Urteil des BVerwG vom 17.07.2003

Hauptsache, Bundesamt, Hund, Abschiebung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 484.02
OVG 4 A 480/02.A
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. Juli 2003
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht H u n d und R i c h t e r
beschlossen:
- 2 -
Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-
Westfalen vom 9. Oktober 2002 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an
das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schlussent-
scheidung vorbehalten.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt
der Kostenentscheidung in der Hauptsache.
G r ü n d e :
Die Beschwerde ist im Hinblick auf den geltend gemachten Verfahrensmangel einer Verlet-
zung des rechtlichen Gehörs (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG)
zulässig und begründet. Die Klägerin rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht entschei-
dungserhebliches Vorbringen nicht in der gebotenen Weise zur Kenntnis genommen und in
Erwägung gezogen hat. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung verweist der Senat die
Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO an das Berufungsgericht zurück.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesver-
waltungsgerichts ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das Vorbringen der
Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Die Gerichte brauchen
nicht jedes Vorbringen in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden; nur
wenn sich aus den besonderen Umständen des Falles deutlich ergibt, dass ein Gericht seine
Pflicht zur Kenntnisnahme und Erwägung entscheidungserheblichen Tatsachenstoffs verletzt
hat, kann ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG im Einzelfall festgestellt werden (vgl. etwa
BVerfGE 96, 205, 216 f., m.w.N.). So liegt der Fall hier.
Die Klägerin hat vor dem Bundesamt angegeben, wegen ihres Aussehens wie eine Ruande-
rin Nachstellungen ausgesetzt gewesen zu sein. Das Bundesamt für die Anerkennung aus-
ländischer Flüchtlinge hat sich mit diesem Vortrag befasst, ihn aber nicht geglaubt (vgl. Be-
scheid des Bundesamts vom 18. Juli 2002, S. 4 ff.). Das Berufungsgericht hat dies weder im
Tatbestand ausdrücklich erwähnt noch sich in den Gründen seiner Entscheidung damit aus-
einander gesetzt. Es hat lediglich ausgeführt, eine Erkrankung oder "sonstige Gründe", die
einer Abschiebung nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG entgegenstehen könnten, seien "nicht
ersichtlich". Unter diesen besonderen Umständen des vorliegenden Falles muss daher da-
von ausgegangen werden, dass das Berufungsgericht erhebliches Vorbringen der Klägerin,
- 3 -
das im erstinstanzlichen Verfahren keine Rolle gespielt hat, nicht zur Kenntnis genommen
oder nicht in Erwägung gezogen hat.
Zu der ferner erhobenen Grundsatzrüge bemerkt der Senat, dass sie keinen Erfolg hätte
haben können (vgl. etwa den in einem vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin betriebe-
nen Verfahren ergangenen Beschluss vom 30. Januar 2003 - BVerwG 1 B 452.02 -).
Eckertz-Höfer Hund Richter