Urteil des BVerwG vom 25.11.2002

Sri Lanka, Politische Verfolgung, Rechtliches Gehör, Verfahrensmangel

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BESCHLUSS
BVerwG 1 B 72.02
VGH 10 UE 4091/96.A
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. November 2002
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts
E c k e r t z – H ö f e r , den Richter am Bundes-
verwaltungsgericht R i c h t e r und die Richterin
am Bundesverwaltungsgericht B e c k
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Klägerin zu 1 wird das
Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs
vom 21. Dezember 2001, soweit es das Begehren
der Klägerin zu 1 auf Gewährung von Abschie-
bungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG betrifft,
(einschließlich der hierauf bezogenen Kosten-
entscheidung) aufgehoben. Insoweit wird der
Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Ent-
scheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurück-
verwiesen.
Im Übrigen werden die Beschwerde der Klägerin
zu 1 und die Beschwerde der Klägerin zu 2 zu-
rückgewiesen.
Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen
die Klägerin zu 1 5/12 und die Klägerin zu 2
die Hälfte. Im Übrigen bleibt die Entscheidung
über die Kosten der Schlussentscheidung vorbe-
halten. Die Entscheidung über die restlichen
Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vor-
behaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsa-
che.
G r ü n d e :
Die Beschwerde ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang
begründet; im Übrigen bleibt sie ohne Erfolg.
Soweit sich die Beschwerde gegen die Versagung von Abschie-
bungsschutz wegen politischer Verfolgung nach § 51 Abs. 1
AuslG durch das Berufungsgericht wendet und eine Verletzung
des Anspruchs der Klägerinnen auf Gewährung rechtlichen Gehörs
(Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) sowie der gerichtli-
chen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) als Verfahrensmän-
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gel gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO rügt, hat sie keinen Erfolg.
Die Beschwerde beanstandet insoweit ausschließlich Ausführun-
gen im Berufungsurteil zur inländischen Fluchtalternative im
Großraum Colombo. Sie bemängelt, dass das Berufungsgericht da-
bei das private Gutachten des Sachverständigen Keller-
Kirchhoff vom 27. Juli 2000 zur medizinischen Versorgung der
Klägerin zu 1 in Sri Lanka nicht zur Kenntnis genommen habe
und dass es die wirtschaftlichen Verhältnisse der Verwandten
der Klägerinnen nicht näher aufgeklärt habe, sondern ohne wei-
teres von einer finanziellen Unterstützung durch die Verwand-
ten ausgegangen sei. Diese Verfahrensrügen können im Rahmen
des Begehrens auf Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG
schon deshalb nicht durchgreifen, weil sie sich lediglich auf
die Hilfsbegründung des Berufungsgerichts beziehen. Die Ent-
scheidung zu § 51 Abs. 1 AuslG kann folglich nicht auf den be-
haupteten Verfahrensmängeln beruhen. Das Berufungsgericht hat
nämlich einen Abschiebungsschutz nach dieser Vorschrift in
erster Linie deshalb verneint, weil den Klägerinnen in keinem
Teil Sri Lankas politische Verfolgung drohe (UA S. 10 - 22).
Lediglich hilfsweise - für den unterstellten Fall einer regio-
nalen Gruppenverfolgung im Norden und Osten Sri Lankas - ist
das Gericht auch noch auf das Vorliegen einer inländischen
Fluchtalternative im Großraum Colombo eingegangen. Gegen die
das Berufungsurteil tragende Hauptbegründung hat die Beschwer-
de aber keine Revisionszulassungsgründe geltend gemacht.
Soweit die Beschwerde sich mit den gleichen Verfahrensrügen
auch gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts zum Abschie-
bungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG wendet, hat sie allerdings
mit ihrer Gehörsrüge bezogen auf den Anspruch der Klägerin
zu 1 Erfolg. Die Beschwerde bemängelt zu Recht, dass das Beru-
fungsgericht bei der Begründung seiner negativen Entscheidung
zu § 53 Abs. 6 AuslG nicht auf das private Gutachten vom
27. Juli 2000 eingegangen ist, nach dem die von der Klägerin
zu 1 benötigten Medikamente wegen der hohen Kosten in den
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staatlichen Krankenhäusern Sri Lankas nicht kostenfrei abgege-
ben würden, sondern von der Klägerin zu 1 in privaten Apothe-
ken gekauft werden müssten. Allerdings gebietet das Prozess-
grundrecht auf rechtliches Gehör nicht, dass das Gericht auf
jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen seiner Ent-
scheidung ausdrücklich eingeht; dies gilt noch viel weniger
für jedes der oft zahlreich in ein Asylstreitverfahren einge-
führten Erkenntnismittel. Nur wenn sich aus den besonderen Um-
ständen des Falles deutlich ergibt, dass ein Gericht seine
Pflicht zur Kenntnisnahme und Erwägung entscheidungserhebli-
chen Tatsachenstoffs verletzt hat, kann ein Verstoß gegen
Art. 103 Abs. 1 GG im Einzelfall festgestellt werden (stRspr;
vgl. BVerfGE 96, 205 <216 f.>; BVerwG, Beschluss vom 22. Juli
1999 - BVerwG 9 B 429.99 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG
Nr. 214). Obwohl der Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen
sich im Berufungsverfahren im Zusammenhang mit dem fraglichen
privaten Gutachten und den Erkrankungen der Klägerin zu 1 auch
auf den Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG berufen hat,
ist das Berufungsgericht in den Urteilsgründen zu § 53 Abs. 6
AuslG weder ausdrücklich noch sinngemäß auf die Erkrankungen
der Klägerin zu 1 als denkbaren Grund für ein Abschiebungshin-
dernis nach dieser Vorschrift eingegangen. Selbst wenn sich
die Verweisung auf "oben, S. 23 f." (UA S. 25)auch auf die
dortigen Ausführungen zu den Behandlungsmöglichkeiten für die
Erkrankungen der Klägerin zu 1 im Rahmen der inländischen
Fluchtalternative beziehen sollte, fehlt es darin an einer
Auseinandersetzung mit dem genannten privaten Gutachten. Eine
solche wäre aber erforderlich gewesen, da das Berufungsgericht
entscheidend darauf abgestellt hat, dass nach den allgemeinen
Auskünften, insbesondere dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes
vom 24. Oktober 2001, jedenfalls in der Hauptstadt Colombo ei-
ne kostenlose Versorgung auch mit Medikamenten in größeren
staatlichen Krankenhäusern gegeben ist, während das genannte
private Gutachten für die Medikamente der Klägerin zu 1 wegen
der hohen Kosten eine kostenfreie Abgabe gerade verneint hat.
