Urteil des BVerwG vom 05.02.2003

Schutz der Familie, Achtung des Familienlebens, Schutz des Familienlebens, Abschiebung

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BESCHLUSS
BVerwG 1 B 479.02
VGH A 14 S 1493/00
In der Verwaltungsstreitsache
- 2 -
hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. Februar 2003
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts
E c k e r t z - H ö f e r und die Richter am Bundes-
verwaltungsgericht H u n d und Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerinnen gegen die Nicht-
zulassung der Revision in dem Beschluss des
Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom
10. Oktober 2002 wird verworfen.
Die Klägerinnen tragen die Kosten des Beschwer-
deverfahrens.
G r ü n d e :
Die Beschwerde ist unzulässig. Sie legt die geltend gemachten
Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und
der Divergenz nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3
VwGO entsprechend dar.
1. Die Beschwerde zeigt die von ihr behauptete rechtsgrund-
sätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO)
nicht auf. Dies setzt die Formulierung einer bestimmten,
höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsent-
scheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und
außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den
Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (vgl. BVerwG,
Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz
310 § 133 (n.F.) VwGO Nr. 26 - DÖV 1998, 117). Diesen Anforde-
rungen wird die Beschwerde nicht gerecht.
Die Beschwerde sieht es als grundsätzliche Rechtsfrage an, "ob
das Bundesamt trotz offensichtlichen Eingriffs in den Schutz-
bereich des Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG, wegen der Ausreise-
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aufforderung und Abschiebungsandrohung gegen die Klägerinnen,
den Schutz der Familie und der elterlichen Erziehung unbeach-
tet lassen darf" (Beschwerdebegründung S. 2 unten).
Damit legt sie eine allgemeine, über den Einzelfall hinausge-
hende Rechtsfrage nicht dar. Die gestellte Frage lässt sich
schon nicht allgemein, sondern nur in Bezug auf die Klägerin-
nen in deren besonderer Lage klären. Hiervon geht auch die Be-
schwerde aus, wie sich dem Wortlaut der Fragestellung ohne
weiteres entnehmen lässt.
Aber selbst, wenn man der Beschwerde eine verallgemeinerungs-
fähige Frage entnehmen wollte, fehlte es an ihrer notwendigen
rechtlichen Bestimmtheit. Damit genügt sie nicht den genannten
Darlegungsanforderungen aus § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. So nimmt
die Frage nicht dazu Stellung, weshalb der behauptete Eingriff
in den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG auch dann
rechtswidrig wäre, wenn der Schutz des Familienlebens der Klä-
gerinnen im Bundesgebiet nach Art. 8 EMRK in einem anderen
Verfahren gewährleistet werden kann. Denn wie sich aus der von
der Beschwerde an anderer Stelle zitierten und vom Berufungs-
gericht als Maßstab herangezogenen Entscheidung des Bundesver-
waltungsgerichts vom 11. November 1997 (- BVerwG 9 C 13.96 -
BVerwGE 105, 322 ff.) ergibt, hat die Ausländerbehörde und
nicht das Bundesamt den Schutz der familiären Beziehungen zu
prüfen und erforderlichenfalls zu berücksichtigen. Insofern
hätte es näherer Darlegungen bedurft, inwieweit Art. 6 Abs. 1
und 2 GG schon dadurch verletzt sein sollen, dass die Tren-
nungsfolgen nicht vom Bundesamt, sondern erst von der Auslän-
derbehörde berücksichtigt werden.
Im Übrigen lässt die Beschwerde nicht erkennen, weshalb die
gestellte Rechtsfrage noch klärungsbedürftig ist. Denn in dem
von der Beschwerde herangezogenen Urteil des Bundesverwal-
tungsgerichts vom 11. November 1997 (BVerwGE 105, 322
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<326 ff.>) ordnet das Bundesverwaltungsgericht die Prüfung, ob
schutzwürdige familiäre Bindungen in Deutschland der Abschie-
bung entgegenstehen, weitgehend den Ausländerbehörden zu. Die
Beschwerde setzt sich insoweit mit den Gründen der Entschei-
dung des Gerichts nicht auseinander und zeigt auch nicht auf,
ob und inwieweit dessen ungeachtet Klärungsbedarf besteht, et-
wa weil die Entscheidung bestimmte Frage offen lässt (vgl.
hierzu etwa das Senatsurteil vom 29. Oktober 2002 - BVerwG 1 C
1.02 -).
