Urteil des BVerwG vom 02.11.2005

Serbien Und Montenegro, Wiederholungsgefahr, Ausweisung, Verfahrensmangel

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 57.05
VGH 11 S 2599/04
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. November 2005
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. M a l l m a n n und
Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-
Württemberg vom 16. März 2005 wird verworfen.
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Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5 000 €
festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde
des Klägers ist unzulässig. Sie entspricht nicht den Anforderungen, die nach § 133
Abs. 3 Satz 3 VwGO an die Bezeichnung von Zulassungsgründen zu stellen sind.
1. Die Beschwerde hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam (§ 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO),
"ob der auch ansonsten im deutschen Verfahrensrecht geltende Grundsatz,
dass der Sachverhalt, wie er sich im Zeitpunkt der Entscheidung der letzten
Tatsacheninstanz darstellt, bei seiner Anwendung bei ausländerrechtlichen Ent-
scheidungen wie einer Ausweisung einem allgemeinen Rechtsprinzip des deut-
schen Verwaltungsrechts entspringt und daher anzuwenden ist, oder aber, wie
der VGH letztlich ausführt, die Anwendung dieses Verfahrensgrundsatzes nur
Ausdruck der besonderen Rechtspositionen sei, wie sie EU-Bürger bzw. dem
Assoziationsabkommen mit der Türkei unterliegende türkische Staatsbürger in
Anspruch nehmen dürfen, nicht aber der Kläger" (Beschwerdebegründung S. 5).
Sie hält es aus rechtsstaatlichen Gründen für geboten, positive Entwicklungen des
Betroffenen generell bei Ausweisungsentscheidungen - und so auch hier im Falle
eines Staatsbürgers von Serbien und Montenegro - bis zur Entscheidung des Tatsa-
chengerichts zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall liege die die Ausweisung be-
gründende Drogenstraftat mehr als fünf Jahre und der Ausweisungsbescheid mehr
als vier Jahre zurück. Der Kläger sei mittlerweile verheiratet, seine an Krebs erkrank-
te Mutter auf seine Unterstützung angewiesen. Ein Abstellen auf den Zeitpunkt der
letzten mündlichen Verhandlung erlaube eine bessere individuelle Prognose der
Wiederholungsgefahr. Der VGH habe die individuelle Wiederholungsgefahr aus-
drücklich nur für den Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung im Jahr
2001 geprüft und bejaht.
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Mit diesem Vorbringen wird eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im
Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht aufgezeigt. Die Beschwerde legt schon die
Entscheidungserheblichkeit der als klärungsbedürftig bezeichneten Frage nicht - wie
erforderlich - dar. Denn sie geht nicht darauf ein, dass das Berufungsgericht trotz
Abstellens auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung im Mai 2001 durch-
aus nachfolgende Entwicklungen bei der Prüfung der individuellen Wiederholungsge-
fahr sowie bei der Prüfung, ob eine Ausnahme vom Regelfall des § 47 Abs. 2 Nr. 2
AuslG vorliegt, berücksichtigt hat. Es hat nämlich sowohl die im Verfahren vor dem
Verwaltungsgericht vorgelegte Einschätzung des Bewährungshelfers des Klägers
vom 24. Juni 2003 (UA S. 19), seine neuerlich begangenen Straftaten (UA S. 18 f.)
wie auch die mit Attest vom 22. März 2005 bescheinigte Krebserkrankung seiner
Mutter und deren Betreuungsbedürftigkeit (UA S. 16 f.) in seine Erwägungen einbe-
zogen. Im Übrigen geht die Beschwerde bei ihrer Wiedergabe der neueren Senats-
rechtsprechung zur Ausweisung von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern und
türkischen Assoziationsberechtigten nicht auf den Umstand ein, dass es Gründe des
materiellen Europa- und Assoziationsrechts sind, die ein Abstellen auf den Zeitpunkt
der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts ge-
bieten und nicht ein von der Beschwerde behaupteter Grundsatz des deutschen Ver-
fahrensrechts (vgl. Urteile vom 3. August 2004 - BVerwG 1 C 30.02 - BVerwGE 121,
297 <308 f.>; - BVerwG 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <321>).
