Urteil des BVerwG vom 08.03.2006

Kosovo, Wesentliche Veränderung, Beweisantrag, Verfahrensmangel

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 84.05
OVG 13 A 4539/04.A
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. März 2006
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r ,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht B e c k und den Richter am Bundes-
verwaltungsgericht Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für
das Land Nordrhein-Westfalen vom 30. Mai 2005 wird verwor-
fen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Sie legt die geltend gemachten Revisi-
onszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und eines
Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO) nicht in einer Weise dar, die
den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt.
1. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache
setzt voraus, dass eine bestimmte klärungsfähige und klärungsbedürftige Frage des
revisiblen Rechts aufgeworfen wird. Eine solche lässt sich der Beschwerde nicht
entnehmen. Die von ihr aufgeworfene Frage,
"ob eine posttraumatische Belastungsstörung derzeit im Kosovo
grundsätzlich hinreichend behandelbar ist, um eine wesentliche
Verschlimmerung der Erkrankung i.S. existenzieller Ge-
sundheitsgefahren im Einzelfall aus Sicht eines vernünftig den-
kenden und besonnenen Menschen mit hinreichender Wahr-
scheinlichkeit auszuschließen",
führt nicht auf eine Rechtsfrage, sondern zielt in erster Linie auf die Klärung der tat-
sächlichen Verhältnisse im Kosovo, die den Tatsachengerichten vorbehalten ist
(§ 137 Abs. 2 VwGO). Eine bestimmte rechtsgrundsätzliche Frage im Sinne des
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hierzu zeigt die Beschwerde nicht auf.
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2. Der von der Beschwerde geltend gemachte Verfahrensmangel der Verletzung der
gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) und der Versagung des rechtli-
chen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) wegen Nichtberücksichti-
gung eines schriftlichen Beweisantrags ist nicht schlüssig dargetan. Die Beschwerde
trägt hierzu vor, der Prozessbevollmächtigte der Klägerin habe im Berufungsverfah-
ren schriftsätzlich beantragt,
"über die Tatsache, dass im Fall der Klägerin eine PTBS im
Kosovo nach anerkannten Standards nicht behandelbar ist,
Beweis zu erheben durch Einholung einer Auskunft der UNMIK,
des Gesundheitsministeriums des Kosovo und des UNHCR".
In dem angefochtenen Beschluss habe das Berufungsgericht hierzu ausgeführt:
"Vor dem Hintergrund der vorliegenden Erkenntnisquelle drängt
sich dem Senat eine weitere Aufklärung der Gesundheitsver-
sorgungslage im Kosovo für psychisch Kranke, insbesondere
die Einholung einer weiteren Auskunft der UNMIK nicht auf.
Letztere hat bereits mit ihrer Stellungnahme aus dem Januar
2005 eine Schilderung der tatsächlichen Lage abgegeben, die
der Senat berücksichtigt hat. Es liegen keine Anhaltspunkte für
eine wesentliche Änderung der Tatsachenlage, die Anlass für
eine neue Stellungnahme geben könnte, vor."
Die Beschwerde meint, das Berufungsgericht hätte dem Beweisantrag nachgehen
und den Sachverhalt weiter aufklären müssen, zumal es durch Beschluss nach
§ 130 a VwGO entschieden habe und somit kein Beweisantrag in einer mündlichen
Verhandlung habe gestellt werden können.
Damit und mit dem übrigen Vorbringen der Beschwerde ist ein Verfahrensmangel
weder unter dem Gesichtspunkt einer Gehörsverletzung noch unter dem Gesichts-
punkt einer Verletzung der Aufklärungspflicht dargetan. Mit dem Vorwurf, die Klägerin
habe wegen des vereinfachten Berufungsverfahrens nach § 130 a VwGO "keinen
Beweisantrag in einer mündlichen Verhandlung" stellen können, ist ein Verfahrens-
mangel schon deshalb nicht aufgezeigt, weil die Beschwerde auch nicht ansatzweise
darlegt, dass und aus welchen Gründen das Berufungsgericht nicht im Beschluss-
wege nach § 130 a VwGO hätte entscheiden dürfen. Im Übrigen findet § 86 Abs. 2
VwGO, auf den sich die Beschwerde möglicherweise berufen will, im vereinfachten
Berufungsverfahren nach § 130 a VwGO nach ständiger Rechtsprechung grundsätz-
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lich keine Anwendung (vgl. etwa Beschluss vom 29. Juni 2001 - BVerwG 1 B
131.00 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 63 S. 26).
Allerdings kann die Ablehnung eines erheblichen Beweisantrags - im vereinfachten
ebenso wie im regulären Berufungsverfahren - das rechtliche Gehör und die gericht-
liche Aufklärungspflicht verletzen, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr fin-
det. Die Beschwerde legt indes schon nicht dar, dass das Berufungsgericht die be-
antragte Einholung weiterer sachverständiger Auskünfte prozessrechtswidrig abge-
lehnt hat. Das Oberverwaltungsgericht stützt die Ablehnung des Beweisantrags in
den Entscheidungsgründen der Sache nach auf die ständige Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts, nach der die Tatsacheninstanzen einen Beweisantrag
auf Einholung von Sachverständigengutachten oder einer amtlichen Auskunft be-
sonders in Asylverfahren, in denen regelmäßig eine Vielzahl amtlicher Auskünfte und
sachverständiger Stellungnahmen zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wer-
den, im Allgemeinen nach tatrichterlichem Ermessen gemäß § 98 VwGO in entspre-
chender Anwendung des § 412 ZPO oder mit dem Hinweis auf eigene Sachkunde
verfahrensfehlerfrei ablehnen können (vgl. etwa Beschlüsse vom 27. März 2000
- BVerwG 9 B 518.99 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 60 S. 8 , vom 5. Juli 2000
- BVerwG 9 B 138.00 - und vom 7. Februar 2001 - BVerwG 1 B 206.00 - Buchholz
310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 45 und 46 m.w.N.). Dies setzt allerdings voraus, dass die
in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel zur Beurteilung der geltend gemach-
ten Gefahren ausreichen und dies gegebenenfalls im Rahmen der Beweiswürdigung
dargestellt und belegt wird.
