Urteil des BVerwG vom 04.04.2007

Wahrscheinlichkeit, Irak, Wiederaufleben, Zukunft

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 32.07 (1 PKH 22.07)
OVG 10 A 10971/05
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. April 2007
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Richter und Prof. Dr. Dörig
beschlossen:
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskos-
tenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abge-
lehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
Rheinland-Pfalz vom 15. Dezember 2006 wird verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Dem Kläger kann die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, weil
seine Beschwerde - wie sich aus den nachstehenden Ausführungen ergibt -
keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO, § 114 ZPO).
Die Beschwerde ist unzulässig. Sie legt die geltend gemachten Zulassungs-
gründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und der Divergenz
nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechen-
den Weise dar.
1. Die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen rechtfertigen nicht die Zu-
lassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO.
a) Die Beschwerde hält zunächst die Frage für grundsätzlich bedeutsam, wel-
cher Prognosemaßstab zur Verfolgungsgefahr beim Widerruf der Asyl- und
Flüchtlingsanerkennung zugrunde zu legen ist (Beschwerdebegründung S. 1 ff.
Ziffer 1). Sie legt allerdings nicht - wie erforderlich - die Entscheidungserheb-
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lichkeit der aufgeworfenen Frage dar. Das Berufungsgericht ist zu dem Ergeb-
nis gekommen, dass der Kläger vor einem Wiederaufleben der Verfolgung
durch das frühere Regime im Irak und vor einer gleichartigen Verfolgung im
Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hinreichend sicher
ist (UA S. 24) und ihm auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfol-
gung aus anderen Gründen droht (UA S. 25 ff.). Die Beschwerde legt nicht
schlüssig dar, inwiefern dem Kläger bei Verwendung eines anderen Prognose-
maßstabs nach den - von der Beschwerde nicht mit durchgreifenden Zulas-
sungsrügen angegriffenen - tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts
Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 bis 3 AufenthG drohen könnte. Die
Beschwerde erwähnt zwar die „höchst instabile Lage im Irak“, die mangelnde
Vorhersehbarkeit „welche Regierungsform unter welcher religiösen Führung
den Irak in Zukunft beherrschen“ werde und ob die Regierung schutzfähig und -
willig „in Bezug auf sämtliche verschiedenen Religionen und Ethnien“ sein
werde (Beschwerdebegründung S. 2). Damit wird aber eine dem Kläger dro-
hende Verfolgung nicht hinreichend substantiiert dargelegt.
Im Übrigen hat der Senat die Frage des Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bei
Widerrufsentscheidungen nach § 73 AsylVfG durch sein Urteil vom 18. Juli
2006 - BVerwG 1 C 15.05 - BVerwGE 126, 243; NVwZ 2006, 1420) weiter ge-
klärt. Wie die Beschwerde zutreffend ausführt, wurde in dem Urteil vom
1. November 2005 noch offengelassen, welcher Prognosemaßstab beim Wi-
derruf gilt, wenn für die Zukunft befürchtete Verfolgungsmaßnahmen keinerlei
Verknüpfung mehr mit den früheren aufweisen, die zur Anerkennung geführt
haben (vgl. Urteil vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124,
276; juris, Rn. 17). Der Senat wendet nach seinem Urteil vom 18. Juli 2006
nunmehr den Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit an, wenn dem Be-
troffenen keine Verfolgungswiederholung im engeren Sinne droht, sondern eine
gänzlich neue und andersartige Verfolgung, die in keinem inneren Zusammen-
hang mit der früheren mehr steht.
