Urteil des BVerwG vom 05.09.2006

Politische Verfolgung, Religion, Ethnie, Rasse

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 1 B 29.05
OVG 21 A 1365/00.A
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. September 2006
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann und Richter
beschlossen:
Die Beschwerde des Beigeladenen gegen die Nichtzulas-
sung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsge-
richts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. De-
zember 2004 wird zurückgewiesen.
Der Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet.
Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für
die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen
Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts
revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133
Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die
für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und einen Hinweis auf den
Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll.
Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisions-
entscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten
fallübergreifenden Rechtsfrage führen kann.
Aus der Beschwerde folgt nicht, dass der Rechtssache grundsätzliche Bedeu-
tung zukommt. Sie wirft die Frage auf, „ob Maßnahmen eines Staates mit asyl-
unerheblicher Zielsetzung, etwa mit dem Ziel der Terrorismusabwehr, auch
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wenn sie nicht unangemessen zum Erreichen des asylunerheblichen Zieles
etwa zum Zwecke der Terrorismusabwehr sind, politische Verfolgung darstellen,
wenn diese Maßnahmen nur Mitglieder einer nach asylrelevanten Merkmalen
- etwa der Volkszugehörigkeit - bestimmten Gruppe treffen und wenn diese
Maßnahmen die für die Annahme einer politischen Verfolgung erhebliche Ein-
griffsintensität aufweisen“. Die Beschwerde macht u.a. geltend, nach der im
angefochtenen Urteil vertretenen Rechtsansicht liege eine an asylerhebliche
Merkmale anknüpfende zielgerichtete Verfolgung dann vor, wenn die Verfol-
gung „wegen“ eines Asylmerkmals erfolge. Von dieser Gleichsetzung ausge-
hend werde in dem angefochtenen Urteil dann auf die erkennbare Gerichtetheit
der in Rede stehenden Maßnahmen gegen Tamilen abgestellt und ausgeführt,
dass die Maßnahmen der Terrorismusabwehr dienten, sie aber nicht die
Schlechterstellung der Tamilen bezweckten. Diese Gleichsetzung sei aber un-
zutreffend. Entgegen der im angefochtenen Urteil vertretenen Rechtsauffas-
sung liege eine an asylerhebliche Merkmale anknüpfende, zielgerichtete Ver-
folgung vor.
Diesem und dem weiteren Vorbringen der Beschwerde ist ein rechtsgrundsätz-
licher Klärungsbedarf nicht zu entnehmen. Die Beschwerde wendet sich gegen
die ihrer Ansicht nach unzutreffende tatsächliche und rechtliche Würdigung in
dem Berufungsurteil. Damit kann sie die Zulassung der Revision nicht errei-
chen. Unabhängig davon ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-
richts und des erkennenden Senats bereits anerkannt, dass Maßnahmen trotz
der Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale aus dem Bereich politischer Ver-
folgung herausfallen können, wenn sie der staatlichen Selbstverteidigung oder
dem Schutz von Rechtsgütern dienen. Dies gilt insbesondere für Maßnahmen,
die der Staat im Bereich der Terrorismusabwehr ergreift, wenn und soweit er
sich dabei auf die Abwehr des Terrorismus beschränkt und nicht unter dem
Deckmantel behaupteter Terrorismusbekämpfung politische Verfolgung be-
treibt. Derartige Maßnahmen können repressiver oder präventiver Natur sein.
Sie müssen sich, um asylunerheblich zu sein, nicht notwendig gegen konkret
Tatverdächtige richten, sondern können auch Unbeteiligte treffen, soweit sie
terroristischen Aktivitäten vorbeugen oder diese aufklären sollen. Dies kann
auch die Möglichkeit einschließen, Unbeteiligte kurzfristig in Haft zu nehmen,
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um z.B. ihre Identität zu überprüfen (vgl. BVerfGE 80, 315 <336 ff.>; BVerfG,
Kammerbeschluss vom 15. Februar 2000 - 2 BvR 752/97 - InfAuslR 2000, 254;
Urteil vom 25. Juli 2000 - BVerwG 9 C 28.99 - BVerwGE 111, 334 <338 ff.>).
Welche Abwehrmaßnahmen im Einzelnen bei objektiver, wertender Betrachtung
noch als „legitim“ und dem Rechtsgüterschutz dienend anzuerkennen sind mit
der Folge, dass sie nach ihrem äußeren Erscheinungsbild aus dem Bereich
politischer Verfolgung herausfallen, entzieht sich einer abstrakten Festlegung.
Diese Frage kann letztlich nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles
beurteilt werden. In jedem Fall bedarf es sorgfältiger tatrichterlicher Feststellun-
gen zu denjenigen Umständen, die trotz Anknüpfung bestimmter Maßnahmen
an asylerhebliche Merkmale wie Rasse, Religion, Ethnie oder politische Über-
zeugung ergeben sollen, dass diese Maßnahmen objektiv nur auf asyluner-
hebliche Ziele bezogen und gerichtet sind, ohne den Einzelnen zumindest auch
wegen eines unverfügbaren Merkmals zu treffen und auszugrenzen (vgl. Urteil
vom 25. Juli 2000 - BVerwG 9 C 28.99 a.a.O.).
Hiermit setzt sich die Beschwerde nicht - wie erforderlich - auseinander. Sie
macht einen über die genannten Grundsätze hinausgehenden Klärungsbedarf
nicht ersichtlich.
Auf den Schriftsatz der Beklagten vom 22. August 2006 und dessen Anlagen
kommt es nicht an. Insoweit handelt es sich um neue Tatsachen, die im Be-
schwerdeverfahren nicht berücksichtigt werden können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten wer-
den gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus
§ 30 Satz 1 RVG.
Eckertz-Höfer Dr. Mallmann Richter
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