Urteil des BVerwG vom 30.09.2005

Verfahrensmangel, Kosovo, Überprüfung, Unterlassen

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 34.05
OVG 13 A 1250/04.A
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. September 2005
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r ,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht R i c h t e r und die Richterin am
Bundesverwaltungsgericht B e c k
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für
das Land Nordrhein-Westfalen vom 30. Dezember 2004 wird
verworfen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die Beschwerde ist unzulässig.
Nach § 132 Abs. 2 VwGO ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache
grundsätzliche Bedeutung hat oder die Entscheidung der Vorinstanz von einer Ent-
scheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten
Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf
dieser Abweichung beruht oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vor-
liegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Im Beschwerdeverfahren ist die Prü-
fung gemäß § 133 Abs. 3 VwGO auf frist- und formgerecht vorgetragene Zulas-
sungsgründe beschränkt. Dabei muss mit der Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO) eine über den jeweiligen Einzelfall hinausgreifende, in verallgemeinerungs-
fähiger Weise im Interesse der Rechtseinheit oder der Fortentwicklung des Rechts
klärungsfähige und klärungsbedürftige konkrete Frage des revisiblen Rechts darge-
legt werden. Mit der Abweichungsrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) muss unter ge-
nauer Bezeichnung der höchstrichterlichen Entscheidung, von der das Berufungsge-
richt abgewichen sein soll, ein prinzipieller Auffassungsunterschied in einer Rechts-
frage aufgezeigt und dargetan werden, inwiefern die angegriffene Entscheidung
darauf beruhen soll. Bei einer Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist schließ-
lich der Bezeichnungspflicht nur genügt, wenn die Tatsachen schlüssig dargetan
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werden, die den geltend gemachten Verfahrensmangel ergeben, und es als möglich
erscheint, dass die angefochtene Entscheidung auf ihm beruht. Hinsichtlich aller Re-
visionszulassungsgründe stellt § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO auch Anforderungen an
die Klarheit, Verständlichkeit und Überschaubarkeit des Beschwerdevorbringens.
Die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde muss demzufolge eine Sichtung
und rechtliche Durchdringung des Streitstoffes durch den Prozessbevollmächtigten
und ein Mindestmaß an Geordnetheit des Vorbringens erkennen lassen (BVerwG,
Beschluss vom 19. August 1993 - BVerwG 6 B 42.93 - Buchholz 310 § 67 VwGO
Nr. 81). Dabei verlangt das Darlegen - das schon nach dem allgemeinen Sprach-
gebrauch im Sinne von "erläutern" und "erklären" zu verstehen ist (vgl. BVerwG,
Beschluss vom 9. März 1993 - BVerwG 3 B 105.92 - Buchholz 310 § 133 VwGO
Nr. 11; BFH, Beschluss vom 18. Januar 1968 - V B 45/67 - BFHE 90, 369 <370>) -
ebenso wie das gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderliche Bezeichnen ein
Mindestmaß an Klarheit, Verständlichkeit und Übersichtlichkeit der Ausführungen.
Gerade dies ist einer der Gründe dafür, dass die Nichtzulassungsbeschwerde dem
Anwaltszwang unterliegt. Welche Anforderungen dabei im Einzelnen zu stellen sind,
ist nach den jeweiligen Umständen zu beurteilen. Eine umfangreiche Beschwerde-
begründung entspricht jedenfalls dann nicht den formellen Erfordernissen, wenn die
Ausführungen zu den Zulassungsgründen in unübersichtlicher, ungegliederter, unkla-
rer, kaum auflösbarer Weise mit Einlassungen zu irrevisiblen oder für das Be-
schwerdeverfahren sonst unerheblichen Fragen vermengt sind. Es ist nicht Aufgabe
des Beschwerdegerichts, aus einem derartigen Gemenge das herauszusuchen, was
möglicherweise - bei wohlwollender Auslegung - zur Begründung der Beschwerde
geeignet sein könnte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Dezember 1972 - BVerwG
4 B 122.72 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 99). Eine solche Verpflichtung des Be-
schwerdegerichts lässt sich auch nicht aus Art. 19 Abs. 4 oder Art. 103 Abs. 1 GG
entnehmen (BVerfG, Beschluss vom 6. September 1983 - 1 BvR 237/83 - SozR 1500
§ 160 a SGG Nr. 48).
