Urteil des BVerwG vom 15.09.2006

Berg, Verfahrensmangel, Aserbaidschan, Gutachter

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 33.06
OVG 2 KO 898/03
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. September 2006
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck und den Richter am
Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Thüringer Oberverwaltungs-
gerichts vom 13. September 2005 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO) und einen Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Be-
schwerde der Klägerin hat keinen Erfolg.
1. Die Beschwerde hält die Frage für klärungsbedürftig,
ob für nicht aus Berg-Karabach stammende aserbaid-
schanische (aserische) Staatsangehörige und armenische
Volkszugehörige und deren Abkömmlinge, die nicht aus
Berg-Karabach stammen und dort keinerlei Verwandt-
schaft oder Bekanntschaft besitzen, bei einer erstmaligen
Einreise in die Region Berg-Karabach eine zumutbare in-
ländische Fluchtalternative besteht.
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Bei dieser Frage handelt es sich indes nicht - wie für die Zulassung der Revisi-
on wegen grundsätzlicher Bedeutung erforderlich - um eine Rechtsfrage, son-
dern es geht der Beschwerde, wie auch ihre weiteren Ausführungen zeigen, in
erster Linie um die Feststellung und Bewertung der tatsächlichen Verhältnisse
in Berg-Karabach. Diese ist aber nach der Prozessordnung den Tatsachenge-
richten vorbehalten und einer Klärung im Revisionsverfahren nicht zugänglich
(vgl. § 137 Abs. 2 VwGO). Auch soweit die Beschwerde auf abweichende ver-
waltungsgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der inländischen Fluchtalterna-
tive in Berg-Karabach verweist, führt ihr Vorbringen nicht auf unterschiedliche
rechtliche Ausgangspunkte, sondern auf eine abweichende Würdigung der
Auskunftslage. In Wahrheit wendet sich die Beschwerde damit gegen die ihrer
Ansicht nach unrichtige Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung des Beru-
fungsgerichts insbesondere im Hinblick auf die (verneinte) Gefährdung des
wirtschaftlichen Existenzminimums der Klägerin in der Region Berg-Karabach,
ohne damit eine rechtsgrundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO aufzuzeigen.
2. Soweit die Beschwerde als Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2
Nr. 3 VwGO eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1
VwGO) rügt, legt sie dies nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO genügenden Weise dar.
Die Beschwerde beanstandet, das Oberverwaltungsgericht habe es unterlas-
sen, zur vollständigen Aufklärung des Sachverhalts Frau Dr. S., Herrn Dr. K.
sowie Frau J. von der OSZE als Zeugen zu vernehmen, obwohl sich dem Beru-
fungsgericht dies hätte aufdrängen müssen. Insbesondere habe die Klägerin in
ihrem Schriftsatz vom 5. August 2005 ausdrücklich die Vernehmung der be-
nannten Personen als Zeugen, die mit ihren schriftlichen Stellungnahmen den
„offiziellen“ Verlautbarungen doch stark widersprächen, beantragt. Die Beweis-
aufnahme hätte zu dem Ergebnis geführt, dass die Region Berg-Karabach für
die Klägerin keine zumutbaren Lebensbedingungen und somit keine inländische
Fluchtalternative bieten könne. Damit und mit dem weiteren Vorbringen der
Beschwerde wird der behauptete Aufklärungsmangel nicht hinreichend auf-
gezeigt.
