Urteil des BVerwG vom 25.09.2013

Grundsatz der Prozessökonomie, Innere Sicherheit, Rechtliches Gehör, Beweisantrag

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 8.13
OVG 1 A 202/06
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. September 2013
durch die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und
Dr. Maidowski
beschlossen:
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Bremen vom
15. Januar 2013 wird aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und
Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht Bremen zu-
rückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung
vorbehalten.
G r ü n d e :
I
Der 1999 in die Bundesrepublik Deutschland eingereiste Kläger ist ägyptischer
Staatsangehöriger und als Imam an einer Moschee tätig. Auf Grund von Predig-
ten, die er im Zeitraum von Juli 2004 bis Januar 2005 gehalten haben soll, wies
die Beklagte ihn durch Bescheid vom 14. Februar 2005 aus, verkürzte nach-
träglich die Befristung der ihm erteilten Aufenthaltserlaubnis und drohte ihm die
Abschiebung an. Zur Begründung stützte sie sich auf § 54 Nr. 5a AufenthG und
führte aus, der Kläger habe als „Hassprediger“ die freiheitlich-demokratische
Grundordnung sowie die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet
und öffentlich zur Gewaltanwendung aufgerufen. Ein Ermessen sei der Behörde
bei der Entscheidung über die Ausweisung nicht eingeräumt. Bei der Entschei-
dung über die nachträgliche Verkürzung der Geltungsdauer des Aufenthaltsti-
tels seien Ermessensgesichtspunkte, die gegen eine solche Verkürzung sprä-
chen, nicht erkennbar. Das Verwaltungsgericht hat den angegriffenen Bescheid
aufgehoben; das Oberverwaltungsgericht hat diese Entscheidung bestätigt. Die
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Beklagte wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revi-
sion.
II
Die auf den Verfahrensmangel der fehlerhaften Sachaufklärung (§ 132 Abs. 2
Nr. 3, § 86 Abs. 1 VwGO) gestützte Beschwerde der Beklagten hat Erfolg. Aus
Gründen der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit
Gebrauch, die Berufungsentscheidung durch Beschluss aufzuheben und den
Rechtsstreit gemäß § 133 Abs. 6 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und
Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.
1. Die Beklagte rügt zu Recht, dass das Oberverwaltungsgericht auf der Grund-
lage seiner Rechtsauffassung zur Auslegung des § 54 Nr. 5a AufenthG den
Beweisantrag zur Vernehmung des Zeugen H. nicht hätte ablehnen dürfen.
Vielmehr hätte es der Beweisbehauptung nachgehen müssen, der Kläger habe
Predigten gehalten, die geeignet gewesen seien, die Adressaten zu „islamis-
tisch-jihadistisch motiviertem terroristischem Verhalten“ auch „innerhalb der
Bundesrepublik Deutschland“ zu bewegen.
Nach § 54 Nr. 5a AufenthG wird ein Ausländer in der Regel ausgewiesen, wenn
er die freiheitlich-demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundes-
republik Deutschland gefährdet oder wenn er sich bei der Verfolgung politischer
Ziele entweder an Gewalttätigkeiten beteiligt, öffentlich zur Gewaltanwendung
aufruft oder mit Gewaltanwendung droht. Unter dem Begriff der „Sicherheit der
Bundesrepublik Deutschland“ versteht das Berufungsgericht sowohl die äußere
als auch die innere Sicherheit. Diese Tatbestandsalternative schütze die Funk-
tionstüchtigkeit des Staates und seiner Einrichtungen, d.h. die Fähigkeit, sich
gegen Angriffe von innen und außen zur Wehr zu setzen. Den Ausführungen
des Berufungsgerichts zur Subsumtion des festgestellten Sachverhalts unter
diese Vorschrift (UA S. 10 unten und S. 11) lässt sich der weitere Obersatz ent-
nehmen, der sich aus dieser Begriffsbestimmung ergebende Inlandsbezug fehle
jedenfalls dann, wenn in einer „Hasspredigt“ lediglich zum Kampf gegen die
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USA, England und Israel aufgerufen werde, ohne dass die Bundesrepublik
Deutschland und ihre Organe erwähnt würden.
