Urteil des BVerwG vom 24.07.2003

Rechtliches Gehör, Hauptsache, Gefährdung, Unhcr

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 352.02 (1 PKH 50.03)
VGH 20 B 00.32293
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. Juli 2003
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht H u n d und Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:
- 2 -
Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des
Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 10. Juli 2002 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an
den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten in der Hauptsache bleibt der
Schlussentscheidung vorbehalten.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt
der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.
G r ü n d e :
Die Beschwerde der Beklagten ist begründet. Die Beklagte rügt zu Recht, dass das Beru-
fungsgericht seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts verletzt hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 3
i.V.m. § 86 Abs. 1 VwGO). Wegen dieses Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung
beruht, weist der Senat die Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO im Interesse der Verfahrens-
beschleunigung unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses an das Berufungsgericht
zurück.
Die Beklagte beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht seine Pflicht zur Aufklärung
des Sachverhalts dadurch verletzt hat, dass es den Lagebericht des Auswärtigen Amtes über
die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Irak vom 20. März 2002 zwar in seine
Erkenntnismittelliste aufgenommen, dessen Inhalt aber nicht zur Sachverhaltsaufklärung
herangezogen hat (Beschwerdebegründung S. 7 ff.). Wie der Senat in seinem Beschluss
vom 9. Mai 2003 (BVerwG 1 B 217.02) näher dargelegt hat, sind die mit Asylsachen befass-
ten Verwaltungsgerichte grundsätzlich gehalten, sich von Amts wegen zu vergewissern, ob
ein neuer Lagebericht zur Verfügung steht, der asylrechtlich erhebliche Änderungen der poli-
tischen Verhältnisse in dem betreffenden Land beschreibt. Der Senat hat in dem genannten
Beschluss den Vortrag der Beklagten, dass der Lagebericht vom 20. März 2002 neue Er-
kenntnisse des UNHCR Bagdad und des IKRK über die Anwendung des "Amnestie-Dekrets"
Nr. 110 vom 28. Juni 1999 enthalte, als zutreffend gewertet. Hierauf beruft sich die Beklagte
auch im vorliegenden Fall (Beschwerdebegründung S. 5). Die Beklagte rügt zu Recht, dass
der zitierte Lagebericht dem erkennenden Gericht zwar vorlag, dass aber eine Auswertung
seines Inhalts nicht erfolgt ist. Vielmehr beschränkt sich der angefochtene Beschluss auf die
Auswertung dreier Lageberichte, von denen der letzte vom 15. Februar 2001 datiert, und ent-
nimmt diesem eine "eindeutige Auskunftslage" (BA S. 6), obwohl der Bericht vom 20. März
2002 abweichende Erkenntnisse enthält. Die von der Beschwerde angefochtene
- 3 -
Berufungsentscheidung kann auf der unterlassenen Einbeziehung der im Lagebericht enthal-
tenen neuen Erkenntnisse beruhen. Die mangelnde Sachaufklärung führt daher zur Aufhe-
bung der angefochtenen Entscheidung.
Auf die von der Beschwerde weiter geltend gemachten Revisionszulassungsgründe kommt
es nicht mehr entscheidend an.
Mit Recht sieht die Beschwerde allerdings einen Gehörsverstoß im Sinne von § 108 Abs. 2
VwGO darin, dass dem angefochtenen Beschluss Feststellungen in anderen Entscheidungen
des Gerichtshofs, die nicht ordnungsgemäß in das Verfahren einbezogen wurden, zugrunde
gelegt wurden, so insbesondere über die Gefährdung zurückkehrender Iraker in UNHCR-
Lagern im Norden des Landes (Beschwerdebegründung S. 3 ff. <5>). Feststellungen, die in
einem anderen Gerichtsverfahren getroffen wurden - hier zur möglichen Kenntniserlangung
zentral-irakischer Behörden von einem aus ihrer Sicht rechtswidrigen Verhalten ihrer
Staatsangehörigen und der für diese daraus resultierenden Gefährdung (BA S. 8 unten) oder
auch zur Möglichkeit einer Verfolgungsgefahr wegen Asylantragstellung in Deutschland (BA
S. 5 unten) - unterliegen vor ihrer Übernahme als Tatsachenfeststellung dem Gebot, dazu
rechtliches Gehör zu gewähren (vgl. Beschluss vom 3. Mai 2002 - BVerwG 4 B 1.02 - ;
Urteil vom 12. Juli 2001 - BVerwG 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1 <5>; Beschluss vom
13. August 1998 - BVerwG 9 B 17.98 - ; Beschluss vom 17. März 1998 - BVerwG 9 B
264.98 - und bereits Urteil vom 1. Oktober 1985 - BVerwG 9 C 20.85 - Buchholz
402.25 § 1 AsylVfG Nr. 37 = InfAuslR 1986, 56 <57>).
Eckertz-Höfer Hund Prof. Dr. Dörig