, Abschiebung, Sicherheit

B
U
N
D
E
S
V
E
R
W
A
L
T
U
N
G
S
G
E
R
I
C
H
T
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 86.03
OVG 6 A 1396/99.A
In der Verwaltungsstreitsache
- 2 -
hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. April 2003
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts
E c k e r t z - H ö f e r und die Richter am Bundes-
verwaltungsgericht H u n d und R i c h t e r
beschlossen:
Die Beschwerde des Beigeladenen gegen die
Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des
Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-
Westfalen vom 10. Dezember 2002 wird verworfen.
Der Beigeladene trägt die Kosten des Beschwer-
deverfahrens.
G r ü n d e :
Die auf einen Verfahrensmangel durch Verletzung des rechtli-
chen Gehörs (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103
Abs. 1 GG) gestützte Beschwerde ist unzulässig. Sie entspricht
nicht den Anforderungen an die Darlegung des geltend gemachten
Zulassungsgrundes aus § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
Die Beschwerde legt den behaupteten Gehörsverstoß nicht
schlüssig dar. Sie meint, das Berufungsgericht gehe in der an-
gegriffenen Entscheidung zwar - im Anschluss an die Aussage
von drei in der Berufungsverhandlung vernommenen Zeugen - zu
Recht davon aus, dass der Name des Beigeladenen auf einer Lis-
te der Sicherheitskräfte stehe und im Umfeld seines Heimatdor-
fes nach ihm gefragt werde. "Nicht berücksichtigt und bei der
Entscheidung erwogen" werde dabei allerdings, "dass in diesem
Zusammenhang der Vorwurf gegen ihn erhoben wird, bei den 'Ter-
roristen', nämlich der PKK(-Guerilla) zu sein". Auch wenn die
Befragung der Zeugen keine Anhaltspunkte dafür ergeben habe,
dass landesweit nach dem Beigeladenen gesucht werde, so könne
eine landesweite Gefährdung des Beigeladenen "schon deshalb
- 3 -
nicht verneint werden, weil er bei den Heimatbehörden als
'Terrorist' eingestuft" werde. Nach den Feststellungen des Be-
rufungsgerichts in einer anderen Entscheidung würden bei einer
Abschiebung ohne gültige Reisedokumente - wovon "hier nach den
Feststellungen des Senats auszugehen" sei - bei den Sicher-
heitsbehörden des Heimatortes Nachforschungen angestellt, die
auch Eintragungen in deren Listen erfassten und zum Bekannt-
werden des Terrorismusverdachts gegen den Beigeladenen führen
würden, weshalb er menschenrechtswidrige Maßnahmen zu befürch-
ten habe.
Mit diesem Vortrag wird eine Verletzung des rechtlichen Gehörs
schon deshalb nicht dargetan, weil die Beschwerde ihrer Rüge
Feststellungen und Schlussfolgerungen des Oberverwaltungsge-
richts in einem anderen Verfahren zugrunde legt und eine Rück-
kehrgefährdung - bei gleichzeitiger Unterstellung vom Oberver-
waltungsgericht im vorliegenden Verfahren nicht festgestellter
Tatsachen (Abschiebung des Klägers ohne gültige Reisedokumen-
te, Beschwerdebegründung S. 2 letzter Absatz) - selbst kon-
struiert. Damit lässt sich ein Gehörsverstoß nicht begründen.
Auch aus der nicht ausdrücklichen Erwähnung im Urteil, dass
der Beigeladene nach den Angaben der Zeugen zu den "Terroris-
ten" gegangen sein soll, kann nicht auf die behauptete Verlet-
zung des rechtlichen Gehörs geschlossen werden. Aus dem
Schweigen der Urteilsgründe zu Einzelheiten des Prozessstoffs
allein kann noch nicht der Schluss gezogen werden, das Gericht
habe diese nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezo-
gen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungs-
gerichts und des Bundesverwaltungsgerichts ist vielmehr grund-
sätzlich - und so auch hier - davon auszugehen, dass ein Ge-
richt in das Verfahren einbezogene Tatsachen - wie hier die
Aussagen der in der Berufsverhandlung vernommenen Zeugen, mit
denen sich das Berufungsgericht im Übrigen auch ausdrücklich
auseinandersetzt (UA S. 11/12) - zur Kenntnis genommen und Er-
- 4 -
wägung gezogen hat. Nur wenn sich unter den Umständen des Ein-
zelfalles deutlich ergibt, dass das Gericht dieser Verpflich-
tung nicht nachgekommen ist, kommt eine Gehörsverletzung in
Betracht (vgl. etwa Beschluss vom 5. Februar 1999
- BVerwG 9 B 797.98 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 4 un-
ter Hinweis auf BVerfGE 96, 205 <216 f.>). Hierzu trägt die
Beschwerde nichts vor. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier
auch offensichtlich nicht vor. Das Berufungsgericht ist viel-
mehr erkennbar davon ausgegangen, dass dem Kläger auch unter
Berücksichtigung seines glaubhaften Verfolgungsvortrages und
der Angaben der Zeugen, selbst wenn er "in seiner Heimatregion
mit Befragung oder Verhaftung rechnen müsste", die Möglichkeit
offen stünde, "in anderen Landesteilen der Türkei politische
Sicherheit und, wenn auch in engem Rahmen, wirtschaftliche
Überlebensmöglichkeiten zu finden" (UA S. 12).
Soweit die Beschwerde - wohl in Anknüpfung an diese Ausführun-
gen - ferner meint, das Oberverwaltungsgericht bejahe "eine so
genannte inländische Fluchtalternative für den Beigeladenen",
die jedoch nach der zitierten Rechtsprechung des Oberverwal-
tungsgerichts für diejenigen Kurden zu verneinen sei, die in
einen individuellen Verdacht geraten seien, mit der militanten
kurdischen Bewegung zu sympathisieren, wird ein Gehörsverstoß
ebenfalls nicht schlüssig bezeichnet. Das folgt schon daraus,
dass das Oberverwaltungsgericht an der von der Beschwerde wohl
in Bezug genommenen Stelle nicht das Vorliegen einer inländi-
schen Fluchtalternative geprüft, sondern unter tatrichterli-
cher Einschätzung der Gefährdungslage festgestellt hat, dass
dem Kläger - als nicht Vorverfolgtem - bei einer Rückkehr in
die Türkei jedenfalls nicht landesweit politische Verfolgung
mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
In Wahrheit wendet sich die Beschwerde im Gewande der Verfah-
rensrüge gegen die dem Tatrichter vorbehaltene Feststellung
- 5 -
und Würdigung des Sachverhalts, ohne eine Gehörsverletzung
aufzuzeigen.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5
Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 und 3
VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylVfG nicht erho-
ben; der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2
AsylVfG.
Eckertz-Höfer Hund Richter