Auf dem Boden dieser Auffassung durfte der erste Beweisantrag der Beklagten
nicht wegen Unerheblichkeit abgelehnt werden. Als Beweisthema war u.a. der
Inhalt der Freitagspredigt vom 29. Oktober 2004 benannt worden. In dieser
Predigt soll der Kläger gesagt haben, dass sich die Muslime nicht nur im Irak, in
Palästina oder Afghanistan, sondern „weltweit“ in einem „religiösen Verteidi-
gungskampf gegen die Bösen des Imperialismus“ befänden; die Predigt soll
nach ihrem Inhalt geeignet gewesen sein, anwesende Zuhörer konkret dazu zu
bewegen, auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland „terroristisches Ver-
halten“ zu zeigen. Dieses Beweisthema zielte damit auf Tatsachenbehauptun-
gen, die für die Subsumtion des Sachverhalts unter § 54 Nr. 5a AufenthG in der
Auslegung des Berufungsgerichts erheblich war. Denn aus dem Zusatz „welt-
weit“ ergibt sich, dass nicht nur die genannten Länder Irak, Palästina oder
Afghanistan Schauplatz des muslimischen Kampfes sein sollen, sondern alle
Länder, mithin auch die Bundesrepublik Deutschland; konkreter ergibt sich das-
selbe aus der Begründung des Beweisantrages, die „islamistisch-jihadistische“
und terroristische Aktivitäten auch auf dem Boden der Bundesrepublik Deutsch-
land ausdrücklich als Ziel der beanstandeten Predigt einschließt. Das Oberver-
waltungsgericht hätte deshalb der Beweisfrage nachgehen müssen und auch
die Frage, ob der Kläger die ihm von der Beklagten zugeschriebenen Predigten
wirklich selbst gehalten hat, nicht offenlassen dürfen.
Soweit der vierte Beweisantrag der Beklagten auf Vernehmung des Leiters des
Landesamtes für Verfassungsschutz sich ebenfalls auf die Freitagspredigt vom
29. Oktober 2004 bezog (als C 4 bezeichnete Aufklärungsrüge), hätte er aus
denselben Gründen ebenfalls nicht wegen Unerheblichkeit abgelehnt werden
dürfen. Ob diesem Beweisantrag andere Gründe entgegenstanden, bedarf hier
keiner Entscheidung.
2. Die weiteren Verfahrensrügen der Beklagten sind allerdings unbegründet.
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2.1 Die als C 2, C 3 und C 5 bis C 7 bezeichneten weiteren Aufklärungsrügen
greifen nicht durch. Die Beweisanträge 2 (Zeuge C.) und 3 (Zeuge B.) zielten
auf Tatsachen, die keinen Inlandsbezug in der - maßgeblichen - Auslegung
durch das Berufungsgericht hatten. Sie durften daher wegen Unerheblichkeit
abgelehnt werden. Soweit die Beschwerde unterstellt, dass auch diese Beweis-
anträge das Verhalten der Zuhörerschaft auf dem Boden der Bundesrepublik
Deutschland beeinflussen sollten, ergibt sich dies aus der Formulierung und
Begründung der Beweisanträge nicht.
Die auf den achten Beweisantrag der Beklagten (Rechtshilfeersuchen an die
ägyptischen Behörden) bezogene Aufklärungsrüge ist ebenfalls unbegründet.
Das Berufungsgericht durfte diesen Beweisantrag wegen mangelnder Substan-
tiierung ablehnen, da die Beklagte keine greifbaren Anhaltspunkte dafür darge-
legt hat, dass der Kläger schon in Ägypten dem islamistischen Terrorismus zu-
zurechnen war. Im Übrigen ist die zusätzliche Begründung der Ablehnung die-
ses Beweisantrages wegen Ungeeignetheit des angebotenen Beweismittels im
Hinblick darauf, dass die Beklagte selbst mitgeteilt hatte, dass die ägyptischen
Behörden derzeit keinerlei Auskünfte erteilen, nicht zu beanstanden.
Auch die Aufklärungsrügen im Zusammenhang mit dem zehnten und elften Be-
weisantrag sind unbegründet. Diese Beweisanträge zielten trotz ihrer Formulie-
rung nicht auf einen Zeugenbeweis, sondern auf die Einholung von Sachver-
ständigengutachten. Die - allerdings wenig klar formulierte - Ablehnung dieser
Beweisanträge ist als Ablehnung wegen Unerheblichkeit zu verstehen und in
dieser Auslegung nicht zu beanstanden. Denn das Berufungsgericht lehnt das
zum Beweis gestellte Modell der Radikalisierung von Individuen als Element der
von der Beklagten für richtig gehaltenen Auslegung des § 54 Nr. 5a AufenthG
ausdrücklich ab (UA S. 11. ff.), so dass es auf dieser Grundlage keinen Anlass
zu weiterer Aufklärung hatte.
