Urteil des BVerwG vom 28.01.2008

Ausweisung, Rücknahme, Befristung, Ermessen

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 57.07 (1 PKH 43.07)
VGH 13 S 705/07
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. Januar 2008
durch die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Richter und die Richterin
am Bundesverwaltungsgericht Fricke
beschlossen:
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskos-
tenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abge-
lehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs
Baden-Württemberg vom 22. Mai 2007 wird zurückgewie-
sen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Dem Kläger kann die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, weil
die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachstehenden Gründen keine
Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
Die auf die Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2
VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die Beschwerde hält die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig, „ob das Er-
messen zur Rücknahme einer gemeinschaftswidrig erlassenen Regel-
Ausweisung im Rahmen des Art. 8 EMRK auf Null zur Rücknahme gebunden
ist“. Diese Frage bedarf keiner (weiteren) Klärung in einem Revisionsverfahren.
In der Rechtsprechung des Senats ist bereits geklärt, dass ein von einer
rechtswidrigen Ausweisung betroffener Kläger über das subjektiv-öffentliche
Recht auf (fehlerfreie) Ausübung des behördlichen Rücknahmeermessens
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hinaus grundsätzlich keinen Anspruch auf Rücknahme der Ausweisung hat.
Das Rücknahmeermessen ist regelmäßig nicht derart verdichtet, dass nur die
Rücknahme der Ausweisung ermessensfehlerfrei wäre. Mit Blick auf das Gebot
der materiellen Gerechtigkeit besteht aber ausnahmsweise dann ein Anspruch
auf Rücknahme einer rechtswidrigen bestandskräftigen Ausweisungsverfügung,
wenn deren Aufrechterhaltung schlechthin unerträglich erscheint, was von den
Umständen des Einzelfalles und einer Gewichtung der maßgeblichen Ge-
sichtspunkte abhängt. Allein die Rechtswidrigkeit der Verfügung begründet kei-
nen Anspruch auf Rücknahme, da der Rechtsverstoß lediglich Voraussetzung
für die behördliche Ermessensentscheidung ist. Der Senat hat ferner erkannt,
dass diese Grundsätze durch Gemeinschaftsrecht nicht modifiziert werden (vgl.
Urteil vom 23. Oktober 2007 - BVerwG 1 C 10.07 - zur Veröffentlichung in der
Amtlichen Entscheidungssammlung bestimmt). Die Beschwerde zeigt nicht auf,
dass hierzu anlässlich des vorliegenden Falles weiterer Klärungsbedarf besteht.
Die von der Beschwerde darüber hinaus behauptete Abweichung des Beru-
fungsurteils von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des
Bundesverwaltungsgerichts ist bereits nicht ordnungsgemäß dargelegt (§ 133
Abs. 3 Satz 3 VwGO) und liegt im Übrigen auch nicht vor. Die Beschwerde
macht sinngemäß geltend, das Berufungsurteil stehe hinsichtlich des Zusam-
menhangs zwischen der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung und der Befristung
ihrer gesetzlichen Folgen im Widerspruch zu höchstrichterlicher Rechtspre-
chung. Dies gelte insbesondere für die Auffassung des Berufungsgerichts, dass
eine Befristung nicht von Amts wegen zu erfolgen habe. Demgegenüber hätten
sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch das Bundesverwaltungsgericht
dahin erkannt, dass eine Ausweisung, die nicht von vornherein befristet werde,
unverhältnismäßig sein könne. Mit ihrem Vorbringen benennt die Beschwerde
nicht - wie erforderlich - einen bestimmten abstrakten Rechtssatz aus der beru-
fungsgerichtlichen Entscheidung, der dem von der Beschwerde angeführten
Rechtssatz aus Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Bun-
desverwaltungsgerichts widerspricht. Solch einen Rechtssatz hat das Beru-
fungsgericht auch weder ausdrücklich noch konkludent aufgestellt. In Überein-
stimmung mit der von der Beschwerde zitierten höchstrichterlichen Rechtspre-
chung ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass eine Ausweisung
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unverhältnismäßig sein kann, wenn sie nicht schon im Ausweisungszeitpunkt
befristet wird (UA S. 23). Die von der Beschwerde in Bezug genommenen Er-
wägungen des Berufungsgerichts beziehen sich erkennbar auf Fallkonstellatio-
nen, bei denen die Verhältnismäßigkeit der Ausweisung auch ohne eine
zugleich verfügte Befristung gewahrt ist (zum Trennungsprinzip zwischen Aus-
weisung und Befristung ihrer Folgen zuletzt Urteil des Senats vom 23. Oktober
2007 - BVerwG 1 C 10.07 - Rn. 18; zur Veröffentlichung in der Amtlichen Ent-
scheidungssammlung bestimmt). Zudem macht die Beschwerde nicht ersicht-
lich, dass die Berufungsentscheidung auf der behaupteten Divergenz beruht.
Das Berufungsgericht ist aus anderen Gründen als der fehlenden Befristung
dazu gekommen, dass die Ausweisung des Klägers rechtswidrig war und die
Ausländerbehörde deshalb über deren Rücknahme (nach Ermessen) zu ent-
scheiden hat. Die Beschwerde will mit ihren nicht immer ganz eindeutigen Aus-
führungen offenbar sagen, das Berufungsgericht hätte, falls es die Rechtswid-
rigkeit der Ausweisung zusätzlich auf die fehlende Befristung gestützt hätte, zu
dem Ergebnis kommen müssen, dass über die Rücknahme der Ausweisung
nicht nach Ermessen zu entscheiden ist, sondern der Kläger hierauf einen strik-
ten Rechtsanspruch hat. Die Beschwerde zeigt jedoch nicht ansatzweise auf,
aus welchen Gründen die Aufrechterhaltung der Ausweisung des Klägers
„schlechthin unerträglich“ erscheinen und der Kläger deshalb ausnahmsweise
einen strikten Anspruch auf deren Rücknahme haben soll (vgl. zu dieser Aus-
nahmekonstellation nochmals Urteil des Senats vom 23. Oktober 2007
- BVerwG 1 C 10.07 - Rn. 32 f.).
Entsprechendes gilt für die weitere Divergenzrüge. Die Beschwerde macht
sinngemäß geltend, das Berufungsgericht habe die neue Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts „nicht beachtet“, nach der die Ausweisung eines
faktischen Inländers nur zulässig sei, wenn die für die Ausweisung sprechenden
Gründe „überragendes Gewicht“ hätten. Unabhängig davon, dass nicht
dargelegt ist, welcher Rechtssatz des Berufungsgerichts dem entgegenstünde,
macht die Beschwerde auch in diesem Zusammenhang nicht ansatzweise er-
sichtlich, dass die Aufrechterhaltung der Ausweisung des Klägers „schlechthin
unerträglich“ erscheint und die Entscheidung des Berufungsgerichts deshalb
auf der behaupteten Divergenz beruhen kann.
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Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestset-
zung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3 sowie aus § 52 Abs. 2 GKG.
Eckertz-Höfer
Richter
Fricke
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