2. Die Beschwerde legt auch eine die Revision gemäß § 132
Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz nicht dar. Eine solche
Divergenz ist nur dann im Sinne des § 132 Abs. 3 Satz 3 VwGO
hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich
bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten
Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Recht-
sprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensol-
chen, die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden
Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widerspro-
chen hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997, a.a.O.).
Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung
von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner
Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt weder den Zulässig-
keitsanforderungen einer Divergenz- noch denen einer
Grundsatzrüge.
Die Beschwerde behauptet, folgende Passage auf Seite 6 letzter
Absatz des angefochtenen Beschlusses des VGH Baden-Württemberg
enthalte einen Rechtssatz, der von der Rechtsprechung des Bun-
desverwaltungsgerichts abweiche:
"Ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG ergibt
sich entgegen der Auffassung des VG nicht aus den famili-
ären Bindungen der Klägerinnen zu ihren Eltern und ihrer
älteren Schwester, bei denen - mittlerweile rechtskräf-
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tig - ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1
AuslG festgestellt worden ist. Denn aufenthaltsrechtliche
Schutzwirkungen des in Art. 8 EMRK normierten Rechts auf
Achtung des Familienlebens sind nicht den in § 53 AuslG
allein normierten zielstaatsbezogenen Abschiebungshinder-
nissen zuzuordnen, sondern als sogenannte inlandsbezogene
Vollstreckungshindernisse von der für den Vollzug der Ab-
schiebung zuständigen Ausländerbehörde zu berücksichti-
gen."
Dieser Rechtssatz soll den Ausführungen des Bundesverwaltungs-
gerichts in dem Urteil vom 11. November 1997 (a.a.O. S. 323
ff.) widersprechen, wonach dem Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge die Entscheidung darüber obliege, ob
ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG vorliege,
soweit sich die Unzulässigkeit der Abschiebung aus der EMRK
ergebe. Die Vorschrift verweise nur insoweit auf die EMRK, als
sich aus ihr Abschiebungshindernisse ergeben, die in Gefahren
begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Ab-
schiebung drohen. Im vorliegenden Fall werde gerade die Fest-
stellung von Gefahren begehrt, die den Klägerinnen im Ziel-
staat drohten, nämlich Bürgerkriegsfolgen, die die Klägerinnen
umso härter träfen, als sie ohne ihre Familie auf sich allein
gestellt würden. Eine Verletzung des "Rechts auf Erziehung der
Eltern", das natürlich im Inland zu berücksichtigen wäre, wer-
de nicht geltend gemacht. Der vom Berufungsgericht aufgestell-
te Rechtssatz widerspreche dem des Bundesverwaltungsgerichts,
weil er eine Verweisung auf die EMRK verneine, soweit es um
zielstaatsbezogene Gefahren für den Ausländer gehe.
Mit diesen Darlegungen zeigt die Beschwerde keinen eine Diver-
genz begründenden Widerspruch auf. Sie verkennt, dass das Bun-
desverwaltungsgericht - im Ergebnis ebenso wie das Berufungs-
gericht - die von den Klägerinnen vorgebrachten Gefahren bei
einer Rückkehr in ihr Heimatland ohne ihre bestandskräftig vor
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Abschiebung geschützten Eltern als so genannte trennungsbe-
dingte mittelbare Gefahren ebenfalls den von der Ausländerbe-
hörde zu prüfenden Vollstreckungshindernissen zugeordnet hat
(Urteile vom 21. September 1999 - BVerwG 9 C 12.99 - BVerwGE
109, 305 und vom 27. Juli 2000 - BVerwG 9 C 9.00 - Buchholz
402.240 § 53 AuslG Nr. 39 = InfAuslR 2001, 52). Im Übrigen
legt die Beschwerde auch nicht hinreichend dar, dass die be-
haupteten Bürgerkriegsgefahren für die Klägerinnen den Schutz-
bereich von Art. 8 EMRK berühren. Nur dann aber könnte die an-
gegriffene Entscheidung auf der geltend gemachten Divergenz
beruhen.
3. Des weiteren setzt sich die Beschwerde in der Art einer Be-
rufungsbegründung kritisch mit den tatsächlichen Folgen einer
von ihr unterstellten Abschiebung der Klägerinnen nach Bos-
nien-Herzegowina und Kroatien auseinander (Ziffern II bis V
der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde). Eine Zulassung
der Revision kann sie hiermit nicht erreichen.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5
Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichts-
kosten werden nach § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der
Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.
Eckertz-Höfer Hund Prof. Dr. Dörig