2.2 Auch die Gehörsrügen bleiben erfolglos. Soweit sie auf die Beweisanträge
10 und 11 (Sachverständigengutachten zum Modell der Radikalisierung, als A 2
und A 3 bezeichnete Gehörsrügen) bezogen sind, setzt sich das Berufungsge-
richt mit dem Vortrag der Beklagten auseinander und lehnt das Modell als für
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die Auslegung des § 54 Nr. 5a AufenthG nicht relevant ab. Hinsichtlich des Be-
weisantrages 4 (Zeuge von W., Gehörsrüge A 1) führt es aus, dass die zu Be-
weis gestellten Behauptungen bereits in das Verfahren eingeführt seien und
dass es sich mit ihnen bereits befasst habe. Dies trifft zu; die Frage, ob die
Auseinandersetzung mit dem Sachvortrag der Beklagten auf dem Boden einer
ohne Verstoß gegen revisibles Recht entwickelten Auslegung der maßgebli-
chen Rechtsvorschriften geschehen ist, kann hier offenbleiben. Damit scheidet
ein Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs auch insoweit aus.
Ebenfalls ohne Erfolg bleibt die als A 4 bezeichnete Rüge, das Gericht habe es
zu Unrecht abgelehnt, die mündliche Verhandlung zu unterbrechen und einen
Termin zur Fortsetzung an einem anderen Tag anzuberaumen. Denn die Be-
klagte hat erhebliche Gründe für eine Vertagung (vgl. § 227 Abs. 1 ZPO i.V.m.
§ 173 Satz 1 VwGO) zur Sicherung ihres rechtlichen Gehörs nicht geltend ge-
macht.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör verlangt, einem aus im Sinne des
i.V.merheblichen Gründen gestellten Vertagungsan-
trag zu entsprechen (Beschlüsse vom 28. April 2008 - BVerwG 4 B 47.07 - juris
Rn. 22; vom 29. April 2004 - BVerwG 3 B 118.03 - und vom 2. November 1998
- BVerwG 8 B 162.98 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 285). Zu berücksichtigen
sind bei der Entscheidung über einen Vertagungsantrag einerseits das im Ver-
waltungsprozess geltende Gebot der Beschleunigung des Verfahrens und die
Intention des Gesetzes, die gerichtliche Entscheidung möglichst aufgrund einer
einzigen mündlichen Verhandlung herbeizuführen, andererseits das verfas-
sungsrechtliche Erfordernis des rechtlichen Gehörs. Wird einem Beteiligten in-
folge unterbliebener Vertagung die Möglichkeit abgeschnitten, sich sachgemäß
und erschöpfend zu äußern, so wird hierdurch das gebotene rechtliche Gehör
unzulässig verkürzt (Beschluss vom 28. April 2008 a.a.O. m.w.N.). Dies kann
insbesondere dann der Fall sein, wenn ein Verfahrensbeteiligter im Termin mit
Tatsachen- oder Rechtsfragen konfrontiert wird, mit denen er sich ohne weitere
Vorbereitung nicht kompetent auseinandersetzen kann.
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Gemessen an diesem Maßstab hat die Beklagte erhebliche Gründe für eine
Vertagung nicht vorgebracht. Die Ablehnung der von ihr gestellten Beweisan-
träge konnte vor dem Hintergrund der gerichtlichen Hinweisverfügung vom
27. Februar 2012 nicht überraschend sein. Die Formulierung der Beweisanträge
macht zudem deutlich, dass die Beklagte den für das Berufungsgericht ent-
scheidenden Gesichtspunkt des Inlandsbezugs bei § 54 Nr. 5a AufenthG er-
kannt und selbst schon berücksichtigt hatte. Auch der zur Begründung ihrer
Gehörsrüge vorgebrachte Hinweis darauf, man hätte bei erneuter mündlicher
Verhandlung die Beiziehung von Akten verlangt, die die Gefährlichkeit des Klä-
gers belegt hätten, ändert am Fehlen eines erheblichen Grundes nichts. Denn
bei den damit in Bezug genommenen Akten handelt es sich um ein bereits im
Jahre 2011 abgeschlossenes Verfahren, so dass es ohne Weiteres möglich
gewesen wäre, diesen Antrag schon in der mündlichen Verhandlung am
15. Januar 2013 zu stellen.
Schließlich hat die Beklagte nicht hinreichend dargelegt, dass das Berufungsge-
richt sich mit dem Kern ihres Vorbringens nicht auseinandergesetzt hätte (Ge-
hörsrüge A 5). Vielmehr hat das Oberverwaltungsgericht den Vortrag der Be-
klagten auf dem Boden seiner Rechtsauffassung lediglich für unzureichend ge-
halten. Darin liegt kein Gehörsverstoß.
