Urteil des BVerwG vom 27.10.2005

Freiheit, Begriff, Leib, Gefahr

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 47.05
23 B 04.30732
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Oktober 2005
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. M a l l m a n n
und Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Re-
vision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs
vom 3. März 2005 wird verworfen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die Beschwerde ist unzulässig. Sie legt den allein geltend gemachten Zulassungs-
grund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht in einer den Anforde-
rungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dar.
1. Die Beschwerde hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam,
"ob und inwieweit die Kriterien des § 60 Abs. 1 Satz 4 lit. b AufenthG zur
nicht staatlichen Verfolgung auch entsprechend anzuwenden sind auf die
Frage der Staatlichkeit der Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG in
Verbindung mit Art. 3 Europäische Konvention zum Schutze der Menschen-
rechte und Grundfreiheiten (EMRK)".
Sie hält die vom Berufungsgericht vertretene Auffassung für falsch, dass trotz der
Aufnahme der nichtstaatlichen Verfolgung in den Katalog der Verfolgungstatbestän-
de nach Art. 60 Abs. 1 AufenthG dies ohne Folgen für die Auslegung des § 60 Abs. 5
AufenthG bleibe. Die aufgeworfene Rechtsfrage sei vom Bundesverwaltungsgericht
noch nicht entschieden und für eine Vielzahl von Verfahren entscheidungserheblich.
Mit diesem Vorbringen wird eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sin-
ne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht aufgezeigt. Die Beschwerde legt schon die
Entscheidungserheblichkeit der als klärungsbedürftig bezeichneten Frage nicht dar.
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Sie geht nicht auf die Umstände des zu entscheidenden Falles und die tatsächlichen
Feststellungen des Berufungsgerichts hierzu ein. Sie zeigt insbesondere nicht auf,
dass ein durch § 60 Abs. 5 AufenthG geschütztes Rechtsgut im Falle der Abschie-
bung der Kläger bedroht wäre und dass eine solche Bedrohung von einem der in
§ 60 Abs. 1 Satz 4 lit b AufenthG genannten Akteure ausginge. So setzt sich die Be-
schwerde auch nicht damit auseinander, dass der Verwaltungsgerichtshof im Rah-
men der Prüfung des Auffangtatbestandes des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, bei dem
gerade auch von Privatpersonen ausgehende Gefährdungen (vgl. zu § 53 Abs. 6
AuslG schon Urteil vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324
<330> ) in den Blick zu nehmen sind - ausdrücklich ausgeführt hat, es sei "nichts da-
für ersichtlich, dass für die Kläger eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben
oder für Freiheit besteht …, kehrten sie derzeit in den Irak zurück" (UA S. 11). Der
Beschwerde kann nicht entnommen werden, warum diese tatrichterliche Würdigung
der Sachlage im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG anders ausfallen müsste, wenn
es dort neben staatlicher und quasi-staatlicher Verfolgung auch auf diejenige privater
Akteure ankäme.
2. Die Beschwerde hält des Weiteren die Frage für grundsätzlich bedeutsam,
"ob die - in Kraft getretene aber noch nicht umgesetzte - EU-Richtlinie 2000/83
(gemeint: 2004/83) vom 29.04.2004 bereits jetzt eine Wirkung entfalten kann
und insbesondere der Begriff des 'ernsthaften Schadens' gemäß Art. 15 c RL
2004/83 auch zum jetzigen Zeitpunkt schon geprüft werden muss".
Sie bezieht sich auf ein Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften
(EuGH), wonach die Mitgliedstaaten während des Laufs der Umsetzungsfrist einer
Richtlinie gehindert seien, Vorschriften zu erlassen, die geeignet sind, die Erreichung
des in der Richtlinie beschriebenen Zieles ernstlich in Frage zu stellen. Im Übrigen
seien sie während des Laufs der Umsetzungsfrist auch gehalten, die einzelnen Nor-
men der nationalen Gesetzgebung richtlinienkonform und europafreundlich auszule-
gen. Die Beschwerde nennt beispielhaft den Begriff der "Religion", der in Art. 10 der
RL 2004/83 u.a. als "Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten
oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen" umschrieben
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werde. Das Berufungsgericht verhalte sich zu der Frage nicht, sondern behaupte nur,
die Voraussetzungen für den Anspruch auf subsidiären Schutz (Art. 15 RL) blieben
nicht hinter dem Schutz zurück, den § 60 Abs. 2 ff. AufenthG gewähre. Es fehle für
die Ausführungen des Berufungsgerichts an einer Begründung, zumal es an anderer
Stelle ausdrücklich festgestellt habe, dass der Schutz des § 60 Abs. 5 AufenthG
staatliche Verantwortung für die Misshandlung voraussetzt, während Art. 15 c
RL 2004/83 eine entsprechende Einschränkung gerade nicht enthalte.
Auch dieses Vorbringen ist mangels jedweder Ausführungen zur Entscheidungser-
heblichkeit der als klärungsbedürftig bezeichneten Frage nicht geeignet, die Zulas-
sung einer Grundsatzrevision zu begründen. Erneut geht die Beschwerde nicht auf
die Umstände des zu entscheidenden Falles und die tatsächlichen Feststellungen
des Berufungsgerichts, wonach den Klägern jedenfalls keine konkrete Gefahr für
Leib, Leben oder Freiheit drohe, ein. Damit fehlt es an einer hinreichenden Darle-
gung, inwiefern sich die Frage der Vorwirkung der zitierten EU-Richtlinie im vorlie-
genden Fall stellen könnte.
Soweit die im Rahmen der Grundsatzbeschwerde erhobene Rüge, das Urteil sei zur
Frage des Verhältnisses des subsidiären Schutzes nach Art. 15 RL 2004/83 zu dem
nach § 60 Abs. 2 ff. AufenthG "mit Gründen nicht versehen", als Rüge eines Verfah-
rensmangels verstanden werden kann, fehlt es auch hierfür an einer den Erfordernis-
sen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechenden Darlegung. Der Verfahrens-
mangel der fehlenden Entscheidungsgründe nach § 138 Nr. 6 VwGO liegt nur vor,
wenn die angefochtene Entscheidung so mangelhaft begründet ist, dass die Ent-
scheidungsgründe ihre Informationsfunktion gegenüber den Verfahrensbeteiligten
nicht mehr erfüllen und ihre Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht nicht möglich
ist. Dies ist dann der Fall, wenn der Entscheidung entweder überhaupt keine Gründe
beigegeben sind oder die Begründung völlig unverständlich und verworren ist, so
dass sich in Wirklichkeit nicht erkennen lässt, welche Überlegungen für die Entschei-
dung maßgebend gewesen sind (vgl. den Beschluss vom 5. Juni 1998 - BVerwG 9 B
412.98 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 6 VwGO Nr. 32 = NJW 1998, 3290 m.w.N.). Derar-
tiges macht die Beschwerde nicht geltend.
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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2
VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden ge-
mäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Satz 1
RVG.
Eckertz-Höfer
Dr. Mallmann
Prof. Dr. Dörig
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