Die insgesamt 126 Seiten umfassende Beschwerdebegründung (Bl. 506 bis Bl. 630
der Gerichtsakten) wird den genannten Darlegungserfordernissen des § 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO nicht gerecht. Dies gilt insbesondere für die eigentlichen Ausführungen
der Beschwerde von Bl. 506 bis Bl. 535 der Gerichtsakten (anschließend folgt eine
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ca. 100 Seiten lange "Dokumentation" mit weiteren Einzelheiten zum Schicksal der
Klägerin und ihrer Familie sowie zu weiteren Fragen, insbesondere zur Rechtspre-
chung zur Versorgung von PTBS-Kranken im Kosovo). Eine Durchsicht dieser Aus-
führungen zeigt, dass es sich hierbei im Wesentlichen um revisionsrechtlich unbe-
achtlichen Tatsachenvortrag handelt, hinsichtlich dessen nicht hinreichend erkennbar
ist, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ihn auf seine Erheblichkeit für das
Beschwerdeverfahren überprüft hat. Der Prozessbevollmächtigte beschreibt immer
wieder neue Aspekte der posttraumatischen Belastungsstörung, auf die sich die aus
dem Kosovo stammende Klägerin als asylrechtliches Abschiebungshindernis beruft.
Der beschließende Senat ist aus den dargelegten Gründen nicht gehalten, dieses
Vorbringen näher daraufhin zu untersuchen, ob es möglicherweise Hinweise enthält,
die - bei wohlwollender Auslegung - revisionsrechtlich von Belang sein könnten.
Unabhängig davon genügen die sich verschiedentlich in der Begründungsschrift fin-
denden Ausführungen zu einzelnen Revisionszulassungsgründen auch inhaltlich
nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
Soweit die Beschwerde etwa rügt, das Berufungsgericht hätte die Berufung der Be-
klagten gegen das für die Klägerin positive Urteil gar nicht zulassen dürfen, verkennt
sie schon, dass die Zulassung der Berufung als unanfechtbare Vorentscheidung
nach § 173 VwGO, § 557 Abs. 2 ZPO einer Überprüfung durch das Bundesverwal-
tungsgericht grundsätzlich entzogen ist (vgl. Beschluss vom 30. Januar 2004
- BVerwG 1 B 9.04 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 32). Die Be-
schwerdebegründung macht in diesem Zusammenhang sinngemäß geltend
(Bl. 523 ff. der Gerichtsakten), die Frage, ob es zulässig sei, wenn die Beklagte in
zweiter Instanz mit einem Vorbringen kommt, das sie in erster Instanz schuldhaft
unterlassen hat, habe grundsätzliche Bedeutung. Auch dieser Revisionszulassungs-
grund ist nicht in einer Weise dargelegt, dass er die Zulassung der Revision rechtfer-
tigen könnte. Die Beschwerde geht nicht darauf ein, inwieweit die angesprochene
Problematik bereits Gegenstand der höchstrichterlichen Rechtsprechung gewesen
ist. Der Beschwerdebegründung lässt sich demnach auch nicht entnehmen, in wel-
cher Hinsicht die vorliegende Streitsache Anlass zu einer Weiterentwicklung dieser
Rechtsprechung geben könnte.
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Soweit die Klägerin weitere Divergenz- und Verfahrensrügen erhebt, ist nicht zu er-
kennen, dass diese Rügen auch nur im Ansatz den gesetzlichen Darlegungserfor-
dernissen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechen könnten. Dies gilt vor allem
für die Rüge, das Berufungsgericht hätte nicht im Beschlussverfahren nach § 130 a
VwGO entscheiden dürfen. Das Berufungsgericht hat in seiner Entscheidung darge-
legt, aus welchen Gründen es sich für diese Verfahrensweise entschieden hat. Hier-
auf geht die Beschwerde nicht näher ein. Im Übrigen wendet sich die Beschwerde
mit diesen Rügen in Wahrheit gegen die ihrer Ansicht nach unzutreffende Sachver-
halts- und Beweiswürdigung des Berufungsgerichts, ohne damit einen Zulassungs-
grund aufzuzeigen.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2
VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden ge-
mäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.
Eckertz-Höfer Richter Beck
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