Urteil des BVerwG vom 14.10.2004

Rechtliches Gehör, Festnahme, Hochzeit, Misshandlung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 35.04 (1 PKH 27.04)
VGH 6 UE 2279/97.A
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. Oktober 2004
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. M a l l m a n n und H u n d
beschlossen:
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe
wird abgelehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs
vom 24. November 2003 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird mangels Erfolgsaussicht der
Beschwerde abgelehnt (§ 166 VwGO, § 114 ZPO).
Die auf Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde bleibt
ohne Erfolg.
Die Beschwerde rügt zunächst eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103
Abs. 1 GG; Beschwerdebegründung S. 5 f.). Sie verweist auf ein Urteil des Verwal-
tungsgerichts Kassel, das Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sei.
Diesem Urteil zufolge sage die Tatsache, dass der Zeuge B. trotz einer Denunziation
von den türkischen Sicherheitskräften nicht behelligt worden sei, nichts darüber aus,
welchen Verfolgungsmaßnahmen ein aus der Bundesrepublik Deutschland ohne
gültigen Pass und "möglicherweise im Wege der Abschiebung" in die Türkei zurück-
kehrender, auf einem Video abgebildeter Hochzeitsgast - wie der Kläger - ausgesetzt
sein könnte. Es sei unter diesem Gesichtspunkt ein Gebot der Gewährung rechtli-
chen Gehörs gewesen, diese Frage in der mündlichen Verhandlung mit den Beteilig-
ten zu erörtern, um ihnen Gelegenheit zu geben, weitere Anträge zu dieser Frage
und zur Aufklärung der Gefährdungslage des Klägers im Rückkehrfall unter dem Ge-
sichtspunkt seiner Identifizierbarkeit auf dem "Hochzeitsvideo" zu stellen.
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Eine Gehörsverletzung wird damit und mit dem weiteren Vorbringen der Beschwerde
weder in einer den gesetzlichen Darlegungsanforderungen (§ 133 Abs. 3 Satz 3
VwGO) entsprechenden Weise aufgezeigt noch liegt sie tatsächlich vor. Aus dem
Recht auf rechtliches Gehör folgt - wie die Beschwerde nicht verkennt - keine allge-
meine Frage- und Aufklärungspflicht des Gerichts (vgl. BVerfGE 84, 188 <190>).
Auch in der Ausprägung, die dieses Recht in § 86 Abs. 3 VwGO gefunden hat, wird
dem Gericht keine umfassende Erörterung aller entscheidungserheblichen Gesichts-
punkte abverlangt. Die Beschwerde macht nicht ersichtlich, inwiefern hier aus-
nahmsweise eine Hinweispflicht des Berufungsgerichts bestanden haben soll. Ent-
gegen der Ansicht der Beschwerde konnte der Kläger nicht mangels Erörterung in
der mündlichen Verhandlung davon ausgehen, dass das Berufungsgericht die er-
wähnte Einschätzung des Verwaltungsgerichts und weiterer erstinstanzlicher Gerich-
te teilt und seiner Entscheidung zugrunde legt. Auch hat es der Kläger versäumt, sich
dadurch das vermisste Gehör zu verschaffen, dass er den zur Begründung der
Gehörsrüge formulierten Antrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengut-
achtens bzw. einer Auskunft im Berufungsverfahren nicht gestellt und damit auf eine
weitere Aufklärung der von ihm für maßgeblich angesehenen Umstände hingewirkt
hat.
Die Beschwerde macht auch nicht ersichtlich, inwiefern sich dem Berufungsgericht
die Einholung eines entsprechenden Sachverständigengutachtens hätte aufdrängen
müssen (Beschwerdebegründung S. 6 f.). In Wahrheit wendet sich die Beschwerde
mit ihrer Gehörs- und Aufklärungsrüge gegen die der Nachprüfung des Bundesver-
waltungsgerichts grundsätzlich entzogene Gefährdungsprognose, die das Beru-
fungsgericht in dem angefochtenen Urteil (UA S. 22/23) nachvollziehbar begründet
hat.
Die Beschwerde macht weiter geltend, bezüglich der Wertung des Gutachtens O.
beruhe das angegriffene Urteil auf einer Verletzung des Anspruchs auf Gewährung
rechtlichen Gehörs und einer unzureichenden Aufklärung des Sachverhalts (Be-
schwerdebegründung S. 7 ff.). Entgegen den Behauptungen des Berufungsgerichts
habe der Sachverständige O. sehr wohl begründet, "ob und warum es nach seiner
Auffassung im Zusammenhang mit der Identifizierung von Hochzeitsgästen auf den
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beschlagnahmten Videos zu Verhaftung, Misshandlung und Folter kommen" könnte.
Dies nehme das Berufungsgericht nicht zur Kenntnis.
Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs kann nur festgestellt werden, wenn sich die
mangelnde Kenntnisnahme aus besonderen Umständen des Falles deutlich ergibt.
Solche Umstände zeigt die Beschwerde nicht auf. Sie setzt sich nicht damit ausein-
ander, dass das Berufungsgericht ausgeführt hat, der Sachverständige O. gehe "da-
von aus, dass Teilnehmer an dieser Hochzeit im Falle einer Festnahme gefoltert
werden; ob und warum es aber überhaupt zu einer Festnahme kommen sollte, erklärt
O. nicht". Inwiefern das von der Beschwerde auszugsweise zitierte Gutachten eine
solche Erklärung - entgegen der wertenden Feststellung im Berufungsurteil -
enthalten soll, ist weder dargelegt noch ersichtlich. Die hierzu noch erhobene Aufklä-
rungsrüge (Beschwerdebegründung S. 8 f.) entspricht bereits nicht den gesetzlichen
Darlegungsvoraussetzungen. Sie legt insbesondere nicht dar, inwiefern sich dem
Gericht - von seinem rechtlichen und tatrichterlichen Erkenntnisstand aus - weitere
Aufklärungsmaßnahmen hätten aufdrängen müssen. Zur Wahrheit greift die Be-
schwerde auch hier nur die dem Tatsachengericht vorbehaltene Feststellung und
Würdigung des Sachverhalts an, ohne einen Verfahrensverstoß aufzuzeigen.
Entsprechendes gilt, soweit die Beschwerde schließlich geltend macht, die Darle-
gung des Berufungsgerichts, in Anbetracht der Tatsache, dass keine Einleitung eines
Strafverfahrens gegen einen Teilnehmer der Hochzeit bekannt geworden sei, obwohl
seither fünf Jahre vergangen seien und die Ermittlungsbehörden somit ent-
sprechende Zeit gehabt hätten (UA S. 23), beruhe ebenfalls auf einer unzureichen-
den Aufklärung des Sachverhalts (Beschwerdebegründung S. 9 f.). Auch insoweit
zeigt die Beschwerde nicht in einer den gesetzlichen Darlegungserfordernissen ent-
sprechenden Weise auf, dass sich dem Berufungsgericht eine Aufklärung hätte auf-
drängen müssen. Die Beschwerde setzt sich insoweit auch nicht mit dem weiteren
vom Berufungsgericht angeführten Indiz auseinander, dass sich der als Hochzeits-
gast identifizierte Zeuge B. ungehindert in der Türkei aufhalten konnte.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2
VwGO).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden
gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG a.F. (= 83 b AsylVfG i.d.F. des Kostenrechtsmoderni-
sierungsgesetzes vom 5. Mai 2004, BGBl I S. 718) nicht erhoben; der Gegenstands-
wert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG a.F. (vgl. § 60 RVG).
Eckertz-Höfer
Dr. Mallmann
Hund