Urteil des BVerwG vom 11.08.2005

Demokratische Republik Kongo, Drohende Gefahr, Wahrscheinlichkeit, Asylrecht

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 48.05
OVG 4 A 2752/03.A
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. August 2005
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. M a l l m a n n und
Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für
das Land Nordrhein-Westfalen vom 4. März 2005 wird verwor-
fen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die Beschwerde ist unzulässig. Sie legt den allein geltend gemachten Zulassungs-
grund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht in einer den Anforde-
rungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dar.
Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache
(§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) setzt voraus, dass eine klärungsfähige und klärungsbe-
dürftige Frage des revisiblen Rechts aufgeworfen wird, die in einem Revisionsverfah-
ren verallgemeinerungsfähig beantwortet werden kann. Eine solche lässt sich der
Beschwerde nicht entnehmen. Die Beschwerde hält es für grundsätzlich klärungsbe-
dürftig, "welche Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit eines 'alsbaldigen' Eintritts
einer Gefahr im Sinne des § 60 VII Nr. 2 AufenthG zu stellen sind, wenn diese Ge-
fahr aus einer schweren chronischen und in dem Abschiebezielstaat nicht adäquat
behandelbaren Erkrankung resultiert" (Beschwerdebegründung S. 4).
Aus der Begründung der Beschwerde wird nicht klar erkennbar, ob sie ein Klärungs-
bedürfnis für eine dem Kläger individuell drohende Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7
Satz 1 AufenthG oder für eine ihm drohende extreme Gefahrenlage sieht, bei der die
Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG (früher: § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG)
ausnahmsweise nicht gilt. Die von der Beschwerde in Bezug genommene "Nr. 2" gibt
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es in § 60 Abs. 7 AufenthG nicht. Weder für eine individuelle Gefahr noch für eine
extreme Gefahrenlage im Sinne der zitierten Vorschriften zeigt die Beschwerde je-
doch einen Klärungsbedarf im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf.
Sofern eine Klärung zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG angestrebt sein sollte, wofür die
Bezugnahme auf die Bluthochdruckerkrankung des Klägers in der Beschwerdebe-
gründung spricht, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 53
Abs. 6 Satz 1 AuslG geklärt, welche Anforderungen an den Eintritt einer Gefahr im
Sinne dieser Vorschrift zu stellen sind. Diese Rechtsprechung ist insoweit auf § 60
Abs. 7 Satz 1 AufenthG übertragbar. Für die Annahme einer "konkreten Gefahr" ge-
nügt ebenso wenig wie im Asylrecht die theoretische Möglichkeit, Opfer von Eingrif-
fen in Leib, Leben oder Freiheit zu werden. Vielmehr muss die Gefahr im Sinne die-
ser Vorschrift mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Zusätzlich muss die Ge-
fahr konkret für "diesen" Ausländer sein, was eine einzelfallbezogene, individuell be-
stimmte und erhebliche Gefährdungssituation erfordert (stRspr, vgl. z.B. BVerwG,
Urteil vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324, 330). In diesem
Zusammenhang diente es der Feststellung, ob eine konkrete Gefahr im Sinne von
§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt, soweit das Berufungsgericht unter Heranzie-
hung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom
29. Juli 1999 - BVerwG 9 C 2.99 - juris) geprüft hat, ob sich der Gesundheitszustand
des Klägers "alsbald" nach einer Rückkehr in die Demokratische Republik Kongo
verschlechtern würde. Die Beschwerde legt nicht in einer den Darlegungserforder-
nissen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechenden Weise dar, dass insoweit ein
weitergehender Klärungsbedarf besteht. Vielmehr ist die Gefährdungssituation unter
Zugrundelegung der erwähnten Grundsätze im jeweiligen Einzelfall individuell fest-
zustellen.
Durch die Rechtsprechung ist ebenfalls geklärt, welche Anforderungen an das Ein-
treten einer extremen Gefahr zu stellen sind, bei der die Sperrwirkung des § 60
Abs. 7 Satz 2 AufenthG ausnahmsweise nicht gilt (vgl. u.a. die vom Berufungsgericht
zitierten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zu § 53 Abs. 6 AuslG, BA
S. 5). Von einer solchen Gefahrenlage ist dann auszugehen, wenn der Ausländer im
Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder
schwersten Verletzungen ausgeliefert wäre (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober
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1995, a.a.O., 328). Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Ge-
fahren ist gegenüber dem im Asylrecht entwickelten Prognosemaßstab der beachtli-
chen Wahrscheinlichkeit hier von einem strengeren Maßstab auszugehen, denn nur
dann rechtfertigt sich die Annahme eines aus den Grundrechten folgenden zwingen-
den Abschiebungshindernisses über die gesetzliche Sperrwirkung des § 53 Abs. 6
Satz 2 AuslG hinaus (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. November 1996 - BVerwG 1 C
6.95 - BVerwGE 102, 249, 259). Wann diese Wahrscheinlichkeit im Einzelfall anzu-
nehmen ist, bedarf der Tatsachen- und Beweiswürdigung im Einzelfall und ist von
daher einer revisionsgerichtlichen Überprüfung entzogen. So liegt der Fall hier, wenn
die Beschwerde auf die spezifische Gefahr abstellt, die aus einer schweren chroni-
schen und im Zielstaat der Abschiebung nicht adäquat behandelbaren Erkrankung
resultiert.
In Wahrheit wendet sich die Beschwerde gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdi-
gung des Berufungsgerichts zu den dem Kläger aufgrund seiner Bluthochdrucker-
krankung in der Demokratischen Republik Kongo individuell drohenden Gefahren.
Damit wirft sie keine verallgemeinerungsfähig zu beantwortende Rechtsfrage auf.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2
VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden ge-
mäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.
Eckertz-Höfer Dr. Mallmann Prof. Dr. Dörig
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