Urteil des BVerwG vom 17.02.2015

Verfahrensmangel, Emrk, Beschwerdeschrift, Kuba

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 3.15
OVG 2 B 11.13
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. Februar 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rudolph
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
Berlin-Brandenburg vom 14. Oktober 2014 wird verworfen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie legt die geltend gemachten Revisionszu-
lassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO), der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und der Verfahrens-
mängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) nicht in einer Weise dar, die den Anforde-
rungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt.
1. Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen.
Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache setzt die
Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch nicht geklärten und für
die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und
außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinaus-
gehende Bedeutung bestehen soll (BVerwG, Beschlüsse vom 30. Januar
2014 - 5 B 44.13 - juris und vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310
§ 133 VwGO Nr. 26 S. 14). Die Begründungspflicht verlangt, dass sich
die Beschwerde mit den Erwägungen der angefochtenen Entscheidung, auf die
sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht,
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substantiiert auseinandersetzt. Soweit sich die Vorinstanz mit der Frage be-
schäftigt hat, gehört zu der erforderlichen Durchdringung des Prozessstoffs die
Erörterung sämtlicher Gesichtspunkte, die im Einzelfall für die Zulassung der
Revision rechtlich Bedeutung haben (BVerwG, Beschluss vom 30. Januar
2014 - 5 B 44.13 - juris Rn. 2). Diesen Anforderungen genügt das Beschwerde-
vorbringen nicht.
Die Kläger halten für grundsätzlich klärungsbedürftig,
"ob das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom
19. Dezember 2013 - C-84/12 -, wonach die Erteilung ei-
nes einheitlichen Visums nicht in Betracht kommt, wenn
begründete Zweifel an der Absicht des Antragstellers, das
Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vor Ablauf der Gültigkeit
des beantragten Visums zu verlassen, auch auf verheira-
tete Antragsteller anzuwenden ist."
und
"ob nicht eine Besuchserlaubnis gemäß Art. 6 GG, Art 8
EMRK und Art. 7 GR-Charta erteilt werden muss, wenn
die Ehe ansonsten nicht mehr ausgeübt werden kann."
Das Beschwerdevorbringen lässt bereits nicht erkennen, dass diese Fragen
entscheidungserheblich sind. Denn das Berufungsgericht (UA S. 9) ist davon
ausgegangen, dass die aus Art. 32 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 Visakodex abzu-
leitenden Erteilungsvoraussetzungen für ein für das gesamte Hoheitsgebiet der
Mitgliedstaaten gültiges einheitliches Visum keiner Abwägung mit den durch
Art. 6 GG geschützten Belangen unterliegen. Damit hat sich das Berufungsge-
richt der Rechtsprechung des Senats in seinem Urteil vom 15. November 2011
(- 1 C 15.10 - NVwZ 2012, 976 Rn. 19) angeschlossen, wonach der Schutz von
Ehe und Familie vielmehr bei der Erteilung eines auf das Hoheitsgebiet der
Bundesrepublik Deutschland räumlich beschränkten Visums gemäß Art. 25
Visakodex zu berücksichtigen ist. Für das Berufungsgericht war mithin nicht
entscheidungserheblich, ob mit Blick auf den besonderen Schutz familiärer Be-
ziehungen nach Art. 6 GG, Art. 8 EMRK und Art. 7 GR-Charta die Erteilung ei-
nes einheitlichen Visums geboten war.
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2. Soweit in der Beschwerde eine Abweichung der angegriffenen Entscheidung
von zwei Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteile
vom 4. September 2012 - 10 C 12.12 - und vom 11. Januar 2011 - 1 C 1.10 -)
und einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19. Dezember 2013
(- Rs. C-84/12 -) gerügt wird, wird ebenfalls nicht in der erforderlichen Weise ein
Zulassungsgrund im Sinne vom § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO dargelegt.
Eine die Revisionszulassung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO rechtfertigende
Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend
bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochte-
ne Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vor-
instanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder ei-
nes anderen in der Vorschrift genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen
entscheidungstragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift
widersprochen hat (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. Dezember 2005 - 1 B
37.05 - juris und vom 21. Juni 1995 - 8 B 61.95 - Buchholz 310 § 133
VwGO Nr. 18). Die nach Auffassung des Beschwerdeführers divergierenden
Rechtsätze müssen einander präzise gegenübergestellt werden (stRspr,
BVerwG, Beschlüsse vom 17. Dezember 2010 - 8 B 38.10 - ZOV 2011, 45 und
vom 20. Dezember 1995 - 6 B 35.95 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO
Nr. 9). Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von
Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht (oder der Gemeinsame Senat
der obersten Bundesgerichte oder das Bundesverfassungsgericht) in der
Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer
Divergenzrüge nicht (BVerwG, Beschlüsse vom 8. Dezember 2005 - 1 B
37.05 - juris und vom 17. Januar 1995 - 6 B 39.94 - Buchholz 421.0 Prüfungs-
wesen Nr. 342).
