Urteil des BVerwG vom 24.11.2003

Serbien Und Montenegro, Aufklärungspflicht, Rüge, Staat

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 8.03
VGH 21 B 96.32897
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. November 2003
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r ,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht B e c k und den Richter am
Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Re-
vision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs
vom 24. September 2002 wird verworfen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die Beschwerde der Kläger ist unzulässig. Sie legt die geltend gemachte grundsätz-
liche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und die gerügten Ver-
fahrensmängel der Verletzung des rechtlichen Gehörs und der gerichtlichen Aufklä-
rungspflicht (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) nicht in einer den Anforderungen des § 133
Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dar.
Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt
voraus, dass eine klärungsfähige und klärungsbedürftige R e c h t s frage von
allgemeiner Bedeutung aufgeworfen wird. Eine solche lässt sich der Beschwerde
nicht entnehmen. Sie wirft sinngemäß die Frage als grundsätzlich bedeutsam auf,
ob Angehörige der Roma in Serbien und Montenegro mit beachtlicher Wahr-
scheinlichkeit rassistisch motivierte Übergriffe bzw. asylrechtsrelevante Re-
pressalien befürchten müssen (Beschwerdebegründung I.).
Sie hält ferner angesichts der koronaren Gefäßerkrankung des Klägers zu 1 die Fra-
ge für grundsätzlich bedeutsam,
ob Roma bzw. deren Angehörige bei einer Rückkehr in ihr Heimatland be-
fürchten müssten, keine medizinisch notwendige Behandlung erhalten zu
können (Beschwerdebegründung II.).
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Beide Fragen sind keine Rechtsfragen, sondern betreffen die Feststellung und Wür-
digung der tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland der Kläger. Die Klärung der-
artiger Fragen ist aber den Tatsachengerichten vorbehalten und rechtfertigt nicht die
Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Die von der Beschwerde erhobenen Verfahrensrügen (Beschwerdebegründung III.)
der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG)
und der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) genügen ebenfalls nicht
den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
Die Beschwerde macht geltend, dem Gericht hätten diverse ärztliche Befundberichte
der Kläger, insbesondere des Klägers zu 1, vorgelegen. Der Kläger zu 1 habe die
ihm verordneten Medikamente sogar in die mündliche Verhandlung mitgenommen
und dem Gericht gezeigt. Unter diesen Umständen hätte das Gericht Veranlassung
gehabt, von der in den Auskunftsquellen beschriebenen Problematik bei der Be-
schaffung über die Grundversorgung hinausgehender Medikamente auszugehen und
zugunsten der Kläger zu bewerten, dass diese ihre Medikamente, auf deren
Einnahme sie dringend angewiesen seien, in ihrer Heimat nicht, nicht schnell genug
oder nur unter völliger finanzieller Überforderung erhalten könnten. Zumindest hätte
das Gericht dieser Frage im Rahmen seiner Sachaufklärungspflicht näher nachgehen
müssen.
Aus diesem Vorbringen ergeben sich die behaupteten Verfahrensmängel nicht. Was
die Gehörsrüge angeht, so legt die Beschwerde nicht - wie erforderlich - dar, aus
welchen Umständen herzuleiten sein soll, dass das Berufungsgericht ein bestimmtes
wesentliches Vorbringen der Kläger nicht zur Kenntnis genommen und erwogen hat.
Die Beschwerde gibt schon nicht an, auf welche der in Betracht kommenden Erkran-
kungen des Klägers zu 1, auf welches konkrete zu deren Behandlung notwendige
Medikament und auf welche der "diversen" im Berufungsverfahren vorgelegten ärzt-
lichen Bescheinigungen sie sich beziehen will. Sie zeigt namentlich nicht auf, inwie-
fern das Berufungsgericht, obwohl es sich mit dem Vortrag der Kläger zu ihren Er-
krankungen und mit der medizinischen Versorgung im Herkunftsland der Kläger im
Einzelnen befasst hat (UA S. 13 ff.), gegen seine Pflicht zur Kenntnisnahme und Er-
wägung des Vorbringens der Kläger verstoßen haben soll. Wenn die Beschwerde
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meint, das Berufungsgericht hätte den Klägern aufgrund der von ihm selbst gesehe-
nen Einschränkungen und Engpässe bei der medizinischen Versorgung in ihrem
Herkunftsland Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG zusprechen müssen,
führt dies nicht auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, sondern stellt einen An-
griff gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Berufungsgerichts dar, die in
der Regel - und so auch hier - nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen
Recht zuzurechnen ist und einen Verfahrensmangel nicht begründen kann.
