Urteil des BVerwG vom 26.08.2015

Bulgarien, Überstellung, Mitgliedstaat, Behandlung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 45.15
VGH A 11 S 106/15
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. August 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit
sowie den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs
Baden-Württemberg vom 1. April 2015 wird zurückgewie-
sen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Der - allein geltend gemachte - Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Be-
deutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.
1.1 Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebli-
che Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden
allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Recht-
sprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren
geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die
aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie be-
reits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Re-
geln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Recht-
sprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden
kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Be-
schluss vom 1. April 2014 - 1 B 1.14 - AuAS 2014, 110).
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1.2 Die Beschwerde macht geltend, die dem Berufungsurteil zugrunde liegende
Beweislage, in Bulgarien bestünden keine systemischen Mängel, könne auf-
grund der vorliegenden Erkenntnisse nicht als gefestigt angesehen werden.
Denn der Verwaltungsgerichtshof habe eingeräumt, dass der positive Bericht
von EASO über die Lage in Bulgarien vom Dezember 2014 unter Umständen
einer kritischen Würdigung aufgrund des Berichts von Pro Asyl vom April 2015
bedürfe. Dieser aktuellere Bericht habe im vorliegenden Verfahren jedoch keine
Berücksichtigung finden können, weil er dem Berufungsgericht erst nach Nie-
derlegung des unterschriebenen Urteilstenors auf der Geschäftsstelle zugegan-
gen sei. Eine grundsätzliche Bedeutung der Sache ergebe sich aus der diver-
gierenden Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zu systemischen Mängeln
im Asylverfahrenssystem Bulgariens. Aufgrund der substantiiert nachgewiese-
nen, zumindest widersprüchlichen Erkenntnislage sowie der deutlich divergie-
renden Rechtsprechung auch nach der hier vorliegenden Entscheidung sei
deshalb von einer grundsätzlichen Bedeutung der Sache auszugehen.
1.3 Mit diesem Vorbringen zur Aufnahmepraxis für Asylbewerber in Bulgarien
zeigt die Beschwerde keine klärungsbedürftigen Fragen des revisiblen Rechts
auf. Denn das Beschwerdevorbringen zielt nicht auf eine Rechtsfrage, sondern
auf die dem Tatrichter vorbehaltene prognostische Würdigung, ob dem Kläger
infolge der angeordneten Abschiebung nach Bulgarien dort aufgrund systemi-
scher Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen mit beachtli-
cher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung
droht. Die Beschwerde greift damit der Sache nach die vom Berufungsgericht
getroffenen tatsächlichen Feststellungen zu den Prognosegrundlagen sowie die
darauf aufbauende Prognose als Teil der Beweiswürdigung an und stellt dem
ihre eigene Einschätzung der Sachlage entgegen, ohne insoweit eine konkrete
Rechtsfrage aufzuzeigen. Damit kann sie die Zulassung der Revision gemäß
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht erreichen (stRspr, BVerwG, Beschluss vom
15. April 2014 - 10 B 17.14 - juris m.w.N.). Auch der Umstand, dass die In-
stanzgerichte eine frage unterschiedlich beantworten, macht diese
aus der Sicht des Bundesverwaltungsgerichts noch nicht zu einer klärungsbe-
dürftigen frage (Czybulka, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 132
Rn. 57).
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1.4 Dass das Berufungsgericht bei seiner tatsächlichen Würdigung in Bezug auf
die Voraussetzungen, unter denen sogenannte systemische Mängel eine Über-
stellung an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat hindern, nicht den zu-
treffenden rechtlichen Ansatz (s. dazu BVerwG, Beschluss vom 6. Juni 2014
- 10 B 35.14 - juris m.w.N.) herangezogen hätte, macht die Beschwerde sub-
stantiiert nicht geltend.
2. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten
werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich
aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen
nicht vor.
Prof. Dr. Berlit
Prof. Dr. Kraft
Fricke
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