So liegt der Fall hier. Die Kläger rügen die mangelhafte Umsetzung der Urteile
des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. September 2012 (- 10 C 12.12 -) und
vom 11. Januar 2011 (- 1 C 1.10 -) und machen hierzu weitere Ausführungen,
ohne dazulegen, mit welchem abstrakten, die angefochtene Entscheidung tra-
genden Rechtssatz das Berufungsgericht bestimmten Rechtssätzen der Ent-
scheidung des Bundesverwaltungsgerichts widerspräche. Letztlich erschöpft
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sich die Beschwerde darin, die Entscheidung des Berufungsgerichts als rechts-
fehlerhaft anzugreifen. Damit kann sie die Zulassung der Revision nicht errei-
chen. Gleiches gilt, soweit sie eine Divergenz von dem Urteil des Gerichtshofs
der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (- Rs. C-84/12 -) geltend
macht. Fraglich ist bereits, ob Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäi-
schen Union überhaupt divergenzfähig sind, weil der Gerichtshof der Europäi-
schen Union nicht zu den in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO angeführten Gerichten
gehört (verneinend: BVerwG, Beschlüsse vom 26. Januar 2010 - 9 B 40.09 -
Buchholz 401.68 Vergnügungssteuer Nr. 48 Rn. 2 und vom 23. Januar 2001
- 6 B 35.00 - juris Rn. 10). Unabhängig hiervon fehlt es an jeglichen Ausführun-
gen in der Beschwerdeschrift dazu, worin die Abweichung von dieser Entschei-
dung bestehen soll.
3. Die Beschwerde genügt auch hinsichtlich der von ihr gerügten Verfahrens-
verstöße nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist nur dann hin-
reichend bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden
Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird.
Hinsichtlich des von der Beschwerde behaupteten Verstoßes gegen den Amts-
ermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) muss dementsprechend substantiiert
dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbe-
darf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklä-
rungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächli-
chen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklä-
rung voraussichtlich getroffen worden wären; weiterhin muss entweder darge-
legt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesonde-
re in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklä-
rung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass
sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwir-
ken von sich aus hätten aufdrängen müssen (BVerwG, Beschlüsse vom 8. Ja-
nuar 2015 - 1 B 23.14 - und vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310
§ 133 VwGO Nr. 26 m.w.N.).
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Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht. Sie rügt, das Berufungs-
gericht habe nicht aufgeklärt, inwieweit es für die Klägerin zu 1 zumutbar sei,
unter ihren Umständen in Kuba Deutsch zu lernen, und auch keinen Hinweis
erteilt, dass die Klägerin zu 1 dazu weitere Ausführungen machen solle. Insbe-
sondere sei nicht darauf hingewiesen worden, dass die Klägerin zu 1 auch zu
ihren Bemühungen, in der Provinzhauptstadt Holguin Deutsch zu lernen, Anga-
ben machen solle. Die Beschwerde legt bereits nicht dar, dass und welche kon-
kreten Aufklärungsmaßnahmen sich dem Berufungsgericht in diesem Zusam-
menhang hätten aufdrängen müssen und zu welchen Feststellungen sie vo-
raussichtlich geführt hätten. Abgesehen davon wäre der gerügte Verfahrens-
mangel auch nicht entscheidungserheblich. Denn das Berufungsgericht (UA
S. 11 f.) hat offengelassen, ob es der Klägerin zu 1 zumutbar wäre, in Holguin
oder in Havanna Deutschkurse zu besuchen; sie habe jedenfalls nicht darge-
legt, dass es ihr unzumutbar oder unmöglich wäre, sich die erforderlichen
Deutschkenntnisse im Eigenstudium unter Verwendung entsprechender Unter-
richtsmaterialien anzueignen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfest-
setzung folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Prof. Dr. Berlit
Prof. Dr. Dörig
Dr. Rudolph
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