Urteil des BVerwG vom 08.05.2014

Arglistige Täuschung, Rücknahme, Aufenthaltserlaubnis, Lebensgemeinschaft

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 3.14
OVG 2 L 14/12
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. Mai 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft
und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
beschlossen:
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
des Landes Sachsen-Anhalt vom 23. Januar 2014 wird
verworfen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 10 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde, mit der eine Abweichung des Berufungsurteils von Entschei-
dungen des Bundesverwaltungsgerichts (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) geltend
gemacht wird, hat keinen Erfolg.
Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz zu
einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist nur dann im Sinne des
§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde ei-
nen inhaltlich bestimmten, das angefochtene Berufungsurteil tragenden ab-
strakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtspre-
chung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten und seine Entscheidung
tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen
hat. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von
Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung
aufgestellt hat, reicht nicht aus (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG
7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14 = NJW 1997, 3328
m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht.
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1. Die Beschwerde rügt, das Berufungsgericht sei von dem Urteil des Senats
vom 17. Dezember 2002 - BVerwG 1 C 3.02 - (BVerwGE 117, 276 = Buchholz
402.25 § 70 AsylVfG Nr. 2 S. 2) abgewichen, und stützt sich dazu auf folgende
Passage aus den Entscheidungsgründen (a.a.O. S. 282 bzw. S. 6):
„... Sind die Voraussetzungen des § 70 Abs. 1 AsylVfG
gegeben, so kann die Ausländerbehörde je nach den Um-
ständen des Einzelfalles die - nach § 34 Abs. 1 AuslG für
längstens zwei Jahre zu erteilende - Aufenthaltsbefugnis
auch für einen nur kurzen Zeitraum erteilen, wenn mit ei-
nem Wegfall der für ihre Erteilung maßgeblichen Gründe
zu rechnen ist. Sie kann weiter die Aufenthaltsbefugnis
nach § 12 Abs. 2 Satz 2 AuslG nachträglich zeitlich be-
schränken, wenn eine für ihre Erteilung wesentliche Vo-
raussetzung entfallen ist. Ferner kann ein Widerruf der
Aufenthaltsbefugnis nach § 43 AuslG oder deren Rück-
nahme (vgl. auch Urteil vom 23. Mai 1995 - BVerwG 1 C
3.94 - BVerwGE 98, 298, 304) in Betracht kommen. Da-
rüber hinaus kann sich die Ausländerbehörde bei fortbe-
stehenden Zweifeln an der Identität und Staatsangehörig-
keit mit der Anregung an das Bundesamt wenden, die
Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG gemäß § 73 AsylVfG
zu widerrufen oder zurückzunehmen (vgl. zu § 73 AsylVfG
Urteil vom 19. September 2000 - BVerwG 9 C 12.00 -
BVerwGE 112, 80). …“
Dazu macht sie geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe dadurch, dass es
bei Zweifeln an der Identität und Staatsangehörigkeit des anerkannten Flücht-
lings die Rücknahme der Aufenthaltsbefugnis in Betracht gezogen habe, die
Rücknahmemöglichkeit einer gemäß § 70 AsylVfG a.F. erteilten Aufenthaltsbe-
fugnis grundsätzlich eröffnet. Zu diesem Grundsatz setze sich das Berufungs-
gericht in Widerspruch. Denn es habe im Berufungsurteil (der Sache nach) den
Rechtssatz aufgestellt, dass in den Fällen des § 70 Abs. 1 AsylVfG a.F., in de-
nen sich nachträglich herausstellt, dass die Identität des Ausländers falsch war,
kein von Anfang an rechtswidriger Aufenthaltstitel gegeben sei, der nach § 48
VwVfG zurückgenommen werden könne, wenn eine entgegenstehende binden-
de Entscheidung des Bundesamtes vorliege. Damit habe es im Widerspruch zu
der Entscheidung des Senats die Anwendbarkeit des § 48 VwVfG für derartige
Fallkonstellationen rechtsgrundsätzlich ausgeschlossen. Dieses Vorbringen
genügt nicht den Darlegungsanforderungen an eine Divergenzrüge.
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Die Beschwerde übersieht bereits, dass der von ihr angeführte Satz aus dem
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Dezember 2012, in dem der Se-
nat u.a. eine Rücknahme der Aufenthaltsbefugnis gemäß § 70 AsylVfG a.F. in
Betracht zieht, kein Rechtssatz ist, auf dem das Revisionsurteil beruht. Der Se-
nat hat in diesem Teil der Entscheidungsgründe lediglich zur Abrundung seiner
Erwägungen der Ausländerbehörde verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt, mit
denen sie unter den damaligen rechtlichen Rahmenbedingungen Zweifeln an
der Identität und Staatsangehörigkeit eines anerkannten Flüchtlings nach der
gemäß § 70 AsylVfG a.F. gebotenen Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis be-
gegnen konnte. Aus dem Kontext der Entscheidungsgründe („… je nach den
Umständen des Einzelfalles …“) wird deutlich, dass der Hinweis des Senats auf
die Rücknahmemöglichkeit nur eine unter mehreren möglichen Vorgehenswei-
sen benennt, ohne jedoch als richterrechtlicher Rechtssatz abschließend und
verbindlich festzulegen, ob und in welcher Fallkonstellation die Rücknahmevo-
raussetzungen gegeben sind.
2. Die Beschwerde rügt ferner, das Berufungsgericht habe sich in Widerspruch
zu dem Urteil des Senats 23. Mai 1995 - BVerwG 1 C 3.94 - (BVerwGE 98, 298
= Buchholz 402.240 § 12 AuslG 1990 Nr. 3 S. 4) gesetzt. Dort habe der Senat
entschieden, dass bei einer durch arglistige Täuschung erwirkten Aufenthalts-
erlaubnis aufgrund einer Scheinehe die Rücknahme des Aufenthaltstitels nach
§ 48 VwVfG berechtigt sei. Es liege ein vergleichbarer Fall vor, da auch hier die
Aufenthaltstitel durch arglistige Täuschung über die Identität und Staatsangehö-
rigkeit des Klägers erwirkt worden seien.
Auch mit diesem Vorbringen genügt die Beschwerde nicht den Darlegungsan-
forderungen an eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 133
Abs. 3 Satz 3 VwGO. Denn sie stellt nicht - wie für eine zulässige Divergenzrü-
ge unverzichtbar (Beschluss vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B 35.95 -
Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 9 S. 11 <14> = NVwZ-RR 1996,
712 <713>) - einander widersprechende Rechtssätze in Anwendung derselben
Rechtsvorschrift gegenüber. Mit der Annahme, aus der vom Senat gebilligten
Rücknahme einer auf der Grundlage des § 23 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 17 Abs. 1
AuslG 1990 erteilten Aufenthaltserlaubnis wegen Täuschung über die beabsich-
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tigte Herstellung einer ehelichen Lebensgemeinschaft ergebe sich, dass auch
andere Aufenthaltstitel, die auf anderen Rechtsgrundlagen beruhen, wegen
Täuschung zurückgenommen werden könnten, wird eine Divergenz nicht ein-
mal im Ansatz dargetan.
3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfest-
setzung folgt aus § 47 Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.
Prof. Dr. Berlit
Prof. Dr. Kraft
Fricke
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