2.3 Die Rüge, das Urteil sei nicht mit Gründen versehen (§ 138 Nr. 6 VwGO, als
B bezeichnete Rüge), ist unbegründet. Nach § 117 Abs. 2 Nr. 5, § 108 Abs. 1
Satz 2 VwGO müssen im Urteil die Gründe schriftlich niedergelegt werden, die
für die Überzeugungsbildung des Gerichts maßgeblich waren. Nicht mit Grün-
den versehen ist eine Entscheidung nur dann, wenn die Entscheidungsgründe
keine Kenntnis darüber vermitteln, welche tatsächlichen und rechtlichen Ge-
sichtspunkte für die Entscheidung maßgebend waren und wenn den Beteiligten
und dem Rechtsmittelgericht deshalb die Möglichkeit entzogen ist, die Ent-
scheidung zu überprüfen. Das ist nur der Fall, wenn die Entscheidungsgründe
vollständig oder zu wesentlichen Teilen des Streitgegenstands fehlen oder sich
als derart verworren oder unverständlich darstellen, dass sie unbrauchbar sind
(vgl. Urteil vom 22. Juni 2011 - BVerwG 1 C 11.10 - Buchholz 451.902 Europ.
Ausl.- u. Asylrecht Nr. 53 Rn. 22).
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Dies ist im vorliegenden Fall nicht anzunehmen. Die von der Beklagten zur Be-
gründung ihrer Rüge allein geltend gemachte Unvollständigkeit des Tatbe-
stands der Entscheidung liegt, wie das Berufungsgericht in seinem Beschluss
vom 21. März 2013 zum Antrag der Beklagten auf Tatbestandsberichtigung be-
reits zu Recht ausgeführt hat, nicht vor. Das Fehlen verständlicher und nach-
vollziehbarer Begründungserwägungen im Urteil, die den Tenor der Entschei-
dung stützen können, rügt die Beklagte nicht.
3. Auch die Grundsatzrügen der Beklagten führen nicht zur Zulassung der Re-
vision. Selbst wenn sie grundsätzlich bedeutsame Problemstellungen aufwerfen
sollten, würde dies nicht zur Revisionszulassung führen, da das Berufungsge-
richt nicht einmal festgestellt hat, dass der Kläger die ihm zugeschriebenen
Predigten mit ihrem behaupteten Inhalt wirklich gehalten hat. Ohne eine - dem
Tatsachengericht vorbehaltene - Klärung dieser Frage, mithin ohne vorherige
Zurückverweisung des Rechtsstreits könnten deshalb etwaige grundsätzlich
bedeutsame Fragestellungen im Zusammenhang mit den Predigten vom Revi-
sionsgericht nicht beantwortet werden. Da im Hinblick auf die erfolgreiche Auf-
klärungsrüge ohnehin eine Zurückverweisung an das Berufungsgericht erforder-
lich ist, spricht angesichts der außergewöhnlich langen bisherigen Verfahrens-
dauer auch der Grundsatz der Prozessökonomie für eine Zurückverweisung im
Beschwerdeverfahren, um dem Berufungsgericht die Möglichkeit einer umfas-
senden Sachverhaltsaufklärung zu geben.
Hiervon abgesehen fehlt den aufgeworfenen Fragen die grundsätzliche Bedeu-
tung:
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO),
wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des
revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Be-
deutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder
im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden
muss. Diese Voraussetzungen sind u.a. dann nicht erfüllt, wenn sich die
aufgeworfene Rechtsfrage im Revisionsverfahren nicht stellen würde oder wenn
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sie keine abstrakte, sondern nur eine aus den konkreten Umständen des jewei-
ligen Falles abzuleitende und auf diesen Einzelfall beschränkte Antwort ermög-
licht.