b) Die Beschwerde hält weiter die Frage für klärungsbedürftig, unter welchen
Voraussetzungen ein Zusammenhang „zwischen der seinerzeit erfolgten Ver-
folgung und der heutigen Gefahr der Verfolgung“ besteht (Beschwerdebegrün-
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dung S. 5 f. Ziffer 2). Auch insoweit fehlt es an der Darlegung der Entschei-
dungserheblichkeit der Frage, denn die Beschwerde zeigt keine Verfolgung im
Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 bis 3 AufenthG auf, die dem Kläger nach den
Feststellungen des Berufungsgerichts droht. Im Übrigen ist - wie bereits ausge-
führt - durch das Urteil des Senats vom 18. Juli 2006 geklärt, dass es an einem
solchen Zusammenhang fehlt, wenn dem Kläger eine gänzlich neue und an-
dersartige Verfolgung droht, die keine innere Verbindung mit der früheren mehr
aufweist, während ein Zusammenhang zu bejahen ist, wenn ein Wiederaufle-
ben der ursprünglichen Verfolgung oder das erhöhte Risiko einer gleichartigen
Verfolgung droht. Einen weitergehenden oder erneuten Klärungsbedarf in die-
ser Frage zeigt die Beschwerde nicht auf.
c) Die Beschwerde sieht weiter für die „Frage der Verfolgungsgefahr durch
nichtstaatliche Akteure“ grundsätzlichen Klärungsbedarf (Beschwerdebegrün-
dung S. 6 ff. Ziffer 4). Sie rügt, dass das Berufungsgericht die vom Bundesver-
waltungsgericht in seinem Urteil vom 18. Juli 2006 geforderte Übertragung sei-
ner für die unmittelbare und mittelbare staatliche Gruppenverfolgung entwickel-
ten Grundsätze auf die private Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure nicht
beachtet habe. Im Falle des Klägers habe das Gericht danach prüfen müssen,
ob „diese private Gruppenverfolgung mit der Regelvermutung individueller Be-
troffenheit die erforderliche Verfolgungsdichte aufweist“ (Beschwerdebegrün-
dung S. 7). Das Gericht habe hingegen keine genauen Feststellungen über Art,
Umfang und Gewicht der Verfolgungshandlungen getroffen und diese auch
nicht zur Zahl der Übergriffe in Bezug gesetzt. Die Beschwerde zeigt nicht auf,
dass und inwiefern sich aus diesen Angriffen gegen das Berufungsurteil ein
Grund zu erneuter oder weitergehender Klärung der im genannten Urteil vom
18. Juli 2006 entwickelten Grundsätze für die Gruppenverfolgung durch nicht-
staatliche Akteure ergeben sollte. Vielmehr wendet sich die Beschwerde der
Sache nach gegen die Tatsachen- und Beweiswürdigung des Berufungsge-
richts im vorliegenden Fall, wonach der Kläger als sunnitischer Araber auch von
nichtstaatlichen Akteuren keine asylrelevante Verfolgung mit beachtlicher
Wahrscheinlichkeit zu befürchten habe (UA S.25 ff.). Damit kann sie eine
grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht be-
gründen.
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2. Das Vorbringen in Ziffer 3 der Beschwerdebegründung (S. 6 f.) rechtfertigt
auch nicht die Zulassung der Revision wegen einer Divergenz nach § 132
Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Denn die Beschwerde zeigt weder einen Rechtssatz des
Bundesverwaltungsgerichts auf, von dem das Berufungsgericht abgewichen ist,
noch legt es die Entscheidungserheblichkeit der behaupteten Abweichung dar.
In dem in Bezug genommenen Urteil vom 1. November 2005 hat der Senat je-
denfalls keinen Rechtssatz des Inhalts aufgestellt, die Richtlinie 2004/83/EG sei
bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist anwendbar. Auch wird nicht erkennbar,
welche Vorschrift in der Richtlinie für welche zur Entscheidung anstehende
Rechtsfrage von Bedeutung sein soll. Mit einer behaupteten Abweichung, deren
Bedeutung für den zu entscheidenden Rechtsstreit nicht aufgezeigt wird, lässt
sich eine Revisionszulassung nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht erreichen.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten wer-
den gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus
§ 30 RVG.
Eckertz-Höfer Richter Prof. Dr. Dörig
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