2. Die Beschwerde hält weiter folgende Frage für grundsätzlich bedeutsam:
"Ist es zulässig, erneute strafrechtliche Verurteilungen im unteren Bereich, die
zu keinem Zeitpunkt für sich, einzeln oder auch zusammen, eine Ausweisungs-
verfügung würden auch nur ansatzweise rechtfertigen können, zur Bestätigung
einer auf eine Jahre zurück liegende Drogentat gestützte Wiederholungsgefahr
ohne jegliche Auseinandersetzung über den Zusammenhang heranzuziehen
(außer den des Rechtsverstoßes selbst), und das Vorhandensein der Wieder-
holungsgefahr noch im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Entscheidung aus der
(Drogen-)tat selbst zu überprüfen." (Beschwerdebegründung S. 8)
Hiermit wirft die Beschwerde keine verallgemeinerungsfähig zu beantwortende
Rechtsfrage auf. Vielmehr handelt es sich bei der Frage, welche Umstände - insbe-
sondere welche strafrechtlichen Verurteilungen - zur Begründung einer die Auswei-
sung rechtfertigenden Wiederholungsgefahr herangezogen werden können, um eine
Frage des konkreten Einzelfalls, die sich nicht nach einheitlichen rechtlichen Maß-
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stäben beantworten lässt. Im Übrigen geht die Beschwerde nicht - wie erforderlich -
darauf ein, dass der Gesetzgeber mit der Normierung von Tatbeständen für eine
Regelausweisung - wie in dem hier maßgeblichen § 47 Abs. 2 Nr. 2 AuslG - an be-
stimmte strafgerichtliche Verurteilungen anknüpft, denen besonders gefährliche
Handlungen zugrunde liegen, so dass typischerweise eine Ausweisung geboten und
verhältnismäßig ist, ohne dass - wie hier - der Verurteilung weitere Straftaten folgen
müssten (vgl. Urteil vom 16. November 1999 - BVerwG 1 C 11.99 - Buchholz
402.240 § 47 AuslG Nr. 19, S. 6 f.). Der Sache nach greift die Beschwerde - auch mit
ihren weiteren Darlegungen - die rechtliche und tatsächliche Würdigung des Beru-
fungsgerichts im vorliegenden Fall an, ohne insoweit eine in einem Revisionsverfah-
ren klärungsbedürftige Problematik aufzuzeigen.
Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang auch zu rügen scheint, dass die
Ausführungen des Berufungsgerichts zur Wiederholungsgefahr beim Kläger verfah-
rensfehlerhaft (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) in Gestalt eines Gehörverstoßes zustande
gekommen seien, sind sie nicht nachvollziehbar (vgl. Beschwerdebegründung S. 10
oben). Aus dem Beschwerdevorbringen ist für den Senat nicht erkennbar, inwiefern
dem Kläger das Gehör verweigert worden sein soll.
3. Die Beschwerde hält weiter die Frage für grundsätzlich bedeutsam,
"ob mit Rechtsmittel angegriffene ausländerrechtliche Verwaltungsentscheidun-
gen, hier die streitbefangene Ausweisung nach dem alten Ausländergesetz, bei
gerichtlicher Entscheidung nach Inkrafttreten des neuen Aufenthaltsgesetzes an
den Vorschriften des neuen Aufenthaltsgesetzes zu messen sind, wenn das
neue Aufenthaltsgesetz für den Betroffenen günstigere Regelungen vorsieht
und eine - wie hier gegeben - Ausweisung des Kl. nicht mehr erlauben würde"
(Beschwerdebegründung S. 12).
Eine für den Kläger günstigere Regelung im neuen Aufenthaltsgesetz sieht die Be-
schwerde darin, dass in § 56 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG einem Ausländer besonderer
Ausweisungsschutz nicht nur bei Bestehen einer familiären, sondern auch einer le-
benspartnerschaftlichen Lebensgemeinschaft gewährt wird. Da der Kläger zum Zeit-
punkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht bereits mit seiner Ver-
lobten in einer Wohnung zusammengelebt habe, stünde ihm - nach Auffassung der
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Beschwerde - bei Zugrundelegung des neuen Rechts erhöhter Ausweisungsschutz
zu.
Auch mit diesem fallbezogenen Vorbringen zeigt die Beschwerde keinen rechts-
grundsätzlichen Klärungsbedarf auf. Dies gilt schon deshalb, weil sich dem von ihr
benannten § 56 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG keine für den Kläger günstigere Regelung
entnehmen lässt. Er erweitert den Ausweisungsschutz nämlich nicht auf unverheira-
tete heterosexuelle Paare, sondern auf Lebenspartnerschaften im Sinne des Le-
benspartnerschaftsgesetzes (LPartG) vom 16. Februar 2001 (BGBl I S. 266
- Schönfelder Nr. 43). Diese können nach § 1 Abs. 1 LPartG nur von zwei Personen
gleichen Geschlechts eingegangen werden, was für den Kläger und seine damalige
Verlobte (heutige Ehefrau) nicht zutrifft. Dass sich die gesetzliche Neuregelung nur
auf Lebenspartnerschaften im Sinne des LPartG bezieht, ergibt sich neben dem Ge-
setzeswortlaut auch aus der Gesetzesbegründung (vgl. Gesetzentwurf der Bundes-
regierung zum Zuwanderungsgesetz vom 7. Februar 2003, BTDrucks 15/420, S. 90
zu § 56 AufenthG).