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Aus dem Schweigen der Urteilsgründe zu diesem im Einzelfall
erstatteten privaten Gutachten muss deshalb der Schluss gezo-
gen werden, dass das Berufungsgericht jedenfalls in diesem
Punkte das von den Klägerinnen vorgelegte Gutachten aus den
Augen verloren und nicht mehr ernsthaft in Erwägung gezogen
hat. Seine Ausführungen zu den Behandlungsmöglichkeiten der
Erkrankungen der Klägerin zu 1 genügen deshalb auch nicht den
Anforderungen an die Begründung der gerichtlichen Entscheidung
zu § 53 Abs. 6 AuslG (§ 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Im Interesse
der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglich-
keit Gebrauch, die Sache insoweit zur erneuten Verhandlung und
Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 133
Abs. 6 VwGO).
Für die Klägerin zu 2 ist dagegen hinsichtlich des Abschie-
bungsschutzes nach § 53 Abs. 6 AuslG ein Verfahrensmangel i.S.
des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht in einer den Anforderungen
des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dargetan. Eine
Verletzung des rechtlichen Gehörs der Klägerin zu 2 im Hin-
blick auf die in dem privaten Gutachten enthaltenen Angaben
über die Kosten bestimmter Medikamente in Sri Lanka kommt
schon deshalb nicht in Betracht, weil diese Angaben sich nur
auf die für die Klägerin zu 1 bestimmten Medikamente beziehen.
Soweit die Beschwerde darüber hinaus rügt, dass auch die in
diesem Gutachten enthaltenen Angaben über die Niederlassungs-
möglichkeiten zurückkehrender Tamilen im Großraum Colombo
nicht berücksichtigt worden seien, legt sie nicht dar, aus
welchen Umständen sich dies ergeben soll. Insbesondere zeigt
sie nicht auf, dass es sich insoweit um neue Erkenntnisse han-
delt, die über die beigezogenen einschlägigen Stellungnahmen
desselben Gutachters an anderer Stelle hinaus gehen und vom
Berufungsgericht in seiner bisherigen, in dem Urteil in Bezug
genommenen Rechtsprechung noch nicht berücksichtigt worden
sind (vgl. etwa das mehrfach in Bezug genommene Grundsatzur-
teil vom 29. August 2000 - 10 UE 3556/96.A -). Auch die von
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der Beschwerde erhobene Rüge, das Berufungsgericht hätte die
finanziellen Verhältnisse der Verwandten der Klägerinnen näher
aufklären müssen, führt nicht auf einen für den Anspruch der
Klägerin zu 2 nach § 53 Abs. 6 AuslG erheblichen Verfahrens-
mangel. Insoweit fehlt es schon an der für eine Aufklärungsrü-
ge (§ 86 Abs. 1 VwGO) erforderlichen Darlegung, welche konkre-
ten Beweis- und Erkenntnismittel ggf. infrage gekommen wären,
welches Ergebnis die unterbliebene Aufklärung im Einzelnen ge-
habt hätte und inwiefern dieses Ergebnis zu einer für die Klä-
gerin zu 2 günstigeren Entscheidung über ein Abschiebungshin-
dernis nach § 53 Abs. 6 AuslG hätte führen können. Ferner legt
die Beschwerde nicht dar, dass bereits in dem Verfahren vor
dem Tatsachengericht auf die Vornahme der jetzt vermissten
Sachverhaltsaufklärung hingewirkt worden ist oder dass sich
dem Gericht - nach dessen materiellrechtlicher Auffassung -
weitere Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich
aus hätten aufdrängen müssen.
Soweit die Beschwerde zurückgewiesen wird, tragen die Kläge-
rinnen zu den aus dem Tenor ersichtlichen Anteilen gemäß § 154
Abs. 2 VwGO die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskos-
ten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Ge-
genstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG. Im Übri-
gen - nämlich hinsichtlich der noch offenen Entscheidung über
den Anspruch der Klägerin zu 1 auf Abschiebungsschutz nach
§ 53 Abs. 6 AuslG, auf den 1/12 der Kosten des Beschwerdever-
fahrens entfallen, - folgt die Entscheidung über die Kosten
des Beschwerdeverfahrens der vorbehaltenen Kostenentscheidung
in der Hauptsache.
Eckertz-Höfer Richter Beck