Gemessen hieran legt die Beschwerde nicht dar, dass und inwiefern die vom Beru-
fungsgericht in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen zur Frage der Behan-
delbarkeit der posttraumatischen Belastungsstörung der Klägerin im Kosovo für eine
sachkundige Beurteilung nicht ausreichend gewesen sein sollen, sondern sich dem
Gericht die Einholung der weiter beantragten Stellungnahmen der UNMIK, des Ge-
sundheitsministeriums des Kosovo oder des UNHCR hätte aufdrängen müssen. Das
Berufungsgericht hat in das Verfahren zahlreiche Auskünfte und Stellungnahmen
verschiedenster sachkundiger öffentlicher und privater Stellen oder sachverständiger
Personen zu diesem Thema eingeführt und ausgewertet, insbesondere auch die von
der Beschwerde zitierte, gemeinsam von UNMIK und dem Gesundheitsministerium
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des Kosovo erarbeitete und vom UNHCR publizierte Stellungnahme vom Januar
2005 (Gerichtsakte Bl. 269 ff., BA S. 13 ff. <18>). Es hat sich mit der zum Teil kon-
troversen Einschätzung der verschiedenen Auskunftsstellen im Einzelnen befasst
und ist aufgrund seiner Sichtung und Würdigung zu der Überzeugung gelangt, dass
für die psychische Erkrankung, unter der die Klägerin leidet, grundsätzlich eine Be-
handlungsmöglichkeit im Kosovo besteht, und zwar in Gestalt einer "medikamentö-
sen und kontrollehalber begleitenden, supportiven gesprächstherapeutischen Be-
handlung" (BA S. 14 f.). Die Klägerin hat weder bei der Begründung ihres Beweisan-
trags im Berufungsverfahren noch in der Beschwerdebegründung aufgezeigt, dass
und ggf. welche weitergehenden neueren oder besseren Erkenntnisse bei der be-
gehrten nochmaligen Anfrage an die benannten Auskunftsstellen über die in der
Stellungnahme vom Januar 2005 enthaltenen Angaben hinaus zu erwarten gewesen
wären. Auch eine aktuelle wesentliche Veränderung der Tatsachenlage, die mögli-
cherweise Anlass zur Einholung weiterer Auskünfte hätte sein können, wird von der
Beschwerde selbst nicht behauptet und ist auch sonst nicht ersichtlich. Ebenso wenig
zeigt die Beschwerde auf, dass die in dem Beweisantrag benannten Stellen über
einen im Vergleich zu den übrigen Auskunftsstellen überlegenen oder weitergehen-
den Sachverstand verfügten und deshalb geeignet und in der Lage wären, ein Ober-
gutachten zu erstatten. Warum sich unter diesen Umständen dem Berufungsgericht
auf der Grundlage seiner - nicht mit durchgreifenden Rügen angegriffenen - materiel-
len Rechtsauffassung die beantragte weitere Beweiserhebung hätte aufdrängen
müssen, lässt sich der Beschwerde somit nicht entnehmen.
Soweit die Beschwerde bemängelt, das Oberverwaltungsgericht habe in den von ihm
zitierten eigenen Beschlüssen vom 17. März 2005 und 16. Dezember 2004 die Aus-
kunft der UNMIK und des Gesundheitsministeriums des Kosovo aus dem Jahre 2005
noch gar nicht berücksichtigt, ist auch dieses Vorbringen nicht geeignet, den be-
haupteten Verfahrensmangel zu begründen. Denn das Berufungsgericht ist jedenfalls
in dem angefochtenen Beschluss selbst ausdrücklich auf diese Stellungnahme ein-
gegangen und hat ausgeführt, aus welchen Gründen es gleichwohl auf Grund der
übrigen Erkenntnisquellen, insbesondere der Auskünfte des Deutschen Verbin-
dungsbüros Kosovo und der Auskünfte bzw. Lageberichte des Auswärtigen Amtes,
zu der Überzeugung gelangt ist, dass die Erkrankung der Klägerin im Kosovo durch
medikamentöse Versorgung im Zusammenwirken mit begleitender Gesprächsthera-
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pie ausreichend behandelt werden könne (BA S. 13 ff., 18 ff.). Darauf geht die Be-
schwerde nicht ein. In Wahrheit wendet sie sich gegen die ihrer Ansicht nach unzu-
treffende Bewertung der Auskunftslage durch das Berufungsgericht, ohne damit ei-
nen Verfahrensmangel aufzuzeigen.
Sonstige Rügen hat die Beschwerde nicht erhoben.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2
VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden ge-
mäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.
Eckertz - Höfer Beck Prof. Dr. Dörig
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