Bei der Rüge eines Verstoßes gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht bedarf es der
Darlegung, hinsichtlich welcher entscheidungserheblichen Umstände Aufklä-
rungsbedarf bestanden hat, welche Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht ge-
kommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen, die zu einem für die Kläger
günstigeren Ergebnis geführt hätten, voraussichtlich getroffen worden wären; weiter-
hin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsa-
chengericht auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung hingewirkt worden ist oder
dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwir-
ken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. Beschluss vom 19. August 1997
- BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 = NJW 1997, 3328).
Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde in mehrfacher Hinsicht nicht. Sie gibt
schon nicht an, welche Medikamente der Kläger zu 1 für welche Erkrankung nach
seinem Vortrag im Einzelnen benötigt, und kann folglich auch nicht aufzeigen, dass
und inwiefern diese Medikamente nicht zu der medizinischen Grundversorgung ge-
hören, die nach der Auffassung des Berufungsgerichts in Serbien und Montenegro
gesichert ist (UA S. 14 ff.). Nur in diesem Fall und bei entsprechendem substantiier-
ten Vortrag im Berufungsverfahren hätte sich nämlich möglicherweise aus der inso-
weit maßgeblichen Sicht des Berufungsgerichts eine weitere Sachverhaltsaufklärung
auch ohne einen entsprechenden Beweisantrag der anwaltlich vertretenen Kläger
von Amts wegen aufdrängen müssen. Schließlich fehlt es darüber hinaus auch an
der erforderlichen Darlegung, welche konkreten Aufklärungsmaßnahmen in Betracht
gekommen wären und zu welchem Ergebnis sie voraussichtlich geführt hätten.
Soweit die Beschwerde ferner noch rügt, das Berufungsgericht habe Aussagen zur
Situation im Heimatland der Kläger, beispielsweise auf S. 11 oben des Urteils zur
Frage, ob Misshandlungen von Roma durch Dritte dem jugoslawischen Staat zuge-
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rechnet werden können, ohne Angabe von Erkenntnisquellen wiedergegeben, gibt
sie schon nicht an, gegen welche Verfahrensvorschrift das Gericht damit verstoßen
haben soll. Abgesehen davon kann diese Rüge schon deshalb nicht zur Zulassung
der Revision führen, weil sie sich nur auf eine von mehreren tragenden Begründun-
gen des Berufungsgerichts bezieht und die Beschwerde gegen die weitere Begrün-
dung nicht mit Erfolg Revisionszulassungsgründe geltend gemacht hat. Das Beru-
fungsgericht hat seine Auffassung, dass den Klägern kein Abschiebungsschutz nach
§ 53 Abs. 4 AuslG wegen etwaiger Übergriffe auf Roma durch Dritte zusteht, nämlich
nicht nur darauf gestützt, dass der jugoslawische Staat gegen solche Übergriffe je-
denfalls nunmehr strafrechtlichen Schutz biete, sondern auch damit begründet, dass
die Anzahl derartiger Vorfälle viel zu gering sei, um eine beachtliche Wahrscheinlich-
keit einer solchen Gefahr für die Klägerin zu 2 anzunehmen. Dagegen hat die Be-
schwerde keine durchgreifenden Zulassungsrügen erhoben. Im Übrigen setzt sich
die Beschwerde auch nicht damit auseinander, dass das Berufungsgericht an ande-
rer Stelle des Urteils bereits die aus seiner Sicht wesentliche Erkenntnisquelle zur
Lage der Roma in der Bundesrepublik Jugoslawien/Serbien und Montenegro, näm-
lich den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 6. Februar 2002 (UA S. 8 f.), ange-
führt hat.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2
VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden
gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus
§ 83 b Abs. 2 AsylVfG.
Eckertz-Höfer Beck Prof. Dr. Dörig