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Das Berufungsgericht hat sich mit den im Schriftsatz vom 5. August 2005 ange-
führten gutachtlichen Stellungnahmen der Frau Dr. S. vom 11. November 2004
und des Herrn Dr. K. vom 27. Juni 2004, die im Übrigen auch in der zuvor vom
Gericht übersandten Erkenntnismittelliste enthalten waren (Gerichtsakte
Bl. 137 R), in den Urteilsgründen auseinandergesetzt und dargelegt, warum
nach seiner Auffassung auch diese Stellungnahmen nicht der Annahme einer
inländischen Fluchtalternative für die Klägerin im Gebiet von Berg-Karabach
entgegenstehen (UA S. 18). Dass sich dem Berufungsgericht zusätzlich die
Vernehmung dieser beiden Personen sowie der Frau J. von der OSZE als Zeu-
gen hätte aufdrängen müssen, obwohl die anwaltlich vertretene Klägerin in der
Berufungsverhandlung einen entsprechenden Beweisantrag nicht mehr gestellt
hat, lässt sich der Beschwerde nicht entnehmen. Sie zeigt schon nicht - wie für
das Aufdrängen eines Zeugenbeweises erforderlich - auf, welche Wahrneh-
mungen die benannten Personen in Bezug auf welche Beweistatsachen (oder
die zu deren Ermittlung dienenden Hilfstatsachen oder Indiztatsachen) selbst
gemacht haben sollen (vgl. zu den Anforderungen an einen substantiierten
Zeugenbeweisantrag etwa Beschluss vom 22. August 2001 - BVerwG 1 B
95.01 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 249). Ebenso wenig legt die Be-
schwerde dar, dass etwaige in das Wissen der Zeugen gestellte Beweistatsa-
chen nach der insoweit allein maßgeblichen Rechtsauffassung des Berufungs-
gerichts entscheidungserheblich waren. Soweit mit der Beweisanregung der
Klägerin das Fehlen jeglicher staatlicher Unterstützung für Einwanderer aus
dem Ausland unter Beweis gestellt werden sollte, musste sich dem Berufungs-
gericht im Übrigen auch schon deshalb keine weitere Aufklärung aufdrängen,
weil es jedenfalls auch die Möglichkeit einer landwirtschaftlichen Subsistenz-
wirtschaft (ohne staatliche Förderung) für ausreichend hält, um eine inländische
Fluchtalternative zu bejahen (UA S. 18). Ferner setzt sich die Beschwerde we-
der damit auseinander, dass nach Auffassung des Berufungsgerichts nur sol-
che existenziellen Gefährdungen zu berücksichtigen sind, die für den betroffe-
nen Personenkreis an ihrem Herkunftsort in Aserbaidschan nicht bestünden
(UA S. 18), noch geht sie auf die Feststellungen zur nach wie vor äußerst
schlechten wirtschaftlichen Lage in Aserbaidschan ein (UA S. 15 f.).
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Die Beschwerde kann auch nicht dahin verstanden werden, dass sie jedenfalls
bezüglich der Frau Dr. S. und des Herrn Dr. K., deren schriftliche Gutachten
das Berufungsgericht in das Verfahren eingeführt hat, eine Verletzung des An-
spruchs der Klägerin auf Ladung dieser Personen als Sachverständige zum
Zweck der ergänzenden Befragung zu ihren gutachtlichen Stellungnahmen rü-
gen will. Sie macht nicht geltend, dass mit dem Schriftsatz vom 5. August 2005
eine solche ergänzende Befragung der benannten Personen als Gutachter
durch die Klägerin überhaupt beantragt worden ist. Außerdem würde das Vor-
bringen auch sonst nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO genügen. Die Beschwerde erwähnt schon nicht die einschlägigen
Bestimmungen des § 98 VwGO i.V.m. §§ 402, 397 oder § 411 Abs. 3 ZPO. Sie
setzt sich ferner nicht mit der Frage auseinander, ob diese Vorschriften auch
dann entsprechend anwendbar sind, wenn es sich - wie hier - um gutachtliche
Stellungnahmen handelt, die nicht im Ausgangsverfahren, sondern in einem
anderen Asylprozess eingeholt worden sind (vgl. hierzu auch Beschluss vom
3. Februar 1998 - BVerwG 9 B 109.98 - und § 411a ZPO). Auch wenn man dies
unterstellt, könnte sich die Klägerin im Beschwerdeverfahren im Übrigen nicht
mehr mit Erfolg auf einen etwaigen Verfahrensmangel berufen, weil sie in der
mündlichen Verhandlung am 9. August 2005 in Kenntnis der Tatsache, dass
das Gericht die Gutachter hierzu nicht geladen hatte, dies nicht gerügt, sondern
sich ohne weiteres auf die Verhandlung eingelassen hat (vgl. § 173 VwGO
i.V.m. § 295 Abs. 1 ZPO).
Soweit die Klägerin sich in der Beschwerdebegründung erstmals auf den ihr
erst jetzt zugänglich gewordenen Bericht der OSCE-Fact-Finding Mission vom
Februar 2005 beruft, handelt es sich um ein neues Erkenntnismittel, das im vor-
liegenden Verfahren nicht berücksichtigt werden kann.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten wer-
den gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus
§ 30 RVG.
Eckertz-Höfer Beck Prof. Dr. Dörig
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