Die Frage,
ob „die konkrete Eignung wiederholter und über einen
mehrmonatigen Zeitraum ausgeführter islamistisch-
jihadistischer Predigten durch einen als islamischen Vor-
beter (Imam) anerkannten Mann, die auf die aktive Beteili-
gung an bewaffneten Gewalthandlungen gegen so ge-
nannte Ungläubige abzielen und die in einem Umfeld ge-
tätigt werden, in welchem eine erhebliche Anzahl von
Menschen erreicht wird, welche sich selbst als radikal-
islamisch ansehen, einzelne Personen innerhalb der Ge-
meinde hin zu einem islamistisch-jihadistisch motivierten
terroristischen Verhalten mit dem Ziel der Tötung von Per-
sonen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland zu radi-
kalisieren, eine Gefährdung der Sicherheit der Bundesre-
publik Deutschland im Sinne des § 54 Nr. 5a AufenthG“
darstellt,
hat keine in diesem Sinne grundsätzliche Bedeutung, weil sie sich nur einzel-
fallbezogen beantworten lässt. Denn nach ihrer Formulierung setzt sie so viele
konkrete Umstände zur Zusammensetzung der Zuhörerschaft („erhebliche An-
zahl“, Selbsteinschätzung der Zuhörer als radikal-islamisch), zur konkreten Ziel-
setzung der Predigten (aktive Beteiligung an bewaffneten Gewalthandlungen,
Ungläubige als Ziel der Gewalthandlungen), zur Häufigkeit der Predigten („wie-
derholte“ Predigten, längerer Zeitraum) und zu ihrer Eignung, ein bestimmtes
Verhalten zu verursachen (Tötungshandlungen, Taten auf deutschem Boden,
„islamistisch-jihadistische“ Motivation des beabsichtigten Terrorismus) voraus,
dass sie einer abstrakten Beantwortung unabhängig von der vorausgesetzten
Kombination spezifischer Faktoren nicht mehr zugänglich ist.
Dasselbe gilt auch für die weitere Frage,
ob „der Aufruf eines als islamischer Vorbeter (Imam) an-
erkannten Mannes in einer Freitagspredigt, der in einem
Umfeld getätigt wird, in welchem eine erhebliche Anzahl
von Menschen erreicht wird, welche sich selbst als radikal-
islamisch ansehen, sich am so bezeichneten Verteidi-
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gungskampf gegen die Ungläubigen zu beteiligen, einen
öffentlichen Aufruf zur Gewalt im Sinne des § 54 Nr. 5a
AufenthG“ darstellt, „wenn er in einem Gesprächskontext
von terroristischen Gewaltakten Dritter geäußert wird“.
Im Übrigen würden sich beide Fragen in einem Revisionsverfahren voraussicht-
lich nicht stellen, da einige der in den Fragestellungen vorausgesetzten Tatsa-
chen vom Berufungsgericht nicht festgestellt sind, ohne dass hiergegen durch-
greifende Verfahrensrügen vorgebracht wären. Dies gilt etwa für die Zusam-
mensetzung der Zuhörerschaft bei den Freitagsgebeten als nach eigener Ein-
schätzung „radikal-islamisch“, für den „Gesprächskontext“ von terroristischen
Gewaltakten Dritter und für die Eignung der Predigten, Tötungsdelikte zu verur-
sachen.
4. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin: Das Beru-
fungsgericht wird unabhängig von der erforderlichen Beweisaufnahme zur Ur-
heberschaft des Klägers für die beanstandeten Predigten und zu deren mögli-
cher, auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland bezogener Zielsetzung
zu prüfen haben, ob es an seiner Auslegung des § 54 Nr. 5a AufenthG festhal-
ten will. Denn Bedrohungen der durch diese Vorschrift geschützten Rechtsgüter
können möglicherweise auch dadurch entstehen, dass terroristische Gewalttä-
ter zwar nicht Straftaten auf deutschem Hoheitsgebiet begehen, aber auf ein
Tätigwerden im Ausland in Deutschland vorbereitet und motiviert werden. Sollte
dies zutreffen, käme es nicht nur darauf an, ob der Kläger mit seinen Predigten
zu Aktivitäten in Deutschland aufgerufen hat, sondern auch darauf, ob er geeig-
nete Personen in Deutschland für Terrorakte an anderer Stelle angeworben
haben könnte. Dass - wovon das Berufungsgericht ausgeht - eine Gefährdung
im Sinne von § 54 Nr. 5a AufenthG nur auf der Grundlage konkreter Tatsachen
angenommen werden kann, stünde einer solchen Auslegung nicht im Wege.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Eckertz-Höfer
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