4. Die Beschwerde legt auch die von ihr geltend gemachte Divergenz nicht den An-
forderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dar. Sie stützt sie darauf,
dass die Berufungsentscheidung vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom
29. September 1998 - BVerwG 1 C 8.96 - (NVwZ 1999, 303 = InfAuslR 1999, 54) ab-
weiche. Das Bundesverwaltungsgericht habe in seinem Urteil dargelegt, dass eine
Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dann vorliege, wenn einem Aus-
länder, der aufgrund seiner ganzen Entwicklung faktisch zum Inländer geworden sei
und keinen Bezug zum Staat seiner Staatsangehörigkeit mehr habe, die Rückkehr
dorthin zugemutet werde. Gegen diese Entscheidung habe das angegriffene Urteil
verstoßen, weil es eine unrichtige Bewertung der für den Kläger prägenden Lebens-
abschnitte vorgenommen und die Vorwirkungen seiner Anmeldung zur Eheschlie-
ßung sowie die Zumutbarkeit eines Zusammenlebens im Herkunftsstaat nicht den
Anforderungen des zitierten Urteils des Bundesverwaltungsgerichts entsprechend
geprüft und berücksichtigt habe (Beschwerdebegründung S. 12 - 15). Damit ist der
Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht hinreichend bezeichnet. Die
Darlegung der Divergenz setzt die Bezeichnung eines inhaltlich bestimmten, die an-
gefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatzes voraus, mit dem die
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Vorinstanz einem in der Rechtsprechung unter anderem des Bundesverwaltungsge-
richts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvor-
schrift widersprochen hat. Daran fehlt es hier. Das bloße Aufzeigen einer fehlerhaften
oder unterbliebenen Anwendung solcher Rechtssätze genügt den Zulässigkeits-
anforderungen einer Divergenzrüge nicht (vgl. Beschluss vom 19. August 1997
- BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 = NJW 1997, 3328).
5. Die Beschwerde ist weiter der Auffassung, dass das angefochtene Berufungsurteil
das rechtliche Gehör des Klägers verletzt, weil es den Denkgesetzen widerspreche.
Denn es gehe von dem Erkenntnissatz aus, dass die Wiederholungsgefahr einer
Drogenstraftat bei einem nichtdrogensüchtigen Täter wie dem Kläger größer sei als
bei aus Drogensucht handelnden (UA S. 26). Das Gegenteil sei der Fall, wie der ge-
richtsbekannte Alltag der strafrechtlichen Drogenbekämpfung zeige. Auch verbiete
sich der vom Gericht gezogene Schluss, aus anderen geringen Delikten eine Wie-
derholungsgefahr einer Drogentat zu folgern (Beschwerdebegründung S. 15). Damit
wendet sich die Beschwerde im Gewand der Gehörsrüge gegen die dem Tatrichter
vorbehaltene Feststellung und Würdigung des Sachverhalts, ohne den behaupteten
Verfahrensmangel aufzuzeigen. Mit Angriffen gegen die Beweiswürdigung kann ein
Verfahrensmangel regelmäßig - und so auch hier - nicht begründet werden (vgl.
Beschluss vom 2. November 1995 - BVerwG 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108
VwGO Nr. 266). Im Übrigen trifft es gar nicht zu, dass das Berufungsurteil aus den
von der Beschwerde genannten Umständen die Gefahr der Wiederholung einer Dro-
gentat abgeleitet hat. Der in Bezug genommene Urteilsabschnitt befasst sich mit der
Verhältnismäßigkeit der Ausweisung im Hinblick auf Art. 8 Abs. 2 EMRK und bewer-
tet die Drogenstraftat unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EGMR als
schwerwiegend. In diesem Rahmen - und nicht zur Begründung einer gesteigerten
Wiederholungsgefahr - führt das Berufungsurteil ergänzend an, dass der Kläger die
Tat nicht als Drogenabhängiger, sondern aus Gewinnerzielungsabsicht begangen
habe. Durch die neuerlichen Verurteilungen des Klägers sieht das Berufungsgericht
dann zwar die Wiederholungsgefahr manifestiert, bezieht diese aber nicht auf Dro-
genstraftaten. Auch insoweit ist eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs nicht er-
kennbar.
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Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2
VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung
ergibt sich aus § 52 Abs. 2, § 72 Nr. 1 GKG.
Eckertz-Höfer Dr. Mallmann Prof. Dr. Dörig
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