Urteil des BVerwG vom 11.09.2003

Politische Verfolgung, Syrien, Abschiebung, Heimatstaat

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 32.03 (1 PKH 6.03)
OVG 3 L 518/98
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. September 2003
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht R i c h t e r und Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:
Der Antrag des Klägers, ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen
und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Lan-
des Sachsen-Anhalt vom 9. Oktober 2002 wird verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Dem Kläger kann die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden; denn die
von ihm beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet aus den nachstehenden Gründen
keine Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO i.V.m. den §§ 114 und 121 Abs. 1 ZPO).
Die Beschwerde ist unzulässig. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der Di-
vergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechts-
sache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind nicht in einer Weise dargelegt, die den Anfor-
derungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt.
Die Beschwerde beanstandet zunächst, dass das Berufungsurteil von dem Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 6. August 1996 - BVerwG 9 C 172.95 (nicht
127.95) - (BVerwGE 101, 328 ff.) abweiche. Nach dieser Entscheidung sei nicht nur
bezüglich der Asylgewährung, sondern auch hinsichtlich der Schutzgewährung nach
§ 51 Abs. 1 AuslG die Frage der politischen Verfolgung in erster Linie im Verhältnis
zum Heimatstaat des Asylbewerbers zu prüfen, also zu dem Staat, dessen Staats-
angehörigkeit er besitzt. Dagegen habe das Berufungsgericht sinngemäß den davon
divergierenden Rechtssatz aufgestellt, politische Verfolgung müsse mit Blick auf den
Verfolgerstaat geprüft werden; dies müsse nicht stets der Staat sein, dessen Staats-
angehörigkeit der Asylbewerber besitze. Damit ist eine Divergenz im Sinne des § 132
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Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht hinreichend dargetan. Der angeführten Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts lässt sich ein Rechtssatz des Inhalts, wie die Be-
schwerde ihn wiedergibt, nicht entnehmen, denn die Entscheidung äußert sich nicht
dazu, hinsichtlich welcher Staaten die Gewährung von Abschiebungsschutz nach
§ 51 Abs. 1 AuslG zu prüfen ist. Vielmehr trifft sie eine den Asyl- und Flüchtlings-
schutz einschränkende Aussage dahin, dass ein politisch Verfolgter nur solange
schutzlos ist, als er nicht anderweitig wirksamen Schutz genieße. Verfolge ihn sein
- mit dem Staat seiner Staatsangehörigkeit nicht identischer - Aufenthaltsstaat, be-
seitige die Schutzgewährung durch den Heimatstaat seine Schutzlosigkeit (a.a.O.,
S. 335). Einen Rechtssatz des Inhalts, dass zusätzlich zu der Verfolgungsgefahr im
Herkunftsstaat (hier: Syrien) immer auch eine etwaige Verfolgungsgefahr in einem
anderen Staat (hier: Türkei) zu prüfen sei, dessen Staatsangehörigkeit der Ausländer
besitzen will, enthält die von der Beschwerde zitierte Entscheidung des Bundesver-
waltungsgerichts nicht.
Die Beschwerde legt im Übrigen auch nicht dar, dass die aufgeworfene Frage für das
Berufungsgericht entscheidungserheblich gewesen ist. Denn das Berufungsgericht
hat bereits eine dem Kläger in dessen Herkunftsstaat Syrien drohende Verfol-
gungsgefahr verneint (UA S. 7 ff.), so dass es unter Zugrundelegung der genannten
Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts für das Berufungsgericht nicht darauf
ankam, ob der Kläger Schutz in dem Staat mit der von ihm inzwischen geltend ge-
machten (türkischen) Staatsangehörigkeit erlangen könnte. Hinsichtlich einer etwai-
gen Abschiebung des Klägers in die Türkei hat das Berufungsgericht ausgeführt,
eine derartige Abschiebung sei bisher nicht angedroht und könne im Übrigen erst
dann durchgeführt werden, wenn in einem weiteren Verfahren die Abschiebungshin-
dernisse - auch gemäß § 51 Abs. 1 AuslG - für die Türkei geprüft worden seien (UA
S. 6).
Die Beschwerde hält ferner die Frage für rechtsgrundsätzlich bedeutsam, "ob Prü-
fungsgegenstand hinsichtlich § 51 AuslG grundsätzlich das Land der Staatsangehö-
rigkeit ist oder Prüfungsgegenstand hinsichtlich dieser Bestimmung ausschließlich
der in der Abschiebungsandrohung benannte Zielstaat ist, auch wenn es sich nicht
um den Staat der Staatsangehörigkeit handelt". Damit ist der Revisionszulassungs-
grund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gleichfalls nicht ordnungs-
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gemäß bezeichnet. Abgesehen davon, dass die Beschwerde damit keine hinreichend
konkrete Rechtsfrage benennt, macht sie nicht ersichtlich, dass sich der an-
gesprochene Fragenkomplex in einem Revisionsverfahren stellen würde. Der Kläger,
der bis zu seiner Ausreise ausschließlich in Syrien gelebt und nach seiner Darstel-
lung dort politische Verfolgung erfahren hat, hat sich im vorliegenden Verfahren auf
politische Verfolgung durch Syrien bezogen und sich gegen die Androhung seiner
Abschiebung nach Syrien gewendet. Die Beschwerde legt nicht dar, aus welchen
- entscheidungserheblichen - tatsächlichen oder rechtlichen Gründen das Beru-
fungsgericht oder das Revisionsgericht Anlass (gehabt) haben soll, sich mit einer
politischen Verfolgung des Klägers seitens der Türkei zu befassen. Da sich bereits
unmittelbar aus dem Gesetz (vgl. §§ 50 Abs. 2, 51 Abs. 4 AuslG) ergibt, dass Ziel-
staat einer Abschiebung nicht nur der Staat sein kann, dessen Staatsangehörigkeit
der Ausländer besitzt, sondern auch ein anderer Staat, in dem ihm nicht die in § 51
Abs. 1 AuslG und § 53 Abs. 1 und 4 AuslG bezeichneten Gefahren drohen (vgl. auch
Beschluss vom 29. Juni 1998 - BVerwG 9 B 604.98 - juris), folgt daraus im Übrigen
auch, dass der Prüfungsgegenstand bei § 51 AuslG nicht abstrakt und unabhängig
vom Verfolgungsschicksal durch das Land der (möglichen) Staatsangehörigkeit be-
stimmt wird.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden ge-
mäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus
§ 83 b Abs. 2 AsylVfG.
Eckertz-Höfer Richter Prof. Dr. Dörig